05. Juli 2024
Die Stimmung bei der Vorstellung der Haushaltseinigung war ausgelassen – es wurde gelacht und über Fußball gesprochen. Das ist sinnbildlich für das Ergebnis, das die Koalition nun vorgelegt hat: ein schlechter Witz, der nur noch dem eigenen Machterhalt dient.
Linder, Habeck und Scholz bei der Pressekonferenz am 05.07.2024.
Zerbricht die Koalition an dem Haushalt? Das war in den letzten Wochen eine legitime These. Denn der Druck zum Sparen war enorm. Von einer 40 Milliarden Euro Lücke war die Rede. Maßgeblich dafür sind weiterhin das Urteil des Verfassungsgerichts zu den Buchungstricks sowie die lahmende Konjunktur und geringe Steuereinnahmen.
Somit war bei diesen Haushaltsverhandlungen alles anders: Anstatt dass Minister den Ausgabenbedarf bei Lindner anmelden, hat Lindner mit Unterstützung des Kanzlers Scholz und Vizekanzlers Habeck ihn den einzelnen Ministern vorgeschrieben. Das hätte für eine massive Kürzung in manchen Bereichen gesorgt. Folglich meldeten einige Minister Widerspruch an. Auch die öffentliche Diskussion verlief anders: Dieses Mal lag der Dissens insbesondere zwischen SPD und FDP. Kevin Kühnert warnte vor einem Sparkurs mit der »Kettensäge«. Auch die Erklärung der Notlage für weitere Schulden war immer wieder im Gespräch. FDP Grande Wolfgang Kubicki kündigte dafür schon vorsorglich den Koalitionsbruch an, falls das kommen sollte.
Alle in der Koalition wissen, dass sie in den Umfragen schlecht dastehen und Neuwahlen einen potenziell noch mächtigeren Kanzler Merz zur Folge hätten. Umso höher war der Druck für eine gesichtswahrende Einigung für alle Seiten mit der Folge, dass es keine allzu relevanten Fortschritte und keine allzu relevanten Rückschritte gibt, aber das Paket gleichzeitig nach außen verkauft werden kann. Das hat 23 Sitzungen von Olaf Scholz, Christian Lindner und Robert Habeck gekostet mit über 80 Stunden und dreistelliger Stundenzahl leitender Mitarbeiter.
»Dafür lässt die Ampel für 2025 und 2026 ganze 23 Milliarden Euro springen. Der Großteil dessen geht allerdings an Gut- bis Bestverdiener.«
Der Gesamtetat soll 481 Milliarden betragen, davon 57 Milliarden Investitionen und 55 Milliarden Euro Nettokreditaufnahme. Die globale Minderausgabe, also eine flächendeckende Kürzung, soll auf 16 Milliarden steigen. Ausgenommen sind das Verteidigungsministerium sowie das Innenministerium, die jeweils eine Milliarde mehr bekommen. Das freut insbesondere die SPD, so hat es Kanzler auch direkt als erstes in einer Pressekonferenz verkündet.
Die FDP bekommt die von ihr geforderte Entlastung bei der Kalten Progression, sodass man bei steigenden Preisen und Löhnen nicht mehr Einkommensteuer zahlt und am Ende weniger hat. Dafür lässt die Ampel für 2025 und 2026 ganze 23 Milliarden Euro springen. Der Großteil dessen geht allerdings an Gut- bis Bestverdiener. Auch wenn es dem Dax-Manager finanziell ziemlich egal sein dürfte, aber er bekommt mehr Entlastung als eine Kassiererin in Teilzeit.
Was die Ampel aber insgesamt braucht, sind Maßnahmen, die nichts kosten, aber trotzdem die Wirtschaft ankurbeln. Davon gibt es nicht allzu viele. Die immer wieder genannte Bürokratie ist es nicht, da Entbürokratisierung erst nach Jahren richtig wirkt, aber auch das gibt es natürlich wieder. Deshalb macht die Ampel jetzt Ernst bei den steuerfreien Überstunden und bei Entlastungen für arbeitende Rentner. Die Überstundenregelung hat eine Steigerung des Gender-Wage-Gaps zur Folge. Denn Alleinerziehende können wohl kaum mehr arbeiten, gutbezahlte Männer hingegen schon. Auch eine weitere Verschiebung der Care-Arbeit, weil bei der Arbeit des Besserverdieners in der Familie mehr übrig bleibt, ist naheliegend. Die Rentenregelungen bekommen den Anteil, den sie nach derzeitiger Regelung in die Rentenkasse und Arbeitslosenkasse eingezahlt haben, direkt ausgezahlt. Auch hier dürften vor allem Gutverdiener entlastet werden, die nicht Jahrzehnte auf dem Bau waren und nicht mehr arbeiten können. Auch Fachkräfte aus dem Ausland sollen Steuerrabatte in den ersten 3 Jahren bekommen, absteigend von 30 auf 10 Prozent. Insbesondere die Steuerregeln sind juristisch umstritten, da sie die Gleichbehandlung unterminieren.
Langzeitarbeitslose sollen nun eine Anschubfinanzierung bei der Jobaufnahme erhalten. Das Wohngeld soll weniger verrechnet werden, sodass der Arbeitsanreiz durch mehr Netto vom Brutto bleibt. Gleichzeitig sollen allerdings auch die Mitwirkungspflichten geschärft werden, indem die Zumutbarkeit erhöht und die Karenzzeit reduziert wird.
»Der Haushalt zeigt mal wieder: Die Ampel ist ein Zweckbündnis zum Machterhalt und der Fortschritt ist ziemlich egal.«
Bei Geflüchteten soll es eine begrüßenswerte Genehmigungsfiktion geben, sodass die Jobaufnahme nicht mehr vom Amt genehmigt werden muss, sondern stattdessen in den ersten zwei Wochen Widerspruch eingelegt werden muss. Folglich steigen die Integrationsbedingungen sowie die materielle Besserstellung für Geflüchtete.
Der Sinn hinter all diesen Maßnahmen ist, dass beide Maßnahmen den Staat praktisch nichts kosten, aber die Wirtschaft, den Konsum und die Steuereinnahmen anregen. Laut Habeck lässt sich das zusätzliche Wachstum maßgeblich auf das zusätzliche Arbeitsangebot zurückführen.
Wirtschaftlich relevant sind verbesserte Abschreibungsmöglichkeiten für Investitionen, sodass die Unternehmenssteuern vom Zeitpunkt der Investition auf den Zeitpunkt der daraus folgenden Gewinne verschoben wird. So werden die degressiven Abschreibungen bis 2028 verlängert und von 20 auf 25% erhöht - genauso wie zinsverbilligte KFW-Kredite und die Forschungszulage. Daneben soll es Sonderabschreibungen für gewerblich genutzte E-Autos geben sowie die Stromsteuer perspektivisch gesenkt werden. Besonders pikant: Das von SPD und Grünen viel unterstütze Lieferkettengesetz wird abgeschwächt. So soll es ab 2025 nur noch für ein Drittel der ursprünglichen Unternehmen geplant sein. Obendrauf soll es eine Wahlpflicht zu den EU-Regeln geben und diese zur Ablösung der deutschen Regeln spätestmöglich umgesetzt werden. Menschenrechte und Klimaschutz spielen derzeit für die Ampel offensichtlich eine weniger wichtige Rolle. So stimmt auch Robert Habeck die Pressekonferenz mit dem Motto »Wirtschaft, Klima und Kinder« an. Worauf der Fokus liegt, ist angesichts der Reihenfolge offensichtlich – selbst wenn dabei nur 0,5 Prozent beziehungsweise 26 Milliarden Euro Wachstum herausspringen.
Bei den Kindern sieht es ähnlich schlecht aus. So soll der Kindersofortzuschlag und das Kindergeld um 5 € erhöht werden. Das als Fortschritt zu verkaufen ist blanker Hohn. Gut hingegen ist die erste Version der Kindergrundsicherung, das Kinderchancenportal. Das soll eines der Kernprobleme, die Inanspruchnahme der Leistungen erhöhen – im Volumen von 1,1 Milliarden Euro. Darüber hinaus soll das KiTa-Qualitätsgesetz verlängert werden.
Um die Spielräume dafür zu schaffen, musste die Ampel wieder ein paar Haushaltstricks bemühen. Manche sind begrüßenswerter und manche sind besonders irrsinnig. Begrüßenswert ist, dass Lindner endlich die Zinsen im Bundeshaushalt anders verbucht und die Reform der Konjunkturkomponenten weiter erwägt. Irrsinnig hingegen ist zum Beispiel, dass der Bundeszuschuss zur Bahn oder zur Autobahn in ein Darlehen umgewandelt wird. Denn offensichtlich muss die Bahn das Geld anschließend zurückzahlen und wird mit den Mitteln kurzfristige Projekte anstreben, die obendrein wieder Geld einbringen. Haushaltstechnisch ist das allerdings clever, denn die Bahn bekommt erstmal das gleiche Geld und die Ampel darf dafür selbst Schulden aufnehmen, weil es durch das Darlehen eine finanzielle Transaktion ist und nicht unter die Schuldenbremse fällt. Tatsächlich schränkt die Ampel mit ihrer Politik aber den finanziellen Spielraum in der Zukunft ein. Denn geplant sind sogenannte Verpflichtungsermächtigungen, sodass in der Zukunft nur schwer von der vorgesehenen Ausgabe abgerückt werden kann. Insbesondere bei der Rüstung soll das passieren, da die Union davon nur sehr schlecht abrücken kann.
Der Haushalt zeigt mal wieder: Die Ampel ist ein Zweckbündnis zum Machterhalt und der Fortschritt ist ziemlich egal. Auch das Erstarken der Rechtsextremen weckt sie anscheinend nicht auf. Wenn der Haushalt aber im Herbst erstmal verabschiedet ist, könnte das Ende der Ampel bevorstehen. Denn dann könnte ein Koalitionspartner die Regierung verlassen, ohne dass es allzu viel an der Regierungsfähigkeit verändert. Solche Ideen werden bei Regierungs- sowie Oppositionsparteien ständig vorbereitet. Eine solche Minderheitsregierung bis zur Bundestagswahl mit Zweckbündnissen könnte den Stillstand wohl ähnlich gut verwalten wie die Ampel.
Lukas Scholle ist Volkswirt, Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Finanzpolitik im Deutschen Bundestag und Kolumnist bei JACOBIN.