16. Juni 2022
Durch die »Höhle der Löwen« ist Frank Thelen zu Deutschlands berühmtestem Neoliberalen aufgestiegen. Jetzt flirtet er offen mit einer temporären Diktatur und will Kindern beibringen, wie Elon Musk zu denken.
Startup-Investor Frank Thelen hat viele Ideen – ob die allerdings gut sind, steht auf einem anderen Blatt.
Kaum ein Monat vergeht, in dem Frank Thelen nicht durch eine neue selten dumme Aussage auf sich aufmerksam macht. Dabei geht es nicht nur um klassische Themen der Wirtschaftsliberalen wie Beschwerden über angeblich zu hohe Lohnforderungen, Steuern oder zu viel staatliche Regulierung. Thelen hat Größeres im Sinn. »Mut, neu zu denken« ist sein Motto. Eine temporäre Diktatur in Deutschland, Zwangsterilisation in Afrika oder zwanghaftes Entrepreneur-Mindset bei Kindern – für Thelen sind das alles innovative neue Denkanstöße. Verwundern sollte das niemanden. Solche Aussagen sind die Konsequenz eines autoritären Neoliberalismus.
Derart dumme Statements hört man von Thelen so regelmäßig, dass man sich fragen muss, ob der Investor entweder schlechte Berater hat oder ob er beim Reden einfach nicht nachdenkt – oder vielleicht auch einfach nur »neu denkt«, um es mit Thelens Worten zu sagen. Der Investor wurde durch die TV-Show Die Höhle der Löwen und etliche Medienauftritte öffentlich bekannt. Durch seine fragwürdigen Äußerungen und die Enthüllungen über sein Geschäftsverhalten ist er jedoch zunehmend in Verruf geraten.
»Kinder müssen lernen, wie Elon Musk und Jeff Bezos zu denken«, meint Thelen. Damit will er sagen, dass bei Kindern lösungsorientiertes Denken gefördert werden soll. So weit so gut. Vor allen Dingen sollen Kinder laut Thelen aber ihre Denkweise verändern. Mit einem liberalen Freiheitsverständnis hat diese frühkindliche Entrepreneurship-Indoktrinierung nicht mehr viel zu tun. Ganz konkret findet Thelen, dass Programmieren statt Latein auf dem Lehrplan stehen sollte. Statt dem Verfall der »Buddenbrooks« müsse der Werdegang der derzeit erfolgreichsten Erfolgreichen gelehrt werden: »Sie sollten verstehen, wie ein Elon Musk oder ein Jeff Bezos denkt und handelt, und sich darüber im Klaren sein, welche Möglichkeiten ihnen offen stehen.«
Immerhin denkt er den Neoliberalismus konsequent zu Ende. Probleme gibt es nur durch zu wenig gute Ideen. Und das Lösen von Problemen begreift Frank Thelen als seinen ureigenen Auftrag. Das kann er natürlich nicht alleine bewältigen. Daher müssen jetzt eben auch die Kinder ran. Um Probleme aus der Welt zu schaffen, macht er auch vor der Demokratie nicht halt. Diese habe zwar auch Vorteile, so Thelen, allerdings empfindet er es als lästig, dass die Regierung ihre Entscheidungen durch etliche Gremien bringen muss. So meinte Thelen kürzlich bei einem Interview mit Tilo Jung, dass eine temporäre Diktatur letztlich gar nicht diktatorisch ist, weil sie ja temporär sei. Thelen hat also nicht nur ein defizitäres Verständnis von Freiheit, er glaubt auch, dass gegen ein kleines bisschen Diktatur letztlich nichts einzuwenden ist – es geht ja um die gute Sache, nämlich die ökologischen Wende.
Aber es geht noch abgründiger: So zog Thelen in Erwägung, dass man in Afrika ein Gesetz zur Zwangssterilisierung erlassen könnte, um der hohen Geburtenrate entgegenzuwirken. Das relativierte er danach, indem er sagte, dass er das eigentlich doch nicht so gut fände. Das habe er nunmal nicht ganz durchdacht. Wahrscheinlich hat er auch hier wieder versucht, »neu zu denken«. Das zeigt aber einmal mehr, dass Thelen für eine neue Idee auch gerne einmal menschenrechtliche Erwägungen über Bord wirft – alles im Sinne der Innovationskraft versteht sich. Demokratie, Menschenrechte oder Freiheit von Jugendlichen sind für ihn zweitrangig.
Wir können uns glücklich schätzen, dass Thelen keine politische Verantwortung trägt. Dafür trägt er allerdings finanzielle Verantwortung. So hat er im September 2021 einen Aktienfonds aufgelegt, für den er kräftig wirbt. Aufgrund seiner Bekanntheit ist davon auszugehen, dass er dafür viele Kleininvestoren finden wird. Das mag auch daran liegen, dass Thelens »10XDNA Disruptive Technologies«-Fonds seinen Anlegern einiges verspricht. So soll nur in Aktien investiert werden, die die Aussicht auf eine Verzehnfachung haben. Einige Investitionen darunter werden natürlich nicht aufgehen, aber der Gesamterfolg wird im Zweifel von einigen positiven Ausreißern getragen werden – da ist sich Thelen ganz sicher. Der Plan kann potenziell natürlich funktionieren, birgt aber auch ein erhebliches Risiko in sich. Zwar wird Thelen schon ziemlich gut wissen, was technologische Zukunft hat, aber darum geht es nicht. Die Rechnung geht nur dann auf, wenn Thelen Zukunftsaussichten schon dann erkennt, wenn niemand anderes sie sieht. Nur dann sind derart hohe Renditen möglich. Das bedeutet auch, dass er sich für schlauer hält als alle anderen Börsen-Gurus.
Dieses Modell hat bisher nicht gut funktioniert. Seit Auflage hat der Fonds rund 50 Prozent an Wert verloren. Das Depot dürfte inzwischen tiefrote Zahlen schreiben. Das Problem dabei ist: Thelen lockt nicht nur junge Erwachsene an, die mit ein paar Hundert Euro ihr Glück versuchen. Es gibt auch Menschen, die kurz vor der Rente stehen und zehntausende Euro verlieren. Man mag jetzt entgegen, dass Thelen ja nicht wissen konnte, dass die Tech-Bubble platzt, der Ukraine-Krieg ausbricht und sich eine globale Zinswende ankündigt. Dennoch entbindet ihn das nicht von seiner öffentlichen Verantwortung. Wer Menschen eine Verzehnfachung verspricht, sollte nicht eine Halbierung liefern.
Thelens Aussagen sind dumm, doch sie sind vor allem ein Symptom der neoliberalen Wirtschaftspolitik unserer Zeit. Das zeigt sich bei all den verirrten Gedanken Thelens: Afrikas Entwicklungsstadium ist durch Billigexporte und Kreditauflagen zementiert; Deutschlands kaputt gesparter Staat verlangsamt Innovation und Fortschritte im Bildungswesen werden durch den Spardruck der Bundesländer verhindert. Wenn auf all diesen Ebenen weiterhin nach neoliberaler Maßgabe gehandelt wird, wird es immer schlimmer und nicht besser. Auch die Zukunftsangst, die Menschen dazu treibt, in Thelens Aktienfonds zu investieren, gründet auf unsicheren Löhnen und unsicheren Renten, die noch niedriger wären, als sie ohnehin schon sind, wenn man die Neoliberalen ungebremst walten lassen würde. Mit einer Sache hat Thelen allerdings recht: Wir müssen die Dinge »neu denken« – und das verlangt eine endgültige Abkehr von einer neoliberalen Wirtschaftspolitik.
Lukas Scholle ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundestag für Finanzpolitik und betreibt den Podcast »Wirtschaftsfragen«.
Lukas Scholle ist Ökonom und Kolumnist bei JACOBIN.