08. Juni 2022
Arthur Rosenberg war ein brillanter Zeithistoriker und kommunistischer Politiker. Er verfasste die erste komparative Studie des Faschismus – die heute kaum jemand kennt.
Parteizentrale der KPD, die Rosenberg bis zu seinem Parteiaustritt im Reichstag vertrat.
Arthur Rosenberg ist heute weitgehend unbekannt – dabei war er einer der bemerkenswertesten marxistischen Historiker des 20. Jahrhunderts. Seinen intellektuellen Werdegang begann Rosenberg als Althistoriker, bevor er durch die Erfahrung des ersten Weltkriegs radikalisiert und in der Linken aktiv wurde: Er schloss sich der KPD an und vertrat diese sogar im Reichstag.
Nachdem er während der 1920er Jahre eine bedeutende Rolle in der KPD-Führung gespielt hatte, verließ Rosenberg die Partei jedoch. Seinen marxistischen Überzeugungen blieb er dabei treu – sie kamen von nun an in seiner Arbeit als Historiker zur Geltung. Er schrieb wichtige Bücher über die deutsche Gegenwartsgeschichte und verfasste eine bedeutende Analyse des Faschismus, die sich durch ihre Hellsichtigkeit auch nach fast neunzig Jahren noch immer von anderen Arbeiten abhebt. Er verstarb als unbekannter und verarmter Exilant in den USA, hinterließ aber nichtsdestotrotz ein brillantes intellektuelles Erbe, das die Arbeit von Sozialistinnen und Sozialisten auch heute noch bereichern kann.
Rosenberg wurde am 19. Dezember 1889 in Berlin in eine jüdische Mittelschichtsfamilie hineingeboren. In einer Retrospektive, die er im Rahmen seiner Abiturprüfung schrieb, schildert Rosenberg, welchen »unvergesslichen Eindruck« Theodor Mommsens Römische Geschichte auf ihn als jungen Schüler machte. Mommsens wissenschaftliche Arbeit war außerordentlich, er schrieb in lebendigem Stil und begegnete der römischen Geschichte von einem modernistischen Standpunkt aus.
»Es gibt heute massenhaft Literatur über linke Intellektuelle, die in den USA Zuflucht vor Nazi-Deutschland gesucht haben – angefangen bei Ernst Bloch, Theodor Adorno, Max Horkheimer bis hin zu Herbert Marcuse. Rosenberg hingegen bleibt eine völlig zu Unrecht vernachlässigte Persönlichkeit.«
Es besteht kein Zweifel daran, dass Rosenbergs Bewunderung für den großen klassischen Gelehrten auf allen diesen Eigenschaften beruhte – nicht zuletzt aber auf dem Modernismus, von dem auch seine eigene Arbeit als Historiker gekennzeichnet sein sollte. So wies er in seiner Konzeption des Altertums entschieden jede Vorstellung zurück, die Gesellschaften der antiken Welt hätten weder Kapital noch Kapitalisten gekannt. Sein Respekt für Mommsen könnte auch davon beeinflusst gewesen sein, wie dieser sich in den 1880er Jahren in jener Debatte verhielt, die später als Antisemitismusstreit bezeichnet werden sollte – damals stellte er sich aktiv dem Historiker Heinrich von Treitschke entgegen, der den Antisemitismus noch tiefer im akademischen Leben Deutschlands zu verankern versuchte.
Im ersten Weltkrieg wurde Rosenberg in die Abteilung Öffentlichkeitsarbeit des Deutschen Heeres eingezogen. Als dieses im November 1918 aufgelöst wurde, trat er der USPD bei, die im April 1917 als linke Abspaltung von der kriegsbefürwortenden Mehrheit der Sozialdemokratie entstanden und auch Rosa Luxemburgs Spartakusbund umfasste. Zwar war es der Historiker und Marx-Biograph Franz Mehring, durch den Rosenberg erstmals mit dem Marxismus in Berührung kam. Als die Spartakisten – darunter Mehring – die USPD Ende 1918 verließen, um die KPD zu gründen, blieb Rosenberg jedoch zurück.
In den Arbeiter- und Soldatenräten, die sich zu Tausenden in ganz Deutschland herausgebildet hatten, sah Rosenberg die Organe einer direkten Demokratie, eine »echte Selbstverwaltung der Massen«. In seinem vorletzten Werk, Geschichte der deutschen Republik, spricht Rosenberg über den USPD-Parteichef Kurt Eisner, der nach dem Krieg kurzzeitig Ministerpräsident des Freistaats Bayern war, als »einzigen schöpferischen Staatsmann der Revolutionszeit in Deutschland«, nämlich als einen aktiven Förderer der »direkten Demokratie auf Basis der Räte«.
»Die Arbeiterräte werden das Parlament all jener sein, die der körperlichen Arbeit nachgehen, und sogar der Intellektuellen«, erklärte Eisner dem Kongress der bayerischen Arbeiterräte im Dezember 1918. In Geschichte der deutschen Republik, geschrieben als Rückschau auf ein ereignisreiches und tragisches Jahrzehnt, betonte Rosenberg die Wichtigkeit dieser politischen Organe. Er argumentierte, dass keine Partei in der Deutschen Revolution in der Lage gewesen wäre, die Räte einer »despotischen Diktatur« zu unterwerfen.
Eisner wurde am 21. Februar 1919 von einem rechten Nationalisten ermordet. Zum Ende des Jahres 1920 hatte der Großteil der USPD-Delegierten dafür votiert, bei einem Kongress in Halle der KPD beizutreten. Man war optimistisch, gemeinsam eine Massenorganisation der revolutionären Linken schaffen zu können. Doch kaum war die Vereinigung vollzogen, wurde die gemeinsame Partei bereits von internen Konflikten zerrissen. Grund waren radikal unterschiedliche Positionen in der Frage, ob die Stimmungslage in der deutschen Arbeiterschaft revolutionär sei oder nicht.
Béla Kun, der Anführer der ungarischen Kommunisten, hatte seine Theorie der revolutionären Offensive, die Arbeiterinnen und Arbeiter aktivieren sollte, in dem verzweifelten Versuch entwickelt, eine Situation in Bewegung zu bringen, die »objektiv« zwar revolutionär sei, »subjektiv« jedoch eher nicht. Das Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale (EKKI) unterstützte diese Selbsttäuschung.
Im März 1921 scheiterte die KPD bei dem Versuch, im ganzen Land Generalstreiks zu initiieren. Diese Niederlage veranlasste den ausgeschlossenen Parteiführer Paul Levi dazu, dem Exekutivkomitee öffentlich mindestens eine Teilschuld an der katastrophalen Situation zuzuweisen. Später schrieb Rosenberg, die in der Region Berlin-Brandenburg besonders starke Parteilinke hätte nicht den Mut gehabt, offen jene Unentschlossenheiten der Komintern anzuprangern, die die Parteigeschichte während der schicksalhaften 1920er Jahre dominierten. Von 1921 bis zu seinem letztendlichen Austritt aus der KPD im Jahr 1927 war er jedoch selbst standhafter Teil dieser ultralinken Strömung.
Als sich in den Monaten nach dem 10. Kongress der Kommunistischen Partei Russlands im März 1921 Delegierte der Berliner Linken mit Unterstützern der russischen Arbeiteropposition trafen, die sich mit einem Aufruf zur Ermächtigung der Gewerkschaften gegen die bolschewistische Führung gestellt hatten, geschah dies bei Rosenberg zu Hause. Durch der Berichte Gewerkschafters und Politikers Alexander Schljapnikow sollten alle Anwesenden über die beunruhigenden politischen Entwicklungen in der Sowjetunion informiert worden sein.
Die innenpolitischen Positionen der deutschen Ultralinken wurden von den Bolschewiki beargwöhnt – Leo Trotzki bezeichnete sie 1921 als »ungezügelten revolutionären Subjektivismus«. Als nationalistische Ex-Militärs Mitte 1922 den deutschen Außenminister Walther Rathenau ermordeten, machte die KPD einen ersten ernsthaften Versuch, mit anderen Parteien der Arbeiterklasse zusammenzuarbeiten. Für Rosenberg bestärkte die darauffolgende Rathenau-Kampagne aber lediglich »reformistische Illusionen«. Er lehnte auch den von der Komintern auf den Weg gebrachten Slogan der »Arbeiterregierung« ab: Diese sei ein unglücklicher Ersatz für eine tatsächliche proletarische Revolution, die seiner Meinung nach auf Fabrikräten gründen sollte.
»Beim 11. Kongress der KPD wies Rosenberg darauf hin, dass die Partei in den Fabriken und Gewerkschaften immer noch schwach sei. Ihre ›pseudoradikale Phraseologie‹ sei schlichtweg ein Hindernis für nachhaltige politische Arbeit.«
1923 glaubte Rosenberg, Deutschland wäre der sozialistischen Revolution »objektiv« nie näher gewesen als im Sommer dieses Jahres. Er sorgte sich, dass ohne entschlossenes Handeln der KPD, um die Arbeiterschaft auf ihre Seite zu ziehen, die Enttäuschung der Massen über die Politik der SPD-geführten Nachkriegsregierung zu einem scharfen Rechtsruck führen und Kräften wie Adolf Hitlers neu gegründeter NSdAP in die Hände spielen würde. Im Juni 1923 schrieb Rosenberg, dass nur eine der insgesamt zwölf Millionen Lohnarbeitenden in Deutschland die SPD unterstützte. Es sei also an der KPD, die übrigen elf Millionen zu »erobern«.
Während dieser Jahre schloss Rosenberg eine Zusammenarbeit zwischen der Kommunistischen Partei und der Sozialdemokratie kategorisch aus. Die SPD beschrieb er als eine »Partei der Verzweiflung« und als »politisch tot«. Dem Rosenberg-Biografen Lorenzo Riberi zufolge blieb Rosenbergs politisches Ideal zu dieser Zeit die Idee der Räte, die für ihn mit einer Massendemokratie gleichbedeutend war. Die KPD schätzte er wiederum als die einzige Partei, die sich der vollständigen Sozialisierung der Wirtschaft verpflichtete.
Bei den Wahlen im Mai 1924 erhielt die KPD 3,7 Millionen Stimmen und avancierte mit einem Ergebnis von 12,6 Prozent zur viertstärksten Partei. 1924 war jedoch auch das Jahr, in dem die Komintern der ultralinken Fraktion erlaubte, die Kontrolle über die Partei zu übernehmen. Als Gegenleistung ging diese mit der EKKI einen »Kompromiss« ein, wie Rosenberg später reuevoll die Entscheidung beschrieb, weder die Komintern noch die Entwicklungen in der Sowjetunion zu kritisieren. Und das, obwohl ihre Mitglieder dieser Fraktion voll und ganz über die dortige Situation Bescheid wussten.
Anfang 1926 war der linke Flügel der KPD zerfallen. Die Wahl des konservativen Nationalisten Paul von Hindenburg zum Reichspräsidenten im April 1925 und der Aufruf der KPD-Parteiführerin Ruth Fischer zu einer »Roten Front« zusammen mit der SPD führten zu heftigen Zerwürfnissen in der Partei, die letztlich auch Rosenberg zum Austritt bewegten.
Bis Juni 1925 hatte Fischer den Ausschluss Rosenbergs und anderer aus dem Politischen Büro der Berliner KPD-Zentrale eingefädelt. Beim Parteikongress im darauffolgenden Juli warf sie ihnen öffentlich vor, die Bildung einer internationalen Plattform von Ultralinken in Opposition zur Komintern zu planen.
Der sowjetische Delegierte Grigori Sinowjew brachte seinerseits Anschuldigungen vor, wobei er die Gruppe um Rosenberg wenig akkurat als eine »Karikatur des Bolschewismus« beschrieb. Zurück in Moskau gab Sinowjew jedoch nicht nur Rosenberg und seinen Verbündeten Karl Korsch und Werner Scholem die Schuld für den schwindenden politischen Einfluss der KPD, sondern auch ihren Gegnern Ruth Fischer und Arkadi Maslow. Zum Ende des Jahres hatte die Komintern Fischer durch Ernst Thälmann ersetzt. Diese Ernennung bedeutete eine strengere Unterordnung der Partei gegenüber Moskau.
»Am meisten sorgte sich Rosenberg darüber, dass die KPD der arbeitenden Bevölkerung angesichts des massiven Drucks durch die stetige Rationalisierung der deutschen Industrie keine Unterstützung bieten konnte.«
Eine großangelegte Säuberung führte zum Ausschluss wichtiger Persönlichkeiten (Korsch, Maslow, Fischer, Scholem, und Hugo Urbahns). Rosenberg selbst kam ungeschoren davon und weigerte sich, im September 1926 den »Brief der 700« zu unterschreiben – eine Solidaritätsbekundung mit Sinowjew und der Leningrader Opposition gegen Stalin im Fraktionskampf innerhalb der Bolschewiki, die auch den Belagerungszustand der deutschen Partei kritisierte. Bis zum Winter 1926/27 bezog jedoch auch Rosenberg eine offen kritische Haltung gegenüber der sowjetischen Einmischung in die Angelegenheiten der KPD.
Beim 11. Kongress der KPD im März 1927 wies er darauf hin, dass die Partei in den Fabriken und Gewerkschaften immer noch schwach sei und argumentierte, dass ihre »pseudoradikale Phraseologie« schlichtweg ein Hindernis für nachhaltige politische Arbeit sei. Am meisten sorgte er sich über die Isolation, in die sich die Partei begeben hatte, sowie darüber, dass sie der arbeitenden Bevölkerung angesichts des massiven Drucks durch die stetige Rationalisierung der deutschen Industrie keine Unterstützung bieten konnte.
Chiang Kai-sheks blutiger Staatsstreich vom 12. April 1927 gegen seine ehemaligen kommunistischen Verbündeten brachte schließlich das Fass zum Überlaufen. Stalin hatte die chinesischen Kommunisten trotz aller Warnsignale solange dazu ermutigt, ihren Pakt aufrechtzuerhalten, bis das Ganze im Desaster endete. Rosenberg sah sich angesichts dieser Entwicklungen genötigt, die KPD und ihre Parlamentsfraktion zu verlassen.
In einem Brief an das Zentralkomitee der KPD machte er seine Haltung gegenüber der Komintern deutlich: Ihre weitere Existenz sei bedeutungslos, ihre »wiederholten taktischen Unentschlossenheiten, Fehler und Niederlagen« machten jede Perspektive auf eine ernsthafte Reform der Organisation zunichte. Seinen Sitz im Reichstag besetzte er nun als »parteiloser Sozialist«.
Wie zu erwarten wurde Rosenberg von allen Seiten angegriffen – nicht zuletzt vom Leninbund, einer Splittergruppe der KPD unter Urbahns Führung. Zu dieser gehörte neben Fischer auch Rosenbergs enger Freund Scholem. Sein einziger Verteidiger war Carl von Ossietzky, ein furchtloser Kritiker des deutschen Militarismus, der um diese Zeit Herausgeber der linken, antimilitaristischen Zeitschrift Die Weltbühne wurde.
Rosenberg war nun zweifach geächtet: erstens vom konservativen akademischen Establishment und zweitens von kommunistischer Seite. Er ging zurück an die Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität und gab Seminare zum historischen Materialismus. Antisemitismus war zu dieser Zeit in akademischen Kreisen unter Studierenden wie Lehrenden weit verbreitet – eine reguläre Berufung war für Rosenberg somit ausgeschlossen. Allerdings zwang der neue preußische Kultusminister Adolf Grimme von der SPD die Fakultät dazu, Rosenberg im März 1930 eine »außerordentliche Professur« zu geben. Grimme war beeindruckt vom Erfolg, den Rosenbergs Buch Die Entstehung der Deutschen Republik, 1871-1918 erlangte.
In den späten 1920er Jahren war Rosenberg Teil eines informellen Zirkels, dessen Treffen in Korschs Zuhause stattfanden. Die Gruppe bezeichnete sich selbst als »libertär-sozialistisch« und hatte unter ihren Mitgliedern Persönlichkeiten wie Alfred Döblin, Bertolt Brecht, Karl Liebknechts älteren Bruder Theodor, den indischen Marxisten Manabendra Nath Roy und den Fotografen Jenö Friedmann, der später besser bekannt war als Robert Capa.
Rosenbergs zwei Hauptwerke dieser Periode waren Die Entstehung der Deutschen Republik, 1871-1918 von 1928 und Geschichte des Bolschewismus: Von Marx bis zur Gegenwart von 1932. Wie der Politologe Franz Neumann später feststellte, waren die letzten Jahre der Weimarer Republik für viele deutsche Intellektuelle eine Zeit der Verzweiflung, was erklären könnte, warum auch Rosenberg damals keine Artikel oder Essays schrieb.
Als die Nazis die Macht übernahmen, floh Rosenberg im März 1933 zuerst nach Zürich, bevor er Ende September nach Großbritannien ging. Zwischen 1933 und 1936 erschienen Übersetzungen seiner Geschichte des Bolschewismus in Großbritannien, Norwegen, Frankreich, Italien, Polen und sogar im Kibbuz Merchavia in Palästina.
»Der von Rosenberg identifizierte neue, autoritäre Konservatismus brachte eine Unmenge an Ideologien hervor, die sich gegen das Ideal der Gleichheit stellten – dieser Konservatismus war nicht mit der Demokratie vereinbar.«
In London versuchte Rosenberg ein Treffen mit den linken Intellektuellen Harold Laski und Richard Henry Tawney zu arrangieren, um über sie möglicherweise an einen Job an der London School of Economics zu kommen. Dem britischen Academic Assistance Council (AAC) gegenüber erklärte er seine Bereitschaft, an jedem beliebigen Ort im Britischen Empire zu unterrichten. Im Februar 1934 teilte die Universität Liverpool dem AAC mit, dass sie Rosenberg für ein Jahr an ihrer historischen Fakultät beschäftigen könne.
Das erste im Exil veröffentlichte Werk Rosenbergs, Der Faschismus als Massenbewegung (1934), war zugleich die erste komparative Studie über den Faschismus überhaupt. Dieser bemerkenswerte Text adressierte eine demoralisierte Linke, die daran gescheitert war, ein kritisches Verständnis ihres Gegners zu erlangen. Darin weist Rosenberg eine ganzen Reihe von Ideen zurück, die in den frühen 1930er Jahren weit verbreitet waren: dass sich der Faschismus jeglicher Erklärung entziehen würde; dass er vom Kleinbürgertum vorangetrieben oder aus diesem hervorgehen würde und so weiter.
Dagegen betonte er die grundlegende Schwäche des europäischen Liberalismus in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts. In dieser Zeit hatte sich eine neue Form des Kapitalismus herausgebildet, die drei Voraussetzungen hatte: riesige, konzentrierte Unternehmen, die das englische Verständnis von freiem Handel zugunsten von Protektionismus aufgaben; ein starker Staat, der die wirtschaftlichen Interessen des Großkapitals stützte; und das, was Rosenberg allgemein einen »neuen autoritären Konservatismus« nannte.
»Ein zentraler Aspekt seiner Argumentation war, dass der Faschismus nichts wirklich Neues war: Er war lediglich die modernste Form jener reaktionären, antiliberalen Massenbewegungen, die im Laufe der vorangegangenen Jahre in Europa entstanden waren.«
Das Kapital stand vor der Herausforderung, im Zeitalter der Massenpolitik seinen Machterhalt zu sichern. Der kleinste gemeinsame Nenner der verschiedenen Strategien, die zu diesem Zweck in ganz Kontinentaleuropa entwickelt wurden, war die Diskreditierung liberaler Ideen. Der von Rosenberg identifizierte neue Konservatismus brachte eine Unmenge an Ideologien hervor, die sich gegen das Ideal der Gleichheit stellten, um traditionelle Formen von Hierarchie und rassistischer Unterdrückung zu bestärken.
Dieser Konservatismus war im Grunde nicht mit der Demokratie vereinbar, musste sich jedoch an deren allmähliche Ausdehnung anpassen, indem er lernte, die Massen kontrolliert zu mobilisieren. In ihrer kontinentaleuropäischen Prägung stellte diese Art des Konservatismus die Autorität und Macht des Staates über alles andere.
Rosenberg wies darauf hin, dass Rassismus (er sprach von »Rassenwahn«) integraler Bestandteil dieser Art von demagogischem Nationalismus sei, der die Massen gegen Minderheiten (in Europa die jüdische Bevölkerung) zu mobilisieren begann. Ein zentraler Aspekt seiner Argumentation war, dass der Faschismus nichts wirklich Neues war: Vielmehr imitierte und kombinierte er ideologische Strömungen des späten 19. Jahrhunderts und war in diesem Sinne lediglich die modernste Form jener reaktionären, antiliberalen Massenbewegungen, die im Laufe der vorangegangenen fünfzig Jahre in Europa entstanden waren.
Tatsächlich neu und charakteristisch für den Faschismus war hingegen der gezielte Einsatz von Sturmtruppen, um entweder das Voranschreiten der Demokratie einzudämmen (wie es in Deutschland nach 1918 geschah) oder (wie in Italien) die Gefahr eines Aufstands der Arbeiterschaft zurückzudrängen. Rosenberg unterstrich, wie wenig die staatlichen Autoritäten (inklusive der Gerichte) getan hatten, um die gewaltsamen Aktivitäten dieser bewaffneten rechten Gruppen zu bremsen.
Der springende Punkt in Rosenbergs kurzem Buch ist, dass der Faschismus nur als Massenbewegung Erfolg haben kann. Darum sei es für die Linke entscheidend zu verstehen, welche Faktoren dazu beigetragen hatten, eine solche Massenbasis herauszubilden und zu stabilisieren. Diese Lektion hat auch heute nichts an Relevanz verloren, ob man nun auf die USA unter Donald Trump oder Indien unter Narendra Modi blickt. Die zwei hinteren Abschnitte des Buches setzen sich detailliert mit der jeweiligen Situation in Italien und Deutschland auseinander, doch es waren die erste Seiten, auf denen Rosenberg die Gründe dafür anführt, dass der Faschismus überhaupt aufkommen und im Europa der 1920er und 1930er Jahre solchen Erfolg haben konnte.
Für Rosenberg spielte dabei »Ideologie« die Hauptrolle – allen voran die Funktion des Nationalismus als Instrument zur Mobilisierung der Massen. Diese konnten mit Hilfe nationalistischen Gedankenguts dazu gebracht werden, Bewegungen zu unterstützen, die offenkundig ihren wirtschaftlichen und politischen Interessen entgegenstanden. Es gibt nur eine andere marxistische Analyse aus dieser Zeit, die an Rosenbergs durchdringenden Essay heranreicht: die Originalfassung von Wilhelm Reichs Massenpsychologie des Faschismus, die ein Jahr zuvor im September 1933 erschienen war. Die beiden Texte unterscheiden sich darin, dass sich Reich als Psychoanalytiker mehr mit den »biopsychologischen« Grundlagen für die Art von Ideen befasste, die Rosenberg als für faschistische Politiken essenziell ansah.
Reich betrachtete die autoritär-patriarchale Familie als die Probebühne des Faschismus – die ideologische Vorbereitung für faschistische Politik fand demnach in erster Linie in familiären Kreisen statt. Die autoritäre Ideologie, die Menschen in patriarchalen Familien eingeschärft wurde, legte nach Reich das »Fundament für die Empfänglichkeit gegenüber nationalsozialistischer Propaganda«. Auf diesen Analyseebenen bewegte sich Rosenberg nicht, seine Perspektive war voll und ganz historisch und dabei mehr auf Politik als auf Kultur ausgerichtet.
Doch in zumindest einer Hinsicht brachte Reichs Buch Marx’ Einsichten klarer zum Ausdruck: durch seine Konzeption von Ideologie als materieller Gewalt. Auch Rosenberg setzt eine solche Vorstellung implizit voraus, indem er kulturellen Pathologien wie der Unterwürfigkeit gegenüber Autoritäten und dem Nationalismus so große Bedeutung zuschreibt – beides Merkmale, die heute in vielen Ländern reichlich vorhanden sind.
Rosenbergs Geschichte des Bolschewismus beinhaltet die wohl früheste Geschichtsschreibung der Russischen Revolution in den Jahren 1921 bis 1932. Sie ist ein Dokument von größter Bedeutung, denn Rosenberg war nicht nur ein hervorragender Historiker, sondern eben auch ein europäischer Sozialist, der die Schwankungen und Umbrüche der Revolution in Deutschland aus nächster Nähe erlebt hatte.
Rosenberg schätzte, dass von den 1,2 Millionen Mitgliedern der Bolschewiki Anfang 1927 rund die Hälfte »Angestellte und Apparatleute« waren. Obwohl viele von ihnen zuvor Arbeiterinnen und Arbeiter gewesen waren, herrschten sie als Beamten durch den Partei- und Staatsapparat über die Massen – und gehörten daher sowohl psychologisch als auch praktisch nicht mehr zur arbeitenden Klasse. Zudem nahm man damals an, dass nur jede zehnte Person in der Parteiführung zuvor in einer Fabrik gearbeitet hatte.
Rosenberg argumentierte, dass sich auf diese Weise ein staatskapitalistischer Herrschaftsapparat effektiv von der arbeitenden Bevölkerung unabhängig machte. Als er 1932 sein Buch verfasste, sah er in der Sowjetunion einen »Absolutismus des Dogmas«, der jegliche unabhängige und kritische Diskussion des Marxismus und Sozialismus unterband. Stalins Konzept des »Sozialismus in einem Land« weihte den Mythos, dass ein rein nationaler russischer Sozialismus möglich sei und sich de facto nicht vom Sozialismus im wahren marxistischen Sinne unterschiede.
Rosenberg war zwar nie Trotzkist, jedoch wird auf den letzten Seiten des Buches seine Sympathie für Leo Trotzki überaus deutlich. Dort bespricht er Trotzkis Vertreibung aus der Sowjetunion in die Türkei im Jahr 1929 und lobt bei dieser Gelegenheit seine im Exil unter Beweis gestellten schriftstellerischen Fähigkeiten sowie seinen Kampf gegen die Theorie des Sozialismus in einem Land.
Rosenbergs schärfste Kritik galt stets der desaströsen Rolle, die die Komintern seiner Ansicht nach gespielt hatte. Als er 1923 im Berliner Büro der Roten Fahne auf den russischen Schriftsteller und Revolutionär Victor Serge traf, fragte er diesen, ob er wirklich glaube, dass Russland eine Revolution in Deutschland wolle. Serge war schockiert darüber, dass Rosenberg selbst daran zweifelte. In Geschichte des Bolschewismus geht der Historiker davon aus, dass die Komintern sowohl im Falle Deutschlands im Jahr 1923 als auch Chinas im Jahr 1927 nie ernsthaft an eine eigenständige Revolution der Arbeiterinnen und Arbeiter geglaubt und somit die Aktivitäten der kommunistischen Parteien beider Länder lahmgelegt habe.
Interessanterweise wandte sich Rosenberg zu dieser Zeit von seiner Position der 1920er Jahre ab und bereute, dass die KPD aufgrund der Anweisungen der Komintern keine transparente Zusammenarbeit mit der Sozialdemokratie auf die Beine hatte stellen können. In jedem Fall war er sich sicher, dass die Positionen der Komintern stets von politischen Veränderungen in der Sowjetunion geleitet waren und wenig mit der internationalen Situation selbst zu tun hatten.
»Rosenbergs Pionierarbeit zum Faschismus ist heute von unschätzbarem Wert. Seine Einsichten bezüglich ideologischer Gemeinsamkeiten von faschistischen Bewegungen und allgemeineren Formen des autoritären Konservatismus werden auch Beobachtern der heutigen politischen Landschaft einleuchten.«
Die plötzliche Ausrufung einer »Dritten Periode« durch die Führung der Komintern im Sommer 1928 – und das daraus folgende Verbot der Zusammenarbeit mit anderen nicht-kommunistischen Teilen der Linken – machte die KPD mehr denn je abhängig von der Rekrutierung unter den Arbeitslosen in Deutschland. Diese waren in den Augen Rosenbergs jedoch politisch nicht gefestigt genug, sodass sie jederzeit von der extremen Linken zur extremen Rechten überlaufen könnten. Er vertrat die Position, dass eine mangelnde Basis unter organisierten Arbeiterinnen und Arbeitern – beziehungsweise jenen, die noch in aktiver Beschäftigung waren – für die KPD eine Katastrophe war.
Im Februar 1937 entzogen die Nazis Rosenbergs gesamter Familie die deutsche Staatsbürgerschaft. Da sich in Großbritannien keine weitere Jobperspektive bot, ging sie im Oktober in die USA. Sie erreichte das Land kurz bevor 1938 die massenhaften Fluchtbewegungen aus Mitteleuropa einsetzten. Der Sozialhistoriker Hans Rosenberg, selbst ein Geflüchteter, sprach davon, dass der Antisemitismus in den USA während der Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren ein absolutes Hoch erreichte. Umso fanatischer die Nazis wurden, desto mehr trafen deutsche Immigrantinnen und Immigranten in den USA auf Feindseligkeiten, insbesondere nach Kriegsausbruch.
Es war schier unmöglich für Arthur Rosenberg, eine angemessene Universitätsstelle zu finden, weshalb er einen Posten als Tutor am Brooklyn College annahm und dort mit der gleichen Leidenschaft wie einst in Berlin Geschichte unterrichtete. Viele der Studierenden waren irischer, italienischer oder osteuropäischer Herkunft. Hans Rosenberg, der für kurze Zeit am selben College lehrte, erinnert sich in seinen Memoiren, dass sich während der Krisenjahre viele von ihnen weiterhin stolz als Marxisten, Leninistinnen, Stalinisten, Trotzkistinnen oder Sozialisten der einen oder anderen Gesinnung bezeichneten.
Unter den spätesten uns bekannten Quellen findet sich ein Vortrag, den Arthur Rosenberg 1941 im Rahmen eines von der jüdischen Studierendenorganisation Avukah veranstalteten Ferienkurses hielt. Dort traf er auf Persönlichkeiten wie Zellig Harris, Seymour Melman und Noam Chomsky in ihren jungen Jahren. Dem Chomsky-Biografen Robert Barsky zufolge übernahm Rosenberg eine intellektuelle Führungsrolle für junge Jüdinnen und Juden in den USA, die sich zum linken, antifaschistischen Netzwerk von Avukah hingezogen fühlten – auch wenn die Organisation an die zionistische Mythologie anknüpfte und die Auffassung vertrat, dass die jüdische Immigration nach Palästina helfen würde, die arabischen Massen zu »befreien«.
Arthur Rosenberg starb am 7. Februar 1943 in New York. Er hatte den Großteil seiner Zeit in den USA in einem kleinen Haus in Brooklyn gelebt. Es gibt heute massenhaft Literatur über linke Intellektuelle, die in den USA Zuflucht vor Nazi-Deutschland gesucht haben; ob sie nun nach dem Ende des Kriegs in einen der beiden deutschen Staaten zurückkehrten (wie Ernst Bloch, Theodor Adorno und Max Horkheimer), weiter an nordamerikanischen Universitäten lehrten (wie Herbert Marcuse) oder ganz außerhalb des akademischen Lebens der USA arbeiteten (wie Paul Mattick). Rosenberg hingegen bleibt eine völlig zu Unrecht vernachlässigte Persönlichkeit. Möglicherweise spiegelt dies ein allgemein größeres Interesse der Wissenschaft an Forscherinnen und Forschern wider, deren Arbeit sich eher philosophischen oder ästhetischen Fragen widmet als der Geschichte und politischen Analyse.
Rosenbergs Pionierarbeit zum Faschismus ist heute von unschätzbarem Wert. Seine Einsichten bezüglich ideologischer Gemeinsamkeiten von faschistischen Bewegungen und allgemeineren Formen des autoritären Konservatismus sowie über die abgekartete Übereinkunft zwischen rechtsextremen Straßengangs und staatlichen Sicherheitskräften werden auch Beobachterinnen und Beobachtern der heutigen politischen Landschaft einleuchten. Der Aufstieg des Faschismus im Europa der Zwischenkriegszeit mag sich in dieser Form niemals wiederholen, aus dieser Erfahrung zu lernen wird aber von großer Bedeutung bleiben, solange die Gefahr des rechten Autoritarismus nicht gebannt ist. Arthur Rosenbergs Werk ist dabei eine unserer wertvollsten Orientierungshilfen.
Jairus Banaji ist der Autor von A Brief History of Commercial Capitalism, Exploring The Economy of Late Antiquity und Theory as History: Essays on Modes of Production and Exploitation.
Jairus Banaji ist der Autor von A Brief History of Commercial Capitalism, Exploring The Economy of Late Antiquity und Theory as History: Essays on Modes of Production and Exploitation.