30. Juni 2025
1919 war Großbritannien kurz davor, seine Kohleindustrie in demokratische Verwaltung durch die Bergarbeiter zu übergeben. Doch die Erfindung der Austerität verhinderte den gesellschaftlichen Aufbruch. Ein Auszug aus »Die Ordnung des Kapitals« von Clara Mattei.
Die Sankey-Kommission zur Neuordnung der Kohlenindustrie, Illustration von der Titelseite der Zeitschrift »The Sphere« vom 15. März 1919.
Im Anschluss an den Ersten Weltkrieg stürzte der Kapitalismus in eine tiefe Legitimationskrise. Das kam daher, dass er während des Krieges entkleidet worden war: Staatliche Eingriffe in die Volkswirtschaften erweiterten die Grenzen des politisch Möglichen und eröffneten damit Räume für eine größere politische Vorstellungskraft, wie die sozioökonomischen Verhältnisse sich organisieren ließen. Dieser Legitimationsverlust hinterfragte das Profitmotiv, also den Kern des Kapitalismus, sowie seine beiden Grundpfeiler, das Privateigentum an den Produktionsmitteln und das Lohnverhältnis.
In ganz Europa fühlten sich Teile der Arbeiterschaft von Organisationsformen angezogen, in denen die Produktion dem Nutzen und nicht dem Profit dienen sollte, gemeinschaftliches Eigentum dem Privateigentum vorgezogen wurde, und Freiheit höheren Wert besaß als die Kommodifizierung von Arbeit. Die Stärke und revolutionäre Bedeutung vor allem der britischen Arbeiterbewegung nach dem Krieg wurde in den folgenden Jahrzehnten von vielen Arbeitshistorikern heruntergespielt.
Der politische Theoretiker und Ökonom G. D. H. Cole schrieb 1958 im vierten Band seiner History of Socialist Thought: »Ich habe versucht, deutlich zu machen, dass es nie einen Moment gab, in dem die Möglichkeit einer britischen Revolution bestand.« Damit wich er allerdings von seinen Aussagen aus der Zeit selbst ab. So hieß es in einer Mitteilung von 1919 unter anderem: »Ich glaube nämlich aufrichtig, dass die gegenwärtige Wirtschaftsordnung in sich einstürzt und dass ihr endgültiger Zusammenbruch nicht eine Frage von Jahrzehnten, sondern von Jahren ist.« Er stellte fest, dass das, was das System bis zu diesem Zeitpunkt zusammengehalten hatte, nämlich »die weit verbreitete Überzeugung, dass der Kapitalismus unvermeidlich sei«, in sich zusammenfiel.
Die Bewegungen der Arbeiterschaft basierten auf der Forderung nach Arbeiterkontrolle, das heißt nach einer Neuordnung der Industrie, die das industrielle System des Kapitalismus zumindest teilweise, wenn nicht gar vollständig, ersetzen sollte. Der frühere Cole erklärt: »Aber wenn die Arbeiterschaft Kontrolle fordert, geht es ihr nicht in erster Linie um Gewinne oder Gewinnbeteiligung, sondern um die Demokratisierung der tatsächlichen Leitung der Industrie und die Sicherung eines echten Maßes an Kontrolle der organisierten Arbeiter über die Bedingungen, unter denen sie arbeiten.«
Für den britischen Bergbau bedeutete der Erste Weltkrieg einen dramatischen Aufschwung als Industrie und einen ebenso dramatischen Anstieg des Klassenbewusstseins unter seinen Beschäftigten. Die staatliche Kontrolle der Kohleförderung während des Krieges brachte einen bedeutenden Fortschritt für die Position der Bergleute, einschließlich der offiziellen Anerkennung der Miners Federation of Great Britain (MFGB). Erfolgreiche nationale Tarifverhandlungen, die direkt mit dem Staat geführt wurden, bildeten die Grundlage für das kühne Programm der Bergleute in der Nachkriegszeit.
Bei Kriegsende war die Bergarbeitergewerkschaft mächtig, verfügte über landesweite Strukturen und förderte aktiv Solidarität zwischen verschiedenen Sektoren. Sie organisierte etwa eine Million Männer und war damit die bei weitem größte Gewerkschaft Großbritanniens. Im Jahr 1919 lebte landesweit etwa jeder achte Einwohner in einer Bergbaugemeinde oder stammte aus einer solchen, wobei »die Klassenverbitterung und Klassensolidarität in den Bergbaudörfern in der übrigen britischen Industrie ohnegleichen war«, wie der Historiker Kenneth O. Morgan schreibt.
»Die Grundlöhne sollten um 30 Prozent erhöht, der Arbeitstag auf sechs Stunden begrenzt und die Industrie verstaatlicht und gemeinsam kontrolliert werden.«
Am 31. Januar 1919, als die Industrie nach dem Krieg de facto immer noch unter öffentlicher Verwaltung stand, legte die MFGB der Regierung ihre Forderungen vor: Die Grundlöhne sollten um 30 Prozent erhöht, der Arbeitstag auf sechs Stunden begrenzt und die Industrie verstaatlicht und gemeinsam kontrolliert werden. Auch warnte sie, dass ein landesweiter Kohlestreik die Folge sein würde, wenn diese Forderungen nicht vollständig erfüllt würden.
Politisch gesehen begünstigten die Umstände die Arbeiter. Nach dem Krieg herrschte Kohleknappheit: Ein Streik würde nicht nur die Energieversorgung der Haushalte unmittelbar beeinträchtigen, sondern auch Industrien zum Erliegen bringen, die gerade damit begannen, sich auf Friedensproduktion umzustellen. Zudem würde er Großbritanniens Bemühungen gefährden, die Überseemärkte zurückzuerobern, indem man dringend benötigte Kohle verschiffte.
Auch die politischen Einsätze waren hoch, weil die Lage unvorhersehbar war: Angesichts der vielen Arbeitskämpfe, die im ganzen Land stattfanden, könnte ein zusätzlicher Bergarbeiterstreik einen politischen Zusammenbruch befördern. Für den schottischen Sozialisten John Maclean, wie auch andere einflussreiche Mitglieder der MFGB, »könnte ein Bergarbeiterstreik über Arbeitszeiten und Löhne im Rahmen einer Massenmobilisierung Millionen von Arbeitern aus anderen Branchen anziehen, mit potenziell revolutionären Folgen«, wie der Wirtschaftshistoriker Martyn Ives feststellt). Dies waren keine völlig unrealistischen Gedanken. In den ersten Monaten des Jahres 1919 schätzte die britische Regierung selbst die Kräfte von Recht und Ordnung als unzuverlässig ein. Sollte es zu einem Aufruhr kommen, schien es unwahrscheinlich, dass man ihn wieder eindämmen könnte.
Aus den Kabinettsunterlagen geht hervor, dass die meisten Minister den Forderungen der Bergleute ablehnend gegenüberstanden. In Anbetracht der Umstände entschied sich das Kabinett jedoch »in großer Eile und Beunruhigung«, so Morgan, für einen rekonstruktionistischen Ansatz. Es schlug vor, dass die Forderungen der Bergarbeiter von einer unparteiischen Regierungskommission unter dem neutralen Vorsitz von Sir John Sankey, einem Richter des Obersten Gerichtshofs, untersucht werden sollten.
Die Times beschrieb die angespannte Lage, aus der diese Kommission hervorging, und wie sie eine »Atempause« darstellte, die es dem Land ermöglichen könnte, die ständige Bedrohung durch ein Wiederaufflammen der Streiks zu vermeiden: »Vor einer Woche war die Atmosphäre hoch aufgeladen, und es gab alle Anzeichen für einen herannahenden Sturm, der so verheerend sein und sich so weit ausbreiten würde, dass niemand seinen Auswirkungen entgehen können würde. Heute ist die Luft klarer. […] Die Gefahr eines Aufruhrs in der Industrie ist nicht gebannt; aber […] die Bergarbeiter werden bei der heute beginnenden Untersuchung der Kohleindustriekommission alle Möglichkeiten haben, die Gerechtigkeit und Durchführbarkeit ihrer Forderungen zu beweisen.«
Die Führung der Bergarbeiter akzeptierte das Angebot unter der Bedingung, dass die MFGB die Hälfte der Kommissionsmitglieder benennen durfte (die andere Hälfte vertrat die Kapitalseite). Sie wählten die drei charismatischsten Anführer der Bergarbeiter: Robert Smillie, Präsident der MFGB, Frank Hodges, Generalsekretär der MFGB, und Herbert Smith, Vizepräsident der MFGB und Präsident des Bergarbeiterverbands von Yorkshire. Sie nominierten zudem drei Experten, die den rekonstruktionistischen Geist verkörperten: die Ökonomen Leo Chiozza Money und Sidney Webb sowie den sozialistischen Historiker Richard H. Tawney.
Einige Historiker neigten in ihren rückblickenden Darstellungen dazu, die Sankey-Kommission als eine Episode zu betrachten, die Zeit schindete und damit das revolutionäre Potenzial des Kampfes der Bergarbeiter einschläferte. Man muss jedoch zugestehen, dass den Arbeitern damit ein historischer Durchbruch gelungen war. Sie waren mit ihrem Angriff auf die Säulen des Kapitalismus in die Vorhalle der kapitalistischen Festung eingedrungen. Die Androhung direkter Aktionen, die das ganze Land lahmlegen konnten, löste eine politische Debatte aus, die das britische Establishment in seinen Grundfesten erschütterte und sofort das Parlament und die nationale Presse auf den Plan rief.
In ihren Verhandlungen mit der britischen Regierung waren sich die drei Bergarbeitervertreter zusammen mit den drei Wirtschaftsexperten in einem grundlegenden Punkt einig: Der marktliberale Kapitalismus musste verurteilt und überwunden werden. Smillie und Hodges bezeichneten ihn unumwunden als »das alte Regime«. Private Initiative und privater Profit als Motive der Produktion wurden auf den Prüfstand gestellt, gründlich untersucht und öffentlich kritisiert. Die Tatsache, dass »die Kommission im königlichen Ankleideraum des Oberhauses tagte, machte ihre Beratungen umso eindrucksvoller«, wie der Historiker Henry Pelling feststellt.
Die Anhörungen, die unter den wachsamen Augen der nationalen Öffentlichkeit stattfanden, beendeten den Status des Privateigentums – und der Privatwirtschaft – als eine undurchdringliche Domäne. Arthur H. Gleason, Mitarbeiter des American Bureau of Industrial Research, bemerkte, dass »niemals zuvor in einer offiziellen Industrieuntersuchung ein solcher Spielraum für Befragungen zugelassen worden war. Hier hatte man einen Bergarbeiter, der einen millionenschweren Arbeitgeber ins Kreuzverhör nahm und ihn in eine Ecke trieb, aus der er nicht mehr herauskam«.
Tatsächlich wurde die erste Sitzung der Anhörungen sogar von der bürgerlichen Presse als Triumph für die Arbeiter gewertet. Die Daily News schrieb: »Niemand, der der Verhandlung beiwohnt, kann sich des Eindrucks erwehren, dass es die Mineneigentümer und nicht die Bergarbeiter sind, deren Fall vor Gericht steht«. Und in der Times konnte man lesen: »In einem Punkt wird es unter sachlichen Lesern keine Meinungsverschiedenheit geben, nämlich dass von den drei betreffenden Parteien die Bergarbeiter bei Weitem am besten abschneiden. Ihr Argument wurde besser dargestellt, aber es war auch ein besseres Argument als das der Regierung oder der Mineneigentümer.«
»Die Times brachte den außerordentlichen Charakter des Ereignisses mit einer Schlagzeile in Großbuchstaben zum Ausdruck: ›KOHLE-BERICHT. GROSSE ZUGESTÄNDNISSE AN DIE BERGARBEITER. EFFEKTIVE MITSPRACHE IN DER LEITUNG. GEGENWÄRTIGES SYSTEM VERURTEILT‹.«
Die Anhörungen waren nicht einfach nur ein Schauspiel, bei dem die Bergarbeiter ihre Macht demonstrieren konnten. Vielmehr legte das Verfahren der Sankey-Kommission die tiefgreifenden Verfehlungen des Systems des kapitalistischen Wettbewerbs in der Vorkriegszeit offen. Zusammen mit dem düsteren Bild, das man von den Arbeitsbedingungen der Bergleute bekam, bildete sich auch eine Kritik an den strukturellen Mängeln des Kapitalismus heraus.
Wirtschaftliche Ineffizienz sei »nicht auf persönliche Unzulänglichkeiten zurückzuführen«. Sie entspringe vielmehr der Funktionsweise der Konkurrenz des Marktes selbst, die es verunmöglicht, Abbau und Nutzung natürlicher Ressourcen rational zentral zu planen. Stattdessen würde sie die einzelnen Kapitalisten systematisch dazu anhalten, Druck auf die Arbeiterinnen und Arbeiter auszuüben, damit sie zu unmenschlichen Löhnen mehr arbeiten, und an der Infrastruktur zu sparen. Im Falle der größten Industrie Großbritanniens waren die Auswirkungen der unsichtbaren Hand nicht so optimal, wie Adam Smith es versprochen hatte.
In zahlreichen Stellungnahmen wurde hervorgehoben, dass der Wettbewerb um den Profit keineswegs tugendhaft war und nicht zu kollektivem Wohlstand geführt hatte. Vielmehr hatte er zu mangelnder Koordination und übermäßiger Verschwendung geführt, verbunden mit einem strukturellen Fehlanreiz, die Art von langfristigen Investitionen zu tätigen, die notwendig waren, um das Kohleangebot zu erhöhen und die Preise niedrig zu halten. Stattdessen sicherten sich die Eigentümer der Kohleunternehmen hohe Gewinne, indem sie die Löhne drückten: »Wir haben in der Tat als Nation die Arbeit der Bergleute für unsere ökonomische Gesundheit zu billig gemacht«, erklärte die Kommission.
Dieser Angriff auf die kapitalistische Tradition, der einen Widerspruch zwischen privaten Interessen und öffentlichem Nutzen behauptete, erreichte Wirtschaftsexperten im In- und Ausland. Ein 1919 im Economic Journal veröffentlichter Artikel von H. D. Henderson erörterte den Fall der Sankey-Kommission und kam zu dem Schluss: »Es ist sehr zweifelhaft, ob ein nennenswerter Teil der konsumierenden Öffentlichkeit im Fall der Fälle bereit wäre, ihr Vertrauen zu einem so hohen und so offensichtlichen Preis wieder in das Privateigentum zu setzen.«
Das Problem, dass Wettbewerb zu Ineffizienz führt, ließe sich potenziell durch eine Vereinigung unter privatem Eigentum beheben. Doch eine andere Quelle von Ineffizienz ließ solch eine einfache Lösung nicht zu. Das antagonistische Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit lag in der Natur des privaten Kapitalismus. Die von der Sankey-Kommission vorgestellte Lösung bestand darin, eine neue Rolle der Arbeiter im Produktionsprozess zu akzeptieren, die dem »höheren Anspruch gerecht wurde, ihren gebührenden Anteil und ihr Interesse an der Leitung der Industrie geltend zu machen.«
Klausel IX des Sankey-Berichts kündigte seismische Verschiebungen in der britischen Industrie an: »Selbst auf der Grundlage der bereits vorgelegten Beweise ist das gegenwärtige Eigentums- und Arbeitssystem in der Kohleindustrie zu verurteilen, und es muss durch ein anderes System ersetzt werden, entweder durch Verstaatlichung oder eine Methode der Vereinigung durch staatlichen Kauf und/oder gemeinsame Kontrolle«.
Aus Angst vor einem landesweiten Bergarbeiterstreik oder, noch schlimmer, vor einem Streik der Triple Alliance (der drei großen Gewerkschaften der Bergleute, Eisenbahner und Transportarbeiter) nahm das Kabinett am 20. März 1919 den Bericht der Sankey-Kommission mit seiner bahnbrechenden Klausel IX an. Die Times brachte den außerordentlichen Charakter des Ereignisses mit einer Schlagzeile in Großbuchstaben zum Ausdruck: »KOHLE-BERICHT. GROSSE ZUGESTÄNDNISSE AN DIE BERGARBEITER. EFFEKTIVE MITSPRACHE IN DER LEITUNG. GEGENWÄRTIGES SYSTEM VERURTEILT«. In dem Artikel heißt es: »Den Bergarbeitern wird in der Tat mehr angeboten als die Verstaatlichung, wie dieser Begriff gewöhnlich ausgelegt wird. Die Eigentümer sollen gehen, und die einzige Frage ist, was die beste Form für das neue System ist, das den Bergarbeitern eine direkte Mitsprache in der Geschäftsführung gibt«.
Es folgte eine zweite Phase der Anhörungen der Kommission, die sich nun direkt mit Verstaatlichung und Arbeiterkontrolle beschäftigte. Die Gewerkschaftsführer Smillie, Hodges und Straker (der Sekretär der Northumberland Miners) sowie Cole, der gebeten wurde, eine Erklärung abzugeben, plädierten für eine verbindliche Beziehung zwischen Arbeiterkontrolle und Verstaatlichung (in Form der Abschaffung von Lizenzgebühren und des staatlichen Eigentums an den Kohleflözen): »So wie staatliches Eigentum ohne Arbeiterkontrolle unzureichend ist, so ist Arbeiterkontrolle ohne staatliches Eigentum unzureichend«, befand Cole. In der Tat würde die Verstaatlichung an sich noch nicht die Abschaffung des Lohnsystems bedeuten, in dem »der Arbeiter seine Arbeitskraft gegen einen Lohn an einen Arbeitgeber verkauft und durch diesen Verkauf auf jedes Recht über die Art und Weise der Verwendung seiner Arbeitskraft verzichtet«. Die kühne Forderung lautete Wirtschaftsdemokratie: gemeinsame Kontrolle durch die Bergarbeiter und den Staat.
»Ausschlaggebend für die Ablehnung war gewesen, dass Wirtschaftsexperten im Finanzministerium Druck gemacht hatten, die staatliche Übernahme der Industrie aufzugeben, um den Staatshaushalt nicht zu gefährden.«
Die Kontrolle der Beschäftigten über den Arbeitsplatz war schon vor dem Krieg ein emotionales Thema in den Bewegungen der Bergarbeiter. Diese Bewegungen gewannen während des Krieges an Stärke, was zu einem erheblichen Einfluss und Druck von links in den Kohlerevieren und sogar auf die Programmatik der MFGB führte. Besonders bemerkenswert ist, wie der Kern dieser Vision, die ihrer expliziten revolutionären Botschaft beraubt worden war, während des Jahres 1919 innerhalb des Establishments Verbreitung fand. Sie schlug eine radikal andere Vorstellung der Industriegesellschaft vor, die durch staatliche Reformen erreicht werden sollte – und sie fand ein Publikum. Die Anziehungskraft der von der Kommission vorgebrachten Argumente beruhte auf ihrem rekonstruktionistischen Ton, der die Arbeiterkontrolle zu einer Frage von nationalem und nicht von Klasseninteresse machte.
Der Abschlussbericht der Sankey-Kommission wurde von den sechs Arbeitervertretern angenommen (und war damit praktisch ein Mehrheitsbeschluss). Zusammen mit der Bill of the Miners’ Federation ergab er einen konkreten Entwurf für eine demokratische Verwaltung der Kohleindustrie. Die beiden Berichte sahen vor, eine hierarchische bürokratische Verwaltung zu vermeiden und eine effektive Partizipation der Arbeiter durch Räte – gewählte Organe mit substanzieller Arbeiterrepräsentation – zu gewährleisten. Ein dreistufiges System wurde formalisiert: Bergwerksräte (pit councils), Bezirksräte (district councils) und der Nationale Bergbaurat (national mining council). Während der letztere Rat die obersten Koordinierungsaufgaben übernehmen sollte, würden die lokalen Räte über ein hohes Maß an Autonomie in Fragen der Produktion und der Finanzen verfügen.
Die Berichte der Sankey-Kommission wurden im Juni 1919 veröffentlicht und fanden in der nationalen und internationalen Presse große Beachtung. In seinem Artikel im Economic Journal griff Henderson das Potenzial dieser epochalen Ereignisse auf, für die neue Ordnung ließe sich »aus den Erfahrungen vergangener oder gegenwärtiger Institutionen keine wirkliche Orientierung gewinnen«. Daher biete dieses politische Experiment »ein Ziel und einen Sammelpunkt für diejenigen, die die gesamte Struktur der Gesellschaft verändern wollen«.
Laut Vernon Hartshorn, einem Anführer der walisischen Bergleute, der während des Verfahrens der Sankey-Kommission als Zeuge aufgetreten war, hatten die Bergarbeiter einen verfassungsrechtlichen Mechanismus ausgegraben, durch den ein Strukturwandel in Großbritannien bewerkstelligt werden konnte. Zu den Vorschlägen des zweiten Berichts schrieb Hartshorn: »Sie gehen bis an die Wurzeln des kapitalistischen Systems. Die Empfehlungen entsprechen allen Formalitäten des verfassungsmäßigen Verfahrens, wobei sie jedoch einen wirklich revolutionären Wandel ankündigen.«
In der Tat war Arbeiterinnen und Arbeitern bewusst, dass die Kohle aufgrund ihrer »führenden Stellung in der industriellen Hierarchie«, wie Hodges es ausdrückte, eine Vorreiterrolle bei der Durchsetzung eines umfassenden Systems der Arbeiterkontrolle spielte. Der Daily Herald wiederholte diesen Punkt regelmäßig: »Die gesamte Arbeiterbewegung hofft darauf, dass die Bergarbeiter aus dem kapitalistischen System eine Plattform herausarbeiten, von der aus sie einen großen Sprung nach vorn machen kann.«
Die wachsende Gefahr für den Kapitalismus wurde auch von den Eigentümern der Bergwerke erkannt, die im Zeugenstand wiederholt davor warnten, dass es Großbritannien genauso ergehen werde wie ihnen: »Auf die Verstaatlichung der Bergwerke wird notwendig die Verstaatlichung aller Industriezweige folgen […] Wenn wir uns [in allen Industriezweigen] zurückziehen, wird das in einer nationalen Katastrophe enden.« In größter Eile koordinierte der Verband der Eigentümer von Kohleminen, die MAGB, zusammen mit dem nationalen Verband der Handelskammern eine breit angelegte Kampagne gegen Verstaatlichungen, um eine Schlacht zu gewinnen, die, wenn sie verloren ginge, zur Folge hätte, dass »England den Besitzer wechselt«, wie Ives es auf den Punkt bringt. Und es war in der Tat ein Kampf: Die Kontroverse über die Verstaatlichung der Bergwerke beherrschte die britische Politik über den gesamten Sommer 1919.
Nach monatelangem Zögern und politischer Ungewissheit lehnte die Regierung die endgültige Empfehlung der Sankey-Kommission (die von sieben der dreizehn Kommissionsmitglieder unterstützt worden war) im August offiziell ab. Ausschlaggebend für die Ablehnung war gewesen, dass Wirtschaftsexperten im Finanzministerium Druck gemacht hatten, die staatliche Übernahme der Industrie aufzugeben, um den Staatshaushalt nicht zu gefährden. Ab Juli versuchte die Regierung, die Angst vor schlechten Haushaltsbilanzen auszunutzen, »um die Forderungen der Bergarbeiter als überzogen und schädlich für die Staatskasse darzustellen«, so Ives. Diese Begründungen waren die frühen Vorläufer der formellen Austerität – und die Chöre wurden immer lauter.
Als dieser Zeitpunkt gekommen war, hatte die Arbeiterschaft wenig Hoffnung, gegenhalten zu können. Im März 1920 läutete das Ende des wirtschaftlichen Booms die Totenglocke für die politische Macht der Bergarbeiter. Wie Cole erinnerte, änderten sich die Prioritäten: »Die Gewerkschaften waren angesichts der drohenden Depression mehr damit beschäftigt, Branche für Branche ihre Positionen zu verteidigen, als die Bergarbeiter oder irgendeine andere Sektion in ihren im Wesentlichen sozialistischen Forderungen zu unterstützen.«
Diese wirtschaftliche Depression war keine »Naturkatastrophe«, sondern das Ergebnis einer gut durchdachten Politik des Finanzministeriums und der Bank of England, die darauf abzielte, in der Wirtschaft eine Deflation zu erzeugen, indem man die Zinssätze erhöhte und die Kreditvergabe einschränkte. Die monetäre Austerität fügte dem britischen Handel, insbesondere den Kohleexporten, schweren Schaden zu: Das Pfund Sterling stieg gegenüber anderen Währungen im Kurs und machte britische Waren auf dem Weltmarkt teurer als die anderer Länder. Und weil die Geschäfte schlecht liefen, stieg die Arbeitslosigkeit sprunghaft an, was wiederum die Gewerkschaften schwächte – insbesondere in ihrer Fähigkeit, auf gesellschaftliche Veränderungen zu drängen.
»Institutioneller Wandel wurde unmöglich, weil er in einen umfassenderen Wandel hin zur Austerität eingezwängt war.«
Eine solche Austeritätspolitik mag ökonomisch irrational erscheinen, da sie der Wirtschaft schadete. Sie war jedoch durchaus rational, da sie das Überleben des Kapitalismus und seiner Produktionsverhältnisse sicherstellte. G. D. H. Cole brachte den Sinn der Austeritäts-Gegenoffensive auf den Punkt: »Die große Offensive der Arbeiterklasse war erfolgreich ausgebremst worden; und der britische Kapitalismus fühlte sich, obwohl er mit wirtschaftlichen Widrigkeiten zu kämpfen hatte, wieder sicher im Sattel und in der Lage, sowohl industriell als auch politisch mit jedem Versuch fertig zu werden, der noch von Seiten der Arbeiter unternommen werden könnte, um ihn zu stürzen.« Kurz gesagt: Der wirtschaftliche Abschwung sicherte den Kapitalismus. Nicht nur wurden die Säulen von Privateigentum und Lohnverhältnis wieder bestärkt – die Austerität stellte auch sicher, dass die Löhne gedrückt werden und die privaten Profite wieder aufleben konnten.
Als die Industrie im Frühjahr 1921 in eine dauerhafte Depression abrutschte, verloren die Bergarbeiter den größten Teil der materiellen Zugewinne, die sie während des Krieges errungen hatten, sowie die Lohnerhöhungen, die das Ergebnis der Sankey-Kommission einst zugesichert hatte. Daraufhin begann am 1. April 1921 ein Bergarbeiterstreik, der nominell dem Kampf für einen landesweiten Einheitslohn verschrieben war; er stellte die letzte heroische Anstrengung dar, sich gegen die Verschlechterung der Lebensbedingungen zu wehren.
Der Streik endete mit einer Niederlage, als die Anführer der Eisenbahn- und Transportgewerkschaften sich am 15. April zurückzogen und damit die Bergarbeiter im Stich ließen. Diese Episode wurde als »Black Friday« bekannt – der Moment, in dem die britische Arbeiterbewegung in die Defensive gedrängt wurde. Später im selben Jahr kehrte die Konkurrenz zwischen den Bezirken um die Kohleindustrie zurück, und mit ihr die volle Härte des privaten Systems. Im Jahr 1922 verdienten die Bergleute, die noch Arbeit hatten, nur noch etwa die Hälfte von dem, was sie 1919 verdient hatten; in nur zwei Jahren sank ihr nominaler Wochenlohn um 46 Prozent.
Da sich der Staat zu diesem Zeitpunkt aus der Kohleproduktion zurückgezogen hatte, waren die Löhne nicht mehr eine Frage eines »politischen Kampfes«, in den der Staat selbst als Arbeitgeber involviert war. Der Klassenkampf wurde wieder auf den Bereich der Wirtschaft zurückgedrängt, in dem die unpersönlichen Gesetze von Angebot und Nachfrage herrschten. In dem Maße, wie die Abhängigkeit vom Markt zunahm, nahm die Handlungsfähigkeit der Arbeiter ab.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Bewegung der Bergleute für Arbeiterkontrolle entschied sich für ein Bündnis mit dem Staat, und erlitt daraufhin im Staat ihre entscheidende Niederlage. Das Finanzministerium und die Bank of England reagierten schnell und leiteten auf dem Höhepunkt der Ereignisse eine monetäre Austerität ein. Institutioneller Wandel wurde damit unmöglich, weil er in einen umfassenderen Wandel hin zur Austerität eingezwängt war. Die neuen Prioritäten waren, um jeden Preis die Arbeitskosten und die Staatsausgaben zu senken.
Bei diesem Artikel handelt es sich um einen bearbeiteten Auszug aus Clara Matteis Buch Die Ordnung des Kapitals: Wie Ökonomen die Austerität erfanden und dem Faschismus den Weg bereiteten, das kürzlich im Brumaire Verlag erschienen ist.
Clara Mattei ist Professorin für Wirtschaftswissenschaften und Direktorin des Center for Heterodox Economics (CHE) an der University of Tulsa. Ihr Buch Die Ordnung des Kapitals: Wie Ökonomen die Austerität erfanden und dem Faschismus den Weg bereiteten ist 2025 im Brumaire Verlag erschienen.