29. Juli 2023
Der Soziologe Boris Kagarlitzki, ein prominenter russischer Marxist, wurde von Wladimir Putins FSB unter der falschen Anschuldigung der »Rechtfertigung des Terrorismus« festgenommen. Seine Verhaftung zeigt, wie der russische Staat Kritiker seines Krieges zum Schweigen bringen will.
Boris Kagarlitsky, aufgenommen im Jahr 2006
Transnational Institute / Flickr (CC BY-NC 2.0)In Russland wurde ein fingiertes Gerichtsverfahren gegen den bekannten linken Soziologen Boris Kagarlitzki eingeleitet. Ihm wird vorgeworfen, »den Terrorismus zu rechtfertigen«, weil er sich über die Beweggründe der ukrainischen Streitkräfte bezüglich der Explosion der Krim-Brücke geäußert hat. Der eigentliche Grund dahinter ist die Ausschaltung der verbliebenen Oppositionellen inmitten einer politischen Krise, die auf militärische Misserfolge zurückzuführen ist.
Kagarlitzki ist ein renommierter linker Theoretiker in Russland, der international für seine Werke bekannt ist, darunter die bekannten Bücher Between Class and Discourse und From Empires to Imperialism, die zum Verständnis der Struktur des zeitgenössischen Kapitalismus und der Herausforderungen für die linke Bewegung beitragen.
Kagarlitzki ist weder emigriert noch hat er seine politische Arbeit eingestellt, selbst als 2022 die russischen Behörden ihn wegen seiner konsequenten Antikriegshaltung während des russisch-ukrainischen Konflikts als »ausländischen Agenten« bezeichneten. Vor kurzem hat er sein neuestes Buch veröffentlicht. Im Laufe der Jahre hat sich die von Kagarlitzki angeführte Online-Zeitschrift Rabkor zu einer Informationsplattform entwickelt, die Menschen mit verschiedenen linken und prodemokratischen Ansichten zusammenbringt. Kagarlitzki hat sich nie vor parlamentarischen Methoden des Kampfes gescheut und sich geschickt auf Diskussionen mit politischen Gegnern eingelassen, wobei er sogar die Sympathien von Kontrahenten gewann.
Am 25. Juli 2023 wurde bekannt, dass der Föderale Dienst für Bewachung (FSB) eine Strafanzeige gegen Kagarlitzki unter einem der neuen repressiven Artikel, »Rechtfertigung des Terrorismus«, einleitete. Grund dafür war ein alter Beitrag in den sozialen Medien, in dem er andeutete, dass die Explosion der Krim-Brücke »aus einer militärischen Perspektive« zu verstehen sei. Unter diesem absurden Vorwand wurde Kagarlitzki in Windeseile tausend Kilometer von Moskau entfernt in einer kleinen Regionalstadt vor Gericht gestellt, und zwar in einer geschlossenen Sitzung ohne Medien oder Rechtsbeistand. Das Stadtgericht von Syktywkar ordnete Kagarlitzkis Inhaftierung bis zum 24. September an. Die Anhörung fand in nichtöffentlicher Sitzung statt. Er wird in der Haftanstalt Werchnij Tschow inhaftiert sein. Dem älteren linken Denker drohen nun bis zu sieben Jahre Gefängnis, und die Räumlichkeiten seiner Mitarbeiter werden durchsucht.
Diese kalkulierten Vorsichtsmaßnahmen derjenigen, die die politische Verfolgung von Kagarlitzki orchestrieren, zeigen, dass sie ernsthaft Angst vor der organisierten Unterstützung für den linken Soziologen haben – vielleicht mehr als bei jeder anderen noch lebenden öffentlichen Figur in Russland. Und das nicht ohne Grund, denn die Nachricht von Kagarlitzkis Verhaftung hat bei einer Vielzahl von Aktivisten Wut und Empathie ausgelöst: bei all jenen, die von ihm gelernt, mit ihm debattiert und mit ihm zusammengearbeitet haben.
Außerdem ist dies nicht der erste Fall von Verfolgung linker Aktivisten: Gegen Gewerkschafter und Aktivisten wie Anton Orlow und Kirill Ukrainzew werden Straf- und Verwaltungsklagen mit falschen Begründungen erhoben, und jede Woche werden neue Personen als »ausländische Agenten« eingestuft, darunter der Mathematiker und linke Aktivist Michail Lobanow. Obwohl es in Russland so gut wie keine rechtlichen Möglichkeiten mehr gibt, sich gegen die Unterdrückung durch die Regierung zu wehren, werden wir Kagarlitzki nicht allein mit seinen Anklägern lassen.
Kagarlitzki muss freigelassen werden. Mögen alle, die ihm jemals die Hand geschüttelt oder seine Bücher gelesen haben, diesen Slogan wiedergeben. Wir rufen euch dazu auf, ihn zu unterstützen: durch Veröffentlichungen, Aktionen und Aufmerksamkeit für seine Bücher. Menschen können sterben, aber Ideen nicht, und Kagarlitzki hat alles getan, um sicherzustellen, dass die Gefängnismauern seinen Kampf für die menschliche Freiheit nicht behindern werden.