15. Mai 2025
Am Übergang zwischen Mittelalter und Neuzeit ereignete sich in Deutschland ein gewaltiger Klassenkampf: der Bauernkrieg. Lange vor der französischen Revolution wollten die Aufständischen die Herrschaft des Adels zu Fall bringen. Ihre Revolte breitete sich rasant aus – und wurde aufs blutigste niedergeschlagen.
Deutschland hat nicht gerade das Image, ein Land zu sein, in dem die Bevölkerung wild aufbegehrt. Während in Ländern wie Frankreich eine Rentenreform zu wochenlangen Straßenschlachten führen kann, geht man hierzulande nicht so schnell auf die Barrikaden. Die Deutschen waren aber nicht schon immer so revolutionsfaul. Viele kennen die offensiven Jahre der deutschen Arbeiterbewegung, die sich bis in die 1920er Jahre hinein erstreckten. Doch es gab auch schon lange zuvor, als die Lohnarbeit noch ein Randphänomen war, einen gewaltigen Aufruhr einer anderen unterdrückten Klasse – den der Bauern.
Heute vor genau 500 Jahren, am 15. Mai 1525, ging der Bauernkrieg in Thüringen, Franken und Schwaben in die entscheidende Endphase. Bei Frankenhausen in Thüringen verschanzten sich etwa 8.000 aufständische Bauern in einer Wagenburg, ausgerüstet mit Sensen, Sicheln, Mistgabeln und Dreschflegeln als Waffen und nur wenigen Geschützen. Ihnen gegenüber standen etwa 6.000 modern ausgerüstete Landsknechte und berittenen Einheiten. Die Bauern konnten nur noch auf ein Wunder und göttlichen Beistand hoffen.
Ihr Anführer Thomas Müntzer gab sich alle Mühe, ihnen noch einmal Mut zuzusprechen, während die Armee der Fürsten ohne Ankündigung ihre Kanonen auf sie feuern ließ. Die Bauern gerieten in Panik und ergriffen die Flucht. Sie hatten keine Gnade zu erwarten. Die Schlacht bei Frankenhausen war so gesehen keine militärische Auseinandersetzung. Es war ein Massaker an Tausenden Bauern, das allen anderen Aufständischen zeigen sollte: Das passiert mit euch, wenn ihr gegen eure Herren aufbegehrt.
Der deutsche Bauernkrieg faszinierte nicht nur diejenigen, die sich dem Klassenkampf verschrieben hatten. Zwar widmete ihm schon Friedrich Engels ein eigenes Buch, aber auch die Bündische Jugend der 1920er besang den Bauernkrieg mit dem bekannten Lied über des »Geyers Schwarzen Haufen«, eine besonders erfolgreiche Einheit der aufständischen Bauern. Wie vieles, was Revolutionsromantik hatte, wurde es auch von den Nazis übernommen. Aber auch in der sozialistischen Bewegung wurde und wird es bis heute gesungen. Und sogar der Schlagersänger Heino interpretierte das Lied.
Das Interesse an diesem, aus heutiger Sicht, sehr brutal geführten Klassenkampf hält an. Dass sich vor 500 Jahren, am Übergang zur Neuzeit, Tausende Bauern gegen ihre Herren erhoben und Gleichstellung forderten, ist durchaus erstaunlich. Angetrieben vom revolutionären Geist der Reformation, die zeitgleich durchs Land fegte, kämpften sie für ein besseres Leben. Doch was hat sie dazu getrieben? Und warum haben sie verloren?
Eine solch massenhafte Erhebung fällt, um eine linke Plattitüde zu bedienen, nicht vom Himmel. Die Regionen in denen die Aufstände ausbrachen, befanden sich schon Jahre zuvor im Umbruch. In den Städten sammelten wenige Patrizierfamilien einen nie da gewesenen Reichtum an, der den Grundstein für das kapitalistische Wirtschaften legte. Marx beschrieb dieses Phänomen später als »ursprüngliche Akkumulation«.
Ende des 15. Jahrhunderts wurde der Schwabe Jakob Fugger aus Augsburg der reichste Mensch der Welt. Leute wie er waren zu diesem Zeitpunkt einflussreicher als Adlige. Um ihren Lebensstandard aufrecht zu erhalten, verschuldeten sich immer mehr Adlige bei reichen Bürgern. Der Adel hatte keinerlei Möglichkeiten, mit diesem neuen Reichtum mitzuhalten. Viele von ihnen gingen dazu über, ihre Untertanen immer mehr auszupressen.
So war es unter Adligen etwa gängig, dass sie ihren Bauern im Todesfall immer einen Teil des Erbes stahlen, indem sie ihnen gefälschte Verträge präsentierten. Die Bauern, die in der Regel nicht lesen konnten, waren dagegen machtlos. Dass sie bestohlen wurden, war ihnen dennoch klar. Zudem wurden ihnen immer mehr Dienste auferlegt, die Abgaben erhöht und die Allmende – gemeinschaftlich genutztes Land der Bauern zur Selbstversorgung – wurden ihnen Stück für Stück genommen. So ist es kaum verwunderlich, dass sich viele Bauern während der Aufstände immer wieder in die »gute alte Zeit« zurücksehnten. Auch ohne Alphabetisierung wussten sie, dass es ihre Väter und Großväter besser gehabt hatten. Die Zuspitzung des Klassenkonflikts fiel mit einer Legitimationskrise der adligen Herrschaft zusammen. Wenn der Kaiser finanziell vom Bürgertum abhängig war, dann konnte er wohl kaum Herrscher von Gottes Gnaden sein.
»Einige Bauern dachten, sie könnten mit der katholischen Lehre gleich das ganze Feudalsystem entsorgen. Andere waren gemäßigter und wollten lediglich weniger hart ausgebeutet werden. Luther sprach sich gegen beides aus.«
Der damalige Zeitgeist war von Pessimismus und Untergangsfantasien bestimmt. Die Welt schien aus den Fugen zu geraten. Wahrheiten, die über Jahrhunderte hinweg unantastbar schienen, wurden innerhalb kürzester Zeit als Lügen enttarnt. Die Reformation spielte dabei eine entscheidende Rolle, genauso auch die Alphabetisierung und der Buchdruck. So ging der Fortschritt der Produktivkräfte mit einem revolutionären geistigen Aufbruch einher. Die Reformation war jedoch keine einheitliche Bewegung, sondern von Spaltungen durchzogen: Während die einen einen Aufstand von unten anzetteln wollten, bemühten sich andere, Fürsten vom Protestantismus zu überzeugen, um mehr Unabhängigkeit vom Kaiser zu erlangen.
Die bekannteste Person in diesem Zusammenhang ist natürlich Martin Luther. Er steht exemplarisch für diejenigen Geistlichen, die sich im Laufe der Aufstände schnell auf die Seite der Herrschenden gestellt haben. Die berühmten Memminger Artikel, in denen die schwäbischen Bauern im Frühjahr 1525 ihre zentralen Forderungen festhielten, war in Luthers Augen die reinste Anmaßung. Dass gewöhnliche Leute das Wort Gottes zitierten und damit gegen die Herrschaft des Adels argumentierten, war ihm zuwider. Er fand, dass »nichts teuflischeres sein kann, als ein aufrührerischen Mensch, gleich als wenn man einen tollen Hund totschlagen muss: Schlägst du nicht, so schlägt er dich und ein ganz Land mit dir«. Einige Bauern dachten, sie könnten mit der katholischen Lehre gleich das ganze Feudalsystem entsorgen. Andere waren gemäßigter und wollten lediglich weniger hart ausgebeutet werden. Luther sprach sich gegen beides aus.
Andere reformatorische Geistliche standen dagegen fest an der Seite der Aufständischen und führten sie auch oft an. Der bereits oben genannte Thomas Müntzer war ein direkter Widersacher Luthers. Er legte die protestantische Lehre stets so aus, dass der gemeine Mann das Recht hatte, sich mit aller Gewalt gegen die Klassenherrschaft zu wehren. Auch die Schweizer Reformation, die sich abseits der Einflusssphäre des Kaisers vollzog, hatte eine große Strahlkraft auf das benachbarte Schwaben. Einige Aufständische konnten nach der Niederlage etwa nach Zürich fliehen.
Schon in den Jahren zuvor gab es vereinzelt erste Aufstände, die aber lokal begrenzt waren und schnell niedergeschlagen wurden. Anfang 1525 entzündete sich aber ein Flächenbrand: Die Bauern verschiedener Regionen bildeten Haufen, in denen sie umherzogen und Burgen und Klöster plünderten. Einige Städte schlossen sich teils aus Überzeugung, teils aus Pragmatik den Bauern an und öffneten ihnen die Tore. Der Adel spielte auf Zeit. Viele Fürsten erweckten den Anschein, mit den Bauern verhandeln zu wollen.
Gleichzeitig planten sie ihre Rache. Sie versuchten die Bewegung zu spalten und Söldner anzuheuern, um den Widerstand zu brechen, hatten aber oft nicht die nötigen finanziellen Mittel. Viele waren zunächst dazu verdammt, abzuwarten und zu hoffen, dass der Kaiser aktiv wird. Die Macht des Adels war dezimiert. Er war vorerst seinen Untertanen ausgesetzt. Währenddessen arbeitete der Schwäbische Bund – ein Zusammenschluss verschiedener territorialer Herrschaften und einiger Städte, den man sich wie eine Art Arbeitgeberverband des Feudalsystems vorstellen kann – daran, eine gemeinsame Strategie zu finden, um die Aufstände zu beenden.
Doch es gab auch Lehnsherren, die sich nicht so klug anstellten. Graf Ludwig von Helfenstein entgegnete einer Ansammlung bestehend aus drei Bauernhaufen vor seiner Stadt Weinsberg, sie sollen nach Hause gehen, da er sie sonst alle verbrennen lasse. Diese Drohung nahmen die Bauern ernst. Am Tag darauf wurden Burg und Stadt von den zahlenmäßig weit überlegenen Bauern gestürmt. Der Graf wurde zusammen mit weiteren Adligen am Ostermontag, den 17. April 1525, von den Bauern zum Spießrutenlauf verurteilt – eine besonders herabwürdigende Art, ein Todesurteil zu vollstrecken. Diese Tat stellte die gottgewollte Herrschaft der Feudalherren radikal in Frage und war wohl der offensivste Moment der Aufstände. Dieses Vorgehen traf jedoch auch auf viel Ablehnung innerhalb der Bewegung. Einigen war das zu radikal. Martin Luther lehnte die Aufstände daraufhin entschlossen ab.
»Nicht der Aufstand ist der kritische Moment, sondern die Reaktion. Wer sich am Ende durchsetzt, ist eine militärische Frage.«
Die Herrschenden suchten währenddessen nach einer endgültigen Lösung für ihr Problem: Der Schwäbische Bund erteilte Georg III. Truchsess von Waldburg, auch bekannt als »Bauernjörg«, die Aufgabe, die alte Ordnung wiederherzustellen. Als die Aufstände begannen, war ein Großteil des kaiserlichen Heeres in Italien am Feldzug gegen Frankreich beteiligt. Erst als dieser erfolgreich beendet wurde, kehrten genug Landsknechte zurück, die bereit waren, den Widerstand der Bauern zu brechen. Denn zu viele von ihnen desertierten, da sie sich nicht gegen die Zivilbevölkerung und die Bauern stellen wollten. Der Bauernjörg zog daraufhin mit entschlossener Mannschaft mordend von Ort zu Ort und bestrafte alle, die sich auf die Seite der Bauern begeben hatten.
Er ließ Dörfer und auch ganze Städte anzünden und schlachtete Tausende Bauern ab. Auf diese militärische Übermacht waren die Bauernhaufen nicht vorbereitet. Mit der Erfahrung von Landsknechten, die gerade einen Feldzug in Italien beendet hatten, konnten sie nicht mithalten. Ihre Anführer hatten oft keine militärische Kenntnis. Jäcklein Rohrbach – den Anführer der Bauern, die in Weinsberg die Adligen hinrichteten – ließ der Truchsess lebendig verbrennen.
Die Revolution des gemeinen Mannes wurde brutal niedergeschlagen. So zeigte sich, was sich im Laufe der Geschichte von Revolutionen noch öfter wiederholen sollte: Nicht der Aufstand ist der kritische Moment, sondern die Reaktion. Wer sich am Ende durchsetzt, ist, ob man will oder nicht, eine militärische Frage. Diese bittere Wahrheit sollten noch Generationen unserer linken Vorfahren am eigenen Leib spüren.
Der große Bauernkrieg endete also mit einer vernichtenden Niederlage. Ganze Landstriche waren von den Soldaten des Truchsess verwüstet. Die Bauernhaufen waren zersprengt. Wer nicht direkt getötet wurde, wurde zum Tode verurteilt oder verstümmelt. Die Niederlage der Bauern wirkte lange nach. Nie wieder sollten sie es wagen, in solchem Maße aufzubegehren. Bis heute nennen sich die Bewohner des schwäbischen Dorfes, in dem ich aufgewachsen bin, »Goacka«. Dieses Dialektwort beschreibt den Laut, den Menschen ohne Zungen machen, wenn sie versuchen zu sprechen.
Alles in Allem hat sich für die Bauern durch den Aufstand nach 1525 wenig geändert, doch er hat eines gezeigt: Solange eine Klasse über die andere herrscht, werden die Unterdrückten aufbegehren. Aktuell leben wir wieder in Zeiten, die von Krisen und Umbrüchen geprägt sind. In unseren gegenwärtigen Kämpfen – ob in Tarifverhandlungen, Mietenkämpfen, im Parlament und auf der Straße – sollten wir uns immer daran erinnern, dass unserem Gegenüber kein Mittel zu schade ist, um zu gewinnen. Wie die Anführer der Bauernhaufen müssen auch wir heute die Widersprüche zuspitzen und eine Botschaft haben an alle, die zurecht Wut empfinden. Auch wenn sich der Klassenwiderspruch heute radikal anders darstellt als vor 500 Jahren, so hat der grundlegende Konflikt zwischen Oben und Unten bis in unserer Zeit überdauert. Diesen Widerspruch aufzulösen, ist die Aufgabe, der wir uns als Linke heute stellen müssen.
Christian Steinle lebt in Nürnberg. Er beschäftigt sich seit Jahren mit der Geschichte von unten und arbeitet hauptberuflich als Heilpädagoge.