24. September 2022
Am 24. September 1922 vereinigte sich die USPD, die sich aufgrund der Bewilligung der Kriegskredite von der SPD abgespalten hatte, mit ihrem großen Parteibruder. Der Linksruck der SPD, den sich viele davon erhofften, sollte ausbleiben.
Otto Wels (SPD) und Arthur Crispien (USPD) auf dem Vereinigungsparteitag.
Als sich Hunderte Sozialdemokraten und Unabhängige Sozialdemokraten, darunter Karl Kautsky, seine Frau Luise und der ehemalige Vorsitzende des Münchner Arbeiter- und Soldatenrates Ernst Niekisch am 24. September 1922 in der Nürnberger Luitpoldhalle zu ihrem ersten gemeinsamen Parteitag seit der fünf Jahre zurückliegenden Spaltung trafen, war die Stimmung aufgeladen, aber dennoch konstruktiv.
Arthur Crispien, einer der Vorsitzenden der USPD, erklärte auf dem September-Parteitag der USPD, »dass jetzt die Einigung vollzogen werden muss, dass man nicht noch auf irgendwelche Ereignisse warten kann«. Durch den Mord an Reichsaußenminister Rathenau sei »eine ernste unmittelbare Gefahr für den Bestand der deutschen Republik vorhanden [...] Das Gesamtinteresse der Arbeiterbewegung fordert in dieser Stunde die Einigung und keiner von uns darf zurückbleiben. Wer weiteren Absplitterungen das Wort redet, der verkennt, was dem Proletariat nottut. Die ewigen Zersplitterungen, die Eigenbröteleien und Sektierereien sind Entartungen.« Georg Ledebour – ebenfalls Vorsitzender der USPD – sprach sich als Korreferent entschieden gegen ein »Aufgehen der USP in die SPD aus: Unser Kerngedanke«, so führte er aus, »war der, dass wir den revolutionären Sozialismus betätigen und zum Siege bringen wollten in der deutschen Arbeiterschaft, in der ganzen Welt«. Ein Zusammenschluss mit der SPD sei »der Bruch mit der revolutionären Vergangenheit unserer Partei, das ist die Verleugnung unserer Grundsätze, das ist der Selbstmord der USPD«.
Demgegenüber forderte Otto Wels, Vorsitzender der SPD, dass es zwar weiterhin Gegner dieser Einigung gäbe, aber die Auseinandersetzungen zwischen den beiden Parteien »liegen zurück und müssen vergessen werden, sonst kommen wir nicht zu einer Einigung«.
Vor hundert Jahren vereinigte sich die alte Sozialdemokratie (SPD) und die junge Unabhängige Sozialdemokratie (USPD) zur Mehrheitssozialdemokratie (MSPD), die sich bald wieder Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) nannte. Das so erfolgreiche Leben der USPD (fast 1 Millionen Mitglieder, fast 5 Millionen Wähler im Jahr 1920, über 80 Reichstagsabgeordnete) hielt nur von 1917 bis 1922.
Abspaltungen vom linken Flügel der Sozialdemokratie gab es immer wieder: die (radikalen) Jungen am Ende des 19. Jahrhunderts, die USPD 1917, die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD) 1929, der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) in den 1960er Jahren des 20. Jahrhunderts, um nur einige zu nennen. Aber Vereinigungen, noch dazu von zwei Arbeiterparteien, die stark im Reichstag vertreten waren, gab es vor dieser »historischen Vereinigung« und auch danach bis heute nicht.
Natürlich war die große Sozialdemokratie auch vor dem Ersten Weltkrieg keine inhaltlich geschlossene Partei: Neben der Mehrheit in der Mitte der Partei (das sogenannte Zentrum um Eduard Bernstein, Hugo Haase und Karl Kautsky) gab es auch eine »linke«(um Rosa Luxemburg) und eine »rechte« Gruppierung (badische Reformsozialisten), die um die Deutungshoheit innerhalb der Gesamtpartei – insbesondere auf den jährlichen Parteitagen – rangen. Die Forderung nach einem Massenstreik zur Erreichung politischer Ziele, so Luxemburg, stand Reformsozialisten wie Bernstein entgegen, die ihrerseits dem Haushaltsentwurf (Budgetbewilligung) zustimmten und durch viele kleine Reformen das große Ganze verändern wollten. Einig war man sich allerdings darin, dass das Gemeinsame stärker war als das Trennende. Diese einigende (und einzige) Arbeiterpartei wollte man nicht spalten oder schwächen. Dieses starke Gefühl der Einigkeit – als gelebtes Gegenmodell zum wilhelminischen Kaiserreich – brach mit dem Kriegseintritt Deutschlands zu Beginn des Ersten Weltkrieges auseinander.
Am 4. August 1914 stimmte die große sozialdemokratische Reichstagsfraktion ohne Gegenstimme und ohne Enthaltung für die von der Regierung beantragten Kriegskredite. Diese Entscheidung, über die in den vorausgegangenen Fraktionssitzungen sehr kontrovers diskutiert worden war, begründete der Vorsitzender der Partei und der Reichstagsfraktion, Hugo Haase, vor dem Reichstag mit folgenden Worten:
»Jetzt stehen wir vor der ehernen Tatsache des Krieges. Uns drohen Schrecknisse feindlicher Invasionen. Nicht für oder gegen den Krieg haben wir heute zu entscheiden, sondern über die Frage der für die Verteidigung des Landes erforderlichen Mittel. [...] Unsere heißen Wünsche begleiten unsere zu den Fahnen gerufenen Brüder ohne Unterschied der Partei.«
Anfang August 1914 lautete die Parole: nicht dagegen stimmen und als leises Zeichen der Verweigerung auch nicht den Plenarsaal vor der Abstimmung verlassen, sondern zustimmen. Trotz inhaltlicher Vorbehalte gegen diese Entscheidung hielt die kleine Opposition innerhalb der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion (etwa 20 Prozent der Mitglieder) die grundsätzliche Fraktionseinheit bei Abstimmungen für so wichtig, dass sie sich der Mehrheit beugten. Selbst Hugo Haase, der die Zustimmung ablehnte, unterwarf sich der Fraktionsdisziplin und stimmte Anfang August 1914 für die beantragten Kriegskredite.
Dies änderte sich Stück um Stück nach Kriegsbeginn: Die anfängliche Begeisterung für den deutschen Kriegseintritt, die bis tief in die Reihen der Arbeiterschaft reichte, trat hinter den Erfahrungen des wenig erfolgreichen Krieges zurück, der sich nach der Marneschlacht im Herbst 1914 schon bald zu einem mörderischen Stellungskrieg gewandelt hatte.
Die sozialdemokratische Mehrheit ließ der Minderheit keinen Raum, ihre abweichende Meinung zu begründen und für eine Umkehr aktiv zu werden: kaum eine eigene Presse, der Belagerungszustand und die Einberufung kritischer Geister an die Front (oder ins Gefängnis) verhinderten eine zumindest parteiöffentliche Auseinandersetzung zur Mehrheitsposition der Sozialdemokratie.
Die sich absondernde Spartakusgruppe um Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht erreichte nur wenige Mitstreiter. Flugblätter wurden beschlagnahmt, streikende Arbeiter eingezogen. Im Verlauf des Krieges stimmten allerdings immer mehr sozialdemokratische Abgeordnete fraktionsintern und ab 1915 auch offen im Reichstag gegen die Verlängerung der Kriegskredite. Nachdem die Fraktionsmehrheit diese Minderheit unter der Führung des noch amtierenden Parteivorsitzenden Hugo Haase und des engagierten Georg Ledebours aus der Fraktion verbannt hatte, blieb dieser Minderheit von über zwanzig Abgeordneten nichts anderes übrig, als sich als selbständige Sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft zu organisieren, aus der im April 1917 die USPD hervorging.
Trotz der gemeinsamen Ablehnung der Mehrheitssozialdemokratie konnte man hier bereits unterschiedliche Gruppierungen erkennen: die »Pazifisten«um den Reformsozialisten Eduard Bernstein, die »Zentristen« um den ehemaligen SPD-Vorsitzenden Hugo Haase, die sozialistische »Linke« um Georg Ledebour, die sich in der Diskussion um den Reformismus und den Massenstreik herausgebildet hatte, sowie die Anhänger des Spartakusbundes um Rosa Luxemburg, die aus ihrem Gefängnis in Breslau unter dem Pseudonym Junius Die Krise der Sozialdemokratie geschrieben hatte.
Neben dem Ziel der Beendigung des Krieges war man sich über den weiteren Verlauf der Partei im Unklaren: Sollte sie weiterhin bestehen oder nach Kriegsende wieder zurück zur alten Mutterpartei gehen? Sollten sozialistische Forderungen im Vordergrund der Aktivitäten stehen oder wollte man weiter die alte Sozialdemokratie in neuem Gewand fortführen? Spätesten nach Ende des Krieges mussten diese Fragen beantwortet werden.
Von einer programmatisch klaren USPD-Perspektive während des Ersten Weltkrieges kann man kaum sprechen: Aktive Mitglieder wurden an die Front gerufen, eine eigene Presse wurde von der Sozialdemokratie nicht unterstützt, sodass fast ausschließlich nur Mund-zu-Mund-Propaganda möglich war; Flugblätter wurden beschlagnahmt, die Papierknappheit tat ein Übriges.
Erst 1918 konnte ein innerparteilicher Aufschwung festgestellt werden: Bei den Streiks Anfang 1918 unterstützte die USPD die Forderungen nach einem Ende des Krieges. Mit Beginn der Revolution im November 1918 war die USPD bei den Streiks an der Nordsee bereits bekannt und unter den Matrosen als Ansprechpartner akzeptiert. In der neuen Regierung in Berlin – dem Rat der Volksbeauftragten – waren neben drei Ministern der SPD ebenso viele Minister der USPD vertreten, auch wenn ihre Einflussmöglichkeiten durch den neuen sozialdemokratischen Reichspräsidenten Ebert (mit Unterstützung des militärischen Generalkommandos) erheblich eingeschränkt wurden.
Bei der ersten nationalen Zusammenkunft der Arbeiter- und Soldatenräte am 10. November 1918 konnte sich die SPD durch engagiertes Auftreten bei den Wahlen für diesen Reichskongress der Arbeiter- und Soldatenräte in Berlin eine Mehrheit der Delegierten sichern. Da sich die USPD mit ihren sozialistischen Forderungen (Verankerung der Räte in der Verfassung, Entmachtung des alten Militärs, Verschiebung der Wahlen zu einer Nationalversammlung, um die Zeit bis zur Wahl zur Aufklärung zu nutzen, unmittelbare Sozialisierung der dafür reifen Betriebe, vor allem im Bergbau und bei den Banken) nicht durchsetzen konnte, kandidierte sie überhaupt nicht für den Zentralrat – dem Kontrollorgan der Reichsregierung –, der damit ein rein sozialdemokratisches Organ wurde.
Trotz der ersten Erfolge während der Novemberrevolution zerbrach bereits in der USPD das im Krieg entstandene Bündnis zwischen den stärker reformerisch orientierten USPD-Mitgliedern, den in der Mitte anzusiedelnden »Zentristen« und der Spartakusgruppe. Letztere gründete Ende Dezember 1918 die Kommunistische Partei Deutschlands. Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht stimmten zwar für diese Neugründung, unterstützten jedoch den Antiparlamentarismus der jungen radikalen Mitglieder nicht.
Die Januarunruhen in Berlin – immer wieder fälschlicherweise als Spartakusaufstand bezeichnet – wurden von linken Kräften (Revolutionäre Obleute, Ledebour) in der USPD unterstützt. Nach ihrer Niederwerfung konnten sie die politische Entwicklung kaum beeinflussen.
Die Zerschlagung der in den Novembertagen sich spontan entwickelten Arbeiter- und Soldatenräte durch das alte Militär, unterstützt von Freikorps, unter dem sozialdemokratischen Minister Noske im Frühjahr 1919 führte als Gegenbewegung zu einem Aufschwung der USPD. Durch den Aufbau einer eigenen Presse (unter anderem Die Freiheit, die ab November 1918 täglich in Berlin erschien) konnte die USPD viele neue Mitglieder an sich ziehen, blieb aber dennoch der kleine, oppositionelle Bruder der so viel größeren Sozialdemokratie.
An den Ergebnissen der Wahl zur Nationalversammlung im Januar 1919 – die nach Meinung der USPD viel zu früh erfolgte – sowie den ersten Reichstagswahlen im Juni 1920 und 1924 zeigt sich bereits das plötzliche Wachstum der USPD in den Jahren 1919/1920 und der Niedergang, der in den Jahren danach erfolgte.
Erreichte die USPD im Januar 1919 nur knapp 8 Prozent der gültigen Stimmen, während die SPD mit 37,9 Prozent fast fünfmal so viele Stimmen erzielte, so unterschieden sich die beiden Parteien knapp achtzehn Monate später nur noch um weniger als 3 Prozentpunkte: Die USPD erhielt 18,8 Prozent der Stimmen und die SPD 21,6 Prozent. Die Kommunisten spielten bei diesen beiden Wahlen (noch) keine Rolle. 1924 war die USPD nur noch eine kleine Splitterpartei ohne eigene Reichstagsabgeordnete, während die SPD sich wieder erholt hatte – auch dank der Rückkehr eines Teils der USPD-Mitglieder. Die Mobilisierung für die Arbeiterparteien Anfang 1919 – fast jede zweite Stimme wurde für eine der beiden Arbeiterparteien abgegeben – war 1924 wieder verpufft.
Dieser Veränderungsprozess zeigte sich ebenfalls an der Zahl der Mitglieder. Während die USPD im Jahr 1919 etwa 500.000 Mitglieder zählte, waren es im Folgejahr bereits 894.000. Doch schon 1921 war die Mitgliederzahl auf 340.000 gesunken. Die KPD hingegen wuchs zwischen 1920 und 1921 von einer Mitgliederzahl von 78.000 auf 450.000 an.
Erreichte die USPD im Januar 1919 nur knapp 8 Prozent der gültigen Stimmen, während die SPD mit 37,9 Prozent fast fünfmal so viele Stimmen erzielte, so unterschieden sich die beiden Parteien knapp achtzehn Monate später nur noch um weniger als 3 Prozentpunkte: Die USPD erhielt 18,8 Prozent der Stimmen und die SPD 21,6 Prozent. Die Kommunisten spielten bei diesen beiden Wahlen (noch) keine Rolle. 1924 war die USPD nur noch eine kleine Splitterpartei ohne eigene Reichstagsabgeordnete, während die SPD sich wieder erholt hatte – auch dank der Rückkehr eines Teils der USPD-Mitglieder. Die Mobilisierung für die Arbeiterparteien Anfang 1919 – fast jede zweite Stimme wurde für eine der beiden Arbeiterparteien abgegeben – war 1924 wieder verpufft.
Dieser Veränderungsprozess zeigte sich ebenfalls an der Zahl der Mitglieder. Während die USPD im Jahr 1919 etwa 500.000 Mitglieder zählte, waren es im Folgejahr bereits 894.000. Doch schon 1921 war ihre Mitgliederzahl auf 340.000 gesunken. Die KPD hingegen wuchs zwischen 1920 und 1921 von einer Mitgliederzahl von 78.000 auf 450.000 an. Für diesen rasanten Aufschwung der KPD war der Übertritt eines Drittels der USPD-Mitglieder in die KPD und damit auch in die Dritte Internationale verantwortlich.
Im Verlauf des Jahres 1919 zeigte sich in Deutschland relativ deutlich, dass sich die Hoffnungen einer Umgestaltung des ehemaligen Kaiserreiches zu einer sozialistischen Gesellschaft nicht erfüllen würden. Die regierende Sozialdemokratie schien sich mit einer bürgerlichen Reformregierung zu versöhnen, sie bekämpfte weitergehende Forderungen mit Hilfe des alten Militärs, zerschlug lokale Rätebewegungen (von Bremen bis München) und schien sich mit wenigen Reformen – gleiches Wahlrecht, Achtstundentag, freie Presse – zufrieden zu geben. Von einer sozialistischen Umgestaltung der gesamten Gesellschaft – ausgehend von einer Entmachtung der alten Eliten, Demokratisierung des Heeres und Sozialisierung des Bergbaus – war man meilenwert entfernt.
Die Enttäuschung der neuen, jungen USPD-Parteimitglieder zeigte sich in einer völligen Überhöhung und kritiklosen Übernahmebereitschaft des russischen, bolschewistischen Weges im Sinne einer Zentralisierung der Befehlsgewalt, Berufsrevolutionären und der Vorbereitung eines Aufstands. Die spezifischen deutschen Erfahrungen und Möglichkeiten gesellschaftlicher Veränderung wurden ausgeblendet und sehr viele ehemalige USPD-Mitglieder wurden zu einem verlängerten Arm der in Moskau ansässigen dritten, bolschewistisch dominierten Internationale. In den berühmten 21 Aufnahmebedingungen in die Dritte Internationale zeigte sich, dass nur ein politischer Entscheidungsweg von oben nach unten gewünscht war. Selbständiges Denken und ein Abwägen der Erfolgsaussichten war nicht mehr möglich: Das Zentralkomitee entschied und alle mussten folgen.
Viele der in der Novemberrevolution quasi »über Nacht« politisierten neuen Mitglieder der USPD verließen desillusioniert die Partei und schlossen sich keiner anderen Arbeiterpartei an. Die Zahlen zeigen, dass von den knapp 900.000 Parteimitgliedern im Sommer 1920 ein Drittel zur KPD überwechselten, ein weiteres Drittel in der USPD blieb und das letzte Drittel aus der organisierten Arbeiterbewegung ausstieg.
Auch wenn nach einer Urwahl in allen USPD-Kreisen die Mehrheit der Delegierten auf dem Parteitag in Halle im Herbst 1920 für einen bedingungslosen Anschluss an die kommunistische Internationale stimmte, galt dies weder für die Mehrheit der Reichstagsabgeordneten, die Mehrheit der USPD-Presse noch die Mehrheit der lokalen Parteileitungen oder auch der Berliner Zentrale. In diesen Gremien wollte man eine eigenständige USPD am Leben erhalten und keine »Sektion der kommunistischen Internationale« werden.
Der Aufstandsversuch der KPD im Januar 1921, unterstützt und vorangetrieben von vielen radikalisierten, jungen ehemaligen Mitgliedern der USPD, führte nicht zu einem Zuwachs der Parteimitglieder der KPD – ganz im Gegenteil. Viele Neumitglieder verließen die Kommunistische Partei wieder. 1921 schien sich die »Rest-USPD« wieder zu erholen und neue Kraft zu entfalten: Die radikal-sozialistischen, parlamentarischen Forderungen der Rest-USPD schienen anfangs erfolgreich zu sein. Die Kritik an der Mehrheitssozialdemokratie brach über das ganze Jahr 1921 nicht ab, da diese keine Impulse zur Veränderung der »nur-parlamentarischen« Weimarer Republik setzte. Über eine Sozialisierung der dafür reifen Betriebe wurde bestenfalls gesprochen, aber Initiativen zur Verwirklichung waren nicht erkennbar. Die Rätebewegung wurde nicht weiter durch staatliches Handeln unterstützt.
Der große Substanzverlust der USPD nach Halle konnte allerdings nicht aufgehalten werden: Das stürmische Wachstum der USPD-Mitgliedschaft 1919 hatte sich umgekehrt in einen zunehmenden schleichenden Mitgliederschwund. Mit dieser schrumpfenden Rest-Partei wurden immer weniger Zukunftshoffnungen verbunden. Auch die Rückkehr enttäuschter KPD-Mitglieder, wie etwa Paul Levi und der Kommunistischen Arbeitsgemeinschaft, konnte diese Tendenz nicht aufhalten.
Ab dem Frühjahr 1922 wurde die Frage der »Wiedervereinigung« von SPD und Rest-USPD in der Mitgliedschaft zunehmend intensiver diskutiert. Erste Kooperationen zwischen Fraktionen in Landtagen und im Reich führten zu einer Abschwächung der gegenseitigen Vorwürfe und zu einer Annäherung.
Die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland und die sich anbahnende Inflation bedeuteten für die USPD eine finanzielle Herausforderung, die sie auf Dauer nicht alleine stemmen konnte.
Die Ermordung von Reichsaußenminister Walter Rathenau im Juni 1922 zeigte die absolute Notwendigkeit, diese parlamentarische Demokratie vor den rechtsradikalen Verbänden und Parteien zu verteidigen. Jetzt galt es, gemeinsam zur Bewahrung der Weimarer Republik zusammenzustehen; auch im Reichstag war das Ende der Regierungsbeteiligung der Mehrheitssozialdemokratie bereits deutlich erkennbar. Die Verteidigung des demokratisch-parlamentarischen Bodens der Weimarer Republik konnte nur gemeinsam erfolgreich sein, ohne das bisherige Gegeneinander. Dieses Gefühl setzte sich in beiden Parteien sehr schnell durch; die Vereinigung machte in beiden Mitgliedschaften kaum Schwierigkeiten.
Nur Georg Ledebour und Theodor Liebknecht, Bruder des ermordeten Karl Liebknecht, führten mit wenigen weiteren Mitgliedern zunächst gemeinsam die Rest-USPD als kleine Splitterpartei weiter – ohne Einfluss, ohne Reichstagsmandate. In der Diskussion um Gegenmaßnahmen zur Ruhrbesetzung verließ Ledebour die Rest-USPD im Zorn und gründete Anfang 1924 seinen Sozialistischen Bund, da sie sich seinem Votum für einen Kampf gegen die Ruhrbesetzung nicht anschlossen. Liebknecht blieb weiter bei seinem Kampf nur »gegen die einheimischen Machthaber«; Ledebour verhöhnte diese »Einfrontenkrieger«, die gegen den »französischen Imperialismus« keinen Widerstand leisteten. Im Endeffekt blieben beide Splittergruppen völlig einflusslos, bis sie 1931 in der neuen Abspaltung von der SPD, der Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP), aufgingen.
Die Einigung vollzog sich in drei hintereinander organisierten Parteitagen. Zunächst auf dem Parteitag der SPD, dann der USPD und schließlich dem Vereinigungsparteitag der beiden Parteien zeigt sich diese Rückkehr der USPD zur Sozialdemokratie. Auf dem Parteitag der SPD gab es kaum kontroverse Diskussionen über diese Vereinigung, deutlichere Auseinandersetzungen fanden auf dem USPD-Parteitag statt, obwohl am Ende die Mehrheit für eine Vereinigung stimmte. Als Abschluss folgte der halbtägige Vereinigungsparteitag der beiden sich bisher bekämpfenden Brüder. Auch wenn die neuen Vorsitzenden, Otto Wels und Hermann Müller von der SPD sowie Arthur Crispien von der USPD, aus beiden Parteien kamen, zeigten die weiteren neu gewählten Zentrale-Mitglieder eine deutliche Dominanz der alten SPD.
Dieses Übergewicht blieb auch während der gesamten Zeit der Weimarer Republik erhalten. Anträge und Vorschläge von Seiten ehemaliger USPD-Mitglieder erreichten auf den Parteitagen bestenfalls 40 Prozent der Delegierten; sie konnten nie eine Mehrheit für ihre Vorstellungen hinter sich bringen. Zwar hatten sie in der sogenannten Levi-Korrespondenz ein publizistisches Organ, es fehlte jedoch die Umsetzung in Parteitags- oder Parlamentsbeschlüsse. Sie waren weitgehend einflusslos, auch in der Zeit nach 1945, wie das 1959 verabschiedete Godesberger Programm der SPD deutlich zeigt.
Auch hundert Jahre nach der Vereinigung der beiden ungleichen Brüder bleibt die Erkenntnis, dass der »schwere Tanker« der Sozialdemokratie sich nach der Vereinigung viel weniger nach links bewegt hatte, als von vielen erhofft wurde. Eine erfolgreiche Absplitterung muss nicht nur eine klare Gegenposition zur Mehrheitsmeinung besitzen, sie muss auch im zukunftsgestaltenden Anspruch einen Weg der Realisierung klar formulieren. Nur so kann mit aktiver Unterstützung durch die Masse der Mitglieder Veränderung erkämpft werden.
Hartfrid Krause ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung, insbesondere der USPD. Er lebt in Darmstadt.