19. November 2023
Seit einem Monat läuft die israelische Offensive im Gazastreifen, die schon jetzt unzählige Menschen getötet oder vertrieben hat. Was Gaza jetzt braucht, ist eine echte Waffenruhe und einen beständigen Frieden, keine humanitäre Pause.
Demonstrantinnen bei einer Großdemo für eine Waffenruhe in Berlin, 4. November 2023
Nach dem Anschlag der Hamas, bei dem 1.200 Israelis und Arbeitsmigrantinnen ermordet wurden, fordert die israelische Regierung ihr Recht auf Selbstverteidigung durch die Auslöschung der Hamas ein. Mehr als 12.000 Menschen wurden in Gaza bereits umgebracht. Die UN spricht von einem Friedhof für Kinder und UN-Berichterstatter warnen vor einem Völkermord. Dabei konstatierte Benjamin Netanjahu gestern selbst, dass Israel nicht erfolgreich darin sei, die Zahl der getöteten Zivilistinnen in Gaza zu minimieren.
Nach einem militärischen Einsatz im Al-Shifa-Krankenhaus, dem größten medizinischen Komplex im ganzen Gazastreifen, ist dieses nun weiterhin unter Belagerung. Regierungsvertreter aus Israel haben erklärt, dass der Krankenhauskomplex eine Militärbasis der Hamas sei. Dafür liegen jedoch keine Beweise vor. Das Krankenhaus ist vollständig eingekesselt und vom Rest von Gaza Stadt abgeschnitten, sodass Tausende Menschen eingeschlossen sind, die entweder Patientinnen sind, die behandelt werden müssen, oder die auf dem Krankenhausgelände Zuflucht gesucht haben. Auch Schulen der UN, in denen Menschen Zuflucht suchten, werden bombardiert.
Die Vertreibung, die erst aus dem Norden in den Süden angekündigt war, spitzt sich nun weiter zu. Sogar im Süden werden die Menschen dazu aufgefordert, zu gehen. Israelische Soldaten hissen vor Ort bereits israelische Flaggen und sprechen von »Rückeroberung«. Seither gehen weltweit hunderttausende Menschen auf die Straße, um für ein Ende der Gewalt und für eine Waffenruhe einzustehen. Wir alle sagen: »Ceasefire, now!«
»Ihr Frieden ist nicht unser Frieden.«
Die aktuellen Zustände zeigen, dass die Waffenruhe ein Minimalkonsens sein sollte, den wir als Linke teilen. Denn auch die Biden-Regierung oder Vertreter der EU sprechen davon. Ihr Frieden ist aber nicht der unsere, denn sie meinen damit kurzzeitigen Waffenstillstand oder humanitäre Pausen. Wie im Namen impliziert, kalkuliert eine humanitäre Pause jedoch den Fortverlauf eines Krieges ein, während eine tatsächliche Waffenruhe diesen politisch beenden möchte.
Kurze Pausen des Bombardements lassen Luft zu atmen, aber schaffen noch lange nicht die Bedingungen, die Menschen für ein Überleben brauchen, wenn es kein Sprit gibt, um sich zu bewegen, der Wasserzugang gekappt ist oder Krankenhäuser blockiert werden und ohne Licht und Technik operiert werden muss. All dies sind auch organisierte Formen frühzeitigen Todes.
Eine tatsächliche Waffenruhe bedeutet daher nicht nur einen kurzzeitigen militärischen Stopp, sondern muss die Bedingungen herstellen, die vielen Menschen das Überleben sichern, anstatt den Tod vieler weiterer zu begünstigen. Waffenruhe heißt auch Freiheit aller Gefangenen, Stopp der Blockaden und Öffnung für Hilfsgüter. Kein Tunnel rechtfertigt diese Hölle. Freiheit ist keine Metapher und kurzer Frieden ist noch lange keine Gerechtigkeit.
Simin Jawabreh (@siminjawa) arbeitet an der Humboldt-Universität zu Berlin im Lehrbereich Theorie der Politik, in der politischen Bildung und ist Kolumnistin bei JACOBIN.