08. Oktober 2021
Detlef Nakath starb am Tag der deutschen Einheit. Wie kaum ein anderer forschte er zu den Wechselwirkungen und Spannungen der beiden Staaten.
Detlef Nakath, 1949-2021.
Am 3. Oktober starb Dr. Detlef Nakath. Der Historiker, der vor allem über die deutsch-deutschen Beziehungen in der Zeit des Kalten Krieges forschte und publizierte, war Hochschuldozent an der Berliner Humboldt-Universität und später lange Jahre Mitarbeiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung sowie Mitglied der Leibniz-Sozietät. Erst im vergangenen Jahr hatte Nakath den viel rezipierten Band Ausschluss. Das Politbüro vor dem Parteigericht herausgegeben, der anhand von Tonbandprotokollen und schriftlichen Stellungnahmen die Parteiausschlussverfahren gegen ehemalige Mitglieder des Politbüros der SED nachzeichnete, die unmittelbar nach dem Sonderparteitag der SED/PDS im Dezember 1989 und Januar 1990 stattfanden. Wie viele seiner Arbeiten entstand auch diese im Karl Dietz Verlag erschienene Edition in Kollaboration mit seinem Kollegen und Freund Gerd-Rüdiger Stephan. Das Thema dieses Bandes war indes alles andere als Zufall, denn Michael Schumanns Rede auf diesem Parteitag – »Wir brechen unwiderruflich mit dem Stalinismus als System!« – diente Nakath als Leitmotiv seiner Forschung.
Der 1949 geborene Detlef Nakath studierte seit Anfang der 70er Jahre Geschichtswissenschaften und Völkerrecht an der Berliner Humboldt-Universität. Die DDR hatte in der 1968 vollzogenen dritten Hochschulreform ans US-amerikanische Department-System angelehnte »Sektionen« eingeführt, so auch für das Fach Geschichte, wo er den Studiengang als Diplomhistoriker absolvierte. Seinem Seminarbetreuer, Prof. Siegfried Prokop, zufolge stach er durch seinen Ideenreichtum ebenso heraus wie durch seine »sehr verbindliche Art, mit Menschen umzugehen«. »Detlef dachte immer nach vorne«, erinnert sich Prokop.
In dieser Zeit waren die jungen Wissenschaftler gehalten, sich auf die DDR-Geschichte zu konzentrieren – keine leichte Aufgabe für einen Historiker angesichts der ideologisch zugespitzten Wertung durch die SED. Die Geschichte der Bundesrepublik wurde ausgelagert und abgewertet: sie »wurde behandelt wie Australien, wie wir spaßeshalber gesagt haben«, erzählt Prokop. Schon der Begriff »Zeitgeschichte« war verpönt.
Nakaths 1982 abgeschlossene, auf umfangreichem Quellenstudium beruhende Dissertation befasst sich mit dem innerdeutschen Handel, der in den 1960er Jahren von der Kündigung des Handelsabkommens durch die Bundesrepublik geprägt war und in den 1970er Jahren der wichtigste Baustein für die Wirtschaftsbeziehungen zwischen DDR und BRD wurde. Nakath konnte dort unter anderem nachweisen, dass der sogenannte Swing – der zinslose Überziehungskredit –, den die DDR häufig in Anspruch nahm, mitunter auch von der Bundesrepublik genutzt wurde. Die Wahl des innerdeutschen Handels als Dissertationsthemas war nicht zuletzt ein Trick, um sich überhaupt auch mit der Geschichte der Bundesrepublik befassen zu können.
Seit 1977 war Nakath als wissenschaftlicher Aspirant, Assistent und Oberassistent tätig. Nach der Dissertation arbeitete er vor allem zur Sozialgeschichte der DDR. Auch die Wahl dieses Themas hatte ihre Eigenarten, galt die Sozialgeschichte manchem SED-Hardliner doch schlicht als »Revisionismus«. Auch wollten die DDR-Verlage keinen Arbeiten zu diesem Themenfeld publizieren, sieht man einmal ab von Hartmut Zwahrs Werk Zur Konstituierung des Proletariats als Klasse. Strukturuntersuchung über das Leipziger Proletariat während der industriellen Revolution. In seinen neuen Funktionen war Nakath an der Organisation internationaler Konferenzen beteiligt, reiste zum wissenschaftlichen Austausch nach London und vertrat seinen Doktorvater Prokop während dessen Gastprofessuren in Paris und Moskau. 1988 folgte die »Promotion B«, die Habilitation, im Februar 1989 wurde er dann zum Hochschuldozenten für die Geschichte der DDR an der Humboldt-Universität berufen.
Nur ein paar Monate später begann die »Wende« in der DDR. Dass Nakath auf der Seite der Reformer stand, nützte ihm beruflich wenig. Zwar wurde er 1990 zum stellvertretenden Direktor des Instituts für Geschichtswissenschaften gewählt, aber es folgte bald die »Abwicklung«: 1993 ging seine Dozentur an der Humboldt-Universität zu Ende.
Es war für nahezu alle Historikerinnen und Historiker der DDR eine harte Zeit, aber Detlef Nakath ließ sich nicht unterkriegen. Von 1994 bis 2000 arbeitete er in zwei Forschungsprojekten der Deutschen Forschungsgemeinschaft. In diese Zeit fallen zahlreiche seiner Buchveröffentlichungen, insbesondere zur deutsch-deutschen Geschichte und zur Geschichte von SED und PDS, darunter die Handbücher zur SED und zu den Parteien und Organisationen der DDR, aber auch der wichtige Protokollband des Außerordentlichen Parteitags der SED/PDS im Dezember 1989.
Im Zentrum seines wissenschaftlichen und publizistischen Interesses stand weiterhin die spannungsreiche Geschichte der beiden deutschen Staaten, die er in zahlreichen – oft gemeinsam mit Gerd-Rüdiger Stephan oder Daniel Küchenmeister editierten – Publikationen nachzeichnete, zu denen u.a. Arbeiten zur SED-Westpolitik 1973–1985, die dokumentierten Geschichten der deutsch-deutschen Beziehungen 1980–1990 und die Untersuchung der Spitzenkontakte zwischen SED, PDS und KPdSU 1989–1991 zählen. Ein großes Echo fand das von ihm mit herausgegebene Handbuch deutsche Zeitgeschichte, das in Frankreich, Großbritannien, den USA und Israel positiv besprochen wurde – nicht aber in Deutschland, wo man die Arbeiten früherer SED-Mitglieder schlechtredete oder ganz zu ignorieren trachtete. Daneben schrieb Nakath auch zu anderen Themen und steuerte etwa einen Beitrag zum von Angelika Timm publizierten Band über das gestörte Verhältnis der DDR zum Zionismus und zum Staat Israel (Hammer, Zirkel, Davidstern) bei.
Seit der deutschen Vereinigung hatten sich Bücher zur DDR-Geschichte durchaus einer gewissen Beliebtheit erfreut; was jedoch fast gänzlich fehlte, war der Versuch, die Geschichte beider deutscher Staaten in ihren Beziehungen und Wechselwirkungen, ihren Gemeinsamkeiten und Unterschieden zu untersuchen. In diesem Kontext setzte Nakath 2002 einen wichtigen Impuls durch die Veröffentlichung seiner langjährigen Forschungen zum innerdeutschen Handel unter dem Titel Deutsch-deutsche Grundlagen. Zur Geschichte der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der DDR und der Bundesrepublik in den Jahren von 1969 bis 1982.
Ab 2003 arbeitete Nakath für die Rosa-Luxemburg-Stiftung, ab Herbst 2006 als Geschäftsführer der Stiftung in Brandenburg. Bereits Mitte der 1990er Jahre war er aus der Berliner Linienstraße nach Potsdam übergesiedelt, wo seine Frau eine Tätigkeit als wissenschaftliche Archivarin aufgenommen hatte. Auch in seiner neuen Funktion verfolgte Nakath das Thema, das ihn sein Leben lang begleitete. Insbesondere die »Potsdamer Kolloquia zur Außen- und Deutschlandpolitik«, die er jährlich ausrichtete, erregten überregional Aufsehen mit Gästen wie Egon Bahr, Valentin Falin oder Hermann Freiherr von Richthofen, auch weil die »Protokolle«, von Marga Voigt lektoriert, regelmäßig veröffentlicht wurden.
2015 ging Nakath in den Ruhestand, war aber als Vorstandsmitglied weiterhin maßgeblich an der Ausrichtung der Rosa-Luxemburg-Stiftung beteiligt. Auch seiner Publikationstätigkeit tat der Ruhestand keinen Abbruch. Er hatte noch viel vor.
Mit Detlef Nakath verliert die deutsche Linke einen Historiker, der bleibende Beiträge zur Geschichte der DDR und zu den deutsch-deutschen Beziehungen verfasst hat – und einen wundervollen Menschen, mit dem der Austausch nicht nur intellektuell anregend, sondern immer auch persönlich war.