23. September 2021
In Österreich ist seit 2020 ein schwarz-grünes Bündnis an der Macht. Das österreichische Beispiel zeigt: Für das Klima und die arbeitende Klasse ist dieser Zusammenschluss verheerend.
Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) bei einer Pressekonferenz am 28. Mai 2021.
Im Januar 2020, wenige Monate nach den österreichischen Parlamentswahlen, einigte sich die Volkspartei (ÖVP) unter Bundeskanzler Sebastian Kurz mit den Grünen auf eine Koalition. Der schwarz-grünen Regierungsbildung in Österreich ging eine der größten Staatskrisen der Nachkriegsgeschichte voraus.
Die bis dahin amtierende Regierung aus der ÖVP und der rechtsextremen FPÖ war am 17. Mai 2019 auf beeindruckende Weise implodiert. Ein an diesem Tag veröffentlichtes Video zeigte den FPÖ-Chef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache im Gespräch mit einer vermeintlichen russischen Oligarchin, der er kurz vor den Parlamentswahlen 2017 Staatsaufträge zusichert, sofern seine Partei in die Regierung käme. Im Gegenzug wünschte sich Strache Parteispenden und für die FPÖ vorteilhafte Investitionen, wie die Übernahme der größten österreichischen Tageszeitung. Die Oligarchin war eine Schauspielerin, Strache ist in eine Falle getappt – zurücktreten musste er trotzdem. Und mit ihm fiel auch die Regierung.
Bis zu dieser Krise war die türkis-blaue Regierung von bemerkenswerter Professionalität, Einigkeit und Entschlossenheit geprägt. Das entsprach dem »neuen Stil«, für den Kurz einstand und dem er auch mit dem Wechsel der Parteifarbe von schwarz zu türkis Ausdruck verlieh: Jetzt wird nicht mehr gestritten, sondern gemeinsam für das Wohl Österreichs gearbeitet, so der Tenor. Auf die Bremser aus den Gewerkschaften und den staatlich anerkannten Kammern, wie der Arbeiter- und der Wirtschaftskammer, sollte von nun an keine Rücksicht mehr genommen werden. Diese mögen zwar behäbig agieren, haben aber oftmals die schlimmsten Sozialkürzungen abgefedert.
Für diese Politik des Interessenausgleichs stand in Österreich lange Zeit die typische Große Koalition aus ÖVP und SPÖ, die Kurz 2017 gesprengt hatte. Zwölf-Stunden-Tag, Steuersenkungen für Unternehmen und Reiche, Entdemokratisierung staatlicher und staatsnaher Bereiche, Sozialkürzungen für alle und ganz besonders natürlich für Ausländer – das war die türkis-blaue Koalition und das hatte mit der Ibiza-Affäre sein vorläufiges Ende gefunden.
Zur Zeit des Ibiza-Skandals waren die Grünen noch in der außerparlamentarischen Opposition. Nachdem sie bei den Wahlen 2017 an der Vier-Prozent-Hürde gescheitert waren, ereilte sie die Chance auf den Wiedereinzug überraschend schnell. Dabei hatte ihnen die Stärke der Klimabewegung rund um Fridays for Future in die Hände gespielt. Zudem wollten viele den Grünen 2017 zwar durchaus einen Denkzettel verpassen, aber nicht ihren Rauswurf aus dem Parlament erzielen. Und schließlich trat mit Werner Kogler, Veteran der Grünen aus der zweiten Reihe, ein bodenständiger Spitzenkandidat an, der schon bei den EU-Wahlen ein beachtliches Ergebnis eingefahren hatte.
Dieser Werner Kogler war es auch, der Sebastian Kurz im Wahlkampf eine »schnöselhafte Art« attestiert hatte und davon sprach, dass ihm für eine Koalition mit Kurz »die Fantasie fehlt«. Die Wahrscheinlichkeit einer solchen Koalition bezifferte er mit null Prozent. Koglers Vorstellungskraft schien jedoch von dem starken Wahlergebnis beflügelt worden zu sein, das die österreichischen Grünen bei den Wahlen 2019 erzielten. Keine zwei Monate nach der Wahl begannen die Wahlsieger ÖVP und Grüne offiziell die Regierungsverhandlungen. Nach einigem Hin und Her einigte man sich schließlich am 1. Januar 2020 auf ein gemeinsames Bündnis – neues Jahr, neues Glück.
Es war für beide Parteien eine runde Sache: Sebastian Kurz konnte sich weiter als der Heiland verkaufen, der den neuen Stil ins Lande bringt. Angesagter als eine schwarz-grüne – oder nach Kurz: türkis-grüne – Koalition wird es nicht: Kräftiger Heimatsinn und Sorge um unsere Umwelt, vereint in einer Koalition neuen Typs.
Auch die grüne Parteilinke und Fraktionsführerin Sigrid Maurer verkündete wenig später in einer TV-Diskussion stolz: »Wir haben mit dieser Koalition diese Rechts-links-Definitionen endgültig gesprengt.« Die Grünen hatten nun ihr langersehntes Ziel einer bundesweiten Regierungsbeteiligung erreicht. Schon 2003 hatte man hoffnungsvoll verhandelt, doch die ÖVP brach die Gespräche ab. Schuld war in deren Erzählung der forsche linke Flügel der Grünen. Aus diesem Fehler haben die Grünen gelernt und gar nicht erst versucht, die Kurz-ÖVP mit linken Ideen herauszufordern.
Entsprechend sah das Regierungsprogramm aus. »Klima und Grenzen schützen«, wie es Kurz bei der Vorstellung des Regierungsprogramms auf den Punkt brachte. Beide Parteien bekamen fein säuberlich ihre jeweiligen Bereiche zugeteilt, in denen sich ihre Markenkerne jeweils entfalten sollten. Nur fiel dieser Gestaltungsspielraum bei den Grünen im Vergleich zur ÖVP verschwindend gering aus.
Keine der rassistischen und arbeiterfeindlichen Maßnahmen aus der ÖVP-FPÖ-Regierung wurde rückgängig gemacht. Gleichzeitig wurde der größte Teil der besonders rigorosen Maßnahmen aus dem damaligen Programm beinahe unverändert übernommen. Sollte sich die türkis-grüne Regierung in Asylfragen nicht auf eine Linie einigen können, die den rassistischen Positionen der ÖVP gerecht wird, ist diese laut Koalitionsvereinbarung berechtigt, sich in dieser Frage andere Mehrheiten zu suchen. Sie könnte also mit der rechtsextremen FPÖ repressive Gesetze durchdrücken, ohne Koalitionsbruch zu begehen.
Währenddessen haben die Grünen zwar auf ihrem Gebiet, dem Klimaschutz, einige größere Projekte im Regierungsprogramm verankert und sich ein neu geschaffenes »Superministerium« für »Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie« angeln können. Im Vergleich zu den Anliegen der ÖVP, wie etwa Steuersenkungen für Unternehmen und Reiche, bleibt die grüne Agenda jedoch reichlich unkonkret.
In der Hauptsache handelt es sich bei den grünen Projekten um nicht unerhebliche, jedoch unzureichende Investitions- und Subventionsprogramme und punktuelle Gebührenerhöhungen. Das grüne Herzstück ist die Ökosteuerreform inklusive CO2-Steuer. Von vornherein stand fest, dass diese erst für 2022 vorgesehen ist. Und anders als bei den Vorhaben der ÖVP sind die Ziele nicht in konkreten, belastbaren Zahlen niedergeschrieben. Darum soll sich eine Arbeitsgruppe kümmern.
Grundpfeiler des Regierungsprogramms war auch das fatale Bekenntnis zum ausgeglichenen Staatshaushalt – keine neuen Schulden. Der Klimaschutz bleibt so natürlich Augenwischerei. Denn zum Nulltarif sind die umfassenden Investitionen, die es braucht, um die Klimakatastrophe zu verhindern, nicht zu haben. Gleichzeitig aber sollte es keine Vermögenssteuern geben, die Unternehmenssteuern gesenkt werden und die geplante CO2-Steuer zum Großteil wieder an Verbraucher und Unternehmen ausgezahlt werden. Sie würde also lediglich einen Lenkungseffekt haben.
Jedes grüne Klima-Versprechen war unter diesen Umständen nicht das Papier wert, auf dem es stand. Doch von der Einhaltung der »schwarzen Null« verabschiedete sich die Regierung keine zwei Monate nach Ausbruch der Corona-Pandemie. Das erklärte Motto von ÖVP-Finanzminister Gernot Blümel war nun: »Koste es, was es wolle«. Davon profitierten auch die Grünen. Mit dem Budget für 2021 hatten sie es bedeutend einfacher, Gelder für grüne Subventionsprojekte einzufordern.
Es lässt sich allgemein festhalten, dass die Corona-Krise viele mögliche Bruchstellen der türkis-grünen Regierung überdeckt hat, da die ÖVP gerade in der Anfangszeit alle Hände voll zu tun hatte, um die Pandemie zu bewältigen. Ein bisschen Zeit für Menschenverachtung blieb dann aber doch: Als das griechische Geflüchtetenlager in Moria im September 2020 abbrannte, schloss die ÖVP kategorisch aus, Geflüchtete aufzunehmen.
Die Grünen stimmten unter Druck der ÖVP gegen einen Antrag zweier Oppositionsparteien, der die Aufnahme von Geflüchteten aus Moria vorsah. Eine Mehrheit hätte dieser Antrag auch mit den Grünen nicht gefunden – Kritik hagelte es nach diesem Triumph des Koalitionsfriedens über die Menschenrechte aber dennoch. In dieser Frage waren selbst Angela Merkel und Horst Seehofer, die Österreichs Linie scharf kritisierten, liberaler als die grüne Menschenrechtspartei.
Die Koalitionsbildung hat die ÖVP implizit mit dem grünen Gütesiegel ausgestattet. Die ÖVP profitiert davon in zweierlei Hinsicht. Nicht nur wurden die Grünen mit ihrer Regierungsbeteiligung als Oppositionspartei neutralisiert, sie wurden auch noch für das Greenwashing der eigenen rassistisch-autoritären Politik eingespannt.
Das betrifft nicht nur das Leib-und-Magen-Thema der ÖVP, die Hetze gegen Geflüchtete, sondern auch ihre groben Schwierigkeiten mit der österreichischen Justiz, die auf die Ibiza-Affäre folgten. Für die Grünen wäre nicht einmal eine Anklage der Korruptionsstaatsanwaltschaft ein Grund, den Rücktritt von Sebastian Kurz zu fordern.
Die Grünen haben sich ihre Regierungsbeteiligung teuer erkauft. Sie setzen mittlerweile alles auf eine Karte: Die Klimapolitik. Sebastian Kurz sprach sich im vergangenen Juli vorsorglich schon einmal gegen einen »Klima-Lockdown« aus und lässt den Grünen ausrichten: »Ich glaube nicht, dass Klimaschutz durch Verzicht funktioniert«, nur damit sie nicht auf allzu kühne Ideen kommen, wenn es dann in den Verhandlungen zur Ökosteuerreform hart auf hart kommt.
Die Gegnerschaft zu den Grünen ist dabei vor allem rhetorischer Natur. Denn auch sie versprechen, den Klimawandel aufzuhalten, aber ohne dass es irgendjemand so richtig zu spüren bekommt. Das erklärt auch ihre guten Umfragewerte, die vielen Beobachtern angesichts des vermeintlichen Verrats aller Grundwerte der Partei nicht so recht einleuchten mögen. Offensichtlich sind die Grünen aber gerade wegen ihrer gegenwärtigen Politik so beliebt: Irgendetwas gegen Klimawandel machen, aber wirklich anders werden, soll es dann doch nicht. Allen übrigen Fragen, auch in der Asylpolitik, messen die Grün-Wähler offenbar nicht allzu viel Bedeutung bei.
Wirklich überraschend ist diese Entwicklung nicht. Zum Festakt anlässlich des 30-jährigen Jubiläums der grünen Parlamentsfraktion haben die österreichischen Grünen 2016 einen schwarz-grünen Stargast eingeladen: den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, einen der frühesten Fürsprecher schwarz-grüner Zusammenarbeit und enger Verbündeter der Autoindustrie. Er personifiziert geradezu den grünen Zugang zum Klimaschutz, der das Profitstreben der Industrie nicht antasten, sondern behutsam in ökologisch verträgliche Bahnen lenken will.
Der Klimawandel soll, wenn es nach den Grünen in Deutschland wie auch in Österreich geht, als das Geschäftsfeld des 21. Jahrhunderts erschlossen werden, damit der Kapitalismus vor sich selbst gerettet werden kann. Denn dass das fossile Geschäftsmodell nicht länger haltbar ist, leuchtet mittlerweile auch den großen Konzernen zunehmend ein.
Die Grünen spielen dabei eine doppelte Rolle: Einerseits übersetzen sie den Aktivismus gegen den Klimawandel in eine Politik, die mit dem Status quo vereinbar ist. Andererseits setzen sie gezielte Anreize, um den Wirtschaftsstandort Deutschland zum Vorreiter im globalen Wettbewerb des grünen Kapitalismus zu machen.
Anstatt in Konfrontation mit der Wirtschaft zu gehen, soll grüne Politik als Wettbewerbsvorteil begriffen werden, der dem Eigeninteresse der Wirtschaft dient.
Die deutschen Grünen finden jedoch eine wesentlich andere Ausgangslage vor als die österreichischen Grünen. Das beginnt schon mit der unterschiedlichen Rolle beider Staaten in der globalen Wirtschaft. Ist Österreich ein vergleichsweise kleiner Fisch im weltweiten Imperialismus, so ist Deutschland eine Großmacht. Das wirkt sich auch auf das Bewusstsein der deutschen Grünen aus.
Sichtbar wird das etwa in der aggressiven Außenpolitik, die die Grünen in Deutschland vertreten. Die außenpolitischen und weltwirtschaftlichen Verwerfungen, die die »sozial-ökologische Transformation« mit sich bringen wird, werden erheblich sein – sei es wegen des immensen Rohstoffbedarfs grüner Technologien oder wenn es darum geht, ökonomisch schwächere Staaten in den Dienst grüner Energieproduktion zu stellen.
Die deutschen Grünen zählen zu den enthusiastischsten Fürsprechern einer hochgerüsteten Bundeswehr und einer »aktiven« Außenpolitik, was sich zuletzt zeigte, als der Grünen-Chef Robert Habeck Waffenlieferungen an die Ukraine forderte – ein Land, das für die »Energiewende« der EU und der USA eine gewichtige Rolle spielen soll.
Die deutschen Grünen müssen zudem keine linke Desillusionierung mehr fürchten – diese hatte sich bereits eingestellt, als sie in den Jahren der rot-grünen Bundesregierung einen aggressiven Sozialabbau forcierten und den Bundeswehreinsatz in Afghanistan mittrugen. Dem internationalen Gewicht Deutschlands entspricht es auch, dass sie keine engstirnigen nationalistischen Alleingänge wie die Kurz-Regierung unternehmen, sondern ihre Verantwortung als Führungsmacht der EU und des Westens insgesamt aktiv wahrnehmen.
Insgesamt handelt es sich bei Türkis-Grün und dem (schwarz-)grünen Projekt in Deutschland um zwei Varianten eines neuen grünen Kapitalismus. In beiden Ländern stehen die Grünen aus Einsicht in die Notwendigkeit an vorderster Front, wenn es darum geht, Emissionen zu verringern – wenn auch zu langsam und in zu geringem Ausmaß. Und in beiden Ländern weiß man, dass für die unweigerlich drohenden Verwerfungen vorgesorgt werden will – sei es mit schießenden Gewehren und funktionierenden Nachtsichtgeräten oder mit »Hilfe vor Ort«.
Sollten die Kosten fürs Klima letztlich doch etwas aus dem Ruder laufen, müssen eben »wir alle« die Zeche zahlen. Denn damit das deutsche Kapital trotz der kurzfristigen finanziellen Belastungen durch die Energiewende weiter Profit abwirft, wird auch der Arbeitnehmer seinen Teil beitragen müssen. »Lohnzurückhaltung«, Kürzung von staatlichen Leistungen und Erhöhung von Steuern und Gebühren sind ein kleiner Preis, um Klima und Wirtschaftsstandort zu retten. So könnten Deutschland und Österreich ungleiche Vorboten eines Updates des Kapitalismus werden, der nun auch noch die von ihm verursachte Klimakatastrophe überleben soll – jedenfalls wenn es nach den Grünen aller Länder geht.