30. April 2025
Die Klimakrise spitzt sich zu, doch die Dekarbonisierung stockt – blockiert von den Interessen der fossilen Industrie. Technologische Lösungen wie Geoengineering könnten den Klimawandel bremsen, sind aber riskant. Sind sie die letzte Option, die uns noch bleibt?
Anlage zur CO2-Abscheidung der Schweizer Firma Climeworks in Hellisheidi, Island.
»Erst eine Warnung, melodisch; dann die Stunde, unwiderruflich.« Wie bei der Uhr in Virginia Woolfs Mrs. Dalloway hören und erfahren wir jedes Jahr, dass es erneut wärmer geworden ist. Wir werden immer wieder daran erinnert, dass sich in Sachen Klimawandel die Uhr nicht zurückdrehen lässt.
2024 war nicht nur das heißeste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen; unsere Modelle können nicht einmal vollständig erklären, wie heiß es tatsächlich geworden ist. Die Erwärmung überschritt wohl 1,5 Grad Celsius. Das brachte uns näher an mehrere »Kipppunkte«, wie etwa den drohenden Kollaps des grönländischen Eisschildes und das Abschmelzen des arktischen Permafrostbodens. Hinzu kamen zahlreiche katastrophale Wetterereignisse – Sturzfluten in Spanien, ein Hurrikan in North Carolina, tödliche Hitzewellen während der Wallfahrt in Mekka und Brände in Los Angeles.
Es gibt zwar vereinzelte Fortschritte, doch insgesamt versagt die Weltgemeinschaft: 2024 sind die globalen Emissionen erneut gestiegen; erneuerbare Energien werden nicht schnell genug auf- und ausgebaut; der Energiebedarf wächst. In den USA stagnierten die Emissionen 2024 weitgehend, obwohl sie um sieben bis acht Prozent pro Jahr sinken müssten. Die Aussichten für die kommenden vier Jahre sind ebenfalls düster.
Ein schwacher Hoffnungsschimmer zeigte sich im vergangenen Jahr in Island in Form eines riesigen Ventilators, der Kohlendioxid aus der Atmosphäre saugt. Die Maschine namens Mammoth wurde von der Firma Climeworks gebaut. Sie ist Teil einer wachsenden Industrie von Klimatechnologien, die zur Stabilisierung der Temperaturen beitragen könnten – wenn denn schon die Emissionen nicht vollständig eliminiert werden können.
Für Tech-Optimisten sind solche Projekte unsere letzte und größte Hoffnung, um trotz des Klimawandels tatsächlich noch nachhaltigen Fortschritt der Menschheit zu ermöglichen. Doch es gibt gute Gründe, skeptisch zu sein. Selbst wenn die wissenschaftlichen Erkenntnisse hinter derartigen Unterfangen stimmen mögen, gefährdet die Abhängigkeit von Märkten und Profiten den kollektiven Fortschritt. Darüber hinaus bergen die radikalsten Maßnahmen physische sowie politische Risiken, die zu inakzeptablen und tragischen Entscheidungen führen könnten.
Ich möchte das Risiko einer recht starken Vereinfachung eingehen und fasse grob zusammen: Es gibt drei grundsätzlich denkbare Möglichkeiten, die globale Erwärmung zu begrenzen. Erstens können wir umgehend auf das Verbrennen fossiler Brennstoffe verzichten. Zweitens können wir Kohlendioxid aus der Atmosphäre entfernen. Drittens können wir einen Teil des Sonnenlichts reflektieren und so die Temperaturen senken, allerdings ohne damit die eigentliche Ursache der Erderwärmung zu bekämpfen.
Eine gängige Reaktion von uns Linken ist darauf hinzuweisen, dass die zweite und insbesondere die dritte Option die Gefahr bergen, von den eigentlichen Problemen abzulenken. Am dringendsten ist es demnach, die Emissionen zu reduzieren, was wiederum bedeutet, dass wir einige Dinge mehr tun müssen (Elektrifizierung zahlreicher Sektoren, vermehrter Einsatz erneuerbarer Energien) und andere weniger (Verbrennung fossiler Brennstoffe, übermäßiger Konsum). Aus dieser Perspektive sind andere Maßnahmen bestenfalls ein technokratischer Notbehelf, schlimmstenfalls Ausdruck einer gefährlichen Ideologie, die von den Lobbyisten der fossilen Brennstoffindustrie genutzt wird, um den Status quo aufrechtzuerhalten – und uns damit immer und immer näher an die Katastrophe bringt.
»Wenn wir allen Menschen ein Leben in Wohlstand ermöglichen wollen, wenn wir einen bewohnbaren Planeten erhalten wollen, und wenn wir ehrlich sind, was das derzeitige Tempo der Dekarbonisierung angeht, dann brauchen wir unbedingt weitere Gegenmaßnahmen.«
Am besten erklären dies wohl Andreas Malm und Wim Carton in ihrem neuen Buch Overshoot: How the World Surrendered to Climate Breakdown. Darin legen sie den Prozess dar, wie »Klimamodelle« und potenzielle Gegenmaßnahmen erdacht wurden: So bilden die sogenannten integrierten Bewertungsmodelle die Grundlage für UN-Berichte. Dabei stützt man sich auf »rationale« Rechenprogramme, die darauf ausgelegt sind, Kosten zu minimieren und langfristige CO2-Reduktionen gegenüber kurzfristigen Maßnahmen zu bevorzugen – denn man geht davon aus, dass in naher Zukunft große Mengen CO2 kostengünstig(er) aus der Atmosphäre entfernt werden können. In den jüngsten Modellen wird das sogenannte Solar-Geoengineering dabei noch nicht berücksichtigt, aber das könnte sich in der nächsten Runde ändern.
Malm und Carton geben zu Recht nicht diesen Modellen an sich die Schuld, sondern vielmehr der Art und Weise, wie sie bei Regierungen und Technokraten an Beliebtheit gewonnen haben. Sie würden dazu genutzt, um »die materiellen Interessen der herrschenden Klassen zu bedienen und zu sichern«. Sie verliehen einer zwar unwahrscheinlichen, aber politisch opportunen Zukunft wissenschaftliche Glaubwürdigkeit, die wiederum zur akzeptierten Ideologie werde und das Problem effektiv aufschiebe und vertage. Wie Adrienne Buller weiter schreibt, dienen diese Modelle dem Kapital, indem sie »unsere ökologische Krise von ihren zutiefst politischen Ursprüngen loslösen«.
Ich stimme dieser Ansicht absolut zu. Doch das ändert nichts an der reinen Rechenaufgabe: Wenn wir allen Menschen ein Leben in Wohlstand ermöglichen wollen, wenn wir einen bewohnbaren Planeten erhalten wollen, und wenn wir ehrlich sind, was das derzeitige Tempo der Dekarbonisierung angeht, dann brauchen wir unbedingt weitere Gegenmaßnahmen. Und: Jedes Jahr, in dem wir es wieder nicht schaffen, die Emissionen ausreichend zu reduzieren, werden wir solche Maßnahmen noch dringender brauchen.
Die Mammoth-Anlage liegt eingebettet zwischen Vulkanen, rund dreißig Kilometer südwestlich von Reykjavík, und sieht aus wie eine Sammelstelle für Ventilatoren. Es ist ein langes, niedriges, fensterloses Gebäude, auf allen Seiten von in den Himmel ragenden Turbinen flankiert. Diese blasen, angetrieben von einem nahegelegenen Geothermiekraftwerk, Luft durch einen Filter, der CO2 herausfiltert, das dann in das darunter liegende Basaltgestein gepumpt wird. Die Technologie, die sogenannte Direct Air Capture (direkte Luftabscheidung), ist nur eine von vielen Möglichkeiten, Kohlenstoff aus der Atmosphäre zu entfernen und dauerhaft zu lagern. Andere Methoden sind beispielsweise das Ausbringen von zerkleinerten CO2-haltigen Gesteinsbrocken auf landwirtschaftlichen Flächen oder das Einpumpen von entsprechendem Klärschlamm in den Untergrund. Zahlreiche Startups wurden bereits gegründet, um diese Methoden weiterzuentwickeln. Bei ausreichender Größe könnte die Branche tausende Menschen beschäftigen. Wenn genug CO2 aus der Luft geholt würde, um unsere Emissionen auszugleichen, könnte die Erderwärmung tatsächlich gestoppt werden.
Die Herausforderung besteht allerdings darin, sicher und verantwortungsbewusst in großem Maßstab auszubauen: Denn aktuell entfernt Mammoth 0,00003 Gigatonnen Kohlendioxid pro Jahr; die gesamte Branche hat seit ihrer Gründung 0,0006 Gigatonnen entfernt. Zur Einordnung: Die weltweiten Emissionen liegen bei rund vierzig Gigatonnen pro Jahr. Eine CO2-Entfernung von zehn oder gar zwanzig Gigatonnen ist praktisch unmöglich. In dieser Hinsicht ist die Technologie tatsächlich reine Ideologie. Die Entfernung kann realistisch gesehen nur eine Ergänzung zu umfassenderer CO2-Einsparung sein. Selbst bei einer tiefgreifenden Dekarbonisierung mit äußerst geringen Rest-Emissionen wären immer noch mindestens eine bis drei Gigatonnen CO2-Abscheidung erforderlich. Das ist um ein Vielfaches mehr, als heute möglich ist, und könnte Billionen Dollar kosten. Hinzu kommt: Die meisten Methoden mögen derzeit als relativ sicher gelten, doch ein deutlich größerer Einsatz könnte unerwartete und ungewollte Auswirkungen auf die Umwelt haben.
»Im Gegensatz zu Investitionen in günstigere erneuerbare Energien oder in grünes Wohnen bringt die CO2-Entfernung niemandem unmittelbare materielle Vorteile, abgesehen von der Schaffung von Arbeitsplätzen.«
Ein unmittelbareres Risiko der CO2-Abscheidung ist ihre Vereinnahmung und Instrumentalisierung. Holly Jean Buck warnte schon 2019, dass Ölkonzerne nur allzu bereitwillig »die Logik und Argumentation« für CO2-Abscheidung übernehmen würden, um weiter Öl zu fördern und gleichzeitig auf ein zukünftiges »CO2-Management« verweisen zu können, das die entstehenden Probleme schon lösen wird. Vier Jahre später stellte die Biden-Regierung 1,2 Milliarden Dollar für Direct-Air-Capture-Projekte bereit. 500 Millionen Dollar davon gingen an Occidental Petroleum, dessen CEO Vicki Hollub unumwunden erklärte, die direkte Luftabscheidung trage dazu bei, »unsere Branche langfristig zu erhalten«. Diese Gelder kann man also durchaus als Lippenbekenntnisse und PR-Gag für Ölkonzerne bezeichnen, die darüber hinaus die dringend notwendige Dekarbonisierung verzögern.
Ein Kernproblem, sowohl in Bezug auf eine solche Vereinnahmung als auch auf Fortschrittshemmnisse, ist die Abhängigkeit von Märkten. Im aktuellen Modell führen kleinere Unternehmen (meist Startups) die CO2-Abscheidung durch und verkaufen die daraus resultierenden Emissionszertifikate. Die Käufer dieser Gutschriften (vor allem große Technologiekonzerne) nutzen diese wiederum, um ihre Emissionen zu »kompensieren« und auf diese Weise ihre Netto-Null-Ziele zu erreichen. Da viele Methoden zur CO2-Abscheidung als unsicher gelten, ist ein Netz aus Zwischenunternehmen und gemeinnützigen Organisationen entstanden, die diverse Standards zur Stützung des Marktes aufstellen, um die Probleme zu umschiffen, die bei früheren CO2-Kompensationssystemen aufgetreten sind. Letztendlich könnte dieses System sogar dazu führen, dass auch Regierungen Emissionszertifikate kaufen (oder entsprechende Regierungsstellen dazu auffordern), um die eigenen Netto-Null-Verpflichtungen zu erfüllen.
Daraus ergeben sich zwei weitere Probleme. Erstens ermöglicht diese Finanzierung von CO2-Entfernung durch Kompensationszahlungen es einzelnen, in der Regel wohlhabenden Akteuren, ihre Netto-Null-Ziele zu erreichen. Da es global aber Einschränkungen bei der Energie- und Landnutzung gibt, könnten solche »Luxus-Maßnahmen« die internationale Koordination bei gesamtgesellschaftlich wichtigeren Maßnahmen behindern. So könnte zum Beispiel der Emissionsausgleich in der Landwirtschaft nicht ausreichend finanziert werden – was problematisch ist, wenn man die Ernährung von Menschen sicherstellen will. Zweitens bremst ein System, in dem CO2-Entfernung als projektbezogenes Eigentumsrecht verkauft wird, die wissenschaftliche Forschung: Wir sind aktuell noch dabei zu lernen, wie gut die unterschiedlichen Abscheidungsmethoden funktionieren – selbst, wenn sie zu funktionieren scheinen, kann es knifflig sein, die Ergebnisse zu verifizieren. Käufer brauchen Vertrauen und dürften daher eher konservative, weniger innovative Ansätze präferieren. Verkäufer von Emissionszertifikaten sind ihrerseits gewinnorientiert und werden deshalb versuchen, die von ihnen entwickelten Methoden zur CO2-Abscheidung möglichst geheim zu halten. Das verhindert Wissensaustausch. Schlimmer noch: Marktteilnehmer könnten die Ergebnisse verfälschen oder manipulieren, um sich Vorteile zu verschaffen und Profite zu sichern. Das würde die besagte Vereinnahmung weiter fördern – und den kollektiven Fortschritt sabotieren.
All dies hätte einen Karl Marx nicht überrascht. Es ist ein perfektes Beispiel dafür, wie die Produktivkräfte durch die kapitalistischen Produktionsverhältnisse gehemmt werden. Die CO2-Entfernung ist darüber hinaus das, was Karl Polanyi als fiktive Ware bezeichnet hätte. Damit spiegelte er einen Punkt, den Brett Christophers in Bezug auf Elektrizität angesprochen hatte: Ein Gut, das nie zum Kauf oder Verkauf bestimmt war, wurde in einen Markt gezwängt.
Wenn wir die CO2-Entfernung richtig angehen wollen – und ich denke, das sollten wir wollen! – läuft uns die Zeit davon. In den USA scheinen die Möglichkeiten auf Bundesebene unter Donald Trump zwar begrenzt zu sein, aber die einzelnen Bundesstaaten könnten als Testfelder für Experimente dienen. Ein Modell könnte auf dem Build Public Renewables Act für Strom in New York aufbauen. Diese Regelung bietet eine von den Gewerkschaften unterstützte Alternative zu privaten Energiemärkten. In ähnlicher Weise könnten Bundesstaaten eine »Carbon Removal Authority« einrichten und Methoden einsetzen, die für ihre jeweilige lokale Geografie und Ressourcen am besten geeignet sind. Die Ergebnisse daraus könnten auf die Ziele des Bundesstaates (oder ganzer Länder) angerechnet werden – nur ohne den Zwang, Zertifikate zu verkaufen. Der Schwerpunkt müsste stattdessen auf schnellem und gegenseitigem Lernen liegen. Staatlich unterstützte Forschungszentren könnten potenziell unsicherere Methoden testen und wären [im Gegensatz zu Privatunternehmen] verpflichtet, ihre Ergebnisse offenzulegen.
»Geoengineering als unvermeidbar zu erklären, weil die Interessen der fossilen Brennstoffindustrie zu mächtig sind, bedeutet, unsere kollektive Verantwortung aufzugeben.«
All diese Ideen wären einen Versuch wert. Ich bin ganz sicher nicht der Erste, der dafür plädiert, die CO2-Abscheidung in öffentliche Hand zu geben. Dabei muss aber klar sein: Obwohl wir langfristig CO2-Entfernung brauchen und uns gegen ihre Vereinnahmung durch Konzerne wehren sollten, ist dies wohl kein besonders geeigneter Sektor, um linke Politik zu stärken. Denn im Gegensatz zu Investitionen in günstigere erneuerbare Energien oder in grünes Wohnen bringt die CO2-Entfernung niemandem unmittelbare materielle Vorteile, abgesehen von der Schaffung von Arbeitsplätzen. Mehr noch, im Gegensatz zur Stromversorgung würde es niemand bemerken, wenn die Systeme unterbrochen werden oder nicht funktionieren. Es handelt sich hier letztlich um Abfallentsorgung – von einem Abfall, den die Menschen weder sehen noch riechen können.
Diese Probleme – sowohl das langsame Tempo bei der Dekarbonisierung als auch die wahrscheinlichen Grenzen der CO2-Abscheidung – haben einige dazu veranlasst, nach radikaleren technologischen Lösungen zu suchen.
Im Jahr 1815 brach der Vulkan Tambora im heutigen Indonesien aus. Er spuckte 50 Kubikkilometer Asche und Schwefeldioxid in die Atmosphäre. Die saure Partikelwolke breitete sich rund um den Globus aus und kühlte den Planeten vorübergehend um etwa ein Grad Celsius ab – allein dadurch, dass das Sonnenlicht von den Partikeln reflektiert wurde. In Europa erlebte die Autorin Mary Shelley das Jahr 1816 als ein »Jahr ohne Sommer«. Die kalten, stürmischen Nächte inspirierten sie zur Geschichte von Frankenstein, die moderne Version von Prometheus, der den Menschen das Feuer gab, damit wir aufhören konnten, »unseren Tod zu erahnen« und »blinde Hoffnungen« zu hegen.
Mit dem sogenannten Solar-Geoengineering soll der Tambora-Abkühlungseffekt bewusst und sicher wiederholt werden. Man kann dabei durchaus von »blinder Hoffnung« sprechen.
Der am breitesten diskutierte Geoengineering-Ansatz besteht darin, winzige Partikel in die Stratosphäre zu sprühen, um das Sonnenlicht zu reflektieren. Im Vergleich zur Dekarbonisierung oder CO2-Abscheidung wäre dies relativ kostengünstig: Etwa 10 Milliarden Dollar pro Jahr würden benötigt, um einige hundert Flugzeuge zu betreiben, die mehrere Millionen Tonnen Schwefeldioxid ausbringen würden. Solche Flugzeuge gibt es noch nicht, aber sie könnten innerhalb weniger Jahre entwickelt werden. Laborexperimente, Modellstudien und historische Vulkanausbruchdaten deuten darauf hin, dass dieser Ansatz tatsächlich zu einer Abkühlung des Planeten führen könnte.
»Eine plötzliche Beendigung solcher Geoengineering-Maßnahmen würde einen sogenannten Termination Shock auslösen: Die Temperaturen würden rapide auf das Niveau ansteigen, das sie ohne derartige Maßnahmen erreicht hätten. Bei solch einem plötzlichen Anstieg drohen Katastrophen biblischen Ausmaßes.«
Allerdings gibt es erhebliche Risiken. Das Versprühen von Partikeln in nur einer Region könnte die Niederschlagsmuster anderswo stark beeinflussen. Auch ein global gleichmäßiger Einsatz könnte unerwartete hydrologische Folgen haben. Die niedrigere Sonneneinstrahlung könnte zu Ernteeinbußen in der Landwirtschaft führen. Die Partikel selbst könnten die Ozonschicht schädigen. Am schlimmsten wäre jedoch, dass es nach dem Start praktisch unmöglich wäre, den Prozess wieder zu stoppen. Denn wenn unsere Emissionen zeitgleich weiter steigen, würde eine plötzliche Beendigung solcher Geoengineering-Maßnahmen einen sogenannten Termination Shock auslösen: Die Temperaturen würden rapide auf das Niveau ansteigen, das sie ohne derartige Maßnahmen ebenfalls erreicht hätten. Bei solch einem plötzlichen Anstieg drohen Katastrophen biblischen Ausmaßes.
Und das sind nur die bekannten Risiken. Experimente in der Praxis stoßen auf Widerstand, sodass unser bisheriges Wissen größtenteils aus groben Simulationen stammt. Aus Sicht von Aktivisten ist jede weitere Forschung ein moralisches Risiko, das vor allem von dringend benötigten Ansätzen zur Dekarbonisierung ablenkt. Dem Geld sind solche Einwände aber einerlei: Die Forschungsfinanzierung in diesem Bereich boomt, insbesondere seitens der Tech-Elite. Online tauchen immer neue Simulationen auf; Werbeposter füllen die Flure bei Fachkonferenzen.
Ich habe argumentiert, dass eine fortgesetzte, begrenzte Forschung sinnvoll ist, solange sie transparent, vollständig im öffentlichen Interesse und nicht von privaten Unternehmen durchgeführt wird. Insbesondere wenn durch Forschung neue Risiken aufgedeckt werden, die alle Akteure dazu zwingen, behutsamer vorzugehen, könnten die Gesamtvorteile die Risiken überwiegen.
Eine dringlichere Frage für die Linke ist derweil, ob es jemals progressive Argumente für den Einsatz von Solar-Geoengineering geben könnte. Diesbezüglich habe ich zunehmend Zweifel.
Man stelle sich das bestmögliche Szenario vor. Andreas Malm nennt es die »rational-optimistische« Position. Nehmen wir also an, dass weitere Forschungen zeigen, dass Solar-Geoengineering wie gedacht funktioniert und – vielleicht durch die Entwicklung neuartiger Partikel oder Anwendungsarten – Nebenwirkungen minimiert werden können. Nehmen wir weiter an, dass die Forschung mit Hilfe internationaler NGOs weltweit durchgeführt wird und repräsentativ ist. Nehmen wir weiter an, dass eine neue internationale Organisation aufbauend auf bestehenden Initiativen Solar-Geoengineering tatsächlich als eine »Kraft für Frieden und Stabilität« erkennt und einen demokratischen Prozess für seine Finanzierung und praktische Umsetzung einrichtet. Und schließlich, was vielleicht am wichtigsten ist, nehmen wir an, dass die Dekarbonisierung zeitgleich rasch voranschreitet, sodass die Welt innerhalb weniger Jahrzehnte schrittweise wieder aus dem Partikel-Geoengineering aussteigen und den gefürchteten Termination Shock vermeiden kann.
Ich würde gerne glauben, dass all dies möglich ist. Doch wenn ich mir die jüngsten internationalen Entwicklungen, gerade in Fragen des Klimawandels, anschaue, bin ich mir nicht so sicher. Eine alternative Entwicklung scheint leider viel wahrscheinlicher.
»Solar-Geoengineering ist schnell und billig, aber auch mit extremeren Umweltrisiken verbunden und besonders anfällig für eine Vereinnahmung und Zentralisierung. Die CO2-Abscheidung hingegen ist langsam, teuer und von Natur aus dezentralisiert.«
Zunächst muss man sich die Privatisierung von Forschung nicht einmal mehr vorstellen – sie findet bereits statt. Während in frühen Projekten die Vorgehensweise und Pläne offengelegt wurden, sagte ein bekannter Wissenschaftler in dem Feld, David Keith, er habe seine Lektion gelernt und werde in Zukunft »nicht mehr so offen sein«. Ein verschwiegenes israelisches Startup namens Stardust Solutions hat 15 Millionen Dollar aufgebracht und will die Zusammensetzung seines eigenen »proprietären Partikels« nicht offenlegen. Es ist nicht auszuschließen, dass es bereits Pläne gibt, diese Technologie an eine Regierung zu verkaufen.
Nun stelle man sich vor, dass in den kommenden fünf bis zehn Jahren die Klimakatastrophen so extrem werden, dass genug Druck entsteht, sie in einem politisch relevanten Zeitrahmen ernsthaft zu bekämpfen. Eine globale mächtige Militärmacht, möglicherweise aus einem autoritären Staat, würde womöglich die Verantwortung übernehmen und den Einsatz der entsprechenden Technologie selbst an ein privates Tech-Unternehmen vergeben. Sobald das Problem vermeintlich »gelöst« ist, gäbe es noch weniger Anreize, die Emissionen zu reduzieren. Die ganze Welt wäre nun von denen abhängig, die die entsprechenden Flugzeuge haben und die Partikel ausbringen.
Letztendlich stehen wir vor einer womöglich tragischen Entscheidung: Konzentrieren wir uns ausschließlich auf die Reduzierung der Emissionen und vielleicht ein wenig auf die Abscheidung von CO2, wohl wissend, dass ein solch geringer Fortschritt Millionen, vielleicht sogar Milliarden Menschen in die Katastrophe stürzen wird? Oder setzen wir auf Solar-Geoengineering, ebenso wohl wissend, dass es Leben retten, aber gleichzeitig die imperiale Hegemonie festigen und uns potenziell noch näher an die Katastrophe bringen könnte?
Diese Entscheidung kann niemand allein treffen. Das »Wir« muss hier demokratisch und global gemeint sein; vor allem muss es eine starke Beteiligung der am stärksten gefährdeten (und damit auch am ehesten von der Entscheidung profitierenden) Bevölkerungsgruppen geben.
Persönlich bin ich der Meinung, dass wir Solar-Geoengineering niemals versuchen sollten. Es wirft zwar viele derselben Bedenken auf wie die CO2-Abscheidung oder -Entfernung (die ich befürworten würde), aber verschärft diese allesamt: Solar-Geoengineering ist schnell und billig, aber auch mit extremeren bekannten Umweltrisiken verbunden und besonders anfällig für eine Vereinnahmung und Zentralisierung. Die CO2-Abscheidung hingegen ist langsam, teuer und von Natur aus dezentralisiert. Dies könnte also Zeit und Raum für progressive Experimente schaffen. Nochmals andererseits: Angesichts der potenziellen Vorteile von Solar-Geoengineering könnte es eine wirkliche Tragödie sein, sie nicht auszuprobieren.
Wie auch immer die Entscheidung ausfällt: Die Aussicht, dass diejenigen, die am wenigsten für die Klimakrise verantwortlich sind, trotz aller Gefahren Solar-Geoengineering in Betracht ziehen müssen, sollte uns vor Augen führen, dass der Klimawandel unter kapitalistischen Verhältnissen ein absolutes moralisches Versagen darstellt. Geoengineering als unvermeidbar zu erklären, weil die Interessen der fossilen Brennstoffindustrie zu mächtig sind, bedeutet, unsere kollektive Verantwortung aufzugeben. Wie Larry Alan Busk unter Bezugnahme auf Hannah Arendt schreibt, erleben wir hier zeitgleich die »Lähmung und Allmacht«, die man auch in totalitären Regimen erlebt hat: Wir scheinen machtlos gegenüber der kapitalistischen Wirtschaft, doch andererseits verfügen wir offenbar über ausreichende technologische Kenntnisse, um den Einfluss der Sonne auf die Erde zu kontrollieren.
An dieser Stelle sollten wir uns vielleicht an die Geschichte von Herman Melvilles Moby Dick erinnern, wie sie C. L. R. James in seiner weitsichtigen Analyse interpretiert hat. Nach James’ Darstellung ist das Walfangschiff (die Pequod) ein Sinnbild für eine Fabrik des wissenschaftlichen Fortschritts, und Kapitän Ahab ist ihr totalitärer Leiter. Ahabs Jagd auf den weißen Wal ist unvermeidlich; er ist schlicht unfähig, sie nicht fortzusetzen. Gleichzeitig scheint er die volle Kontrolle über die Technologie des Walfangsgeschäfts und auch über die Besatzung zu haben, die er ausbeutet und letztendlich zum Tode verdammt.
Melville und James warnen uns vor dem blinden Vertrauen, das wir in unsere Fähigkeiten setzen, die Natur zu beherrschen – und davor, wie leicht diejenigen, die dies tatsächlich können, Macht auf Kosten des Restes der Menschheit beanspruchen. Ich hoffe, wir hören auf sie. Denn sonst könnte unser letztes Kapitel so enden wie das der Pequod: »Dann brach alles ein, und das große Leichentuch des Meeres wogte weiter wie vor fünf Jahrtausenden.«
Jeremy Freeman ist Executive Director bei CarbonPlan, einem Nonprofit-Forschungsinstitut mit Fokus auf Klimalösungen.