22. März 2021
Das ehemalige Werbegesicht von Haribo kritisiert die Schließung des einzigen Werks in Ostdeutschland. Und damit liegt er richtig. Zumindest fast.
Haribo ist seit langem unangefochtener Marktführer. Von diesem Erfolg profitierte auch Gottschalk während seiner langjährigen Werbepartnerschaft mit dem Unternehmen.
In den letzten Monaten geisterte die Schließung des Haribo-Werks in Wilkau-Haßlau – dem einzigen Produktionsstandort der Firma in Ostdeutschland – durch die Presse.
Im November vergangenen Jahres teilte die Unternehmensführung der 150-köpfigen Belegschaft mit, dass innerhalb nur weniger Wochen, bis Ende 2020, die Produktion beendet werden soll. Seit kurzem steht fest, dass auch kein anderer Konzern den Produktionsstandort übernehmen wird. Die meisten Arbeitsverträge laufen Ende März, die letzten diesen Sommer aus.
In den Produktionshallen in Wilkau-Haßlau wurden bereits in der DDR Gummibären und andere Süßigkeiten hergestellt. Als nach der Wende ehemalige DDR-Betriebe privatisiert wurden, übernahm im Jahr 1990 Haribo das Werk – vermutlich zu einem Schnäppchenpreis.
Die Unternehmensführung rechtfertigt die Werksschließung nun mit den hohen Investitionen, die in dem Werk geleistet werden müssten. Die LINKE-Politikerin Sabine Zimmermann warf Haribo im Bundestag hingegen vor, dass das Unternehmen seit der Übernahme des DDR-Betriebs bewusst nicht in die Instandhaltung der veralteten Technik investiert habe, sondern lediglich Gewinne in Millionenhöhe sowie öffentliche Fördergelder kassierte.
Der Verlust von 150 Jobs klingt zunächst nicht nach einer volkswirtschaftlich entscheidenden Größe. Wilkau-Haßlau hat jedoch nur rund 10.000 Einwohnerinnen und Einwohner – das Haribo Werk spielt dort somit eine wirtschaftlich bedeutende Rolle. Der Kommune geht damit nicht nur das Unternehmen mit den meisten Arbeitsplätzen verloren, sondern auch die Gewerbesteuereinnahmen.
Da nicht die Beschäftigten über die Zukunft des Werks entscheiden – sondern das Management in der neuerbauten Haribo-Zentrale in Rheinland-Pfalz –, versuchten die Wilkau-Haßlauer mit Fotoaktionen und Kundgebungen die Schließung zu stoppen. Mehr als 16.000 Menschen unterschrieben die Petition zur Erhaltung des Standortes.
Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) forderte von der Geschäftsführung bereits Ende 2020, sich der sozialen Verantwortung bewusst zu werden und das Werk weiterbestehen zu lassen. Haribo zufolge seien Abfindungen ausgehandelt worden, deren Höhe im Schnitt eineinhalb Jahresgehälter bemisst. Das sei in der Branche ein guter Kompromiss, wie das Unternehmen mitteilte. Branche heißt in diesem Fall, dass Haribo in Deutschland einen Marktanteil von gut 60 Prozent hat und der nächstgrößte Konkurrent in etwa 10 Prozent. Weltweit macht der Süßwarenhersteller – in dessen Zulieferbetrieben vor wenigen Jahren eklatante Vorfälle von Tierquälerei bei der Gelantineproduktion und sklavenartige Zustände auf Carnaubawachsfarmen aufgedeckt wurden – einen jährlichen Umsatz von deutlich mehr als zwei Milliarden Euro.
Von dem Erfolg profitierte nicht nur das Unternehmen. 24 Jahre lang hatte der Fernsehmoderator Thomas Gottschalk mit Haribo – die gemeinsam den absurden Weltrekord für die längste Werbepartnerschaft aller Zeiten in dem noch absurderen Buch der Guinness-World-Records halten – Millionen verdient. Dennoch muss man sagen: Thomas Gottschalk behält mit seiner Äußerung zu der Haribo-Werksschließung recht – also fast.
Das Vorgehen des Quasi-Fruchtgummi-Monopolisten sei eine »Frechheit« gewesen, meint der Gewerkschaftssekretär der NGG Thomas Lißner im Telefonat. Das einzig Positive an dem Fall sei der unermüdliche und solidarische Kampf der Belegschaft und der umliegenden Bevölkerung, die gegen die Schließung protestierten. Der Vorschlag der Unternehmensführung, die Angestellten könnten in einem der anderen Standorte in Deutschland arbeiten, also rund 500 Kilometer von Wilkau-Haßlau entfernt, sei »ein vergiftetes Angebot« gewesen.
Ähnlich wie Sabine Zimmermann ist auch Lißner der Meinung, das Management habe in dem ostdeutschen Werk jahrelang lediglich Gewinne in Millionenhöhe abgeschöpft – nicht zuletzt dank den im Vergleich zu Westdeutschland noch immer niedrigeren Tariflöhnen –, und sei nun aber nicht dazu bereit gewesen, nötige Investitionen für das Fortbestehen auszugeben.
Haribo sei dem Gewerkschaftssekretär zufolge außerdem nie daran interessiert gewesen, das Werk offen zu halten. Die Verhandlungen mit dem Konkurrenten Katjes seien Scheinverhandlungen gewesen, um den Protest zu entschärfen. Die Unternehmensführung von Haribo habe Katjes ein entkerntes Gebäude angeboten – die Maschinen, die zu einem großen Teil noch aus DDR-Zeiten stammten, wurden zuvor von dem Konzern verkauft. Die Gespräche mit Katjes waren somit von Anfang an dazu verdammt, ergebnislos zu bleiben und haben nichts bewirkt, außer der Belegschaft bis zuletzt Hoffnungen auf eine Übernahme zu machen.
Die Süßwarenfabrik hatte in der Region auch eine identitäts- und gemeinschaftsstiftende Bedeutung: Viele Angestellte haben dort Freunde und ein festes soziales Umfeld gefunden. »Haribo hinterlässt verbrannte Erde, und das auch in den Köpfen der Menschen«, bedauert Lißner.
Die Protestaktionen können auch noch so beherzt sein – ohne echtes Mitbestimmungsrecht der Angestellten erreichen sie bestenfalls nicht viel mehr als ein bisschen höhere Abfindungs- oder Entschädigungssummen. Am Ende ist es die Geschäftsführung, die über die Zukunft von Produktionsstandorten wie den in Wilkau-Haßlau entscheidet. Die Geschäftsführung von Haribo will das ostdeutsche Werk nun an die Stadt verkaufen, damit dieses im Sinne der Bürger »weiterentwickelt« werden kann. Was das bedeutet, weiß niemand. Die Menschen in Ostdeutschland haben nichts dazugewonnen – nur eine Ruine.
Hinzu kommt, dass die Pandemie den Abstand zwischen dem ohnehin industrieschwachen Osten im Vergleich zum Westen Deutschlands noch weiter vergrößert. Während sich die westdeutsche Industrie an den üppigen Wirtschaftshilfen des Bundes erfreut, leiden die kleinen ostdeutschen Unternehmen besonders unter den Restriktionen.
Es ist ein weiteres kurzes, aber trauriges Kapitel Ostdeutschlands. Wieder einmal wurde ein ehemaliger DDR-Betrieb nach der Wende von einem westdeutschen Unternehmen aufgekauft, wieder einmal wurden jahrelang die Gewinne auf westdeutschen Konten verbucht und wieder einmal wurden die niedrigeren Löhne der Menschen als Standortvorteil ausgeschlachtet.
Ende letzten Jahres schaltete sich schließlich auch Gottschalk in den Fall ein und verlautbarte: »Wenn man sich auf die Fahne geschrieben hat: ›Haribo macht Kinder froh, und Erwachsene ebenso‹ muss man das auch als Arbeitgeber ernst nehmen.« Das stimmt. Doch er hat dabei einen zentralen Punkt verkannt: Nicht das Management ist das Unternehmen – und es »vergibt« auch keine Arbeit. Es sind die Arbeiterinnen und Arbeiter, die tagtäglich die Waren produzieren, die am Ende für Millionen verkauft werden. Sie sind der Kern eines jeden Unternehmens und sie sind es, die ihre Arbeit geben. Thomas Gottschalk hat also Recht. Zumindest fast.