23. November 2020
Hoffnungen auf eine schnelle Zulassung des Corona-Impfstoffes sind groß, die Chancen auf eine faire Verteilung hingegen gering. Denn die Interessen der Pharma-Monopole verhindern, dass alle Länder gut versorgt werden.
Einen Großteil des Pfizer-Impfstoffes haben sich reiche Länder bereits im Voraus gesichert.
Die Nachricht, dass der Pharmakonzern Pfizer in Studien die Effektivität seines COVID-19-Impfstoffs nachweisen konnte, hat für große Erleichterung gesorgt. Der Chef von Pfizer sprach sogar von einem »großartigen Tag für die Wissenschaft und die Menschheit«.
In der Tat darf man sich über Durchbrüche bei der Impfstoffentwicklung freuen – allerdings nicht im Namen der ganzen Menschheit, sondern nur eines kleinen Teils. Reiche Länder wie Großbritannien, die USA, Japan, Kanada und die Europäische Union haben sich bereits über 80 Prozent des Impfstoffbestandes von Pfizer reservieren lassen, obwohl nur 14 Prozent der Weltbevölkerung dort leben.
Sollte der Impfstoff von Pfizer zugelassen werden, wird die Mehrheit der Weltbevölkerung – die in Ländern mit niedrigem oder mittlerem Durchschnittseinkommen lebt – kaum Zugang dazu erhalten. Dasselbe gilt für die Konkurrenz von Moderna, dessen Impfstoff zu 95 Prozent effektiv sein soll. 78 Prozent der Dosen wurden bereits von reichen Staaten gekauft, in denen nur 12 Prozent der Weltbevölkerung leben.
Auch ist es wahrscheinlich, dass durch die Patente, die Pfizer und BioNTech auf ihren Impfstoff angemeldet haben, mindestens zwanzig Jahre lang kein anderes Unternehmen denselben Wirkstoff herstellen wird und globale Engpässe somit bestehen bleiben. Durch das Patent erhält Pfizer ein Monopol und kann selbst entschieden, wer den Impfstoff zu welchen Konditionen erhält.
Es ist also keine Überraschung, dass der Impfstoff an den Meistbietenden versteigert wird und dass Pfizer und BioNTech geschätzte 13 Milliarden Dollar Profit erwirtschaften werden.
All dies erscheint höchst unfair, wenn nicht gar unmoralisch. Doch genauso funktioniert das System seit Jahrzehnten. Die Pharmaindustrie ist profitgeleitet: Sie nutzt Patentmonopole, um aus lebensrettenden Therapien den höchstmöglichen Gewinn zu schlagen.
So gehört die Pharmabranche zu den lukrativsten der Welt, zu Lasten von Milliarden von Patientinnen und Patienten, denen der Zugang zu grundlegender und lebensrettender medizinischer Versorgung verwehrt bleibt. In normalen Zeiten ist das schon schlimm genug, doch während einer Pandemie ist dieser Zustand desaströs.
Was kann also getan werden? Klar ist, dass kein Unternehmen allein die globale Nachfrage abdecken kann. Wenn die zu stellende Produktionsmenge das Hauptproblem darstellt, dann sollten Unternehmen wie Pfizer oder Moderna ihre Technologien für andere Hersteller zugänglich machen. Eine höhere globale Produktionskapazität würde dafür sorgen, dass mehr Menschen Zugang zu dem Impfstoff erhalten und exzessive Preisanstiege verhindert werden.
Die Weltgesundheitsorganisation hat letztes Jahr einen Mechanismus geschaffen, durch den ein solcher Technologietransfer organisiert werden könnte, den sogenannten »COVID-19 Technology Access Pool«. Dieser könnte ermöglichen, dass jedes Land und jedes Unternehmen der Welt Zugang zu Impfstoffen und Medikamenten bekommt. Doch bislang nehmen nur vier Länder daran Teil und die Pharmaindustrie lehnt das Vorhaben strikt ab. Der Pfizer-Chef nannte es »Unfug«.
Diese Reaktion ist wenig überraschend. Warum sollte ein profitorientiertes Unternehmen seine Geschäftsgeheimnisse jemals an die Konkurrenz verraten wollen? Tatsächlich ist genau das schon einmal geschehen.
Der »Medicines Patent Pool«, eine Institution der Vereinten Nationen, hat in der Vergangenheit erfolgreich die Weitergabe von Generika zur Behandlung von HIV, Tuberkulose und Hepatitis C an Länder mit niedrigen und mittleren Einkommen verhandelt. Zwar hat Moderna zugesichert, während der Pandemie auf die Durchsetzung der eigenen Patentrechte zu verzichten, allerdings hat das Unternehmen noch nicht versprochen, seine Technologie tatsächlich auch für andere Anbieter zugänglich zu machen.
Öffentliche Mittel spielten bei der Entwicklung von Impfstoffen gegen COVID-19 eine entscheidende Rolle. Weltweit wurden über 5,5 Milliarden Dollar in die Forschung und Entwicklung von COVID-19-Impfstoffen investiert. Pfizer behauptet zwar, keine öffentliche Förderung erhalten zu haben, was allerdings außen vor lässt, dass viele reiche Staaten den Impfstoff bereits im Voraus kauften, bevor dessen Wirksamkeit überhaupt belegt worden war, und dass die Partnerfirma BioNTech 375 Millionen Euro an öffentlichen Fördergeldern von der deutschen Regierung bekommen hat.
Die wissenschaftlichen Erkenntnisse und Methoden, auf denen der Impfstoff von Pfizer wie auch die meisten Alternativen basieren – Spike-Protein-Technologien –, wurden durch Forschungsgelder der US-Regierung finanziert. Dass ein öffentlich geförderter Impfstoff der öffentlichen Gesundheitsvorsorge dienen sollte – durch entsprechende Preiskontrollen, offene Lizenzen und der Weitergabe des nötigen Fachwissens für dessen Herstellung – sollte daher alles andere als kontrovers sein.
Regelungen die auf Freiwilligkeit basieren sind letztlich immer davon abhängig, dass Firmen von sich aus das Richtige tun. In der jetzigen Situation sollten sie dazu aber verpflichtet werden.
Die Regierungen von Indien und Südafrika haben der internationalen Handelsorganisation bereits vorgeschlagen, die Regeln, die das Monopol der Pharmakonzerne zementieren, bis zum Ende der Pandemie einzustellen. Dies würde alle Medizinprodukte zur Behandlung von und Vorsorge gegen COVID-19 betreffen und so lange gelten, bis Impfungen weit verbreitet sind und eine globale Herdenimmunität erreicht ist.
Die vorübergehende Einstellung dieser ungerechten Regeln würde viel bewirken: Große Pharmamonopole würden aufgebrochen und COVID-19 könnte global durch den Einsatz aller zu Verfügung stehenden Mittel bekämpft werden. Länder des globalen Südens begrüßen solche Vorschläge ausdrücklich, während sich der reiche Norden dagegen sträubt.
Stattdessen setzten Länder wie Großbrittanien auf einen globalen Impfstoffeinkaufsfond, das sogenannte »Covax-Programm«, das von der Gates-Stiftung unterstützt wird und den weltweit ungleichen Zugang zu Impfstoffen bekämpfen soll. Die Grundidee ist, dass sich Länder zusammenschließen sollen, um gemeinsam Impfstoffe einzukaufen und sie dann untereinander fair zu verteilen.
Die britische Regierung unterstützt Covax lautstark und untergräbt es doch gleichzeitig, indem sie abseits des Fonds weiterhin Impfstoffe erwirbt. Solches Verhalten befeuert eine Art Impfstoff-Nationalismus und verleitet andere reiche Länder dazu, ähnlich egoistisch vorzugehen.
51 Prozent der globalen Vorräte wurden bereits von reichen Staaten aufgekauft, was die Frage aufwirft, ob für Covax dann überhaupt noch genug übrigbleibt. Letztlich ist das Covax-Programm nicht bereit, die Monopolstellung von Pharmaunternehmen in Frage zu stellen oder einen globalen Patentpool zu unterstützen, und so bleibt der Allianz nichts anderes übrig, als auf die Überreste zu hoffen, die reiche Käuferländer zurücklassen könnten.
Jetzt ist der ideale Zeitpunkt für eine Neuausrichtung des globalen pharmazeutischen Systems, um die öffentliche Gesundheit vor den Profiten der Konzerne zu priorisieren. Es steht zu viel auf dem Spiel, als dass man Pharma-Monopole weiterhin den Zugang zu Impfstoffen und Behandlungen zur Bekämpfung von COVID-19 beschränken lassen könne.
Überall auf der Welt wird verzweifelt auf das Ende der Lockdowns und Kontaktbeschränkungen gewartet. Jedes Land verdient es, Zugang zu Impfstoffen und Medikamenten gegen das Virus zu bekommen. Ohne eine Öffnung der Produktion für andere Unternehmen wird dieses Ziel nicht erreichbar sein.
Wenn das nicht freiwillig geschieht, müssen Regierung diese Schritte anordnen.