28. März 2024
Das Unternehmen hinter dem Frachtschiff, das den katastrophalen Brückeneinsturz in Baltimore verursachte, hat in der Vergangenheit Mitarbeiter daran gehindert, Verstöße und Sicherheitsbedenken an die Behörden zu melden.
Das Unglücksschiff Dali und die Überreste der Francis Scott Key Bridge, Aufnahme vom 27. März 2024.
In der Nacht auf Dienstag hat ein Frachtschiff die Francis Scott Key Bridge in der Stadt Baltimore im US-Bundesstaat Maryland gerammt und zum Einsturz gebracht. Aus Unterlagen, die The Lever einsehen konnte, geht nun hervor: Maersk Line Limited, das Unternehmen, das das Schiff gechartert hat, war zuvor von den US-Aufsichtsbehörden bereits geahndet worden, weil es seine Angestellten daran gehindert hatte, Sicherheitsbedenken direkt an die US-Küstenwache zu melden. Damit verstieß die Reederei gegen ein US-Gesetz zum Schutz von Whistleblowern.
Acht Monate bevor das Frachtschiff in die Brücke in Baltimore einriss, wodurch vermutlich sechs Menschen getötet und weitere Personen verletzt wurden, hatte das US-Arbeitsministerium den Schifffahrtskonzern wegen Repressalien gegen einen Arbeiter zur Verantwortung gezogen, der unsichere Arbeitsbedingungen an Bord eines von Maersk betriebenen Schiffs gemeldet hatte. In seiner Entscheidung stellte das Ministerium fest, dass Maersk »eine Politik verfolgt, die von den Angestellten verlangt, dass sie ihre Bedenken zuerst bei [Maersk] melden, bevor sie sie der [Küstenwache] oder anderen Behörden anzeigen«.
Die Bundesaufsichtsbehörde für Sicherheit und Gesundheit (Occupational Safety and Health Administration), die dem Arbeitsministerium untersteht, kritisierte diese Firmenpolitik als »verwerflich« und als »ungeheuerliche Verletzung der Rechte der Angestellten«, da diese »davon abgeschreckt werden, sich an die [Küstenwache] oder andere Behörden zu wenden, ohne vorher das Unternehmen zu kontaktieren«.
Die Meldepolitik von Maersk wurde offenbar von Führungskräften des Unternehmens abgesegnet, wie die Bundesaufsichtsbehörden bei ihrer Untersuchung feststellten: »[Maersks] Vizepräsident für Arbeitsbeziehungen gibt zu, dass diese Meldepolitik von den Seeleuten verlangt, Sicherheitsbedenken an das Unternehmen zu melden und ihm Zeit zu geben, diese Bedingungen zu beseitigen, bevor es die [Küstenwache] oder andere Aufsichtsbehörden informiert«, so die Ermittler in ihrem Bericht.
Im Zuge der Ermittlungen gegen Maersk habe sich »hinreichender Grund zu der Annahme« gezeigt, dass die Politik des Unternehmens gegen den Seaman’s Protection Act verstößt. Das Gesetz schützt Seeleute, die sich über unsichere Arbeitsbedingungen äußern. Die Beamten wiesen das Unternehmen an, den Arbeiter wieder einzustellen und über 700.000 Dollar an Schadensersatz und Lohnnachzahlung zu leisten. Außerdem forderten sie Maersk auf, seine Politik verändern, um Seeleuten zu ermöglichen, sich bei Sicherheitsbedenken an die Küstenwache zu wenden, bevor sie das Unternehmen informieren.
»Der entlassene Mitarbeiter erklärte gegenüber den Bundesbehörden, er gehe davon aus, dass diese Disziplinarmaßnahmen ›eine Vergeltungsaktion waren, weil der Alkoholkonsum an Bord des Schiffes gemeldet wurde‹.«
Der entlassene Arbeiter war Erster Offizier auf der Safmarine Mafadi, einem von Maersk betriebenen Schiff, der bei Bedarf auch als Ersatzkapitän fungierte. Der Mann meldete nicht reparierte Lecks, unerlaubten Alkoholkonsum an Bord, nicht funktionsfähige Rettungsboote, defekte Feuerlöschanlagen und weitere Probleme.
Bevor er entlassen wurde, wurde er disziplinarisch belangt, da er das Logbuch nicht ordnungsgemäß geführt und Befehle nicht korrekt befolgt habe. Der entlassene Mitarbeiter erklärte gegenüber den Bundesbehörden, er gehe davon aus, dass diese Disziplinarmaßnahmen »eine Vergeltungsaktion waren, weil der Alkoholkonsum an Bord des Schiffes gemeldet wurde«.
Maersk hat auf Fragen von The Lever zu den Erkenntnissen des US-Arbeitsministeriums und der früheren Unternehmenspolitik zur Meldung von Sicherheitsbedenken am Arbeitsplatz bisher nicht reagiert.
In einer Mitteilung für andere Medien erklärte Maersk indes: »Wir sind entsetzt über das, was in Baltimore passiert ist, und unsere Gedanken sind bei allen Betroffenen. Wir können bestätigen, dass das Containerschiff DALI, das von der Chartergesellschaft Synergy Group betrieben wird, von Maersk auf Zeit gechartert ist und die Fracht von Maersk-Kunden transportiert. An Bord des Schiffes befanden sich keine Maersk-Mitarbeiter und kein Maersk -Personal. Wir verfolgen die Ermittlungen der Behörden und von Synergy genau und werden unser Möglichstes tun, um unsere Kunden auf dem Laufenden zu halten.«
Der Seaman’s Protection Act wurde 1984 erlassen, um Seeleute, die der Küstenwache Gesetzesverstöße melden, vor Repression und Vergeltungsmaßnahmen ihrer Unternehmen zu schützen. Diese Arbeiter waren bis dahin von anderen Whistleblower-Gesetzen ausgeklammert gewesen. Im Jahr 2010 wurde das Gesetz geändert, um auch Angestellte zu schützen, die sich aus Angst vor Verletzungen weigern, bestimmte Tätigkeiten zu übernehmen.
Das Gesetz wird von der Occupational Safety and Health Administration angewendet. Unternehmen, die gegen den Seaman’s Protection Act verstoßen, können mit Geldstrafen in Höhe von Hunderttausenden Dollar belegt werden. Die Küstenwache ruft Arbeiterinnen und Arbeiter außerdem ausdrücklich auf, »gefährliche Zustände zu melden, bevor sie zu einem teuren Unglücksfall führen«.
Obwohl das Gesetz die Beschäftigten im Seeverkehr ausdrücklich vor Repression am Arbeitsplatz schützt, gibt es nach Ansicht von Fachleuten nur relativ wenige Beschwerden von Whistleblowern. Im Jahr 2017 gelangte ein Fall mit Bezug zum Seaman’s Protection Act bis vor den Obersten Gerichtshof. Es handelte sich dabei um einen New Yorker Hafenarbeiter, einen »hartnäckigen Sicherheitsverfechter«, der entlassen worden war, nachdem er potenziell gefährliche Arbeitsbedingungen gemeldet hatte. Das Gericht entschied jedoch, den Fall nicht zu behandeln.
»Maersk, mit Hauptsitz in Kopenhagen, ist eine der größten Reedereien der Welt. Im Jahr 2023 verzeichnete das Unternehmen einen Umsatz von mehr als 51 Milliarden Dollar.«
Viele Schifffahrtskonzerne haben eine ähnliche Politik wie Maersk, die die Angestellten daran hindert, sich direkt an die Küstenwache oder andere Aufsichtsbehörden zu wenden, erklärt der Anwalt Eric Rhine, der sich bei der Anwaltskanzlei Spagnoletti auf Unfälle im Seeverkehr, Ansprüche bei Flugunfällen und ähnliche Fragen spezialisiert hat.
In einem Blog-Post weist Rhine auf einen früheren Fall hin, bei dem Whistleblower Repressalien erlitten haben und in dem festgestellt wurde, es sei »›übliche Geschäftspraxis‹ für Arbeitgeber, Mitarbeitern jeglichen direkten Kontakt mit staatlichen Aufsichtsbehörden zu untersagen«.
Rhine betont auch, dass Arbeiter im Seeverkehr, die bei ihrer Tätigkeit diversen Gefahren ausgesetzt sind, das Recht haben, unsichere Bedingungen an Bord der Schiffe den Bundesbehörden zu melden. »Manchmal kommt es zu Unfällen, die hätten vermieden werden können, wenn die für sichere Arbeitsbedingungen verantwortlichen Personen die nötige Sorgfalt an den Tag gelegt hätten«, schreibt Rhine. »Diese Unfälle können zu dauerhaften Schädigungen der Angestellten führen, die sie möglicherweise daran hindern, jemals wieder zu arbeiten. Schlimmer noch: sie können sogar tödlich sein.«
Die Dali, die auf die Brücke in Baltimore auflief, war von Maersk gechartert und wird von der Synergy Marine Group betrieben, einer Schiffsmanagementgesellschaft mit Sitz in Singapur. Das Schiff hatte eine Besatzung von 22 indischen Arbeitern. Es ist im Besitz von Grace Ocean Private und war auf dem Weg nach Sri Lanka.
Maersk, mit Hauptsitz in Kopenhagen, ist eine der größten Reedereien der Welt. Im Jahr 2023 verzeichnete das Unternehmen einen Umsatz von mehr als 51 Milliarden Dollar. Es ist in 130 Ländern tätig und beschäftigt rund 100.000 Angestellte, wie aus dem Jahresbericht des Konzerns hervorgeht. Im Dezember 2023 besaß Maersk 310 Schiffe und charterte 362 weitere. Damit habe man eine der größten Containerschifffahrtsflotten der Welt.
Seit 2021 hat Maersk 2,7 Millionen Dollar für Lobbyarbeit im US-Kongress und bei Bundesbehörden ausgegeben. Unter anderem waren Lobbyisten mit Blick auf Themen wie Entschädigung von Arbeitern, Hafenüberlastung und grundsätzliche Infrastrukturfragen aktiv, zeigen behördliche Unterlagen.
Seit vergangenem Sommer kämpft Maersk gegen die International Longshoremen’s Association – eine Gewerkschaft, die 65.000 Seeleute, darunter auch Maersk-Angestellte, vertritt – wegen Arbeitskämpfen in einem Hafen in Alabama.
Im August 2023 verklagte APM Terminals, eine Tochtergesellschaft von Maersk, die Gewerkschaft mit der Behauptung, dass die Arbeiter im Hafen von Mobile, Alabama, während eines laufenden Vertrages illegal gestreikt hätten. Das Gerichtsverfahren ist noch nicht abgeschlossen. In den von der Gewerkschaft im März eingereichten Dokumenten wird kritisiert, das Unternehmen habe sechs Arbeiter rechtswidrig suspendiert, weil diese ihre »Bedenken über ein Sicherheitsproblem auf der Arbeitsstelle geäußert« hätten.
In Baltimore sind derweil am heutigen Donnerstag zwei weitere Leichen geborgen worden.
Lucy Dean Stockton ist Nachrichtenredakteurin bei The Lever.
Helen Santoro ist Journalistin aus Colorado.
Freddy Brewster ist freiberuflicher Reporter. Seine Arbeiten wurden unter anderem in der Los Angeles Times, bei NBC News, CalMatters, und The Lost Coast Outpost veröffentlicht.
Katya Schwenk ist Journalistin aus Phoenix, Arizona.