30. Oktober 2020
Die Kampagne #ichwill fordert eine verbindliche Frauenquote in Führungspositionen. Aber mehr Frauen in den Chefetagen nützen den Arbeiterinnen nichts.
Maria Furtwängler, Janina Kugel, Katja Kraus, Nora Bossong und Jutta Allmendinger zählen zu den prominenten Unterstützerinnen der Kampagne #ichwill.
»Wusstest Du, dass die Vornamen Thomas und Michael bei deutschen CEOs zusammen zehnmal so oft vorkommen wie Frauen in dieser Position?« Mit Fragen wie dieser beginnt ein Video, das unter dem Motto #ichwill von einigen Prominenten veröffentlicht wurde – darunter Schauspielerinnen, Influencerinnen und Unternehmerinnen. Sie fordern einen höheren Frauenanteil vor allem in wirtschaftlichen Führungspositionen.
Die Debatte um Frauenquoten in den Führungsetagen großer Konzerne ist nicht neu. Im Gegenteil: Bereits seit 2001 wird immer wieder darüber debattiert. Ergebnis dieser Debatte ist ein 2015 in Kraft getretenes Gesetz, das börsennotierte Unternehmen dazu verpflichtet, Zielgrößen für die Erhöhung des Frauenanteils in Vorständen und Aufsichtsräten festzulegen. Aktuell bleiben in mehr als jedem dritten dieser Gremien die Männer aber lieber unter sich – und setzen die Zielgröße für ihren Frauenanteil bis 2022 auf null fest.
Die Forderung nach einer verbindlichen Frauenquote in den Chefetagen großer Konzerne einfach abzuwinken, wäre kurzsichtig. Denn das häufig geäußerte Argument, diese sei wirkungslos, trifft schlicht nicht zu. Frauenquoten in Führungspositionen entfalten erstaunlich große Wirkung – allerdings in erster Linie zugunsten des Unternehmensprofits. Frauenquoten von 30 Prozent in Führungspositionen steigern den Nettogewinn eines Unternehmens laut einer Studie des Washington Peterson Instituts um stolze 15 Prozent. Diese Quote richtet sich nur an bestimmte Frauen aus den oberen gesellschaftlichen Schichten, die ohnehin schon Teil der Elite sind. Ihnen rät Sheryl Sandberg, COO von Facebook, in ihrem gleichnamigen Buch »lean in«: Hängt euch einfach rein. Schade nur, dass für die Arbeiterinnen ein Platz in der Chefetage weiterhin unerreichbar bleibt. Auch mit Karriere-Tipps wie diesem. Egal, wie hart sie arbeiten. Ihnen wäre mehr damit geholfen, undemokratische Führungsstrukturen einfach gänzlich abzuschaffen.
Diese Machtverschiebung dürfte Sheryl Sandberg jedoch Bauchschmerzen bereiten. Sie ist eine prominente Vertreterin des kapitalfreundlichen Feminismus. Dieser möchte der Macht in Unternehmensvorständen lediglich ein anderes, ein weiblicheres Gesicht verleihen. Aber es geht nicht darum, die bestehenden Machtverhältnisse anzugreifen, oder infrage zu stellen, dass eine kleine Elite über das Schicksal tausender Arbeiterinnen und Arbeiter entscheidet. Im Gegenteil: Der Feminismus von Sheryl Sandberg ist sogar darauf angewiesen, dass das so bleibt.
Ein weiteres Beispiel für den Feminismus von oben ist Ivanka Trump. In ihrer Inszenierung als Vorkämpferin für Frauenrechte arbeitet sie zwar daran, mächtige Frauen noch mächtiger zu machen. Aber ansonsten macht sie bei Frauenrechten gerne mal eine Ausnahme, wenn diese einfach zu teuer werden. Ihre Modelinie ließ sie von Arbeiterinnen in China unter schlechtesten Arbeitsbedingungen produzieren. Und auch die AllBright-Stiftung, die im Kontext der Forderung nach Frauen in Führungspositionen immer wieder in Erscheinung tritt, setzt sich vor allem für gleiche Karrierechancen und bessere Unternehmensresultate ein. Die bestehenden ökonomischen Machtverhältnisse bleiben unangetastet.
Dawn Foster bezeichnet in ihrem Buch Lean Out diese Form des Feminismus von oben als als Trickle-down-Feminismus. »Trickle down« beschreibt den Glauben, dass im Kapitalismus nach und nach das Wirtschaftswachstum und der Wohlstand der Reichen auch zu den unteren Schichten durchsickern werden. Und auch in Sachen Feminismus hält sich hartnäckig das Argument, der Erfolg der Frauen des oberen einen Prozents komme irgendwann auch allen anderen zugute. Jede nähere Betrachtung zeigt: »Trickle down« ist ein Märchen. Wollte man beispielsweise die extreme Armut nur durch Wirtschaftswachstum abschaffen und dabei die aktuelle Verteilung von Wohlstandsgewinnen beibehalten, müsste die globale Wirtschaft um das 175-fache anwachsen. Das ist nicht möglich. Ohne Umverteilung geht es nicht. Genauso ist es naiv zu glauben, die Besserstellung der privilegiertesten Frauen komme automatisch auch allen anderen zugute, wenn nicht die Macht in Unternehmen grundlegend anders verteilt wird. Der Trickle-down-Feminismus hilft ausschließlich dem obersten 1 Prozent und geht zulasten der 99 Prozent.
An dieser Stelle verläuft die entscheidende Trennlinie im Kapitalismus zwischen Ausbeutenden und Ausgebeuteten. Je weiter wir von den Vorstandsetagen nach unten schauen, desto höher werden die Quoten. Frauenquoten, Quoten von Menschen aus der arbeitenden Klasse, von People of Color, von Migrantinnen und Migranten. Sie gemeinsam bilden die 99-Prozent-Quote der Ausgebeuteten. Und für sie muss ein linker Feminismus einstehen.
Das Wortungetüm der Gleichstellungspolitik wird zwar oft als die politische Ausformung solch eines Feminismus dargestellt. Aber sie hat in den letzten Jahrzehnten nicht die Ursachen von Ungerechtigkeit bekämpft, sondern Symptome behandelt. So sind Frauen heute auf den ersten Blick gleichberechtigter, doch die Ungleichheit zwischen Frauen ist größer denn je zuvor. Oliver Nachtwey zeigt in seinem Buch Die Abstiegsgesellschaft auf: Wo durch wachsende Gleichberechtigung der Geschlechter mehr Frauen auf den Arbeitsmarkt gekommen sind, geschah das in erster Linie in schlecht bezahlten Berufen. Zudem wurde dadurch die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt größer, sodass sich die Lage für schlecht ausgebildete Männer noch zusätzlich verschärft hat. Kurz: Die Gleichstellungspolitik hat Fortschritte geschaffen, die eigentlich keine sind.
Immer noch erhalten Frauen in Deutschland niedrigere Durchschnittslöhne und müssen längere Auszeiten im Job nehmen. Der Rentenunterschied zwischen Frauen und Männern liegt aktuell bei 53 Prozent. Eine deutsche Rentnerin erhält im Durchschnitt 660 Euro monatlich. Hinzu kommen Diskriminierungen z.B. in der Ehe beim Ehegattensplitting, unbezahlte Hausarbeit, schlecht oder nicht bezahlte Fürsorgearbeit. Und die globale Situation stellt sich noch desaströser dar: Frauen besitzen nur etwa 10 Prozent des Welteinkommens und weniger als ein Prozent des Welteigentums. Der Frauenanteil unter den Armen beträgt über 70 Prozent.
Unter dem Deckmantel der Mittelstands-Gleichstellungspolitik gehen Unterdrückung und Ausbeutung ungebremst weiter. In einer modernen Klassengesellschaft erfolgt das in komplexen Mustern. Die Diskriminierungen entlang von Kategorien wie Geschlecht, Klassenzugehörigkeit, Hautfarbe, ethnische Herkunft, sexuelle Orientierung, Religionszugehörigkeit oder Behinderung fügen sich zu einem »Konglomerat der Ausbeutung« zusammen – und je mehr dieser Kategorien eine Person erfüllt, desto »weiter unten« steht sie in der kapitalistischen Gesellschaftsordnung.
Die gesellschaftlichen Strukturen, die all diese Ungerechtigkeiten hervorbringen, verbinden diese Symptome miteinander. Dabei lassen sich emanzipatorische Fragen nicht durch einen »Feminismus von oben« lösen. Das würde bedeuten, dass Arbeiterinnen in Unternehmen demnächst einfach von einer Chefin und nicht von einem Chef ausgebeutet werden oder für ihre schlecht bezahlte Arbeit mit einem Feminismus-T-Shirt aus Ivanka Trumps neuester Mode-Kollektion verströstet werden. Na, dankeschön.
So glamourös es auch erscheinen mag: Feminismus ist kein Lifestyle. Um es mit Dawn Foster zu sagen: »Das Problem mit dem Feminismus ist doch, dass sich die Forderung nach radikalem, kollektivem Handeln und strukturellen Veränderungen nicht mit dem Kapitalismus verträgt.« Linker Feminismus arbeitet mit aller Kraft daran, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter sich organisieren. Dieser Feminismus greift die Macht der Eliten an. Er stellt sich gegen undemokratische Führungsstrukturen und sorgt für kollektive Entscheidungsprozesse – wirtschaftlich, politisch und gesellschaftlich. Ein linker Feminismus scheut sich nicht vor der Systemfrage und beantwortet sie zugunsten der 99 Prozent.
Mit der bequemlichen Überheblichkeit, mit der sich Linke gelegentlich in Debatten um Frauenquoten in Führungspositionen zurücklehnen, ist es nicht getan. Damit machen wir es uns zu einfach. Vom Dinge-besser-Wissen allein hat sich gesellschaftlich noch nie viel verändert. Wir können nicht behaupten, Feminismus sei ein politischer Kampf, ohne ihn tagtäglich zu kämpfen. Erst recht in Reaktion auf Debatten, deren Forderungen wir falsch finden. Wenn wir vorankommen wollen, muss sich linker Feminismus mehr reinhängen. Es liegt an uns, den Sheryl Sandbergs und Ivanka Trumps dieser Welt ihre selbstgewählten Titel als feministische Vorkämpferinnen streitig zu machen. Diejenigen, die möglicherweise das erste Mal über feministische Forderungen nachdenken, müssen eingeladen werden. Denn Feminismus bedeutet Angebote machen. Heißt erklären. Heißt sich verbünden. Und dann gemeinsam gegen die Ursachen des Problems kämpfen.
Wir müssen ein lautes, mächtiges, kämpferisches Gegengewicht von links schaffen. Forderungen nach Frauenquoten können Teil dieses Kampfes sein. Sei es in Parlamenten, in Wissenschaft und Kultur oder auch in eigenen politischen Gruppen. Weitergehen muss es beim Gender Pay Gap, bei der Altersvorsorge, bei Gewalt. Und auch Forderungen nach staatlichen Jobgarantien, nach Vergesellschaftung und Umverteilung von Macht und Wohlstand müssen, wenn wir sie endlich auch als feministische Forderungen begreifen, nicht weiter intellektuelle Träumereien bleiben. Sie können zum verbindenden Element der 99 Prozent werden. Denn Feminismus ist und bleibt Klassenkampf.
In diesem Sinne, linke Feministinnen und Feministen: Lean in.
Franziska Heinisch ist Kolumnistin bei JACOBIN.