28. April 2020
Am 27. April 1978 übernahmen Kommunisten in Afghanistan die Macht. Sie wollten die Modernisierung und den sozialen Fortschritt im Land vorantreiben. Hatten ihre weitreichenden Reformen jemals eine Chance?
Hubschrauberpiloten der Roten Armee in Afghanistan, 1987.
Vor 42 Jahren, am 28. April 1978, machten Kommunisten eine Revolution in Afghanistan. Mein Freund Tahir Alemi war einer von ihnen. Er war ein guter Mann, liebenswürdig und sanft, und er wollte die Welt verändern.
Er war Dozent für paschtunische Literatur an der Universität in Kabul. Er hatte es weit gebracht. Sein Vater war ein Kleinbauer in einem Dorf in Nangarhar, nahe der Grenze zu Pakistan. Die Familie bewirtschaftete ihr eigenes Land und hatte einen Teilpächter, weswegen sie sich besser als die meisten durchschlugen. Tahir gelangte an die Universität und an seinen Job durch raue Intelligenz. Er liebte seinen Vater und seine Brüder und seine Mutter. Aber er musste sich gegen die Werte seines Vaters stemmen.
Afghanistan war in den 1970er Jahren ein feudal geprägtes Land. Die Macht lag nicht bei städtischen Unternehmern, sondern bei Großgrundbesitzern, die in ländlichen Festungen lebten. Mal gab es zwei große Herren in einem Dorf, mal einen, an manchen Orten herrschte ein Mann über mehrere Dörfer. Es gab viele Mittelbauern, Männer wie Tahirs Vater, mit vielleicht einem Teilpächter, die aber immer noch ihr eigenes Land bewirtschafteten.
Unter ihnen standen die Teilpächter, wahrscheinlich die Hälfte der Bevölkerung, denen es erlaubt war, ein Drittel der Ernte, die sie einbrachten, zu behalten. In Tahirs Dorf waren sie ein Fünftel, da der Boden besser war. Überall wurde den Teilpächtern, Arbeitern und Hirten gerade so viel gezahlt, dass man jeweils drei Naan-Brote für zwei Erwachsene und jeweils zwei für zwei Kinder kaufen konnte. Das waren 2.000 Kalorien pro Erwachsenen und 1.300 pro Kind. Anderes Essen konnten sie sich nicht leisten.
Ich war Anthropologe in Afghanistan in den frühen 1970er Jahren. Die Menschen, mit denen ich mich befasste, waren Nomaden mit Schafen gewesen, die aber schwere Zeiten durchlebten. Ihr Lebensstandard war ziemlich charakteristisch für arme Afghanen. Die Frauen besaßen zu ihren Lebzeiten zwei Kleider: eines, wenn sie die Pubertät erreichten, und ein zweites, wenn sie heirateten. Eine gewöhnliche Familie besaß eine kleine Tasse für Tee. Einmal im Jahr aßen sie mit voller Begeisterung Fleisch zum Fest des Propheten. Für den Geschmack zum Brot bereiteten sie eine Suppe zu, indem sie Klee und anderes Grünzeug, was sie gesammelt hatten, kochten.
Zwei der drei wohlhabendsten Familien in dem kleinen Dorf mit 33 Haushalten wetteiferten darum, meiner Frau und mir ihre Gastfreundschaft zu beweisen. Eine Familie briet mir zu einem bestimmten Anlass ein Ei. Die andere gab mir Eintopf mit meinen eigenen kleinen Kartoffeln. Niemand sonst bekam welche.
Ausbeutung in diesem Ausmaß – Zweidrittel bis Vierfünftel der Ernte ging an die Gutsbesitzer – erforderte Grausamkeit und Gewalt. Meistens ging dies von den örtlichen Herren und ihren Leibwächtern und Schlägern aus, gestützt durch die Regierung. Mohammed Zahir Schah, der König in Kabul, und seine Familie hatten ihre Macht errichtet, indem sie in jedem Landstrich einen Herren begünstigten und durch ihn die Herrschaft ausübten. »Manchmal haben wir Tyrannei«, sagte mir einmal Tahir, »Dann kommen sie und töten dich und deine gesamte Familie. Jetzt haben wir Demokratie. Jetzt bist nur du es und sie stechen nur deine Augen aus.« Es war ein Scherz. Wir lachten.
Afghanistan war ein armes Land, größtenteils ausgedörrt, mit Wüsten und Bergen. Die Regierung war machtlos, die Großgrundbesitzer oder die Kleinbauern zu besteuern. Sie waren stattdessen auf begrenzte Zölle angewiesen. Seit 1842 hatten sich verschiedene afghanische Regierungen auf irgendeine Form von fremden Zuschüssen verlassen, normalerweise von den Briten. Ab den 1950er Jahren bekam Afghanistan »Entwicklung«. Als Teil des Kalten Krieges wurde rund 80 Prozent des öffentlichen Haushalts und der Großteil des Militärbudgets durch russische oder amerikanische Mittel bezahlt. Die Russen zahlten rund zwei Drittel, die Amerikaner ein Drittel. Es gab sehr wenig Industrie oder wirtschaftliche Entwicklung. Die Hilfsgelder gingen an die Armee, Schulen und den öffentlichen Dienst.
Ausbeutung in diesem Ausmaß – Zweidrittel bis Vierfünftel der Ernte ging an die Gutsbesitzer – erforderte Grausamkeit und Gewalt
Jetzt gab es ein paar tausend Studenten an der Universität Kabul und hunderttausende Schüler in den Schulen. Die alte herrschende Klasse der Grundherren war winzig und es war unmöglich, dass sie die Lehrer und öffentlich Bediensteten hätten bereitstellen können. Die frisch Ausgebildeten waren Männer wie Tahir, die Kinder von Mittelbauern. Ihre Eltern und Großeltern haben die Grundherren und die Regierung im Stillen gehasst, und die frisch Ausgebildeten haben sie auch gehasst.
Zahir Shah, der letzte König Afghanistans, 1963.
Sie, diese jungen Lehrer, träumten von einem entwickelten, modernen Afghanistan. Einmal, unten in der Provinz Helmand, standen Tahir und ich in einer schweigenden Zuschauermenge, die eine Demonstration von ein paar Dutzend Jungen der höheren Schule beobachteten. Die Schüler wechselten sich ab, auf der Kiste zu stehen und ihre Slogans zu rufen: »Tod den Khans!« Khan war das einheimische Wort für die großen Herren. Die Parolen der Jungen waren nicht abstrakt. Ihr politisches Programm war, diese Männer in ihren Gegenden zu töten.
»Habt ihr auch solche Dinge in Amerika?«, fragte mich Tahir.
Ich erzählte ihm, dass wir dies auch hätten und dass ich auch an manchen teilgenommen hätte. Er erzählte mir von dem Dritten Akrab 1965, als die Studenten draußen vor dem neugewählten Parlament demonstrierten und drei Demonstranten erschossen wurden. Er war dabei gewesen.
Die jungen Männer und Frauen dieser neuen urbanen Klasse, die Mehrheit von ihnen Lehrer wie Tahir, wandten sich islamistischen oder kommunistischen Parteien zu. Die Bruderschaft waren Islamisten. Sie waren akademisch gebildet, aus der gleichen Klasse wie Tahir, und ihre jungen Aktivisten würden die Anführer des Widerstands gegen die Russen werden. Die Kommunisten waren gespalten. Partscham (»das Banner«) waren gebildeter, urbaner und moderater. Chalq (»das Volk«) waren weniger gebildet, öfter aus ländlichen Familien, öfter Paschtunen. Tahir trat Partscham bei. 1973 wuchsen die Kommunisten rascher an als die Bruderschaft.
Ich saß mit Tahir in dem Empfangsraum seines Vaters in dem Dorf und wir liefen und reisten mit dem Bus zu den Dörfern rund um Nangarhar. Tahir war von der Universität ausgewählt worden, mein »Ansprechpartner« für den ersten Teil meiner Feldforschung zu sein. Ich zahlte ihm das Vierfache seines Monatsgehalts von 1.500, dreimal soviel, was ein Arbeiter verdiente. Ich lernte immer noch die Sprache und er übersetzte für mich. Er schrieb auch regelmäßige Berichte über mich für die Geheimpolizei. Wir beide wussten dies, aber sprachen nicht darüber.
Tahirs Ehe war arrangiert. Seine Ehefrau war nie in der Schule gewesen. Es gab vieles, über das er nicht mit ihr reden konnte. Aber er hatte sie geheiratet, um seine Familie zufrieden zu stellen. Sie hatten ein hiesiges Mädchen für ihn ausgesucht, in der Hoffnung, ihn damit an das Dorf zu binden, und für die ersten paar Jahre der Ehe lebte sie bei seinen Eltern und er besuchte sie, wann immer er konnte. Er versuchte eine wirkliche Beziehung zu ihr zu entwickeln.
Viele andere Mädchen waren allerdings in den Städten und Dörfern zur Schule gegangen. Sowohl Partscham als auch Chalq waren voller Genossinnen. Die Frauenbefreiung war von zentraler Bedeutung für ihren Traum einer besseren Welt. Tahir hoffte, dass er einmal bald seine Frau dazu bewegen könnte, mit ihm in Kabul zu leben. Wenn das passiere, versprach er mir, könne ich sie kennenlernen, da er sie niemals ausschließen würde.
1972 gab es eine Dürre, eine frühe Folge des Klimawandels. Eine Hungersnot umschloss Teile des Nordens. Nahrungsmittelhilfen kamen aus Amerika. In den Kreisstädten stapelten Regierungsbeamte Getreidesäcke auf den Plätzen. Soldaten bewachten das Getreide und die Beamten verkauften es für das Zehnfache vom üblichen Preis. Die Kleinbauern verkauften ihr Land für fast gar nichts an die feudalen Khane, um das Getreide zu kaufen. Die Landlosen saßen und warteten auf den Tod. Ein französischer Journalist fragte sie, warum sie nicht die Stapel erstürmten. »Der König hat Flugzeuge«, sagten sie, »und er würde uns bombardieren.«
Der König und seine Regierung verloren fast ihren gesamten Rückhalt im Volk. Der Cousin des Königs, Mohammed Daoud, war bis 1963 ein brutaler Ministerpräsident gewesen. Er stützte sich mehr auf die Sowjets, der König mehr auf die Amerikaner. Jetzt kappten die USA die Hilfe nach Vietnam und das meiste Geld kam aus Russland. Daoud inszenierte einen Militärputsch mit sowjetischer Hilfe. Der Staatsstreich traf auf keinen Widerstand. Nach der Hungersnot war niemand bereit, für den König zu sterben.
Die eigentliche Arbeit bei der Organisation des Staatsstreiches wurde von kommunistischen Militärs, die meisten vom Chalq-Flügel, geleistet. Wie die Lehrer besaßen die Offiziere einen mittelbäuerlichen Hintergrund, waren oftmals die ersten in der Familie, die Bildung genossen hatten und oftmals wurden sie in der Sowjetunion geschult.
Der Staatsstreich veränderte nichts grundlegendes. Die Macht blieb bei den großen Herren, auch wenn Daouds Rhetorik links war. Die Universität, die weiterführenden Schulen und die Grundschulen wurden äußerst politische Orte, insbesondere in den Klein- und Großstädten. Manche Lehrer missionierten für die Bruderschaft, andere für Partscham und Chalq. Die Studenten debattierten. Partscham plädierte dafür, mit Daouds Diktatur zusammenzuarbeiten, Chalq wollte die umfassende Revolution.
Der Brautpreis wurde in den Augen von allen als ein Zeichen der Unterwerfung der Frau verstanden
Die Kommunisten wurden mehr. Im April 1978 befahl Daoud die Ermordung eines kommunistischen Führers, Mir Akbar Khyber. Beide Flügel der Kommunisten kamen für eine große, öffentliche Demonstration zu seiner Beerdigung in Kabul zusammen. Daoud hatte alle Führer beider Flügel verhaftet und sie wussten, dass sie bald getötet werden würden. Einem Führer, Amin, gelang es, Bescheid zu geben, einen bereits vorher ausgearbeiteten Staatsstreich einzuleiten. Die gleichen Armee- und Luftwaffenoffiziere, die Daoud an die Macht gebracht hatten, töteten nun den Führer und seine gesamte Familie. Wie bei dem König hätte niemand für Daoud gekämpft und die Kommunisten waren erfolgreich.
Einen Tag nach der Saurrevolution in Kabul.
Die Kommunisten verkündeten eine Revolution – sie bezeichneten sie als »Große Aprilrevolution«, wie die Oktoberrevolution in Russland. Sie verabschiedeten zwei Dekrete, um den Putsch in eine Revolution zu verwandeln. Das erste war eine Bodenreform – das Land würde den Gutsbesitzern genommen und den Teilpächtern gegeben werden. In vielen Gebieten hatte die Regierung keine Möglichkeiten, die Landreform durchzusetzen, aber in Helmand, wo die Jungen auf ihren Seifenkisten »Tod den Khans« gerufen hatten, begannen die örtlichen Kommunisten das Land zu nehmen und es umzuverteilen.
Das zweite Dekret beinhaltete die Abschaffung der Zahlungen des Brautpreises, die von der Familie des Bräutigams für die Hand der Braut geleistet wurden. Dies waren beträchtliche Summen, meist das Einkommen von zwei oder fünf Jahren eines Haushalts. Viel wichtiger war aber, dass der Brautpreis in den Augen von allen als ein Zeichen der Unterwerfung der Frau verstanden wurde.
Die Beziehungen zwischen Männern und Frauen waren nicht die sexistische Karikatur, die uns heute von der islamophoben Propaganda geläufig ist. In den Dörfern hielten vielleicht vier oder fünf Familien von 200 ihre Frauen in Abschottung und ließen sie nur mit verhüllenden Burkas nach draußen. In den meisten armen Haushalten mussten die Frauen auf den Feldern mit den Männern arbeiten. Aber auch wenn die Unterdrückung der Frauen nicht so war, wie sie heutzutage dargestellt wird, war sie, wie in anderen Ländern, durchaus real. Die Kommunisten waren entschlossen, das alles zu ändern. Das Dekret über den Brautpreis war weitestgehend formell in Kraft, immerhin waren in einigen Gebieten Mädchen ermutigt, in der Öffentlichkeit zu tanzen.
Die Maßnahmen zu Land und Ehe lösten eine von den lokalen Mullahs angeführte Rebellion aus. Die Mullahs waren nicht dasgleiche wie die Islamisten der Bruderschaft. Diese waren gebildete Männer, Ingenieure und Theologen. Die Mullahs waren meist arme Dorfbewohner, gerade genug bewandert, um Farsi zu lesen und den Koran auf Arabisch auswendig aufzusagen. Sie wurden von der Elite mit Verachtung behandelt. Aber sie blickten auf eine lange Geschichte zurück, in der sie Volksaufstände anführten.
Afghanistan war niemals erobert worden. Die Briten waren von 1838–42, und erneut von 1878–80 eingedrungen. Beide Male nahmen die afghanischen Eliten das Gold der Eindringlinge – wortwörtlich in Säcken – und leisteten keinen Widerstand. Beide Male jedoch predigten die Mullahs in den Kleinstädten und Dörfern und verursachten einen Volksaufstand des Dschihads, der die Briten hinausjagte.
Dann, in den 1920er Jahren, versuchte eine neue reformerische Regierung unter König Amanullah, das Land zu »modernisieren«, wie Atatürk es in der Türkei getan hatte und Reza Shah im Iran. Amanullah beharrte auf das Ende der Abschottung für Frauen aus der Elite und bestand darauf, dass sie westliche Kleider tragen sollten. Als nächstes versuchte er, das Land der großen Herren und der Kleinbauern im Südosten zu besteuern, was eine von den Mullahs angeführte Revolte provozierte. Dann führte ein zum Sozialbanditen gewandelter Arbeiter, Habibullah, einen Volksaufstand in Kabul an. Mit britischer Hilfe unterdrückte die königliche Familie diese Revolte, aber Amanullahs soziales Experiment war am Ende.
Nach den 1930er Jahren blieben die Mullahs immer noch die Wächter der Orthodoxie, auch wenn der Islam der Afghanen von einer entspannten und wenig orthodoxen Art war. Die Mullahs verknüpften einen konservativen Islam und eine Ablehnung zur Befreiung der Frauen mit einer Opposition zum christlichen Imperialismus Großbritanniens und Amerikas und zum atheistischen Imperialismus der Sowjetunion. Für die meisten Afghanen, Männer wie Frauen, war der Islam ebenfalls das moralische Herz ihres Lebens.
Nach der Saurrevolution begannen die Mullahs, den Widerstand gegen die Regierung zu organisieren. Wie zuvor gegen die Briten und Amanullah, riefen sie zum Widerstand gegen die Fremdherrschaft auf. Die Revolte begann in den Bergen und in den Grenzgebieten, wo die Regierung immer am schwächsten war, und breitete sich in Richtung der Täler und Städte aus. Diesem Widerstand zu entgegen zu wirken, bereitete den Kommunisten ein schreckliches Problem. Sie hatten nicht die Unterstützung der Mehrheit, sodass sie auf Härte zurückgriffen.
Die Saurrevolution hatte sich auf einen von jungen Offizieren angeführten Putsch begründet. Aber Afghanistan hatte eine Wehrpflichtarmee, mit Männern aus allen Ecken des Landes, hauptsächlich aus Familien von Kleinbauern und Teilpächtern. Diese Männer befolgten Befehle, aber sie waren nicht politisch überzeugt gewesen. Es hatte keinen städtischen Aufruhr gegeben und keinen Bauernkrieg auf dem Land. In diesem Sinne war die Saurrevolution ein Putsch von oben mit geringer ländlicher Unterstützung.
Die Kommunisten hatten wirkliche Unterstützung in den Städten. In den freien Wahlen, bevor Daoud die Macht 1973 an sich riss, gewannen sie die meisten Sitze in Kabul. Sie hatten die Unterstützung unter Schulkindern, Studenten an der Universität, Beamten und anderen in den großen Städten. In einem überwiegend bäuerlichen Land war dies nicht genug. Konfrontiert mit glühenden Predigten und ländlichen Aufständen, konnte die neue kommunistische Regierung nur Soldaten hinschicken und Menschen verhaften. Dies provozierte noch mehr Unruhe und sie begannen, Menschen zu foltern, was zu mehr Revolten führte.
Über die nächsten 20 Monate verloren die Kommunisten und ihre Armee die Kontrolle über den Großteil des Landes. Bis zum Dezember 1979 besaßen sie nur noch drei von 34 Provinzen vollständig. In 28 Provinzen sicherten Armeebarracken die Kontrolle über Großstädte und größere Kleinstädte, während die Aufständischen die ländliche Gegend kontrollierten. In drei Provinzen kontrollierten die Aufständischen sogar die Kleinstädte.
Unter diesem Druck spalteten sich die Kommunisten verbittert in drei Lager. Die Partscham-Gruppe, angeführt von Babrak Karmal, argumentierte für den Aufbau eines Bündnisses aller nationalen fortschrittlichen Kräften. In der Praxis bedeutete dies, muslimischen Frömmeleien daherzureden, beim Brautpreis und Frauen die Klappe zu halten und die Bodenreform zu stoppen. Dieser Kurs war konform mit den Ratschlägen des sowjetischen KGBs und der Generäle, die die Idee einer sozialen Revolution für verfrüht und leichtsinnig hielten. Das Problem mit diesem Ansatz war, dass sich die Mullahs – und der Rest von Afghanistan – sich nicht täuschen ließen.
Für die radikaleren Mitglieder der Chalq-Gruppe war dies auch ein Verrat an dem gemeinsamen Traum eins modernen Afghanistans und eines Endes von Sexismus und zermürbender Armut. Innerhalb von Monaten hatten sie die Partschamis eliminiert. Wenige, wie Karmal, gingen ins Exil nach Osteuropa und in die Sowjetunion. Die Chalqis schickten viele der Übriggebliebenen ins Gefängnis.
Aber die Schraube des Widerstands wurde um die Städte immer enger. Die Chalq-Gruppe spaltete sich auf. Taraki, der ältere Führer, ein Schriftsteller von einem Clan aus Hirten und Nomaden, sah keinen anderen Weg, als sowjetische Truppen aufzufordern, den Widerstand zu zerschlagen. Der jüngere Führer, Mohammed Amin, aus einem ländlichen Gebiet bei Kabul, hatte Erziehungswissenschaft an der Columbia University in New York studiert. Er war ein afghanischer Nationalist und konnte sowjetische Truppen unter keinen Umständen dulden.
Der KGB wies Taraki an, Amin zu ermorden. Taraki versuchte es und scheiterte, weil die Mehrheit der radikalen Khalqis ebenfalls gegen russische Truppen waren. Stattdessen ließ Amin Taraki ermorden.
Sowjetische Besatzungskräfte in Afghanistan.
Der ländliche Widerstand wuchs weiter an. Amin streckte seine Hände hilfesuchend den Amerikanern entgegen, um ein Gegengewicht zu den Sowjets zu besitzen. Die Amerikaner lehnten ab. Die sowjetische Regierung, beängstigt, Amin würde es gelingen, ein Bündnis mit den Amerikanern einzugehen oder durch den Aufstand besiegt zu werden, versuchte weiterhin, ihn zu ermorden. Kein afghanischer Kommunist in dem Land hätte es für sie getan. Konfrontiert mit diesen Angriffen, verfiel Amin immer weiter und weiter in Grausamkeiten, Verhaftungen, Folter und Hinrichtungen.
Die sowjetischen Panzer rollten am 24. Dezember 1979 über die Grenze. Die Saurrevolution war vorbei. Die Sowjets erschossen Amin und ersetzten ihn durch Babrak Karmal, den sie aus dem Moskauer Exil zurückbrachten. Die Gefängnisse fingen an, sich mit Chalqis zu füllen. Alles, was die Mullahs und die gebildeten Islamisten über die Kommunisten erzählten, dass diese Instrumente von atheistischen Fremden seien, erwies sich als wahr.
Im Frühling 1980 begannen nächtliche Proteste in der westlich gelegenen Stadt Herat und breiteten sich rasch nach Kandahar im Süden und dann nach Kabul aus. Die Beamten in Kabul, eine der stärksten kommunistischen Bastionen, traten gegen die russische Besatzung in den Streik. Die Schülerinnen der weiterführenden Mädchenschule in Kabul, die immer große Unterstützerinnen der Frauenbefreiung und der Kommunisten gewesen waren, versammelten sich auf dem Hof und riefen laut nach den Männern Afghanistans, sich gegen den Eindringling zu erheben.
Die russische Besatzung dauerte acht Jahre, gestützt auf Panzern in den Städten und Luftbombardements quer über das Land. Bei einer Bevölkerung von 20 Millionen Einwohnern wurden bis zu einer Million getötet, eine weitere Million verloren Gliedmaßen und sechs Millionen sahen sich gezwungen, ins Exil zu gehen. Als alles vorbei war und die sowjetischen Panzer abzogen, übernahmen die islamistischen Warlords die Macht. Der Traum von Feminismus und Sozialismus war zu Ende.
Einmal damit begonnen, den Sozialismus gegen den Widerstand einer Mehrheit durchzusetzen, verloren sie.
Die politische Folge wäre die gleiche gewesen, wie in den Vereinigten Staaten, wenn sich dort Linke mit einem Invasor verbündet hätten, der zwischen acht und 15 Millionen Amerikaner durch Bombardierungen aus der Luft getötet und 90 Millionen in das Exil verdrängt hätten. Die Idee der Frauenbefreiung war beschmutzt.
Manche Kommunisten waren von Haus aus grausam. Viele von ihnen aber waren wie Tahir, anständige Leute, die eine bessere Welt wollten. Einmal damit begonnen, den Sozialismus gegen den Widerstand einer Mehrheit durchzusetzen, verloren sie.
Die Idee, dass der Kommunismus oder der Sozialismus eine Diktatur der Minderheit benötigte, wurde unter den Radikalen der 1960er und 1970er Jahren weitgehend akzeptiert. Karmal erlernte seine Politik im Gefängnis in Kabul, Taraki erlernte seine in Bombay und Amin verbrachte Jahre in New York. Die afghanischen Kommunisten taten einfach das, von dem die Linke global meinte, was zu tun sei, wenn sie wirklich die Welt verändern wollten. Ihre Tragödie bestand auf eine heftige und schreckliche Art aus den gleichen Fehlern, die auch anderswo wiederholt wurden.
Nachdem ich ihn kennenlernte, füllten sich Tahirs Augen mit Tränen, als er über die Ignoranz und das Leiden der Dorfbewohner, die wir trafen, erzählte. Er verstand sie und liebte sie, und er wusste, warum es so schwierig war, sie zu überzeugen. Vor ein paar Jahren trank ich ein Bier zusammen mit einem afghanischen Freund in London und ich fragte ihn, ob er Tahir kannte. »Ja«, sagte er, »er war ein guter Mann, gütig.«
»Ein Partschami«, sagte er.
»Ja«, sagte ich, »ein Partschami.«
Mein Freund war mit Tahir im Gefängnis in Dschalalabad im Herbst 1979 gewesen, kurz vor dem sowjetischen Einmarsch. Er kam raus und Tahir nicht. Mein Freund hatte keine genauen Informationen, aber er war sich sicher, dass er hingerichtet worden war.
Ich hoffe, er lag falsch. Ich weiß, dass er recht hatte.
Jonathan Neales Veröffentlichungen umfassen unter anderem A People’s History of the Vietnam War und What’s Wrong with America. Er bloggt zusammen mit Nancy Lindisfarne bei Anne Bonne Pirate.