29. August 2022
Zwei Neuerscheinungen beleuchten Leben und Wirken jüdischer Intellektueller in der DDR – jenseits eindimensionaler Klischees.
Jurek Becker 1981 in Amsterdam.
Wikimedia Commons/Fotocollectie AnefoDer Begriff des Intellektuellen war, seitdem er kurz vor Ende des 19. Jahrhunderts geprägt worden war, so umstritten wie das aufkommende Phänomen selbst: Der Intellektuelle sei laut Maurice Barrès ein geistig tätiges Individuum, das unabhängig von seiner beruflichen Stellung ein soziales Ideal vertrete, welches sich aber nicht auf die Kategorie der Nation oder Rasse gründen lasse.
Ende des 19. Jahrhunderts wurde Frankreich durch einen beispiellosen Justizskandal erschüttert: der sogenannten Dreyfus-Affäre. Alfred Dreyfus, Hauptmann der französischen Armee, wurde 1894 des Landesverrats angeklagt – aufgrund zweifelhafter Beweise und aus antisemitischen Motiven. Die Auseinandersetzung um die Schuld oder Unschuld von Dreyfus bewegte die öffentliche Meinung über Jahre. Im Zuge der Dreyfus-Affäre wandten Emile Zola, Georges Clémenceau und Jean Jaurès die abwertende Bezeichnung »Intellektueller« ins Positive: Indem sie die Ehre des jüdischen Hauptmanns verteidigten, standen sie zugleich gegen Antisemitismus und Demokratiefeindschaft ein.
Nicht durch ihre fachliche Qualifizierung würden geistig Tätige zu Intellektuellen, betonte auch Jahrzehnte später Jean Améry, sondern weil sie denkend, schreibend und handelnd an der Verbesserung gesellschaftlicher Zustände arbeiteten. »Die Aufgabe linker Intelligenz als eine humankritische«, schrieb er 1968 nach der Besetzung der Tschechoslowakei durch die Sowjetunion und ihre Verbündeten, »stellt sich mit der gleichen Dringlichkeit wie eh und je. Es geht um die Verwirklichung des Menschen, der zu seiner Selbstschöpfung eben erst ansetzte.« Ziel sei dabei aber nicht die totale Neubewertung des Sozialismus, »denn längst hat die linke Intelligenz, einschließlich der fortgeschrittenen Elemente unter den Parteikommunisten im Westen, darauf verzichten gelernt, in der Sowjetunion das maßstabsetzende Exempel für eine sozialistische Wirklichkeit zu sehen.«
Amérys Unterscheidung zwischen dogmatischen und fortgeschrittenen Kommunisten ergibt auch in Bezug auf die staatssozialistischen Länder Sinn, nicht zuletzt die DDR. Zu den Letzteren zählte, besonders in den ersten beiden Jahrzehnten des ostdeutschen Staates, eine Reihe von Schriftstellern Künstlern, Filmschaffenden und Wissenschaftlern – Männer und Frauen –, die nach 1933 verfolgt, ausgebürgert oder verhaftet worden waren und nun, nicht ohne innere Vorbehalte, die Chance eines Neubeginns unter sozialistischem Vorzeichen suchten. Nicht wenige von ihnen waren Jüdinnen und Juden. Sie stehen im Zentrum von Sonja Combes Buch Loyal um jeden Preis. »Linientreue Dissidenten« im Sozialismus.
In den letzten Jahren ist das Interesse an einer vorurteilsfreien Auseinandersetzung mit den DDR-Intellektuellen gewachsen. Zwar war die DDR kein demokratischer Staat, und die hier untersuchten Persönlichkeiten mussten wohl oder übel die Spielregeln des Regimes akzeptieren, doch nahmen sie den Neuaufbau auf den Ruinen des Hitler-Regimes als ureigenen antifaschistischen Auftrag ernst. Gerd Dietrichs Opus magnum, seine 2018 erschienene, dreibändige Kulturgeschichte der DDR, dürfte für Historiker auf lange Zeit eine beispiellose Fundgrube zu diesem Thema bleiben. Anders als mitunter prophezeit, hat auch im Ausland das Interesse an der DDR und ihren Intellektuellen keineswegs nachgelassen. Hiervon zeugen das im Inhalt noch umfangreichere, hervorragende Buch von Susan Neiman, Von den Deutschen lernen, sowie das ebenso bemerkenswerte neue Werk der französischen Historikerin Sonia Combe.
Sonia Combes Buch erschien 2019 im französischen Original unter dem Titel La loyauté à tout prix. Les floués du »socialisme réel« (Loyalität um jeden Preis. Die Betrogenen des »realen Sozialismus«). Es ist eine historische Analyse in Form eines lebendig geschriebenen, langen Essays und in fünf Teile gegliedert.
Der erste Teil, »Die Hoffnung«, behandelt die Ankunft der intellektuellen Remigranten in der entstehenden DDR, deren Kultur und Wissenschaft sie prägten, obgleich sie (außer Kurt Hager, Albert Norden und zeitweise Gerhart Eisler) von den politischen Schaltzentralen ferngehalten wurden. Im zweiten Teil, »Die Entzauberung«, geht es um die politischen Erschütterungen der DDR, von der durch die Sowjetunion aufgenötigten antisemitischen Kampagne über den Juni-Aufstand 1953, dem »›Kronstadt‹ der SED«, bis zu den Konflikten der 1960er und 1970er Jahre. Der dritte Teil, »Die Erben«, schlägt die Brücke zur zweiten Generation der DDR-Intellektuellen, zu Schriftstellern wie Jurek Becker, Heiner Müller oder dem von Wolf Biermann als »DDR-Voltaire« gerühmten Philosophen Wolfgang Heise. Der vierte Teil, »Ein exemplarischer Weg«, ist ganz Jürgen Kuczynski gewidmet, in dem die Autorin geradezu ein Sinnbild aller Leistungen wie Widersprüche und ungelöster Konflikte der DDR-Intellektuellen sieht. Seine Selbstbezeichnung als »linientreuer Dissident« war jedoch, wie Combe anmerkt, nicht frei von Selbststilisierung.
Die Überschrift des fünften Teils, »Die DDR und die letzten Tage der deutsch-jüdischen Symbiose«, zeigt eine spezielle Personengruppe: die jüdischen Remigranten, obgleich Sonia Combes Bezeichnung auch auf Widerspruch stoßen dürfte. Denn eine solche Symbiose hat es außerhalb der Arbeiterbewegung nur in der Wahrnehmung von Juden gegeben. Die deutsche Mehrheitsgesellschaft, und dies schloss akademische Kreise ein, stand der Präsenz von Juden bestenfalls neutral, oft aber feindselig gegenüber, und dies erklärt auch die Gleichgültigkeit, mit der viele Deutsche die Ausgrenzung und dann die Vernichtung der Juden hinnahmen, ohne wenigstens ein Mindestmaß an Hilfe zu leisten.
Die DDR verstand sich als Erbe des kommunistischen Teils der Arbeiterbewegung, aber sie erbte unter sowjetischer Besatzung auch den Stalinismus (im Unterschied zum politischen Selbstverständnis der antistalinistischen und schon vor 1933 aus der Partei ausgeschlossenen Kommunisten). Somit war und blieb ihr Verhältnis zu den »eigenen« jüdischen Kommunisten eher von prekärer Toleranz statt von wirklicher Emanzipation geprägt; Letztere hätte eine vorurteilsfreie Diskussion über den stalinistischen Antisemitismus einschließen müssen. Ein Verdienst der DDR bleibt jedoch, die Vernichtung der Juden stets in den Zusammenhang von Faschismus, Imperialismus und Rassismus gestellt zu haben, was im Westen lange kaum ansatzweise möglich war. In teilweiser Reaktion darauf entstand im Westen in den 1980er Jahren eine initiativreiche lokale Geschichtskultur, die Fragen nach konkreten Naziverbrechen »vor Ort« aufarbeitete.
Die Autorin würdigt die gescheiterten und vom Regime verfolgten Reformer des DDR-Sozialismus von Robert Havemann bis Rudolf Bahro (»innere« Wirtschaftsreformer wie Fritz Behrens, Arne Benary und Gunther Kohlmey finden leider keine Erwähnung), erzählt aber die Geschichte ihres Milieus aus einer anderen Perspektive: dem Blickwinkel der »linientreuen Dissidenten«, wie Jürgen Kuczynski sie nannte und zu denen dieser sich selbst zählte. Kuczynski und Georg Lukács – zwischen ihnen sieht Sonia Combe trotz des Altersunterschieds gewisse Parallelen – gehörten zur Generation des Russischen Oktober. »Beide waren Marxisten im Wortsinn, Intellektuelle in der Partei, im Gegensatz zu jenen, die Intellektuelle der Partei waren und ihr Denken den Bedürfnissen der Partei anpassten.«
Obwohl auch starker beruflicher Ehrgeiz sie antrieb, wovon die Unzahl ihrer Publikationen zeuge, gelte doch: Für beide »waren weder Karrierismus noch Opportunismus prägende Eigenschaften, und dies aus gutem Grund: Sie standen über den Dingen.« Beiden gelang es, sich aus den alltäglichen politischen Auseinandersetzungen herauszuhalten. Doch forderte ihnen diese Form des Engagements für den Kommunismus einen hohen Preis ab.
Sonia Combes zentrale These ist, dass kommunistische DDR-Intellektuelle eine begrenzte, doch keineswegs zu unterschätzende Rolle bei der Erweiterung eines öffentlichen Diskurses spielten, dessen Grenzen aber von der Parteiführung und ihrem Apparat gezogen wurden. Diese Grenzen wurden mitunter abrupt verschoben und überraschten solche parteiverbundenen Intellektuellen, die sich urplötzlich als Abweichler von der Linie, gar als Dissidenten wider Willen gebrandmarkt sahen. Dies betraf auch Lukács und Kuczynski in den Jahren 1956–57. Ihre verinnerlichten Parteinormen gerieten in Widerspruch zu ihrer Rolle als engagierte kommunistische Intellektuelle.
Bis zuletzt sahen sich fast alle Intellektuellen der DDR-Gründergeneration als natürliche Verbündete der Parteioberen. Anna Seghers fragte auf einer Tagung des Schriftstellerverbandes der DDR, warum die Verantwortlichen denn nicht zu ihnen kämen, um zu diskutieren, unmittelbar nachdem das 11. Plenum 1965 eine Reihe von Büchern und Filmen verboten hatte. Sie konnte nicht erkennen, wo die Trennlinie zwischen Emanzipation und Repression verlief. 1968 verweigerte sie ihren von den »Normalisierern« in Prag nach dem Einmarsch verfolgten Freunden die geringe Hilfe, die sie hätte leisten können.
Ein Jahrzehnt später, nach erneuten Schikanen gegen Robert Havemann und Stefan Heym, der Ausbürgerung Wolf Biermanns und der Verhaftung Rudolf Bahros waren es einige der besten intellektuellen Schüler der antifaschistischen Intellektuellen, die den Bruch mit der DDR, nicht aber mit der Idee des Sozialismus vollzogen und in den Westen gingen, so etwa Jurek Becker. Die Auseinandersetzungen um Gehen oder Bleiben, Unterstützung oder Ablehnung der repressiven Maßnahmen schuf Gräben, die nicht mehr überbrückt werden konnten. Wer von der DDR-Gründergeneration noch aktiv war, zog das Schweigen vor.
Die DDR-Intellektuellen jüdischer Herkunft, denen die Autorin den abschließenden Teil des Buches widmet, sieht sie, den Worten Isaac Deutschers folgend, als »nichtjüdische Juden« im Gegensatz zu Tucholskys bissigem Diktum, die assimilierten Juden der Weimarer Republik seien »deutsche Staatsjuden bürgerlichen Glaubens« gewesen. »Für die Juden, die sich für die DDR entschieden hatten«, schreibt sie, »bedeutete dies, der deutschen Kultur auf sozialistischem Boden wieder zu begegnen. Doch es bedeutete zugleich mehr: In diesem Land waren sie keine Ausländer. Da sie keine wirtschaftlichen Funktionen wie im Kapitalismus innehatten, entgingen die Juden von nun an nicht nur der Zuschreibung als Paria, sondern auch der des Parvenüs« im Sinne Hannah Arendts. Zwar blieb ihnen die Erinnerung an Stalin bewusst, der die Juden zuletzt als »wurzellose Kosmopoliten« schmähen ließ, doch vertrauten sie darauf, dass in der DDR jede Manifestation von Antisemitismus offiziell unter Strafe gestellt wurde. Daran habe auch die Feindschaft der DDR gegen Israel nichts geändert, obgleich diese auch zu inneren Konflikten bei einigen Remigranten führte.
Die allermeisten DDR-Intellektuellen, gleich ob jüdischer oder nichtjüdischer Herkunft, sahen keine Möglichkeit, Staat und Partei von innen her grundsätzlich zu reformieren; Stefan Heym, der kein SED-Mitglied, wohl aber ein Sozialist ohne Partei war, ein Grenzgänger des Kommunismus im besten Sinn, war eine Ausnahme. Die Intellektuellen in der Partei (im Gegensatz zu den Partei-Intellektuellen) suchten aber sehr wohl durch ihr Verhalten, ihre Schriften und Vorträge, die Verhältnisse in der DDR zu verbessern. Doch sie sahen sich, nicht ganz ohne Selbstbetrug, um viele ihrer Hoffnungen beraubt.
Dennoch plädiert die Autorin für eine Sicht auf die DDR jenseits gängiger Klischees, wie dem eines der Gesellschaft »verordneten Antifaschismus«. Mit ihrem Buch leistet sie selbst einen wichtigen Beitrag dazu. Loyalität um jeden Preis ist keine Sozialgeschichte der Intellektuellen und versucht sich nicht an einer neuen Definition dieser Gattung. Es spürt vielmehr dem Platz einer bestimmten Gruppe denkender und handelnder Sozialisten im Zeitalter der Extreme nach.
Ist der Begriff des Intellektuellen auf parteinahe jüdische Remigranten der DDR anwendbar? Diese Frage sucht auch der in Newcastle lehrende deutsche Historiker Daniel Siemens anhand einer Einzelbiographie, der des Journalisten, Herausgebers der Zeitschrift Weltbühne und Hochschullehrers Hermann Budzislawski (1901–1978), zu beantworten. Jenseits noch immer dominierender normativer Prämissen, die ostdeutsche Biographien auf ein Scheitern hin angelegt sehen wollen, nähert sich der Autor diesem Porträt, indem er Budzislawskis Leben im Spannungsfeld »von politischer Macht und intellektueller Möglichkeit« interpretiert.
Hermann Budzislawski entstammte dem Berliner Kleinbürgertum (sein Vater besaß eine koschere Fleischerei), was er zeitlebens durch einen großbürgerlichen Habitus auszugleichen suchte. Nach dem Studium der Staatswissenschaften und Nationalökonomie in Berlin, Würzburg und Tübingen erwarb er 1923 den Dr. rer. pol. in Tübingen mit einer Arbeit über Eugenik. Ein Beitrag zur Ökonomie der menschlichen Erbanlagen. Danach arbeitete er kurz als kaufmännischer Angestellter und Hauslehrer. Seit 1924 war er Redakteur und Mitarbeiter deutscher und ausländischer Fachzeitschriften, so der Industrial and Trade Review for India.
Budzislawski trat 1929 der SPD bei, verließ sie jedoch 1933 aus Enttäuschung über ihren mangelnden Willen zum Kampf angesichts des faschistischen Sieges. Noch im März des gleichen Jahres flüchtete er nach Zürich, wohin ihm seine Frau Johanna (1901–1979) mit der 1929 geborenen Tochter Beate im Mai folgte. Von dort gingen die Budzislawskis 1934 nach Prag. 1935 bürgerte das Naziregime die Familie aus, doch erwarb diese Anfang 1938 die Staatsbürgerschaft der Tschechoslowakei.
In Prag wurde Budzislawski, nachdem er trickreich seinen Vorgänger Willi (später William S.) Schlamm ausgebootet hatte, Herausgeber, Chefredakteur und (in einem nach 1945 angefochtenen Verfahren) auch Eigentümer der Neuen Weltbühne. Obwohl er selbst kein KPD-Mitglied war, brachte er das bislang unabhängige Linksblatt auf einen insgesamt stalintreuen Kurs. 1935 wurde er Vorsitzender des Deutschen Volksfrontkomitees, das vom KPD-Funktionär Wilhelm Koenen initiiert worden war, um Kommunisten, Sozialdemokraten und bürgerliche Linke in einem antifaschistischen Bündnis zu versammeln.
Im Mai 1938 musste Budzislawski mit seiner Familie nach Frankreich fliehen. Der Hitler-Stalin-Pakt ließ ihn vom KPD-Umfeld zeitweilig abrücken. Am 21. Juni 1940 wurde er interniert, da die französischen Behörden ihn nach der Okkupation der Tschechoslowakei als Deutschen ansahen. Er wurde zunächst in das Lager Maison Laffitte bei Paris verbracht, von dort in die Normandie (Athis und Damigny-sur-Orne), anschließend nach Bassens bei Bordeaux. Über Portugal kam er mit einem griechischen Schiff, der SS »Nea Hellas«, am 13. Oktober 1940 in Ellis Island an, nachdem die American Guild for German Cultural Freedom für das Affidavit gesorgt hatte. Auf dem Schiff befanden sich auch Heinrich und Golo Mann, Franz Werfel, Alfred Polgar und Martha Feuchtwanger.
In New York gelang dem hervorragend Englisch sprechenden Budzislawski sofort der Einstieg in den US-amerikanischen Journalismus. Er gehörte zum Team, das für Dorothy Thompson und ihre Nachrichtenagentur Overseas News Agency (ONA) in New York politische Analysen erstellte, wie er später in Ostdeutschland spektakulär enthüllte. Budzislawski brachte Thompson mit einem Bekannten aus seiner Prager Zeit, dem gleichfalls nach New York emigrierten Bildhauer Maxim Knopf, in Kontakt, den Dorothy Thompson nach ihrer Scheidung von Sinclair Lewis heiratete. Auch beruflich wurde Budzislawski ihr bald eine unentbehrliche Hilfe und lebte mit seiner Familie auch zeitweise in Dorothy Thompsons Landhaus in Vermont. Gerüchten, wonach Budzislawski Kommunist (und nicht Sozialdemokrat) sei, schenkte sie vorerst keinen Glauben.
Budzislawski erwarb die US-Staatsbürgerschaft und arbeitete, derart abgesichert, am 1944 gegründeten überparteilichen Council for a Democratic Germany mit, der sich vergebens bemühte, von den amerikanischen Behörden als deutsche Exilregierung anerkannt zu werden. In Befragungen des FBI erwies er sich als ausgesprochen gesprächsbereit, vermied es aber, Andere zu deren Schaden zu denunzieren. Er rückte wiederum soweit an das KPD-Milieu heran, dass er bald wieder als kommunistischer »fellow traveler« galt.
Die Universität Leipzig bot ihm Anfang 1948 eine Professur für Internationales Pressewesen an, so dass er nach seiner Rückkehr im August gleichen Jahres sehr günstige Arbeits- und Lebensbedingungen vorfand. Im Studienjahr 1950/51 war er Prodekan der Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät, 1954–1963 Dekan der Fakultät für Journalistik. Von den parteiinternen Repressalien gegen »Westemigranten« blieb Budzislawski zu Beginn der 1950er Jahre weitgehend verschont, vielleicht auch, weil sich vermutete Kontakte zu Noel Field, dem Hauptbeschuldigten der Schauprozess-Serie, nicht bestätigten, aber wohl auch deshalb, weil er in den USA der KPD offiziell nicht angehört hatte. Relativ spät, erst 1961, schloss die Leipziger Universität mit ihm einen seltenen und begehrten Einzelvertrag, durch den er ein für DDR-Verhältnisse überaus hohes Monatsgehalt von 4.000 Mark erhielt. Die Staatssicherheit interessierte sich nur am Rande für den umtriebigen, doch parteitreuen Remigranten.
In den Jahren 1960 bis 1967 amtierte Budzislawski als Direktor des Instituts für Theorie und Praxis der Pressearbeit. Von 1958 bis 1966 war er Abgeordneter der Volkskammer. 1963 wurde er zum Präsidenten der UNESCO-Kommission der DDR ernannt. 1966 erfolgte seine Ehrenpromotion durch die Leipziger Universität, an der er mit Beginn des Jahres 1967 emeritiert wurde. Danach war er bis 1971 wiederum Herausgeber und auch zeitweiliger Chefredakteur der Weltbühne in Berlin.
Daniel Siemens zeigt Budzislawski als einen hochintelligenten, geschäftlich versierten und äußerst wendigen Akteur, dessen Bekenntnis zu einem engagierten Antifaschismus jedoch die nie erschütterte Grundkonstante seines Lebens blieb. Hermann Budzislawski verstand, »dass viele Netzwerke in der politischen Emigration prekäre Bündnisse von geringer Halbwertzeit waren. Sein Leben lang zeigte er nur wenig Loyalität auch engen Gefährten gegenüber, wenn sich der Wind zu drehen schien. Auf diese Weise konnte er sich in verschiedenen politischen Systemen behaupten.«
Nach seiner Rückkehr schluckte er die bittere Pille, dass die SED seinen Anspruch auf das Eigentum an der Weltbühne nicht unterstützte. Seine Lehr- und journalistische Tätigkeit war stets vom Wunsch beseelt, in der DDR eine publizistische Spitzenstellung einzunehmen. Die herausragenden akademischen Funktionen brachten ihn näher an dieses Ziel, die Vollendung dessen erblickte er aber in der erneuten Übernahme des Chefsessels der Weltbühne. Sein Bestreben, diese zu einer im gesamten deutschen Sprachraum und darüber hinaus anerkannten Spitzen-Zeitschrift zu machen, war aber unter den rigiden Vorgaben der DDR illusorisch. Dennoch eröffnete er der zweiwöchentlich erscheinenden Weltbühne einige Freiräume, wenngleich er darin wohl nicht ganz so erfolgreich war wie seine einstige Mit-Exilantin Hilde Eisler als Chefredakteurin des Magazin, der besten Monatszeitschrift der DDR.
Der Kampf um das Erbe der Weltbühne nach dem Zusammenbruch der DDR gehört zu den bedrückendsten, aber eindrucksvollsten Passagen des Buches. Er endete mit der Weigerung Peter Jacobsohns, dem Sohn des Weltbühne-Begründers, die ihm zugestandenen Eigentumsrechte an der Zeitschrift zur Fortführung eines neuen Projektes zu nutzen. 1993 musste die Weltbühne ihr Erscheinen einstellen.
Siemens zeigt seinen Protagonisten als Vertreter eines Lebensmodells, »das man bürgerlichen Sozialismus« nennen könnte. Er stimmt damit Axel Fair-Schulz zu, der zu einer ähnlichen Charakterisierung neigte. Die Prägungen wie die Entscheidungen einer solchen Vita sind nicht zuletzt aus den Chancen wie den Risiken erklärbar, die kommunistische und zumal jüdische Intellektuelle in der DDR – und zumeist nur in der DDR – geboten bekamen, wofür sie einen Preis zu zahlen hatten, der aber letztlich ihre Lebensbilanz nicht entwertet.
Beide Bücher tragen zu einer Versachlichung der Debatte über die DDR und speziell über diejenigen bei, die sich dort für einen Sozialismus engagierten, der diesen Namen auch verdiente. Sonia Combe und Daniel Siemens verbinden Fragen der Politik, Gesellschaft und Kultur so sinnvoll miteinander, dass eine eindimensionale, lineare oder finale Sicht auf die DDR vermieden wird. Die hier kritisch gewürdigten Intellektuellen, ihr gelebter Antifaschismus und ihr Werk zeigen eindringlich, dass die DDR nicht auf ihre offizielle Propaganda oder auf antikommunistische Feindbild-Klischees reduziert werden kann, sondern dass in ihrem Scheitern, um an Hans Mayer zu erinnern, auch »eine deutsche Möglichkeit zugrunde ging.«