02. Februar 2021
Die Redditors haben gezeigt, wie man die Hedgefonds mit ihren eigenen Mitteln in die Knie zwingen kann. Doch unter Shareholdern gibt es keine Demokratie. Deshalb brauchen wir eine andere Strategie.
Gavin Wax, Vorsitzender der New York Young Republicans, macht sich bei einer Protest-Kundgebung für Wallstreetbets stark, 31. Januar 2020.
Sektkorken knallen, blaue Juwelen blitzen neben Emojis auf. Sie haben es geschafft – kleine Anleger, die sich in dem Subreddit »Wallstreetbets« zusammengetan haben, um ein paar Hedgefonds mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Bei der gegenteiligen Spekulation auf GameStop war ihre Intention nicht unbedingt Geld zu verdienen oder systemische Kritik zu üben. Das sind, wenn überhaupt, Nebenprodukte einer Wette auf ein chaotisches Spektakel, das die ganze Absurdität des Systems offenbart. Und es gibt allen Beteiligten das Gefühl, gegen eine besitzende Finanzelite aufzubegehren: Wir Kleinen gegen die Großen.
Die Kleinanleger stürmten die Aktienmärkte und rannten über Wallstreetbets der nächsten Spekulation hinterher. Im Zuge dieser enormen Kurssteigerung bei der GameStop-Aktie setzten große Broker wie Robin Hood oder der deutsche Anbieter Trade Republik den Kauf von Aktien aus (der mittlerweile wieder verfügbar ist). Dieser Schritt, so wurde behauptet, sei unumgänglich, da aus der außergewöhnlichen Nachfrage technische Probleme resultierten und der Marktmechanismus durch zu wenig Liquidität nicht funktioniere. Gleichzeitig hieß es, dass man ein solch risikoreiches Kaufverhalten nicht unterstütze.
Das ist natürlich widersprüchlich. Denn die Broker bieten neben dem normalen Aktienkauf noch viel riskantere Produkte an. Durch das Aussetzen des Kaufes wurden die Kleinanleger daran gehindert, weiter gegen die Short-Seller Fonds zu wetten – während die Fonds weiter mit Leerverkäufen Druck auf den Kurs ausüben konnten. Durch die ganzen neuen Leerverkäufe sank der Preis wieder. Daraufhin bildeten sich merkwürdige Koalitionen: Von Alexandria Ocasio-Cortez über Elon Musk bis hin zu Ted Cruz und Donald Trump Jr. formiert sich der Widerstand gegen die faktische Marktmanipulation der Broker. Von jetzt an wird sich alles um die gesetzlichen Grundlagen drehen, die festlegen, ob und wie ein Handel von Brokern ausgesetzt werden darf und ob dies auf Einwirken der Wall Street geschah, um dem vermeintlichen Klassenkampf mit unfairen Mitteln zu begegnen.
Einerseits müssen die Vorgänge bei den Brokern aufgearbeitet werden, wie Alexandria Ocasio-Cortez richtigerweise betont. Im Gegensatz zu denjenigen, die den Markt nur wieder ankurbeln wollen und ihn dann unreguliert lassen, fordert Alexandria Ocasio-Cortez finanzpolitische Reformen. Die einen möchten das Finanzcasino wieder eröffnen, während linke Abgeordnete Einschränkungen umsetzen wollen – und zwar für alle.
Es geht darum, die Finanzmärkte insgesamt zu entschleunigen. Dafür ist ein umfassender Reformkatalog notwendig. Als erstes gilt es ein Verbot auf ungedeckte Leerverkäufe (bei dem Aktien schon verkauft werden bevor sie geliehen wurden) durchzusetzen, das es in Deutschland bereits gibt. Die nächste Stufe wäre ein komplettes Leerverkaufsverbot. Damit entgeht dem Markt die Möglichkeit, sein Misstrauen gegenüber der Unternehmensentwicklung »einzupreisen« und daraus Gewinn zu schlagen. Diesem Misstrauen zu begegnen, wäre allerdings auch Aufgabe der Finanzaufsichten. In Deutschland müsste etwa die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, BaFin, personell besser ausgestattet werden und mehr Eingriffsmöglichkeiten haben, um Skandale wie Wirecard frühzeitig aufzudecken.
Darüber hinaus sollte der Hochfrequenzhandel durch eine Finanztransaktionssteuer unterbunden werden, da dieser ausschließlich darauf zielt, mit schnellstmöglich erhaltenen Bestellinformationen automatisiert Aktien zu kaufen, was somit trendverstärkend und destabilisierend wirkt. Darüber hinaus ist auch eine Art »Finanz-TÜV« notwendig, der realwirtschaftlich irrelevante Produkte nicht zulässt und eine Risikobewertung für Finanzprodukte abgibt. Die zusätzliche Regulierung von institutionellen Anlegern und insbesondere Schattenbanken ist ebenso notwendig. Eine steuerliche Privilegierung von langen Haltedauern – also eine längere Zeit zwischen Kauf und Verkauf – kann überdies sinnvoll sein, um Kleinanleger davor zu bewahren, kurzfristigen Profiten nachzujagen. Im Kontrast dazu ist eine Entprivilegierung bei der Besteuerung von Kapitaleinkommen notwendig, sodass die Attraktivität des Kapitalmarkts und auch die Kapitalrentabilität sinkt.
Für die Finanzstabilität insgesamt sind aber auch andere Politikfelder relevant, die eher mittelbar einen Einfluss ausüben. Die auseinandergehende Einkommensverteilung führt dazu, dass Wohlhabende ihr Einkommen eher ansparen und dann mit einem Teil ihrer Ersparnisse am Finanzmarkt aktiv werden. Die mittlere und untere Schicht hingegen wird aufgrund ihrer kleineren Einkommen zu einer höheren Kreditnutzung gedrängt. Von beidem profitiert das Kapital und die Finanzindustrie. Auch die Rente ist relevant: Bei geringeren Rentenansprüchen und der Angst vor Altersarmut, entscheiden sich viele für die private Vorsorge, was wiederum zu mehr Aktivität an den Finanzmärkten bei der Altersvorsorge führt.
Noch ist unklar, wer im Kampf um GameStop gewinnt. Die kurzfristige Freude über den Sieg gegen den riesigen Fonds garantiert jedoch keinen langfristigen Erfolg der Investition, da es weiterhin fraglich bleibt, ob die Entwicklung der Gamestop-Aktien auf subjektiven Erwartungen fußt. In jedem Fall wird mittelfristig der Kurs wieder sinken, da dieser in keinem Verhältnis zu der realwirtschaftliche Grundlage des Unternehmens steht. Auch die kurzfristige Entwicklung der Aktie ist schlecht, da die Short-Seller ihre Positionen auflösen konnten. Seit dem Höhepunkt von 400 Euro, ist der Wert der Aktie erneut enorm gefallen. Das war bereits am vergangenen Donnerstag direkt nach der Handelsaussetzung geschehen, und nun fiel der Aktienwert am Dienstag ein weiteres Mal aufgrund des anscheinend fehlenden Vertrauens. Die Leidtragenden dürften die Kleinanleger sein, da die meisten unter ihnen keine automatisierten Verkäufe bei starken Verlusten haben, nicht nachts traden und auch oft schlechtere Analysen haben dürften.
Man könnte nun von links für den Schutz der Kleinanleger argumentieren und vor diesem Hintergrund den freien Markt verteidigen oder gar auf die nächste Wette gegen das Finanzestablishment hoffen – doch ist das wirklich erstrebenswert? Nach Karl Marx ist der Aktienmarkt die Endstufe das Kapitalismus. Das Kapital trennt sich vom Management und so entsteht eine weitestgehende Trennung zwischen den Entscheidungen über den Wertschöpfungsprozess und dessen Ergebnisverwendung. Wenn wir auf das individuelle Handeln auf dem Finanzmarkt bauen, verfallen wir selbst dem neoliberalen Denken, das besagt, dass wir als Einzelne etwas verändern können, vor allem indem wir die üblichen kapitalistischen Strategien verfolgen.
Eine strukturelle Veränderung an diesem System, dass die Wenigen bevorzugt, muss jedoch die Rahmenbedingungen angehen. Eine Gesellschaft, in der jeder Mensch Aktien von börsennotierten Unternehmen besitzt und dadurch das System in weiten Teilen stützt, kann nicht das Ziel sein. Das würde lediglich bedeuten, Entscheidungen über die Unternehmensführung und über die Profitverwendung zu treffen – ohne die arbeitenden Menschen in diese Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Wenn wir tatsächlich darüber entscheiden wollen, was in den Unternehmen produziert wird, müssen sich die Beschäftigten selbst auflehnen und Mitbestimmung bei allen Unternehmensentscheidungen fordern. Das Spektakel bestünde dann nicht darin, einen Börsencrash zu provozieren und die Hedgefonds in Panik zu versetzen, sondern allen Angst zu machen, die von der Ausbeutung der arbeitenden Menschen profitieren. Die Kleinen gegen die Großen.
Lukas Scholle ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundestag für Finanzpolitik und betreibt den Podcast Wirtschaftsfragen.
Lukas Scholle ist Volkswirt, Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Finanzpolitik im Deutschen Bundestag und Kolumnist beim Jacobin Magazin.