01. September 2023
Pilotprojekte von Island bis Spanien zeigen: Die 4-Tage-Woche funktioniert. Und auch in Deutschland wünscht sich die Mehrheit der Beschäftigten, ihre Arbeitszeit zu reduzieren. Wenn die Gewerkschaften Druck machen, kann dieser Wunsch Wirklichkeit werden.
Freitags entspannen am See? In Zukunft könnte jede Woche verlängertes Wochenende sein.
IMAGO / imagebrokerViele Menschen wünschen sich mehr Zeit mit ihrer Familie, mit Freundinnen und Freunden oder auch einfach nur für sich. Mehr Zeit, persönlichen Interessen und Projekten nachzugehen, sich um ihre Gesundheit zu kümmern, das Leben zu genießen. Diese Wünsche stoßen in der Regel an die Grenze der Arbeitswoche. Doch die Länge der Wochenarbeitszeit steht nicht in Stein gemeißelt, sondern ist seit jeher eine Verteilungs- und Machtfrage. Mit der aktuellen Diskussion über die 4-Tage-Woche geht der historische Kampf um die Arbeitszeit in eine neue Etappe. Und erste Versuche zeigen: Die 4-Tage-Woche bietet viel mehr als einfach nur mehr Freizeit.
Im vergangenen Jahrzehnt standen vor allem stärker selbstbestimmte Arbeitszeiten auf der Agenda der Gewerkschaften. Indem sie ihre Mitglieder mobilisierten und harte Tarifrunden ausfochten, erreichten sie neue Regelungen mit individuellen Wahloptionen zwischen Zeit und Geld. Diese erleichtern nun die Kinderbetreuung und Pflege von Angehörigen und reduzieren die Belastung für Schichtbeschäftigte.
Obgleich auch diese Auseinandersetzungen gesellschaftspolitische Dimensionen beinhalteten, wird die 4-Tage-Woche in ungleich höherem Maße bereits im Vorfeld von Tarifforderungen öffentlichkeitswirksam und politisch kontrovers diskutiert. Das mag auch daran liegen, dass Pilotprojekte und erste Reformschritte im Ausland deutlich machen: Die Frage stellt sich nicht rein theoretisch oder in unbestimmter Zukunft, sondern ganz konkret im Hier und Jetzt. Wie Umfragen zeigen, sind auch die Beschäftigten längst bereit für die 4-Tage-Woche.
Ob die IG Metall mit einer Forderung nach einer 4-Tage-Woche in die diesjährige Tarifrunde der Stahlindustrie gehen wird, entscheiden die Mitglieder der Tarifkommission der nordwestdeutschen Stahlindustrie im Herbst. Dass die Debatte darüber seit einigen Monaten im Stahlbereich intensiv geführt wird, ist kein Zufall. Für eine Arbeitszeitverkürzung und eine 4-Tage-Woche gibt es in der Eisen- und Stahlindustrie gute Anknüpfungspunkte durch bereits vorhandene Tarifregelungen, die den Beschäftigten ermöglichen, weniger als 35 Stunden in der Woche zu arbeiten.
Auch in der Metall- und Elektroindustrie spielt die Frage bereits seit 2020 eine stärkere Rolle. Um den durch Digitalisierung, Energiewende und Klimawandel getriebenen Strukturwandel zu meistern, schlug der Erste Vorsitzende der IG Metall, Jörg Hofmann, im Vorfeld der Tarifrunde der Metall- und Elektroindustrie 2021 eine 4-Tage-Woche als Wahlmöglichkeit für Unternehmen vor. Und auch hier läßt sich an vorhandene Regelungen in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen anknüpfen. So konnten bei VW 1993 durch die Einführung der 28,8-Stunden- beziehungsweise 4-Tage-Woche 30.000 Entlassungen vermieden werden.
»Die Teilnehmenden litten weniger an Formen von Burnout, erlebten insgesamt weniger Stress und konnten Arbeit und Privatleben besser vereinbaren.«
Die Tarifverträge zur Beschäftigungssicherung, die 1994 für alle Tarifgebiete der Metall- und Elektroindustrie abgeschlossen wurden, eröffneten den Betriebsparteien ebenfalls die Möglichkeit, eine Arbeitszeitverkürzung zu vereinbaren, allerdings ohne Entgeltausgleich. Und 2021 kamen weitere Vereinbarungen dazu, die es ermöglichen, die Arbeitszeit abzusenken, falls es im Kontext der Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaft zu Beschäftigungsproblemen kommt.
Außerdem können – jenseits klassischer Teilzeit – alle Beschäftigten auf Basis des Ergebnisses der Tarifrunde 2018 das Modell einer »verkürzten Vollzeit« wählen und so ihre Arbeitszeit auf bis zu 28 Stunden absenken. Allerdings gibt es auch in diesem Fall keinen Entgeltausgleich, sodass sich die Frage stellt, wer sich diese Form der Arbeitszeitverkürzung überhaupt leisten kann.
Während hierzulande erste Debatten und vorsichtige Schritte in Richtung Arbeitszeitverkürzung stattfinden, ist man in anderen Ländern schon weiter. Um zu untersuchen, was passiert, wenn man die Arbeitszeit reduziert, wurden in Island zwischen 2015 und 2021 zwei Pilotprojekte durchgeführt. Die Wochenarbeitszeiten in Island gehörten zu diesem Zeitpunkt mit 44 und 45 Stunden für Vollzeitkräfte laut OECD zu den höchsten weltweit. Auf Druck des Gewerkschaftsbundes Bandalag Starfsmanna Ríkis og Bæja (BSRB) beschloss der Stadtrat von Reykjavik die erste Studie.
Dabei bekamen zunächst ausgewählte Angestellte des öffentlichen Diensts ihre wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden auf 35 oder 36 Stunden reduziert – und dies bei gleichem Einkommen. Bis 2019 nahmen rund 2.500 Beschäftigte aus verschiedenen Bereichen wie Büro, Kindergärten, Pflegeeinrichtungen und städtischen Instandhaltungseinrichtungen an der Studie teil. Aufgrund des großen Erfolgs verpflichtete sich die isländische Regierung gegenüber dem Gewerkschaftsbund zu einem weiteren Pilotprojekt, das von 2017 bis 2021 mit weiteren 440 Beschäftigten des öffentlichen Sektors durchgeführt wurde.
Die Ergebnisse waren bestechend: »Die Produktivität und die erbrachte Leistung blieben gleich oder verbesserten sich sogar bei den meisten Versuchsarbeitsplätzen« heißt es im Studienbericht. Die Teilnehmenden gaben an, weniger gestresst zu sein und sich seltener Burn-out-gefährdet zu fühlen, ihre Work-Life-Balance habe sich deutlich verbessert. Nach dem Ende der Pilotprojekte schlossen mehrere Gewerkschaften mit dem Arbeitgeberverband, der isländischen Regierung und einzelnen Kommunalverwaltungen Tarifverträge für ihre Mitglieder, die eine Arbeitszeitreduzierung garantierten. Bis Juni 2021 umfassten diese neuen Tarifverträge rund 170.200 Gewerkschaftsmitglieder der 197.000 Erwerbstätigen in Island – das entspricht rund 86 Prozent.
»70 Prozent der Beschäftigten gaben an, dass sie eine Gehaltserhöhung zwischen 10 und 50 Prozent angeboten bekommen müssten, um zu einer vollen 5-Tage-Woche zurückzukehren.«
In Großbritannien verkündete die Labour Party bereits 2019, im Laufe des nächsten Jahrzehnts eine 4-Tage-Woche einführen zu wollen. Von Juni bis Dezember 2022 wurde mit Begleitung seitens der Universitäten Cambridge und Oxford sowie des Boston College eine Studie durchgeführt, an der mehr als siebzig Unternehmen und Organisationen und mehr als 3.300 Beschäftigte aus mehr als dreißig Branchen teilnahmen.
Vorgabe für die Teilnahme an der Studie war, dass die Reduzierung der Arbeitszeit bei vollem Lohn für die Beschäftigten erfolgen sollte. Wie genau die Arbeitszeit verkürzt werden sollte, war nicht festgelegt – von täglicher Reduzierung bis zu verschiedenen Modellen einer 4-Tage-Woche war vieles möglich. Am häufigsten wurde das Modell einer 4-Tage-Woche mit Freitag als dem freien Tag realisiert (32 Prozent), auch die Optionen mit Montag oder Freitag (25 Prozent) und mit keinem gemeinsamen freien Tag (25 Prozent) wurden relativ häufig gewählt.
Einige Unternehmen befinden sich derzeit noch in der Pilotphase. Die Auswertung der Daten von 61 Unternehmen ergab allerdings bereits ein klares Bild: Bei einer deutlich reduzierten Arbeitszeit konnte die Produktivität in der Regel so gehalten oder gesteigert werden, dass der Output insgesamt gleich blieb. Für die Unternehmen wirkte sich die Reduzierung der Arbeitszeit so positiv aus, dass 56 von 61 angaben, direkt mit einer kürzeren Wochenarbeitszeit weiterzumachen. 30 Prozent gaben an, die 4-Tage-Woche dauerhaft weiterzuführen.
Auch die Beschäftigten bewerteten das Pilotprojekt überwiegend positiv. Die Teilnehmenden meldeten zurück, dass die gestiegene Freizeit ihre Gesundheit verbessert und ihr Wohlbefinden erhöht hat. Sie litten weniger an Formen von Burnout, erlebten insgesamt weniger Stress und konnten Arbeit und Privatleben besser vereinbaren. Die Zahlen bestätigten dies: Die Krankheitstage gingen um 65 Prozent zurück, die Zahl der Beschäftigten, welche die Unternehmen verließen, fiel um 57 Prozent.
Auf die hypothetische Frage, wofür sie sich entscheiden würden, weniger Arbeitszeit oder mehr Gehalt, antworteten 70 Prozent der Beschäftigten, dass sie eine Gehaltserhöhung zwischen 10 und 50 Prozent angeboten bekommen müssten, um zu einer vollen 5-Tage-Woche zurückzukehren. Weitere 8 Prozent gaben an, dass sie ein um mehr als 50 Prozent höheres Gehalt oder mehr angeboten bekommen müssten, und 15 Prozent, dass keine Gehaltserhöhung sie dazu bringen könnte, wieder so lange zu arbeiten, wie früher.
»Wenn sich die Menschen mehr selbst um ihre Angehörigen kümmern könnten, würde auch die institutionelle Kinderbetreuung und Pflegeversorgung entlastet.«
In Portugal verabschiedete die Regierung im Dezember 2022 ein Pilotprojekt zur 4-Tage-Woche, das aktuell über das Ministerium für Arbeit, Solidarität und Soziale Sicherheit im öffentlichen Sektor in mehreren Phasen durchgeführt wird. Insgesamt 145 Unternehmen aus verschiedenen öffentlichen Bereichen, mit dem Schwerpunkt bei den wissenschaftlichen und technischen Dienstleistungen (knapp 40 Prozent aller teilnehmenden Unternehmen), nehmen an dem Projekt teil. Die Beschäftigten verkürzen ihre Wochenarbeitszeit und bekommen dafür den gleichen Lohn. Auch hier soll untersucht werden, wie sich eine 4-Tage-Woche auf die Wirtschaft, die Produktivität sowie die körperliche und geistige Gesundheit und das Wohlergehen der Beschäftigten auswirkt, und auch, ob sich Veränderungen beim Anwerben von Fachkräften feststellen lassen.
In Spanien unterstützt die linksgerichtete Regierung seit diesem Jahr mit 9,6 Milliarden Euro staatlicher Förderung einen Test der 4-Tage-Woche, an dem kleinere und mittelgroße Unternehmen für mindestens zwei Jahre teilnehmen können. Dabei sollen bis zu 30 Prozent der Beschäftigten mindestens 10 Prozent weniger Stunden bei vollem Lohn beziehungsweise Gehalt arbeiten. Die beteiligten Unternehmen erhalten dafür eine finanzielle Entschädigung.
Ein anderes Modell der 4-Tage-Woche wird in Belgien verfolgt. Im Februar 2022 einigte sich die Regierung auf grundlegende Reformen des Arbeitsmarkts. Teil davon ist auch eine 4-Tage-Woche, allerdings bei insgesamt gleichbleibender Arbeitszeit. So haben Vollzeitbeschäftigte die Möglichkeit, einen zusätzlichen freien Tag in der Woche zu wählen, müssen dafür aber mehr Stunden pro Tag an den verbleibenden Tagen arbeiten. Bei diesem Modell geht es also nicht um Arbeitszeitreduzierung, sondern um mehr Flexibilität bei der Einteilung der Wochenarbeitszeit.
Inzwischen gibt es in vielen Ländern weitere Pilotprojekte einer 4-Tage-Woche und weltweit testen zudem einzelne Unternehmen – auch etliche in Deutschland – ihre Umsetzung und Wirkungen. Im Prinzip gibt es zwei unterschiedliche Modelle: Einerseits solche, bei denen der zusätzliche freie Tag durch Arbeitszeitverkürzung realisiert wird – und dies bei vollem oder teilweisen Entgeltausgleich. Und andererseits solche, bei denen die Stunden des freien Tages auf die vier verbleibenden Tage im Betrieb umgelegt werden und die Arbeitstage sich dadurch verlängern.
Aus zahlreichen früheren Untersuchungen ist bekannt, dass sich viele Beschäftigte kürzere Arbeitszeiten wünschen. In einer neueren Studie der Hans-Böckler-Stiftung wurde auf Basis aktueller Befragungsdaten die Einstellung von 2.575 Vollzeit-Beschäftigten zu einer 4-Tage-Woche erhoben. Das Ergebnis war eindeutig: Rund 81 Prozent wünschen sich eine 4-Tage-Woche mit entsprechend niedrigerer Wochenarbeitszeit. Allerdings machen 73 Prozent der Befragten ihre Zustimmung von einem Entgeltausgleich abhängig. Nur 8 Prozent würden ihre Arbeitszeit auch dann reduzieren, wenn sie dadurch weniger Geld verdienen würden.
Zu dem Ergebnis, dass sich der Großteil der abhängig Beschäftigten eine 4-Tage-Woche wünscht, kam zuvor auch eine weitere repräsentative Studie, die von HDI-Versicherungen in Auftrag gegeben wurde. Dabei gaben 76 Prozent der Befragten an, sie würden eine 4-Tage-Woche begrüßen – in der Industrie waren es sogar 86 Prozent. Und auch hier wurde die Zustimmung mehrheitlich an einen Lohnausgleich gebunden: Nur 14 Prozent erklärten sich bereit, dafür auf einen Teil ihres Lohnes zu verzichten.
Die Ergebnisse sowohl aus den Pilotprojekten als auch aus den Studien und Umfragen könnten deutlicher nicht sein. Sie zeigen: Die Zeit ist reif für eine neue Phase in der Politik der Arbeitszeitverkürzung. Ohne die Unterschiede in den Rahmenbedingungen in verschiedenen Ländern und Branchen gering zu schätzen, spricht vieles dafür, die Wünsche der Beschäftigten ernst zu nehmen und das Modell einer 4-Tage-Woche in Erwägung zu ziehen.
Eine 4-Tage-Woche brächte den Beschäftigten viele Vorteile. Sie wäre mit mehr Zeitsouveränität verbunden – insbesondere bei Modellen, in denen sie ihren freien Tag flexibel wählen können. Kürzere und mehr selbstbestimmte Arbeitszeiten verbessern die Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben sowie die Möglichkeit, Erwerbs- und Hausarbeit geschlechtergerechter aufzuteilen. Menschen, die einen zusätzlichen Tag in der Woche frei haben, können sich besser von ihrer Arbeit erholen und regenerieren, sie werden eher den lange aufgeschobenen Arztbesuch unternehmen und allerlei andere Maßnahmen treffen, um gesund zu bleiben.
Außerdem bleibt in einer 4-Tage-Woche auch mehr Zeit, sich zivilgesellschaftlich und politisch zu engagieren, das könnte Krisenerscheinungen der Demokratie entgegenwirken. Viele Beschäftigte müssten einen Tag weniger pro Woche zur Arbeit pendeln, was auch auch dem Klimaschutz dienen würde. Und nicht zuletzt würde die kürzere Arbeitszeit zur Sicherung der Beschäftigung beitragen.
»Nichts wird besser, wenn wir alle weniger arbeiten.«
— Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger
Das alles hätte also auch Vorteile für die Gesellschaft als Ganze. Geringere Krankenstände und höhere Vollzeitbeschäftigung würden die Sozialkassen stabilisieren. Auch würde die institutionelle Kinderbetreuung und Pflegeversorgung entlastet, wenn sich die Menschen mehr selbst um ihre Angehörigen kümmern könnten. Klimaschutz und Demokratie könnten gestärkt werden. Ganz abgesehen davon, dass gerade in Zeiten der wirtschaftlichen Transformation die Gesellschaft herausgefordert ist, den Menschen Hilfe zur Bewältigung anzubieten und Qualifizierung und Beschäftigung zu fördern.
Auch für die Unternehmen sind positive Effekte zu erwarten: Die 4-Tage-Woche würde den Fachkräftemangel nicht verschärfen, wie von ihrer Seite fälschlicherweise ins Feld geführt wird, sondern könnte im Gegenteil helfen, den Fachkräftemangel zu lindern. Denn so ließe sich unfreiwillige Teilzeitbeschäftigung insbesondere von Frauen aufstocken. Und da sich die Menschen besser von der Arbeit erholen könnten, würde in vielen Fällen der Einritt in die Altersteilzeit später erfolgen. Auch gäbe es erwartbar weniger Abwesenheit durch Krankheit und weniger Kündigungen seitens der Beschäftigten.
Damit die Beschäftigten auch wirklich in den Genuss aller dieser Vorteile kommen, muss die 4-Tage-Woche mit einer echten Arbeitszeitverkürzung verbunden sein und der 8-Stunden-Tag beibehalten werden. Ansonsten ergeben sich regelmäßig überlange Arbeitstage, was nicht nur anstrengend, sondern laut arbeitswissenschaftlicher und -medizinischer Erkenntnisse auch ungesund ist. Zudem können sich für arbeitende Eltern neue Probleme ergeben, wenn sie an den vier verbleibenden Tagen länger im Betrieb sein müssen.
Ebenso zentral ist ein Entgeltausgleich, damit sich die Beschäftigten – insbesondere auch diejenigen mit niedrigeren Einkommen – die 4-Tage-Woche auch wirklich leisten können. Wichtig ist außerdem, die arbeitsorganisatorischen Strukturen an die veränderte Ausgangslage anzupassen. Das betrifft sowohl die Arbeitsabläufe als auch die Arbeitsmenge. Wenn letztere gleichbleiben soll, wird mehr Personal benötigt. Gegebenenfalls müssen auch Vertretungs- und Erreichbarkeitsregelungen angepasst werden.
Denn die 4-Tage-Woche darf nicht zu einer Leistungsverdichtung und höheren Arbeitsbelastung führen, sondern muss im Gegenteil mit einer Entlastung der Beschäftigten verbunden sein. Dazu können auch flexible Modelle beitragen, bei denen der freie Tag je nach persönlichem und/oder betrieblichem Bedarf festgelegt wird.
Mit Blick auf die Geschichte der Arbeitszeitverkürzung dürfte klar sein, dass sich dies in Deutschland nicht ohne harte Auseinandersetzungen realisieren lässt. Insbesondere die Forderung nach einem Entgeltausgleich bei kürzeren Arbeitszeiten war seitens der Arbeitgeber immer mit einem Tabu belegt. »Voller Lohnausgleich« für die Beschäftigten konnte stets nur über Arbeitskämpfe erzwungen werden. Es ist daher wenig verwunderlich, dass sich die Arbeitgeber bereits im Vorfeld konkreter Forderungen nach einer 4-Tage-Woche eindeutig ablehnend positioniert haben. So sagte beispielsweise Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger in einem Interview: »Nichts wird besser, wenn wir alle weniger arbeiten. Die […] Viertagewoche gefährdet unseren Wohlstand.«
Daher sind die Gewerkschaften gut beraten, Bündniskonstellationen auszuloten und auszubauen. Berührungspunkte gibt es dabei mit sozialen Bewegungen, namentlich der Ökologiebewegung und der Frauenbewegung, aber auch mit Kirchen und gesellschaftlichen Institutionen und Vereinen und nicht zuletzt mit der kritischen Wissenschaft. Hier ist überall noch Luft nach oben. Auch genügend Unterstützung durch die Politik wird nur durch hohen Druck zu erreichen sein.
»Die Zeit ist reif für eine neue Phase in der Politik der Arbeitszeitverkürzung.«
Die Gewerkschaften müssen die Durchsetzungsperspektiven und Realisierungsbedingungen einer 4-Tage-Woche in der jeweiligen gesellschafts-, sozial- und wirtschaftspolitischen Situation genau prüfen und die jeweils aktuellen Rahmenbedingungen in ihre Forderungskonzepte aufnehmen. Zudem stellen sich angesichts der Differenzierung in der Arbeitszeitlandschaft etliche Fragen bezogen auf die Umsetzung einer 4-Tage-Woche. Auch in der Metall- und Elektroindustrie West arbeiten beispielsweise nicht alle Beschäftigten in einer 35-Stunden-Woche, die in vier Tagen relativ einfach auf eine 32-Stunden-Woche reduziert werden kann. Und in der ostdeutschen Metall- und Elektroindustrie geht es weiterhin darum, die vereinbarte Arbeitszeit betrieblich von 38 auf 35 Stunden zu reduzieren und die 35-Stunden-Woche flächendeckend durchzusetzen.
In den letzten Tarifrunden konnten Schritte in Richtung individueller Wahlmöglichkeiten und höherer Zeitsouveränität für die Beschäftigten sowie erweiterte Möglichkeiten zur Beschäftigungssicherung verankert werden. Es schließt sich nicht aus, diese Wege weiterzugehen und sich zugleich wieder stärker der allgemeinen kollektiven Arbeitszeitverkürzung zuzuwenden.
Die Pilotprojekte in anderen Ländern belegen, dass die 4-Tage-Woche attraktiv und realisierbar ist. Zugleich bestätigt sich, dass die Frage »Wem gehört die Zeit?« nach wie vor eine zentrale Verteilungs- und Machtfrage ist – mit entscheidender Bedeutung für die individuelle und gesellschaftliche Lebensqualität. Es geht dabei »um die Prinzipien gesellschaftlicher Organisierung von Arbeit, ja, einer freien und gerechten Gesellschaft selbst«, wie der Soziologe Oskar Negt treffend formuliert hat. In diesem Sinne als emanzipatorisches Projekt begriffen, eröffnet der Kampf um Zeit – um Arbeitszeitverkürzung und Zeitsouveränität – die Perspektive auf ein gutes Leben in und jenseits der Erwerbsarbeit.
Hilde Wagner ist Soziologin und Autorin zahlreicher Veröffentlichungen über Arbeit und Arbeitszeit sowie ehemalige Ressortleiterin in den Bereichen Tarif- und Betriebspolitik beim Vorstand der IG Metall.
Gerhard Wick ist Mitglied im Forum Gewerkschaften der Zeitschrift Sozialismus sowie ehemaliger Erster Bevollmächtigter der IG Metall in Esslingen und ehemaliger Tarifsekretär der IG Metall Bezirksleitung in Baden-Württemberg.