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15. Juni 2025

Veteranen ehrt man am besten, indem man sich für Frieden einsetzt

Wem Veteranen wirklich am Herzen liegen, der muss Kriege beenden und verhindern, damit nicht noch mehr Menschen mit Körper und Seele für geopolitische Ambitionen von Regierungen bezahlen müssen. Einen Veteranentag als Rekrutierungsveranstaltung hilft niemandem.

Feierliches Gelöbnis von Rekrutinnen und Rekruten der Bundeswehr in Berlin, 20. Juli 2023.

Feierliches Gelöbnis von Rekrutinnen und Rekruten der Bundeswehr in Berlin, 20. Juli 2023.

IMAGO / A. Friedrichs

Am Ende ging es schnell. Kaum war mein Schiff nach dem Einsatz am Horn von Afrika wieder eingelaufen und die Ausrüstung abgegeben, war meine dreijährige Dienstzeit vorbei. Verpflichtet hatte ich mich mit 17, gegen den anfänglichen Widerstand meiner Eltern, aus einer Mischung von jugendlichem Idealismus, Naivität und Abenteuerlust heraus – deshalb die Marine. »Children ardent for some desperate glory«, wie es Wilfred Owen einst ausgedrückt hat. Ich bekam noch eine Beförderung ausgesprochen und die vielen Überstunden ausgezahlt. Wie vorgesehen, sagte ich der Bundeswehr adieu und ging nahtlos ins zivile Studium über.

Doch ein Teil von mir blieb an Bord. Egal, wie sehr ich es verdrängte, die erlittenen Verletzungen und Demütigungen, die erlernte Härte mir selbst gegenüber und anderen und schlicht der alltägliche Schrecken der Geopolitik, den man im Einsatz kennenlernt, suchten mich noch lange heim. Nur mit der Hilfe vieler anderer Menschen konnte ich in einem langwierigen Prozess verstehen und einordnen, was ich erlebt hatte und auch, was mir angetan wurde. Ich distanzierte mich schon kurz nach dem Ausscheiden von der Institution Militär und beschloss, mich nie wieder so rumbefehlen zu lassen.

Nach Verständnis der Politik bin ich ein Veteran, für den mit »umfassender Wertschätzung« ein Feiertag eingerichtet wurde. Ich sehe das weniger persönlich, eher funktional. Die Armee und ihre Ehemaligen sind eine ganz eigene Machtquelle. Das wussten schon die Römer, die ihre Veteranen (sie haben das Wort erfunden) strategisch entlang ihrer Außengrenzen ansiedelten und Land schenkten, um ihre Herrschaft zu stabilisieren. Es ist schließlich eine zeitlos gute Idee, sich mit denjenigen gut zu stellen, die wissen, wie man organisierte Gewalt ausübt. Kein Wunder also, dass die Versorgung von Veteranen in vielen westlichen Ländern dem Wohlfahrtsstaat den Weg bereitete.

Generation Einsatz

Was bedeutet es, Veteran zu sein? Erst mit dem Afghanistan-Einsatz stellte sich diese Frage für die Bundesrepublik Deutschland. Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg kehrten wieder Kriegsversehrte nach Hause, die im Gefecht Tod, Verwundung und Traumatisierung erlebt hatten. Sie töteten und wurden getötet. Und wofür? Afghanistan ist nach dem katastrophalen Rückzug im Jahr 2021 wieder unter die Herrschaft der Taliban gefallen. Blut, Schweiß und Tränen waren umsonst geflossen.

Auch andere Einsatzorte der Bundeswehr sehen nicht besser aus. Mali hat sich vollends vom Westen abgewandt, die ostafrikanische Piraterie ist nach Westafrika rübergewechselt, der Kosovo ist so politisch instabil wie lange nicht, und was macht eigentlich die UNIFIL-Mission im Libanon? Bundeswehr überall, Sicherheit nirgends, so müsste man die bisherige Bilanz der Auslandseinsätze ziehen. Dafür können freilich die Soldatinnen und Soldaten wenig, die im Auftrag der Regierung und des Bundestags handeln.

»Ein Veteranentag sollte in Deutschland nur Anlass sein, um über die Folgen von Krieg und Konflikt aufzuklären und nicht das Soldatentum zu verklären.« 

Vielleicht ist manchen der neuerliche Fokus auf klassische Landes- und Bündnisverteidigung deshalb eine Erleichterung. Keine komplizierten Fremdsprachen, zivil-militärische Zusammenarbeit und rules of engagement mehr, sondern klare Frontlinien und uniformierte Soldaten zwischen Rotland und Blauland in kalten osteuropäischen Wäldern, wie früher. Nur heißt es wohl nicht mehr »durchhalten, bis der Ami kommt«.

Die Politik hat sich also nicht mit Ruhm bekleckert, als sie die Bundeswehr ohne übergeordnete Strategie zur Unterstützung anderer Nationen entsandte. Zudem waren die Einsätze auch nie beliebt. Vielleicht ist das ein Grund dafür, wieso eine Definition von Veteran beschlossen wurde, die die besonderen Belastungen des Auslandseinsatzes nicht berücksichtigt. Veteranin oder Veteran ist jede und jeder, »die aktiv im Dienst steht oder ehrenhaft aus dem Dienstverhältnis ausgeschieden ist«. Das sind über 10 Millionen Menschen, von denen die meisten Rentner sein dürften, also eine Teilnahmemedaille der Bundeswehr.

Dabei kam die Initiative für einen Veteranentag von den Veteranenvereinen, die sich im Laufe des Afghanistan-Einsatzes gründeten, um ihren Anliegen mehr Gehör zu verschaffen. Sie verstehen darunter eher Einsatzveteranen, wie es der damalige Verteidigungsminister Thomas de Maizière 2012 vorgeschlagen hatte, also wer zusätzlich noch »an mindestens einem Einsatz für humanitäre oder friedenserhaltende oder friedensschaffende Maßnahmen teilgenommen hat«. Das sind ungefähr 400.000 Menschen. Die breite Veteranendefinition ist politisch leichter zu verkaufen, aber zum vertieften gegenseitigen Verständnis zwischen Truppe und Politik hat es nicht beigetragen. Dabei gäbe es da so viel Nachholbedarf, Stichwort Mangelwirtschaft.

Wozu dient der Veteranentag?

Den Plänen und Ankündigungen für den Veteranentag nach zu urteilen, soll er wie eine Art Volksfest für die ganze Familie begangen werden. Um den Reichstag herum soll ein »Veteranendorf« aufgestellt werden, wo Politik und Militär freundlich Auskunft geben. Abgerundet wird das Programm durch Reden und Livemusik. Fehlen eigentlich nur noch die Waffensysteme zum Anfassen, und fertig ist die generische Infoveranstaltung, wie sie die Bundeswehr ohnehin hundertmal jährlich durchführt.

Es sollte grundsätzlich überdacht werden, ob ein herausgehobener Feiertag allein für Veteranen der Bundesrepublik, die nach der Schande der Nazi-Herrschaft auf humanistischen Werten gegründet wurde, gerecht wird. Ein Veteranentag sollte in Deutschland nur Anlass sein, um über die Folgen von Krieg und Konflikt aufzuklären und nicht das Soldatentum zu verklären. Angemessener scheint eine Würdigung von Einsatzkräften insgesamt, gerade auch denjenigen, die Leben retten, anstatt sie zu enden. Auch Feuerwehrleute riskieren im Dienst tagtäglich Leib und Leben für andere. Unter Veteranen gibt es schließlich auch viele wie mich, die nicht wollen, dass ein solcher Tag zu einer Rekrutierungsveranstaltung wird, die einer Militarisierung der Gesellschaft Vorschub leistet.

»Die Reintegration von Veteranen löste in der Vergangenheit viele soziale Innovationen aus. So könnte man die ›umfassende Wertschätzung‹ und die ›schnelle und empathische Hilfe‹, mit der Veteranen inzwischen von der Politik bedacht werden, in einem nächsten Schritt auch auf Bürgergeldempfänger anwenden.«

Aber solange es das Militär gibt, müssen auch Linke eine Haltung dazu entwickeln, wie Veteranen wieder in die Gesellschaft integriert werden sollen. Erst das Ablegen der erlernten Gewaltkultur wird sie wieder zu »normalen« Zivilisten werden lassen und auch den rechtsradikalen Umtrieben Einhalt gebieten. In Stammesgesellschaften mussten sich die Krieger bei ihrer Rückkehr oft einer rituellen Säuberung unterwerfen, um sich vom Schmutz der Gewalt reinzuwaschen und wieder von der Gemeinschaft aufgenommen zu werden. Wie könnte eine solche »Rezivilisierung« heute aussehen?

Das von US-amerikanischen Filmen und Fernsehserien geprägte Bild des versehrten, nach der Rückkehr von der Gesellschaft entfremdeten Veteranen trifft in Deutschland jedenfalls nicht zu. Dazu gibt es zwar kaum Zahlen, jedoch die sehr aufschlussreiche Langzeitstudie zum 22. Einsatzkontingent ISAF in Afghanistan (März-Oktober 2010), welches in eines der gewalttätigsten Zeiträume des gesamten Einsatzes fiel. Insgesamt sind 7 Soldaten gefallen und 28 wurden teilweise schwer verletzt, unter anderem im Karfreitagsgefecht am 2. April 2010. Drei Jahre nach dem Einsatz berichteten die meisten Befragten, dass allgemeine berufliche Anforderungen ein höheres Belastungspotenzial haben als mit dem Einsatz verbundene Beanspruchungen. 8 Prozent der gefechtserfahrenen Befragten (die etwa die Hälfte des Kontingents ausmachten) berichteten von anhaltenden psychischen und physischen Verletzungen oder fühlten sich »fremd im eigenen Leben«. Nur 3 Prozent gaben an, arbeitsuchend zu sein. Und nur 2 Prozent gaben drei Jahre später einen signifikant gestiegenen Alkoholkonsum an.

Veteranen sollten aber nicht nur als Problem aufgefasst werden. Auch in der Weimarer Republik, die von Anfang an von Freikorps militant bekämpft wurde, gab es republikanische Frontkämpferbünde wie das Reichsbanner, das über eine Million Mitglieder hatte. Die US-amerikanischen Kriegsrückkehrer profitierten nach dem Zweiten Weltkrieg vom wegweisenden GI-Bill, gingen massenhaft an die Unis und bauten die Mittelschicht maßgeblich mit auf. Die Reintegration von Veteranen löste in der Vergangenheit viele soziale Innovationen aus. So könnte man die »umfassende Wertschätzung« und die »schnelle und empathische Hilfe«, mit der Veteranen inzwischen von der Politik bedacht werden, in einem nächsten Schritt auch auf Bürgergeldempfänger anwenden.

Carepflicht statt Wehrpflicht

Am Ende ist die beste Art und Weise, Veteranen zu ehren, den Frieden zu suchen und die Fürsorge zu stärken. Nur Rambo-Soldaten sehnen sich nach dem Kampf und gehören in Therapie statt in die Bundeswehr. Veteranen brauchen Fürsorge, deshalb ist die gegenseitige Hilfe so ein wichtiger Teil der Vereinsarbeit. Sie sind schließlich so etwas wie die verkörperten Folgen politischer Entscheidungen. Im Auftrag der Politik zogen sie los und verschlissen dabei ihre Körper und Seelen. Ihre Zahl im Sinne von Einsatzveteranen nicht zu steigern, muss also die höchste politische Priorität haben. Immerhin wurde ihre materielle Versorgung in den vergangenen Jahren entscheidend verbessert.

»Angesichts der Weltlage ist es an der Zeit, Menschen zuzumuten, nicht mehr Waffen gegeneinander, sondern Verantwortung füreinander zu tragen.«

Die Politik hat aber auch nach der Zeitenwende die oben erwähnte Strategielosigkeit beibehalten. Diskutiert werden hauptsächlich abstrakte Anteile vom Bruttoinlandsprodukt, anstatt eigene Ziele und dazu notwendige Fähigkeiten im Rahmen einer europäischen Sicherheitsarchitektur. Gleichzeitig werden weiter Waffen an Israel geliefert, was die moralische Autorität und bisherige politische Agenda Deutschlands auf der internationalen Bühne völlig untergraben hat und nach personellen und juristischen Konsequenzen verlangt. Erst, wenn die neue Regierung aus dem Modus der überdrehten Reaktion auf externe Ereignisse herauskommt, Verantwortung übernimmt und einen (möglichst bescheidenen) sicherheitspolitischen Gestaltungswillen auf Basis des Menschen- und Völkerrechts formuliert, kann wieder eine zielführende Debatte stattfinden und Vertrauen entstehen.

Gerade wird angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine auch über die Wiedereinführung der Wehrpflicht diskutiert. Dabei war die Diskussion schon viel weiter, als noch über die allgemeine Dienstpflicht gesprochen wurde, die Wehr- und Zivildienst gleich berechtigt und Männer und Frauen gleich verpflichtet. Aber inzwischen muss man einen Schritt darüber hinaus gehen. Angesichts der Weltlage ist es an der Zeit, Menschen zuzumuten, nicht mehr Waffen gegeneinander, sondern Verantwortung füreinander zu tragen. Gerade die vom Dienst gezeichneten Veteranen, die sich gegenseitig helfen, machen es vor. Eine Pflicht zur Fürsorge, zur Care-Arbeit, zur Erhaltung von Leben statt dessen Zerstörung – nicht nur für die Jugend. Carepflicht statt Wehrpflicht: Das wäre der Dienst, den unsere Gesellschaft heute wirklich braucht. Dann hätten wir auch eine Gesellschaft, für die es sich zu kämpfen lohnt.

Max Hauser ist Politökonom und Redakteur bei Surplus.