10. Januar 2025
Karl Schröders Roman »Klasse im Kampf« aus dem Jahr 1932 befasst sich mit den drängenden Fragen der Arbeiterbewegung – und ist heute genauso aktuell wie damals.
Demonstrationszug des kommunistischen Jugendverbandes in Berlin zum 1. Mai 1925.
Die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung ist eine Geschichte von Grabenkämpfen. Sie ist geplagt von verhärteten Fronten ohne Geländegewinn und einer selektiven Interpretation der Sozialdemokratie und des Kommunismus. Der harte Widerspruch zwischen diesen beiden größten Fraktionen der deutschen Arbeiterbewegung führte zu einer Geschichtsschreibung, die materielle Ursachen für historische Entwicklungen nicht berücksichtigte. Dadurch verfestigte sich ein falsches Bild der Vergangenheit.
Das hat Konsequenzen für die Gegenwart. Schlüsse aus der Vergangenheit zu ziehen, ist Teil einer jeden historisch-politischen Perspektive. Ohne eine materialistische Betrachtung der Geschichte verfehlen diese Schlüsse aber immer wieder den Kern der Sache und bilden oftmals die Grundlage für strategische Fehlentscheidungen und inhaltliche Unschärfe.
Die (historische) Sozialdemokratie hat für sich eine Geschichtsschreibung etabliert, die die eigene Kehrtwende Richtung Mitverwaltung der kapitalistischen Zustände rechtfertigt und den Kampf gegen die revolutionären Kommunistinnen und Kommunisten legitimiert. Die Geschichtsauffassung der Kommunisten lässt oftmals die materiellen Bedingungen ebenso außer Acht. Sie verstehen historische Konflikte nicht als Produkt verschiedener, sich teils widersprechender materieller Interessen innerhalb der Arbeiterklasse, sondern als ideologische Konflikte, denen der Verrat am Proletariat durch die sozialdemokratische Funktionärsschicht zugrunde liegt. Beides sind ahistorische Formen der Selbstbehauptung.
Es ist nicht möglich, in der Zeit zurückzugehen und sich selbst ein Bild der komplexen gesellschaftlichen Lage der Zwischenkriegszeit zu machen. Aber Karl Schröders 1932 erschienene und 2024 vom Oldtimertools-Verlag neu aufgelegte Roman Klasse im Kampf. Ein Roman über die Arbeiterklasse und ihre Parteien kurz vor der Machtergreifung der Nazis gelingt es, eine Brücke in die Vergangenheit zu schlagen, wo theoretische Schriften zu selektiv bleiben.
Es lohnt sich also auch heute noch, Schröder zu lesen. Nicht nur wegen der gut erzählten Geschichte, sondern auch weil er einer jener Oppositionellen der Arbeiterbewegung war, die lange ungehört blieben. Während seiner eigenen politischen Laufbahn war er sowohl als Sozialdemokrat als auch als Kommunist aktiv. Früh schloss er sich der SPD an, wurde ein Freund von Franz Mehring und arbeitete ab 1914 als wissenschaftliche Hilfskraft im Zentralbildungsausschuss der SPD. Hautnah erlebte er den Horror des Ersten Weltkriegs, woraufhin er sich 1918 von der Sozialdemokratie abwandte und dem Spartakusbund, einer Vereinigung von marxistischen Sozialisten, anschloss.
Sein Verhältnis zur KPD endete nach kurzer Zeit, da er wegen seiner »linken Positionen« ausgeschlossen wurde. Zusammen mit anderen gründete er daraufhin 1920 die KAPD (Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands), die im Gegensatz zur KPD stärker antiparlamentarische und rätekommunistische Ideen vertrat. Doch auch dort wurde er 1922 ausgeschlossen. In Moskau traf er Lenin, Trotzki und Bucharin. Paul Levi überredete ihn, wieder in die SPD einzutreten, wo er sich diesmal der Jugendarbeit und als Lektor der Arbeiterbildung widmete.
»Neben den verschiedenen Grundfragen der Arbeiterbewegung, die Schröder im Roman verarbeitet, gibt es auch eine Überschneidung zur Gegenwart.«
Bei den von ihm mitgegründeten, rätekommunistisch orientierten Roten Kämpfern, organisierte er ab 1931/32 Widerstand gegen die Nationalsozialisten. Seine Tätigkeit im Widerstand führte 1936 zu seiner Verhaftung und Internierung im KZ Börgermoor, das er nur knapp überlebte. Nach dem Zweiten Weltkrieg half er am Aufbau des Berliner der Schul- und Bildungswesen mit und trat 1948 der SED bei. Bis zu seinem Tod 1950 arbeitete er als Lektor beim Verlag Volk und Wissen. Ab 1920 begann Schröder mit dem Schreiben. Es entstanden sowohl Romane wie Der Sprung über den Schatten, als auch theoretische Schriften zur revolutionären Betriebsorganisation. Seine Zeit im KZ verarbeitete er in der Erzählung Die Letzte Station.
Klasse im Kampf beginnt kurz vor dem historischen Berliner Metallarbeiterstreik von 1930. Dieser Streik bildet die Hauptkulisse, um die Schröder die verschiedenen Widersprüche und Konflikte der Arbeiterbewegung darstellt. Direkt im ersten Kapitel werden Leserinnen und Leser mitten in den Konflikt geworfen. Auf der ersten großen Versammlung, in der über einen Streik beraten wird, kommt es zum Streit zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten. Die Sozialdemokraten sprechen sich gegen eine Eskalation des Konflikts aus. Der sozialdemokratische Arbeiterfunktionär Riebe habe den Blick für den »Schmutz der kapitalistischen Welt« verloren, so ein Vorwurf. Die Kommunisten hingegen sprechen sich für eine härtere Gangart aus. Den Beschwichtigungsversuchen der Sozialdemokraten entgegnen sie mit der Drohung, die Gewerkschaft zu spalten.
Die Geschichte hat einen realen Hintergrund. Der Berliner Metallarbeiterstreik war einer der letzten großen Betriebskämpfe der Gewerkschaftsbewegung in Deutschland. Damals traten circa 126.000 Metallarbeiter aus 283 Betrieben in den Streik. Die Kommunisten versuchten über ihre RGO (Revolutionäre Gewerkschaftsopposition) an Einfluss zu gewinnen. Neben den verschiedenen Grundfragen der Arbeiterbewegung, die Schröder im Roman verarbeitet, gibt es auch eine Überschneidung zur Gegenwart. 1930 ging es nicht um mehr Lohn, sondern um den Kampf gegen den von der Kapitalseite geforderten Lohnverzicht – von 15 Prozent. Im Hintergrund spielten damals wie heute eine große Wirtschaftskrise und die durch sie angefeuerte faschistische Gefahr eine Rolle. Einem ähnlichen Problem sehen sich auch die IG Metall und Linke im aktuellen Konflikt in der Stahl- und Automobilbranche gegenüber.
»Fragen der Organisation, Strategie und Taktik bilden ein wesentliches Thema des Romans.«
Immer wieder schweift Karl Schröder ab, in Liebesbotschaften an Berlin, die sich etwa im Berliner Dialekt einiger seiner Charaktere zeigen. Seine liebevollen und detailreichen Beschreibungen der Stadt machen Klasse im Kampf auch zu einem Heimatroman. Den Schwerpunkt bildet jedoch, wie schon der Untertitel erahnen lässt, die arbeitende Klasse, ihre Parteien und Organisationen, ihre inneren und äußeren Konflikte. Es gibt eigentlich keine historische Frage, die Schröder auslässt. Die meisten von ihnen haben bis heute nicht an Relevanz verloren.
Den verschiedenen Fragen der Arbeiterbewegung, wie der Frauen- oder Jugendfrage, widmet Schröder eigene Kapitel. Im Kapitel zur Frage der Frau behandelt Schröder zum Beispiel die Widersprüche, die sich in patriarchalen Arbeiterfamilien auftun, ebenso wie die Stellung der Frau in den verschiedenen Schichten der arbeitenden Klasse und Bewegung.
Wir begleiten unter anderem die »dienende« Hausfrau Riebe mit ihrem bürgerlichen Anspruch. Im Gegensatz zu ihrem Mann ist sie selbst der Bewegung immer fremd geblieben. Ihr Gegenpart ist die kürzlich arbeitslos gewordene Frau des Kommunisten Brinkmann, die mit ihrem neu erlangten Klassenbewusstsein anfängt, die ihr aufgezwungene Rolle als »doppelt Ausgebeutete« abzulegen und sich der Bewegung hingibt. Beide sind Ausdruck der Einkommenshierarchien in der Arbeiterklasse und der damit verbundenen unterschiedlichen Bedürfnisse und – politischen – Perspektiven, die eine wesentliche Triebkraft für die Spaltung der Arbeiterbewegung waren und sind. Die beiden Familien stehen stellvertretend für die zwei Haupttendenzen der Bewegung der arbeitenden Klasse: Sozialdemokratie und Kommunismus.
Fragen der Organisation, Strategie und Taktik bilden ein wesentliches Thema des Romans. Die grundsätzliche Frage von Reform und Revolution ist der politische Sprengstoff, der aus Kommunismus und Sozialdemokratie verfeindete Lager hat werden lassen. Die Kommunisten erlagen dem trügerischen Fehlschluss, mit der Hilfe Sowjetrusslands würde es mit dem Sozialismus noch gelingen. Der Fokus auf den Erfolg der Bolschewiki und ihre führende Rolle in der Weltrevolution hatte den Blick auf die Realität in Deutschland verzerrt.
Ihre Gewerkschaftsstrategie führte eben nicht zur Stärkung der Stellung der Kommunisten, sondern zu ihrer Selbstisolation. Die Sozialdemokraten bekämpften früh die revolutionären Erhebungen der Arbeiterklasse, oftmals sogar blutig mithilfe der Reaktion. Mittels großer Sozialreformen den Weg zum Sozialismus zu beschreiten, hatte sich ebenso als realitätsferner Versuch entpuppt, der die Arbeiterbewegung für die materiellen Verhältnisse – unter denen sie zu kämpfen hatte – blind machte. Karl Schröder schafft es, diesen Zwist anhand sich im Streit befindenden Charaktere allgemeinverständlich darzustellen. In einem intellektuellen Streit lässt er einen jungen kommunistischen Arbeiter gegen einen alten sozialdemokratischen Intellektuellen antreten, die wie alle Figuren des Romans mal mehr, mal weniger überspitzt gezeichnet sind, um die Widersprüche zu verdeutlichen.
»Die zerstörerische Kraft des Nationalsozialismus haben beide unterschätzt. Zu spät haben Kommunistinnen und Sozialdemokraten die Einsicht gewonnen, dass historische Kompromisse notwendig sind, um die faschistische Barbarei zu verhindern.«
Aufgrund seiner mangelnden Erfahrung glaubt der junge Kommunist, dass es mit dem Kapitalismus bald zu Ende ginge. Seiner Ansicht nach können die Proletarier ihre Situation nicht mehr lang ertragen. Eine Fehleinschätzung, die uns seit der Finanzkrise von 2008/09 immer wieder begegnet.
Wir erinnern uns, der Roman spielt Anfang der 1930er Jahre, während einer historischen Krise, die nicht nur zu einer massiven Polarisierung, sondern auch zu blutigen politischen Kämpfen führte. Der alte pessimistische Sozialdemokrat verweist darauf, dass es schon immer Krisen und eine Zuspitzung der Kämpfe gegeben habe, die nicht zur Revolution geführt hätten. Bei einer Sache sind sie jedoch einig, »auf die Dauer kann das kein Nationalsozialismus meistern«. Die zerstörerische Kraft des Nationalsozialismus haben beide unterschätzt. Zu spät haben Kommunistinnen und Sozialdemokraten die Einsicht gewonnen, dass historische Kompromisse notwendig sind, um die faschistische Barbarei zu verhindern. Das ist die historische Tragödie, von der sich die deutsche Arbeiterbewegung bis heute nicht erholt hat.
Man kann froh sein, dass es immer noch engagierte kleine Verlage gibt, die finanzielle Risiken nicht scheuen und die verschollenen literarischen Schätze der Arbeiterbewegung bergen und neu auflegen. Karl Schröders Roman ist einer davon. Er bietet einen wichtigen Einblick in einen bedeutenden Abschnitt der Arbeiterbewegung. Durch seinen Schreib- und Erzählstil bleibt der Roman offen für eine breite Leserschaft. Angesichts der Perspektivlosigkeit der Linken und der zu meisternden Krisen ist dies unschätzbar und trägt hoffentlich dazu bei, historische Fehlschlüsse zu erkennen. Denn eine Frage steht noch immer im Raum: »Wie soll man's machen?«