18. Dezember 2022
Früher lagen Entwurf und Produktion in einer Hand. Dann erschuf der Kapitalismus den Beruf des Designers. Davon hat niemand etwas.
»Jede dieser Teilarbeiten wurde einem anderen Handwerker zugewiesen, mit dem Ziel, die Möglichkeit kreativer Entscheidung seitens der Menschen, die die Waren tatsächlich herstellten, zu eliminieren.«
Willst Du mal eine richtig prätentiöse Definition von Design hören? Vermutlich nicht. Aber ich muss mir dieses Zeug die ganze Zeit anhören und Unglück liebt Gesellschaft, also hier kommt sie: Design bedeutet, Kultur eine Form zu geben.
Ich höre das tatsächlich von Zeit zu Zeit – und diese Worte lösen nie besondere Euphorie in mir aus. Mein Hauptproblem mit dieser Definition ist, dass man Jahre in einem Designstudium verbringen kann, ohne herauszufinden, was mit »Form« und »Kultur« überhaupt gemeint ist.
Mein anderes Problem besteht darin, dass diese Definition wahnwitzig ist. Sie scheint auf die allzu verbreitete Vorstellung hinauszulaufen, dass Designerinnen und Designer über eine Art soziokulturelle Superkraft verfügen: Indem sie die physischen Objekte gestalten, die das Verhalten und die Interaktionen der Menschen vermitteln und regulieren, formen sie die Gesellschaft an sich! Das ist ein für die zahlreichen narzisstischen Charaktere in der Designwelt typischer, großtuerischer Move, mit dem sie uns glauben machen wollen, dass die materielle Kultur aus den Tiefen ihrer magischen Skizzenbücher emporstiege.
In Wahrheit ist es so, dass die meisten Designerinnen unter großen Zwängen arbeiten: Ein Kunde oder das Unternehmen, das sie beschäftigt, erteilt ihnen einen Auftrag und entscheidet letztendlich darüber, was tatsächlich hergestellt, gedruckt oder konstruiert wird. Außerdem gibt es in vielen Fällen bestehende Designs, die die Arbeit des Designers inspirieren, zugleich aber auch die Variationsmöglichkeiten einschränken, da von den Erwartungen der Kundinnen und Nutzer nur in geringem Maße abgewichen werden kann. Und schließlich werden designte Objekte, Räume und Bilder häufig von Menschen reinterpretiert und umfunktioniert, die keine Ahnung haben, was die Designerin im Sinn hatte. Kurz gesagt, Design unterliegt denselben Beschränkungen wie jede andere sogenannte kreative Praxis, und Designer sind nicht mehr Autoren als es, nun ja, Autoren sind.
Der Einfluss, den Menschen, die im Design arbeiten, auf die Kultur im Allgemeinen ausüben können, ist also begrenzt. Dennoch spielt Design als Praxis in der kulturellen Reproduktion eine zentrale Rolle. Vor allem das Industriedesign war für die Schaffung und Aufrechterhaltung von Klassenverhältnissen bedeutend. Hier kommt eine zweite, sehr andere Definition, die besonders das Industriedesign treffend beschreibt: Es ist der Beruf, der Anweisungen für Fabrikarbeiter erstellt. Indem Design entfremdete Arbeit ermöglicht, ist es eine wichtige Stütze des Kapitalismus.
Ab Mitte des 19. Jahrhunderts erkannten immer mehr Fabrikanten, dass sie die Effizienz ihrer Unternehmen steigern konnten, indem sie ihren Kundinnen die Möglichkeit gaben, ihre Waren anhand von Katalogen und Mustern zu bestellen, anstatt sie direkt in den Geschäften kaufen zu müssen. Dazu mussten sie jedoch zuerst ein bisher unbekanntes Problem lösen: Kunden, die Produkte aus einem Katalog bestellten, würden erwarten, dass die Ware genauso aussieht wie auf dem Bild. Andernfalls würden sie sie zurückgeben und stattdessen wahrscheinlich ein Konkurrenzprodukt kaufen. Die Produktion in den Fabriken musste daher bis ins Detail vereinheitlicht werden, was zuvor nie der Fall gewesen war.
Ursprünglich hatten die Handwerker in den Fabriken einen großen kreativen Spielraum bei der Fertigung, sodass einzelne Produkte derselben Art sehr unterschiedlich ausfallen konnten. Diese Freiheit musste ihnen nun genommen werden. Komplexe und abwechslungsreiche Arbeiten, die ursprünglich von einem einzigen Handwerker ausgeführt wurden, wurden in einfachere, leichter standardisierbare Einheiten zerlegt. Jede dieser Teilarbeiten wurde dann einem anderen Handwerker zugewiesen, mit dem Ziel, die Möglichkeit kreativer Entscheidung seitens der Menschen, die die Waren tatsächlich herstellten, zu eliminieren.
Das berühmteste dokumentierte Beispiel für diesen Prozess spielt in der Fabrik des Töpfereimagnaten Josiah Wedgwood und wird in Adrian Fortys designhistorischem Klassiker Objects of Desire beschrieben. Forty zitiert Wedgwood, der sich rühmte, er würde »aus den Männern Maschinen machen, die nicht irren können«. Nachdem Wedgwood die Arbeit seiner Männer auf die sinnlosesten und repetitivsten Aufgaben reduziert hatte, musste er aber jemand anderen mit der kreativen Arbeit beauftragen, die Originalmodelle anzufertigen, die die Handwerker dann mühsam nachbauen würden.
Wer wäre für eine solche Aufgabe geeignet? Ideal wäre jemand, der handwerklich begabt, pleite und obendrein auf Arbeitssuche ist, zugleich aber mit dem Geschmack der Oberschicht vertraut ist, deren Einkäufe den größten Teil der Einnahmen der Fabrik ausmachten. Was Wedgwood brauchte, war offensichtlich ein Künstler. Also stellte er einen ein, und der Beruf des Industriedesigns war geboren.
Je mehr sich die Produktion vom Handwerk entfernte und mechanisiert wurde, gewann Design als eigenständige Form von Arbeit an Bedeutung für die Aufrechterhaltung der Produktionsverhältnisse – und dasselbe gilt für die Designs an sich als eine Form geistigen Eigentums.
Wir können daraus lernen, dass die Idee, derzufolge die Prozesse des Entwerfens und der Fertigung getrennt erfolgen sollten – mit anderen Worten: dass Design überhaupt als eigenständiger Beruf existieren sollte –, sowohl für die Entstehung der modernen Arbeiterklasse als auch für die kapitalistische Produktion an sich grundlegend war. Wir sollten Designerinnen und Designer deshalb nicht verachten – sie haben bei dieser Angelegenheit schließlich auch nicht viel zu melden.
Damit ist jedoch bisher nur angesprochen, was in den Fabriken und Ateliers vor sich geht. Ihren vollen Einfluss auf die kulturelle Reproduktion entfalten designte Objekte jedoch erst, wenn sie in unsere Wohnungen, Büros und Schulen einziehen.
Die meisten Kritiken daran, wie sich das Industriedesign auf das Alltagsleben auswirkt, laufen darauf hinaus, den Konsumismus zu beklagen. Ich denke, das geht am wesentlichen Punkt vorbei – aber lassen wir uns für einen Moment mal darauf ein. Design wird häufig dafür verunglimpft, durch unnötige Produktdifferenzierung falsche Bedürfnisse zu schaffen und eine Besessenheit mit Individualität und Neuheit zu fördern. Design, so das gängige Argument, reproduziert und verstärkt bestehende soziale Hierarchien, indem es die unteren Klassen dazu bringt, Geld für Produkte auszugeben, die sie anderenfalls überhaupt nicht wollen würden. Es hält sie in der Armut gefangen, indem es sie daran hindert, Kapital zu akkumulieren, und erzeugt zudem noch ein Gefühl der Minderwertigkeit gegenüber den oberen Klassen, die sich jene materiellen Statussymbole leisten können, nach denen ärmere Menschen sich sehnen, weil sie diesem Trick auf den Leim gegangen sind.
Meine Haltung zu diesem Argument ließe sich als Einverständnis mit Bauchschmerzen umschreiben. Denn da ist zwar irgendwo etwas dran, jedoch hinterlässt so eine oberflächliche Erklärung ein mulmiges Gefühl bei mir. Ja, wir alle kaufen zu viel Scheiß und arme Menschen werden auf diese Weise ausgebeutet, jedoch sollten wir mehr als fünfzig Jahre nach Jean Baudrillards Buch Konsumgesellschaft wissen, dass es so einfach nicht ist. Das Verhältnis von Bedürfnis und Verschwendung ist viel komplizierter, als viele Linke zugeben wollen. Wem kann ich vertrauen, mir verlässlich zu sagen, welche meiner Bedürfnisse echt sind? Wie kann ich wissen, ob ich gerade Geld verschwende oder in symbolisches Kapital investiere?
Jedenfalls lenkt die Fokussierung auf das Konsumverhalten von etwas viel Wichtigerem und Interessanterem ab. Die wahre Macht von Design besteht darin, Verhältnisse und Trennungen zwischen Menschen zu konkretisieren. Ohne materielle Gegenstände, die uns daran erinnern, wie wir uns angeblich voneinander unterscheiden, wären unsere Hierarchien schrecklich einsturzgefährdet; ohne unsere Besitztümer reduzieren sich Kategorien wie »Klasse« auf nichts weiter als einen Haufen erlernter Verhaltensweisen und wirrer Vorstellungen. Ob verboten teure Autos, geschlechtsspezifische Kleidung oder getrennte Schulen für Schwarze und Weiße – soziale Hierarchien werden stets mit Hilfe physischer Objekte und Räume aufrechterhalten. Andernfalls wären alle Behauptungen von Überlegenheit und Unterschieden nichts als Schall und Rauch.
Aus diesem Grund waren Frauenrechtsgruppen so verärgert, als Lego 2011 die Reihe »Ladyfigs« herausbrachte, die sich an kleine Mädchen richtete. Indem Lego ein gewöhnliches Spielzeug für Mädchen vereinfachte, wertete das Unternehmen deren Intelligenz ab. Der Konzern unterstellte Mädchen, sie seien technisch unbegabt, nicht an Herausforderungen interessiert und im Allgemeinen dümmer als Jungen. Außerdem – und das ist noch wichtiger – verbreitete es Objekte, die einige offenkundig diskriminierende Vorstellungen über die Unterschiede zwischen den Geschlechtern verkörperten. Eine Fünfjährige würde sofort erkennen, dass ihre Legos im Vergleich zu denen ihres Bruders so aussehen, als wären sie für einen Schwachkopf entworfen worden.
Das ist eine ernste Sache, denn eines der hauptsächlichen Verfahren menschlicher Sozialisierung besteht darin, materielle Objekte zu benutzen, zu betrachten und über sie nachzudenken. Die Vorstellung, dass Menschen ihre Rollen in der Gesellschaft erlernen, indem sie sich mit den sie umgebenden physischen Dingen auseinandersetzen, hat in der Anthropologie eine lange Geschichte. Endgültig im Mainstream verankert wurde sie aber, als Pierre Bourdieu 1972 seinen Entwurf einer Theorie der Praxis veröffentlicht hatte. Bourdieu vertritt die These, dass wir die Erwartungen unserer jeweiligen sozialen Gruppe analog zu Kategorien, Ordnungen und Beziehungen von Dingen verinnerlichen. So stehen zum Beispiel die räumliche Anordnung von Gegenständen in der Wohnung oder die Verwendung unterschiedlicher landwirtschaftlicher Geräte zu verschiedenen Jahreszeiten symbolisch für die nicht greifbaren Beziehungen zwischen den Geschlechtern, sozialen Schichten und dergleichen. Auf diese Weise werden abstrakte Vorstellungen über die Organisation der Gesellschaft in der physischen Welt verankert.
Unabhängig davon, ob man Bourdieu folgt oder nicht, kann man interessiert feststellen, dass sich Menschen tatsächlich oft so verhalten, als ob Objekte und Räume eine Konkretisierung ihrer Verhältnisse zu anderen Gruppen von Menschen darstellen. Ein besonders aufschlussreiches Beispiel für diese Art von Verhalten stammt wiederum von Forty, der die Vorkehrungen beschreibt, die viktorianische Eliten trafen, um ein Gefühl der Überlegenheit gegenüber ihren Bediensteten aufrechtzuerhalten.
Im England des 19. Jahrhunderts war die Hausdienerschaft einer der letzten verbleibenden Arbeitszweige, in denen die Beschäftigten noch bei ihren Arbeitgebern wohnten – ein Jahrhundert zuvor war das auf Bauernhöfen und in Werkstätten sehr üblich gewesen. Die Bediensteten, deren Freundinnen und Familie in anderen Berufen auch ein Leben außerhalb der Arbeit führten, waren von dieser in ihren Augen anachronistischen Form von Tätigkeit, die ihnen wenig persönliche Freiheit ließ, zunehmend frustriert. Die Haushalte der Oberschicht interpretierten diese Unzufriedenheit als eine Krise des Gehorsams und setzten daraufhin die Lebensstandards ihrer Bediensteten systematisch herab. Über die Rollenverteilung durfte es keinen Zweifel geben.
Es wurden nicht nur neue Verhaltensregeln für die Bediensteten aufgestellt – wie zum Beispiel, dass sie ihren Vorgesetzten nichts reichen durften, das nicht auf einem Silbertablett lag –, wohlhabende Familien begannen außerdem, Häuser mit separaten Wohn- und Arbeitsbereichen für die Bediensteten zu bauen, die deutlich schäbiger waren als die anderen Räumlichkeiten. Hersteller von Haushaltswaren entwarfen Möbel und Geschirr von besonders minderwertiger Qualität, die sie gegenüber reichen Leuten als Gebrauchsgegenstände für ihre Dienerschaft bewarben. Denn wer auf derart schlechtem Zeug schläft und von ihm isst, der weiß, wo sein Platz ist.
Den Bediensteten war natürlich direkt klar, was vor sich ging. Forty zitiert aus der Autobiografie eines Hausmädchens, das sich über ihre »klumpige Matratze« beschwert, »die speziell für Dienstmädchen hergestellt wurde, vermute ich«. Ob die Bediensteten es durschauten oder nicht, war dabei nicht ausschlaggebend, denn die Herrschaften hatten ihr Ziel erreicht: Sie hatten erfolgreich materielle Umgebungen geschaffen, die ihnen die Gewissheit gaben, dass sie besser waren als die Menschen, die für sie arbeiteten. Und das ermöglichte ihnen, weiterhin so zu tun, als seien sie auch besser.
Hat man einmal erkannt, dass alle designten Gegenstände solche verschlüsselten Informationen über die Organisation der Gesellschaft in sich tragen, geschieht etwas Erstaunliches: Einrichtungshäuser sind auf einmal nicht mehr langweilig. Waschmaschinen und Kochutensilien sagen viel über die Normen der Hausarbeit aus; Papierkörbe in Büros verkörpern die Werte einer Mittelschicht, die mit ihrem eigenen Abfall nicht fertig wird; Alarmanlagen und Verandalampen bieten einen Crashkurs in der populären Phänomenologie der Kriminalität. Aber diese Objekte sind nicht einfach nur passive Repräsentationen von Ideen darüber, wie die Gesellschaft funktionieren sollte. Sie propagieren diese Ideen aktiv, indem sie bestimmte Vorurteile bestätigen und uns zurechtweisen, wenn unser Verhalten von bestimmten Normen abweicht.
Das Problem mit Designerinnen und Designern, die sich damit brüsten, dass sie »Kultur formen«, ist vielleicht einfach, dass ihnen nicht bewusst ist, was für eine Verantwortung sie sich damit aufbürden. Ob die Systeme von Dingen oder die Systeme von Menschen an erster Stelle stehen, ist ein Henne-oder-Ei-Problem. Und wer glaubt, in dieser Welt eines von beiden vollkommen kontrollieren zu können, ist mit aller Wahrscheinlichkeit ein ziemlich überhebliches Arschloch. Anstatt sich selbst als Architektinnen der Kultur zu glorifizieren, sollten Designerinnen darüber erleichtert sein, dass sie nur ein kleines Rädchen des Apparates sind, der die Dinge um uns herum hervorbringt.
Das soll nicht heißen, dass Menschen, die im Designbereich tätig sind, völlig machtlos wären. Ganz im Gegenteil. Sie nehmen eine Schlüsselposition in der kapitalistischen Produktionsweise ein. Um von ihr wegzukommen, werden sie daher wichtig sein. Objekte, Räume, Bilder und Technologien spielen bei der Umgestaltung der zwischenmenschlichen Beziehungen eine ebenso entscheidende Rolle wie bei deren Aufrechterhaltung, und ein Solarkocher oder eine kostenlose Software erfordern weit mehr Designarbeit als eine Zitronenpresse von Philippe Starck. Aber es ist schwer, am Fortschritt zu arbeiten, wenn wir uns nicht im Klaren darüber sind, was wir eigentlich machen. Als Designerinnen und Designer täten wir gut daran, uns nicht so viel auf unsere Fähigkeit einzubilden, Lösungen zu schaffen, und uns stattdessen darüber bewusst zu werden, in welcher Weise wir Teil des Problems sind.