12. Oktober 2023
Die Ampel will die Mehrwertsteuer auf Gas- und Fernwärme wieder erhöhen. Die Steuererhöhung belastet nicht nur die Mehrheit, sie spielt auch der AfD in die Karten und schadet dem Klimaschutz.
Trotz Armut, Klimakrise und Investitionsstau will die Ampel an der Schuldenbremse festhalten.
Eigentlich wollte die FDP keine Steuern erhöhen. Und eigentlich wollte die SPD soziale Politik machen. Was vor zwei Jahren auf Wahlplakate gekleistert wurde, interessiert heute nicht mehr – offensichtlich. Denn die Ampel hat im Kabinett beschlossen, die Mehrwertsteuer auf Gas und Fernwärme zum Jahreswechsel wieder von sieben auf 19 Prozent steigen zu lassen. Mitten in der Heizsaison. Das ist ein desaströser Fehler.
Die Mehrwertsteuer wurde damals im Oktober 2022 gesenkt um schnell Abhilfe gegen die Preisexplosion zu schaffen. Sie war Teil des dritten Entlastungspakets. Das war kurz nachdem Putin die Gasleitung Nordstream 1 zugedreht hatte. Der Gaspreis schnellte seinerzeit an der Börse auf Rekordhöhe, Neukunden mussten beim Verbraucher Verträge zu Mondpreisen von fast 30 Cent die Kilowattstunde abschließen.
Geplant war, dass die Senkung bis zum 31. März 2024 gilt. So lang wie auch die Gaspreisbremse greift, die allerdings erst ein halbes Jahr nach der Steuersenkung in Kraft getreten ist. Dieser Plan wurde jetzt verworfen, da die Senkung immer nur als kurzfristige Entlastung geplant gewesen sei, so das Finanzministerium. Und zuletzt seien die Preise eben schneller gesunken als gedacht. Die Steuersenkung sei nicht mehr nötig.
»Der ohnehin lahmenden Konjunktur erweist die Ampel damit einen Bärendienst. Und armutsbetroffenen Menschen sowieso.«
Diese Argumentation führt in die Irre. Es stimmt zwar, dass Verbraucher für neue Verträge nicht mehr wie vor einem Jahr 20 oder 30 Cent pro Kilowattstunde zahlen, sondern nur neun Cent. Doch erstens sind das immer noch 50 Prozent mehr als vor der Krise (damals lag der Preis bei sechs Cent). Und zweitens sind nicht alle Verbraucher Neukunden. Altkunden, die ihre Verträge in der Vergangenheit geschlossen haben, zahlen aber noch deutlich höhere Preise.
Laut Statistischem Bundesamt lag der Durchschnittspreis je Kilowattstunde für Privatkunden bei 12,26 Cent, also sogar über der Preisbremse. Und damit doppelt so hoch wie 2021, sprich: so hoch wie vor der Krise. Dass der Preis höher als die Bremse ist, liegt daran, dass die Preisbremse nur für 80 Prozent des Verbrauches greift. Sie ist also keine fixe Preisobergrenze.
Der eigentliche Grund für die vorzeitige Anhebung der Steuer ist jedoch ein anderer, als von der Regierung behauptet. Die Ampel braucht Geld, um die Schuldenbremse einzuhalten. Und weil sie es weder den Reichen noch den Gutverdienern nehmen will, bietet sich die gesenkte Mehrwertsteuer beim Gas an. Zynisch? Ja.
Verfolgt man die Berichterstattung, liest man, die Ampel rechne mit rund 2,1 Milliarden Euro Mehreinnahmen. Das stimmt zwar haushalterisch, weil im Haushalt ja ohnehin geplant war, die Steuer im April wieder anzuheben, das kaschiert jedoch die Wirkung auf die Verbraucher. Die ist nämlich deutlich dramatischer.
Dieses Jahr haben Verbraucher durch die Senkung rund sieben Milliarden Euro an Steuern gespart. Wird die Steuer zum Jahreswechsel angehoben, müssen die Verbraucher diese sieben Milliarden wieder oben drauf zahlen. Rechnet man diese Steuererhöhung auf 10 Jahre hoch mit steigenden Netto-Energiepreisen, dann kommt man auf die 100 Milliarden Euro Steuererhöhung! Dieses Geld fehlt an anderer Stelle in der Wirtschaft, gerade jetzt, wo Rezession herrscht. Denn jene Milliarden können nicht beim Friseur oder bei Bäcker Lutze ausgegeben werden. Das liegt vor allem daran, dass Leute mit kleinem Einkommen den Großteil direkt wieder ausgeben müssen. Sie sind also gemessen am Einkommen am härtesten betroffen. Von »Respekt« ist bei der Ampel ganz offensichtlich nicht viel übrig geblieben.
Insgesamt sind fast 30 Millionen Haushalte in Deutschland von der Steuererhöhung betroffen. Vor allem Fernwärme ist in Städten sehr verbreitet, wo die Mieten ohnehin schon hoch sind – und im Osten, wo die Einkommen ohnehin eher klein sind, der Wählerfrust dafür aber umso größer.
»Wer solche Steuererhöhungen mitten in einer Inflation und Wirtschaftskrise durchdrückt, treibt der AfD Protestwähler in die Arme.«
Christian Lindner warnt ständig vor einem Anstieg der Inflation durch höhere Staatsausgaben. Jetzt sorgt er mit dieser Steuererhöhung dafür, dass die Statistiker bei der Inflationsrate zwölf Prozentpunkte für Gas- und Fernwärmepreise addieren können. Mit anderen Worten: Die Steuererhöhung ist ein staatlicher Preistreiber par excellence.
Auch Grüne und Klimaaktivisten verteidigen die Steuererhöhung in sozialen Netzwerken. Schließlich gehörten »fossile Subventionen wie diese« ohnehin verboten. Und außerdem sei das formal ja keine Steuererhöhung, sondern nur das Ende einer temporären Steuersenkung. Beide Positionen sind ein strategisches Eigentor. Die Erhöhung schadet letztlich nicht nur den Menschen, sondern auch dem Klimaschutz.
Den Menschen mit wenig Geld ist es völlig egal, ob das eine Steuererhöhung oder die Rücknahme einer Steuersenkung ist. Was zählt, ist die Wirkung auf den Geldbeutel. Und wenn der neue Steuersatz 19 statt sieben Prozent lautet, dann heißt das: ein fettes Minus für den Geldbeutel. Ein solches Klugscheißer-Framing ist ein politischer Irrweg – immer und generell, aber erst recht in diesem Fall und nach zwei Jahren, in denen die Inflation den Geldbeutel angefressen hat und die Reallöhne gesunken sind.
Fossile Subventionen haben dann eine Wirkung, wenn sie Verhalten beeinflussen. Das ist hier aber kaum der Fall. Wer zur Miete wohnt, kann die Heizungsart ja nicht wechseln. Es bleibt nichts anderes über, als die nächste Preiserhöhung über sich ergehen zu lassen. Das erzeugt Frust. Zurecht. Frust lenkt aber nicht im Sinne des Klimaschutzes, sondern zu seinen Lasten. Wenn die Steuererhöhung also etwas lenkt, dann Protest- und Nichtwähler zur AfD. Genau das schadet aber dem Klimaschutz, weil er an Akzeptanz verliert. Und weil Klimaschutz einem politischen Rechtsruck zum Opfer fällt.
Zur Vollständigkeit: Natürlich sind nicht alle nur Mieter. Für Eigentümer und Vermieter aber gibt es schon das Heizungsgesetz und den steigenden Co2-Preis als Lenkungsinstrumente. Für die braucht es keine Mehrwertsteuererhöhung, die man auch ganz grundsätzlich nicht mit allen gesellschaftlichen Aufgaben überfrachten sollte.
Im Grunde wird hier die Debatte vom Tankrabatt aus dem Sommer 2022 wieder aufgewärmt. Auch damals waren ambitionierte Klimaschützer und Linksliberale empört über den Tankrabatt als fossile Subvention. Bei all der Empörung übersehen diejenigen aber leider die Zwänge und Nöte der breiten Mehrheit. So wenig wie ein Mieter heute seine Gasheizung wechseln kann, so wenig konnte damals die Kassiererin im Alltag auf ihre Dieselmöhre verzichten. Verarmung statt Lenkungswirkung ist das Ergebnis.
Auch übersehen sie, dass ihre Forderungen eigentlich längst erfüllt sind. Gas ist heute trotz gesenkter Mehrwertsteuer doppelt so teuer wie 2021. Steuersenkungen und Subventionen hin oder her. Statt die Preise immer weiter blind hochjazzen zu wollen, sollten sich diejenigen eher fragen, ob solche Preisschocks dem Klimaschutz überhaupt dienen. Darüber hinaus ist die Mehrwertsteuer in ihrer Logik auch fundamental unsozial. Denn sie trifft nicht nur die Ärmsten am meisten, sondern verstärkt sich auch immer weiter. Denn auf jeden Preisschock, der noch kommen mag, etwa durch einen kalten Winter, kommen die 19 statt sieben Prozent oben drauf. Oder denken wir an den steigenden CO2-Preis zum Jahreswechsel, der an die Verbraucher überwälzt wird. Auch auf ihn entfallen dann nicht sieben, sondern 19 Prozent.
Nächstes Jahr wird in drei Ost-Bundesländern Thüringen, Brandenburg und Sachsen gewählt. Die AfD kommt in Umfragen im Schnitt auf mehr als 30 Prozent, ist sogar stärkste Kraft. Und das vor allem Dank der Energiepolitik der Ampel - man denke an die viel zu späte Gaspreisbremse, an die Gasumlage oder das Heizungsgesetz. All das führte zu Abstiegsängsten und realen Abstiegen, wie Umfragen belegen: So war bei der Hessen- und Bayern- Wahl das Thema Energie eines der wahlentscheidenden Themen. Über die Hälfte der Wähler in Hessen sahen die Landtagswahl als Chance, der Bundesregierung einen Denkzettel zu geben. Wer unter diesen Umständen Steuererhöhungen durchdrückt, treibt der AfD Protestwähler in die Arme – und zwar wissentlich. Der Staat müsste hingegen endlich von seinen finanziellen Fesseln, wie der Schuldenbremse, befreit werden. Dann wäre Politik für die große Mehrheit möglich, statt gegen sie.
Maurice Höfgen ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Finanzpolitik im Bundestag und Autor des Buches »Mythos Geldknappheit«. Zudem betreibt er den YouTube-Kanal »Geld für die Welt«.
Lukas Scholle ist Ökonom und Kolumnist bei JACOBIN.