31. August 2021
Österreich scheint fest in den Händen der Rechten. Doch in Graz versucht sich eine kleine Partei an radikaler Klassenpolitik aus der Opposition – und erreicht damit den Mainstream.
Wahlkampf der KPÖ in Graz
Spätestens bis Februar 2022 hätte die österreichische Stadt Graz neue Kommunalwahlen abhalten müssen. Doch Ende Juni beschloss Bürgermeister Siegfried Nagl von der konservativen Österreichischen Volkspartei (ÖVP), den Wahltermin der zweitgrößten Stadt Österreichs und Hauptstadt des Bundeslands Steiermark bereits für den 26. September festzulegen. Nagls Koalitionspartner, die rechtspopulistische Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ), reagierte auf seine Entscheidung mit Empörung, offensichtlich wurde sie kalt erwischt. Es kursieren Gerüchte, dass Nagl seinen Rechtsaußen-Koalitionspartner gegen die vermeintlich gemäßigt linken, aber recht willfährigen Grünen austauschen wolle, was die auf nationaler Ebene regierende schwarz-grüne-Regierungskoalition auf die politischen Machtverhältnisse in der 300.000-Einwohner-Stadt übertragen würde.
Eine eher ungewöhnliche Kontrahentin ist hingegen eine Partei, die links der Mitte steht, und zwar sehr viel weiter links. Denn in aktuellen Umfragen aus Graz liegt die Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ) – eine Partei, die genauso fest zu ihrem Radikalismus steht, wie ihr Name vermuten lässt – auf dem zweiten Platz hinter den Konservativen.
Neu ist dies nicht. Bei den zwei Grazer Kommunalwahlen seit 2012 wurde die KPÖ tatsächlich zweitstärkste Kraft, bei allen vier seit der Jahrtausendwende konnte sie zweistellige Prozentanteile erreichen. Bei der letzten Wahl im Jahr 2017 erreichte die Partei sogar 20,3 Prozent aller Stimmen und gewann damit 12 Sitze im Gemeinderat und Stadtsenat – im Vergleich dazu gewannen die beiden anderen Parteien links der Mitte, die Grünen und die Sozialdemokratische Partei Österreichs (SPÖ), zusammen 11 Sitze. Damit haben die Grazer Kommunisten zum zweiten Mal in ihrer Geschichte die 20-Prozent-Marke überschritten, was ihnen zuletzt im Jahr 2003 gelungen war.
Dass sich die KPÖ als dauerhafte politische Kraft in der zweitgrößten Stadt Österreichs etabliert hat ist angesichts ihres unerschrocken radikalen Programms umso erstaunlicher. Auf nationaler Ebene spielt die Partei eine marginale Rolle, bei Nationalratswahlen erhält sie nur etwa ein Prozent der Stimmen. Ihr Erfolg in Graz steht in auffälligem Kontrast zu den vorherrschenden politischen Trends in Österreich, wo der stetige Verfall der Klassenpolitik und Vormarsch des Rechtspopulismus die wichtigsten politischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte darstellen. Wie haben es die Grazer Kommunistinnen geschafft, trotz der nationalen politischen Konjunktur in Österreich an Bedeutung zu gewinnen?
Für den größten Teil des 20. Jahrhunderts war die KPÖ eine für westeuropäische Verhältnisse relativ orthodoxe kommunistische Partei. Sie bekannte sich zum Marxismus-Leninismus und vertrat in den meisten Fragen eine prosowjetische Linie. Doch im Gegensatz zu ihren Schwesterparteien in Ländern wie Frankreich oder Italien erlangte sie nie Masseneinfluss, was zum Teil auf die traditionelle Stärke der SPÖ in der österreichischen Arbeiterklasse zurückzuführen ist. Nachdem die KPÖ bei der Nationalratswahl im Jahre 1959 die 4-Prozent-Hürde nicht erreichte und aus dem Parlament ausschied, diente sie hauptsächlich als Zufluchtsort für weltanschaulich überzeugte Intellektuelle und Aktivistinnen.
Der Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahr 1991 löste für die KPÖ eine existenzielle Krise aus. Als Reaktion darauf verfolgte die Wiener Parteiführung während des nächsten Jahrzehnts eine Modernisierungsstrategie, in deren Rahmen sie sich offiziell vom Marxismus-Leninismus los sagte und schließlich ihre linke Opposition gegen die Europäische Union fallen ließ – anders als die rechtspopulistische EU-Skepsis beruhte diese nicht auf einem chauvinistischen Nationalismus, sondern auf einer Auffassung der EU als Instrument der wirtschaftlichen Deregulierung und Privatisierung. Die Landesorganisation der KPÖ in der Steiermark betrachtete diesen Versuch, mit der Zeit zu gehen, als einen Verrat an den Prinzipien der Partei. Eine Spaltung konnte zwar vermieden werden, doch der steirische Landesverband verfolgt seit dieser Zeit einen gegenüber der Bundespartei autonomen Kurs.
Sein Erfolg ist unbestreitbar. Die steirische KPÖ hat nicht nur in Graz eine Hochburg etabliert, sondern bei jeder Landtagswahl seit 2005 rund fünf Prozent der Stimmen eingeholt. Seitdem ist die Steiermark das einzige österreichische Bundesland, in dem die KPÖ auf Landesebene vertreten ist. Dies hat es der steirischen Partei ermöglicht, einen eigenen Bildungsverein zu eröffnen – eine Kombination aus Parteischule und kulturellem Veranstaltungsort.
So überraschend das Erstarken der KPÖ in Graz und der Steiermark auch sein mögen, das Erfolgsrezept der Partei ist nicht kompliziert.
Geleitet von einem unerschütterlichen Bekenntnis zur Klassenpolitik hat sich die steirische KPÖ auf eine Handvoll von Themen konzentriert, die das tägliche Leben der arbeitenden Menschen betreffen, aber von den großen Parteien normalerweise vernachlässigt werden. Anstatt diese Themen aber nur im Wahlkampf aufzugreifen, ist es der steirischen KPÖ gelungen, das Leben vieler Einwohnerinnen trotz der begrenzten eigenen Mittel durch langfristiges Engagement in der städtischen Gemeinschaft zu verbessern.
Prominentestes Beispiel dafür ist die Wohnungsfrage, jahrzehntelang das Brot-und-Butter-Thema der Landespartei. Bei der Grazer Kommunalwahlen 1988 gelang der KPÖ mit einer auf die steigenden Mietpreise ausgerichteten Kampagne der Durchbruch mit 3,1 Prozent der Stimmen und einem Sitz im Gemeinderat. In der Folge richtete sie eine Notruftelefon für Mieter ein, die Beratung und Rechtsbeistand im Umgang mit ihren Vermietern suchten.
Innerhalb von zehn Jahren verdoppelte die Partei ihren Stimmenanteil in Graz: bei der Kommunalwahlen 1998 erhielt sie 7,9 Prozent der Stimmen, vier Sitze im Gemeinderat und einen Sitz im Stadtsenat – dem Exekutivorgan der Grazer Stadtregierung. Danach kündigte der damalige Grazer Parteivorsitzende und neu gewählte Stadtrat Ernest Kaltenegger an, er würde von seinem monatlichen Gehalt von 6000 Euro nur 2000 Euro zu behalten – etwa das Einkommen eines durchschnittlichen österreichischen Facharbeiters – und den Rest an einen Sozialfonds spenden, der Menschen in finanzieller Not bei der Bezahlung ihrer Miete und anderer Lebenshaltungskosten unterstützt. Seit 1998 sind KPÖ-Abgeordnete im Grazer Stadtsenat und im steirischen Landtag dieser Initiative Kalteneggers gefolgt und haben fast 2,5 Millionen Euro an über zwanzigtausend bedürftige Personen und Familien vergeben.
Viele Kommentatorinnen, darunter auch einige Linke, haben den Sozialfonds der steirischen KPÖ kritisiert, weil dieser angeblich mehr mit Wohltätigkeitsarbeit als politischer Praxis zu tun habe. Diese Kritik übersieht jedoch, dass die Partei angesichts des begrenzten direkten Einflusses der Oppositionsparteien auf die Gesetzgebung relativ wenige Möglichkeiten hat, greifbare materielle Vorteile für ihre Wählerschaft zu erzielen.
Trotz dieses Umstandes haben die Grazer Kommunisten ihre Versprechen eingehalten und dabei bewiesen, dass sie bereit sind, sich persönlich für Verbesserungen der alltäglichen Lebensbedingungen einzusetzen. Damit haben sie nicht nur das Vertrauen tausender von Wählerinnen gewonnen: Für viele Menschen in Graz ist das Wort Kommunismus mittlerweile mit positiven Assoziationen verbunden.
»Der Kommunismus ist eine Utopie, es ist immer die Frage, was du aus einer Idee machst« sagte die KPÖ-Bürgermeisterkandidatin und Grazer Parteivorsitzende Elke Kahr kürzlich in einem Interview. »Ich bin stolz, in einer Partei zu sein, die immer auf der Seite der Arbeiter, nicht der Konzerne und Vermögensberater ist. Ich bin stolz, weil Kommunisten die aktivsten im Widerstand gegen die Nazis waren.«
Die KPÖ ist im Begriff, ihren Erfolg von 2017 bei der kommenden Wahl zu wiederholen. Eine aktuelle Umfrage sieht die Partei bei 20 Prozent – deutlich hinter der ÖVP mit 36 Prozent, aber auf einem guten zweiten Platz vor den Grünen mit 14 Prozent, der FPÖ mit 12 Prozent und der SPÖ mit 11 Prozent.
Wenn die Zahlen am Wahltag ähnlich aussehen, ist es so gut wie sicher, dass die KPÖ in der Opposition bleibt und Graz von einer weiteren Koalition unter Führung der Konservativen regiert wird. Denn selbst wenn die Parteien links der Mitte gemeinsam die Fünfzig-Prozent-Marke knacken sollten, wäre es unwahrscheinlich, dass SPÖ und Grüne eine KPÖ-geführte Regierung unterstützen würden. Vor allem ist zu bezweifeln, dass die Gemeinderäte der Grünen Elke Kahr anstelle von Siegfried Nagl zur Bürgermeisterin wählen würden, da dies negative Auswirkungen auf Österreichs schwarz-grüne Regierungskoalition haben könnte.
Dennoch: angesichts des jahrzehntelangen Niedergangs der SPÖ und des dramatischen Rechtsrucks der Grünen seit diese auf Bundesebene mitregieren ist der anhaltende Zuspruch für die KPÖ in Graz wohl der einzige wirkliche Lichtblick in einer ansonsten für die österreichische Linke düsteren politischen Landschaft. Aber auch wenn die Grazer Kommunistinnen etwas Einzigartiges geschaffen haben, gibt es keinen triftigen Grund, warum ihr Erfolg nicht auch anderswo möglich sein sollte.
Spätestens seit den 1980er Jahren geht ein Großteil des strategischen Denkens über linke Politik davon aus, dass wir klassenpolitische Forderungen umformulieren müssen, um die breite Masse wieder zu erreichen. Doch auch wenn die umfangreiche Literatur zu »linkem Populismus« nicht ganz ohne Wert ist, legen die Erfahrungen der KPÖ doch nahe, dass der Erfolg unserer Politik nicht vor allem von der Verpackung abhängt.
Auch wenn wir noch im Zeitalter des Neoliberalismus leben, finden auf der ganzen Welt immer wieder klassenbezogene Forderungen Zuspruch, und zwar auch dann, wenn sie von offen als Sozialistinnen oder Kommunistinnen auftretenden Politikerinnen gestellt werden – im Widerspruch zur weitverbreiteten Ansicht, dass diese politischen Identitäten toxische Marken darstellen. Doch es ist für linken Parteien eine Sache, populäre Forderungen zu stellen. Viel schwieriger ist es hingegen, das Vertrauen potenzieller Wählerinnen dauerhaft zu gewinnen.
Um Glaubwürdigkeit zu schaffen, gibt es keinen Ersatz für den direkten Austausch mit den Menschen über die Themen, die sie unmittelbar betreffen. Im deutschsprachigen Raum gibt es einige ermutigende Bündnisse mit ähnlicher Stoßrichtung, wie etwa die Berliner »Initiative Deutsche Wohnen & Co Enteignen«.
Diese Art politischer Praxis erfordert von Aktivistinnen viel mehr Aufwand und Engagement als der Ansatz der bürgerlichen Parteien, der sich weitgehend auf sympathisierende Medien und bezahlte Wahlwerbung stützt. Wenn wir jedoch wirklich nach einer Transformation der kapitalistischen Ordnung streben, müssen wir mit einem höheren Aufwand rechnen.
Dennoch kann der Ansatz der direkten Organisation der Lohnabhängigen zu bemerkenswerten Ergebnissen führen. Genau das beweist der unwahrscheinliche Erfolg bekennender Kommunisten in einer Stadt und einem Land, die seit langer Zeit von Konservativen beherrscht werden.