19. März 2021
Die wirtschaftlichen Folgen des Lockdowns sind unübersehbar: Kleinbetriebe bangen um ihre Existenz, während Großkonzerne profitieren. Diese Verstärkung der Kapitalkonzentration ist eine Konsequenz der Corona-Politik der Regierung.
In der Corona-Krise drohen gerade die kleinen Betriebe unterzugehen.
Ein Jahr Corona und noch immer keine verlässliche Perspektive, kein Licht am Ende des Tunnels. Die Krisenpolitik der Regierung ist kläglich gescheitert. Das gilt allen voran für Gesundheistminister Spahn, Wirtschaftsminister Altmaier und Finanzminister Scholz. Mittlerweile weiß man gar nicht mehr, wo man mit der Kritik anfangen soll: Impfstoffdebakel, fehlende Teststrategie, löchrige Wirtschaftshilfen, fehlgezündete »Konjunkturbazooka« – dazu jetzt noch auch eine veritable Lobbyismusaffäre.
Wie geht es der Wirtschaft? Nun, während die Industrie ganz gut durchkommt, sind vor allem die Firmen hart getroffen, die unser Angebot an Freizeitgestaltung stellen: Hotels, Restaurants, Bars, Kinos, Fitnessstudios, Bibliotheken sind geschlossen – teilweise seit Monaten. Wie viele von ihnen nach der Pandemie wieder auf die Beine kommen? Das weiß gerade niemand so recht. Wer von ihnen diese lange Durststrecke überstehen wird? Wohl am ehesten die großen Ketten der Restaurants, Hotels und Fitnesstudios. Sie werden vermutlich noch größer werden.
Die Kleinbetriebe, die üblicherweise weniger auf der hohen Kante hatten, ihr privates Vermögen anzapfen mussten und viel eher durch das Auffangnetz der Wirtschaftshilfen fallen, gehen auf dem Zahnfleisch. Um die verlorenen Monate schnellstmöglich aufzuholen, werden sich viele – so meine Befürchtung – mit haufenweise Überstunden und prekärer Arbeit selber aus dem Sumpf ziehen müssen. Der Druck fällt sowohl auf die Inhaber als auch die Beschäftigten zurück, die dann mit bis zu 40 Prozent Lohnverlust aus der Kurzarbeit zurückkommen.
Hier müssen wir natürlich bei der Wurzel des Problems anfangen: dem pandemiebedingten Lockdown. Jede Woche Lockdown kostet uns massiven Wohlstand. Der Ausweg scheint eigentlich klar: Testen und Impfen, so schnell und so viel wie möglich. Doch damit geht es bisher nur im Schneckentempo voran.
Spahn und Altmaier haben verpasst, sich frühzeitig um Produktionskapazitäten zu bemühen. Stattdessen wollte man den Impfstoff möglichst günstig einkaufen und zögerte mit Bestellungen. Das ist absurd. Denn im Vergleich zu den hohen Kosten des Lockdowns, fällt die Bepreisung für eine Pulle Impfstoff kaum ins Gewicht. Hier wurden die völlig falschen Prioritäten gesetzt.
Vor allem haben weder Spahn noch Altmaier das ökonomische Problem der Impfstoffproduktion einkalkuliert. Denn für die Hersteller, wie etwa Biontech, ist es aus wirtschaftlicher Sicht nicht sinnvoll, die Produktionsmenge schnellstmöglich dem großen gesellschaftlichen Bedarf anzupassen. Denn sobald die erste Impfwelle durch ist oder günstigere Alternativen der Konkurrenz den Markt fluten, hat Biontech ein Problem. Ein solches Unternehmen hätte dann viel Geld in Produktionslininen investiert, die es nicht mehr gebrauchen kann. Für Firmen ist das ein Albtraum.
Deshalb hätte es frühzeitig staatliche Eingriffe benötigt. So hätte etwa der Bund hochdotierte Prämien für die Mehrproduktion in Aussicht stellen oder sich mit öffentlichen Geldern an den Kosten der Produktionsausweitung beteiligen können. Der Bund hätte auch die Patente an sich binden und Lizenzen zur Produktion an die Pharmaunternehmen vergeben können. Doch nichts dergleich ist passiert. Ähnliches können wir gerade in Sachen Schnelltests beobachten. Wieder wird zu spät bestellt, wieder erfolgen keine Eingriffe, um die Produktionskapazitäten sicherzustellen, wird wieder blind auf den Markt vertraut. Der soll es regeln.
Je länger der Lockdown anhält, desto wichtiger sind die Corona-Hilfen für die Unternehmen. Doch auch hier hapert es an vielen Ecken. Im Frühjahr 2020 waren die Zugangshürden für die Hilfen noch viel zu hoch, heute kommen die Hilfen viel zu spät und sind für viele Branchen immer noch unzureichend. Unternehmen, die im Winter auf Hilfe angeweisen waren, mussten teilweise zwei bis drei Monate ohne jegliche finanzielle Unterstützung über die Runden kommen, weil der Bund noch keine Antragsplattform programmiert hatte. Wem das Geld ausging, der musste sich Kredite von der Bank nehmen und jetzt wegen der Verspätung der Corona-Hilfen zusätzliche Zinskosten zahlen.
Bei den Corona-Hilfen gibt es drei Grundprobleme. Erstens haben es Bund und Länder im Sommer versäumt, eine Antragsplattform für Hilfen in einer möglichen zweiten Welle programmieren zu lassen. Zweitens wurden bei der Soforthilfe im Frühjahr 2020, die noch relativ einfach ohne Steuerberater beantragt werden konnte und deshalb sehr schnell geflossen ist, Betrugsfälle bekannt. Daraufhin setzte die Regierung alles daran, um erneuten Betrug zu vermeiden. Doch wie hoch ist der Preis, wenn dafür andere Firmen im Stich gelassen werden? Die Prioritäten in der Abwägung zwischen der Umgehung der Betrugsanfälligkeit und der Schnelligkeit der Auszahlungen war unangemessen.
Und drittens ist Deutschland in seine eigene Falle getappt. Man hat sich bei Gründung der EU für ein sehr strenges Wettbewerbsrecht eingesetzt. Genau das fällt uns jetzt auf die Füße. Das strenge Wettbewerbsrecht mit unabhängiger Wettbewerbsbehörde sollte verhindern, dass ausländische Firmen, die in Konkurrenz mit deutschen Firmen stehen, mit öffentlichen Geldern unterstützt werden. Genau das sorgt heute dafür, dass die Zugangshürden für Corona-Hilfen mit mindestens 30 Prozent Umsatzverlust zu hoch sind oder dass gewisse Hilfen, wie etwa die Erstattung eines Unternehmerlohns nicht erlaubt sind. Der Unternehmerlohn wäre aber gerade für viele Selbstständige und inhabergeführte Kleinbetriebe sehr wichtig. Die Inhaberinnen bestreiten ihren Lebensunterhalt häufig aus den entnommenen Gewinnen der Betriebe, anstatt sich selbst einen Lohn zu zahlen. Doch wenn die Betriebe geschlossen haben und die Hilfen nur die laufenden Kosten, wie etwa Miete, Strom und Wasser decken, dann fallen die Inhaber durch das Raster. Dieses Problem ist besonders unter Friseurbetrieben und in der Gastronomie verbreitet.
Mitte Januar dieses Jahres waren rund zwei Drittel der für 2020 geplanten Gelder immer noch immer nicht abgeflossen. Von den beantragten rund 11 Milliardend Euro für die November- und Dezemberhilfe sind bis Anfang März – also drei bis vier Monate nach der Schließung – gerade einmal 7,7 Milliarden Euro ausgezahlt.
Noch immer ist die Pflicht zur Anmeldung pandemiebedingter Insolvenzen ausgesetzt. Die Maßnahme ist grundsätzlich richtig, wenn man den Firmen denn auch wirklich über den Berg helfen würde. Da das nicht passiert, droht eine Welle an Firmenpleiten, sobald die Pflicht zur Anmeldung – voraussichtlich gegen Sommer – wieder greift.
Trügerisch ist vor allem die Insolvenzstatistik. Trotz Krise sind die Insolvenzanmeldungen im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen und auf dem niedrigsten Stand seit Einführung der Insolvenzverordnung. Das mag verwundern, ist aber tatsächlich so. Die meisten Anmeldungen gab es im Dienstleistungssektor, doch auch diese sind im Vergleich zum Vorjahr um etwa 12 Prozent abgesunken. Das Problem: Wenn eigentlich insolvente Unternehmen weiter Geschäfte machen und sich von der Krise nicht erholen können, dann drohen Zahlungsausfälle bei gesunden Unternehmen. Das könnte einen gefährlichen Dominoeffekt auslösen. In Gefahr sind dabei vor allem die kleinen Betriebe, die sich davor deutlich schlechter schützen können als Ketten und Konzerne.
Es sieht nicht gut aus. Die Corona-Politik wirkt wie ein Aderlass für die deutsche Wirtschaft. Gerade die kleinen Betriebe, die Vielfalt in das Angebot bringen und die unter Umständen eine lange Familientradition haben, drohen unterzugehen. Dadurch verschärft sich ein schon länger anhaltender Trend – Riesenkonzerne wie Amazon oder Netflix und die Firmenketten werden immer größer und mächtiger. Damit gehen viele Probleme einher. Rechte, Schutz und gute Löhne für die Beschäftigten durchzusetzen, wird dann nicht einfacher – im Gegenteil. Höchste Zeit für einen Kurswechsel.
Maurice Höfgen ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Finanzpolitik im Bundestag und Autor des Buches »Mythos Geldknappheit«. Zudem betreibt er den YouTube-Kanal »Geld für die Welt«.