17. April 2023
Paul Mason will uns erklären, warum ein Antifaschismus auf der Höhe der Zeit ohne Marxismus auskommen muss. Damit liefert er die Linke an den Liberalismus aus.
Paul Mason kündigt zwar an, neue Strategien gegen den Faschismus zu ergründen, in seinem Buch finden sich diese jedoch nicht.
IMAGO / NurPhotoPaul Masons viel beachtetes Buch Faschismus. Und wie man ihn stoppt verspricht, eine neue Faschismustheorie vorzulegen, »die auf der Arbeit von Wissenschaftlern beruht, aber in erster Linie von Aktivisten gestaltet und angewandt wird«. Das klingt angesichts des Anstiegs neuer Tendenzen der Faschisierung zunächst einmal vielversprechend.
Folgt man Mason, müssten dazu aber die vermeintlich »falschen« Erklärungsansätze des Marxismus »überwunden« werden, denn schließlich werde die Geschichte nicht von Klassen, sondern »individuellen menschlichen Wesen« gemacht, so die banale Einsicht. Entscheidend sei »ein menschlicher Antagonismus: der Wunsch nach Freiheit, der durch Furcht vor der Freiheit gehemmt wird«. Damit ist Masons neue Faschismus-Definition so breit gefasst, dass sie als begriffliche Bestimmung unbrauchbar wird: Dass »Freiheit« die gegensӓtzlichsten Bedeutungen umfasst, blendet Mason aus; was er selbst unter »Freiheit« versteht, lӓsst er im Dunkeln, und es bleibt auch unerklӓrt, warum jede Furcht vor ihr schon »faschistisch« sein soll.
Wenn er behauptet, der Faschismus sei antimoralisch und entspringe dem »Bedürfnis vieler Menschen, weniger menschlich zu werden, weniger Freiheit und Autonomie zu haben«, rutscht Mason nicht nur in einen hilflos moralisierenden Antifaschismus ab, er verdeckt auch, was Clara Zetkin schon 1923 als dringende Aufgabe des Antifaschismus formulierte: zu verstehen, warum und wie »der Faschismus eine zündende, mitreißende Wirkung auf breite soziale Massen ausübt«.
Das Buch enthӓlt durchaus relevante Einzelbeobachtungen sowohl zu den historischen Faschismen als auch zu aktuellen, internationalen Faschisierungstendenzen. Allerdings bleiben die Ausführungen anekdotisch. Und so versäumt es Mason, die politischen Verschiebungen in den Kontext des transnationalen Hightech-Kapitalismus, seine Umwälzungen der Produktions- und Lebensverhältnisse, seine sozialen Verwerfungen und Fragmentierungen und seine »post-demokratischen« Umstrukturierungen der Staatsapparate einzubetten.
Obwohl immer wieder von der Ideologie des Faschismus die Rede ist, bleibt sie eigentümlich unterbelichtet. Mason begreift sie als »Philosophie des Irrationalismus«, die sich aus den Ideen vitalistischer Lebensphilosophie, pseudowissenschaftlicher Rassenlehre und elitärer Manipulations- und Mythostheorien à la Le Bon und Sorel zusammensetze. Hier hätte er redlicherweise darüber informieren müssen, dass sein Irrationalismus-Paradigma mit Nietzsche als Höhepunkt von marxistischer Seite bereits in Georg Lukács’ Zerstörung der Vernunft (1954) ausgearbeitet wurde.
Nӓhme Mason das Ideologie-Problem ernst, müsste er sich auf die ideologietheoretische Debatte einlassen, ob das Paradigma des falschen Bewusstseins hinreichend ist, um die ideologische Wirksamkeit des Faschismus zu erklӓren. Dass Ideologien vornehmlich unbewusst über Anrufungen, Bilder und Rituale wirken, ist seit Althusser ein Grundbestand ideologietheoretischer Forschung. Wie das Projekt Ideologietheorie in seinen Studien zu Faschismus und Ideologie gezeigt hat, wirkte das Ideologische nicht so sehr über spezifische Ideen, sondern vor allem performativ mithilfe ideologischer Dispositive, Praxen und Rituale: »Weit vor jeder faschistischen Orthodoxie rangierte die ›Orthopraxie‹«.
Auch der neue Faschismus kann nicht auf Irrationalismus reduziert werden. So hat etwa der Medienforscher Simon Strick aufgezeigt, wie es dem digitalen Faschismus der Gegenwart gelingt, im »alltäglichen Geröll des Lebens« an unbestimmte Gefühle des Unwohlseins anzuknüpfen und diese so zu bestätigen, dass sie völkisch und nationalistisch in eine »white identity« umgelenkt werden.
Mason hat leichtes Spiel, die Fehleinschätzungen der kommunistischen Internationale am Beispiel ihres Klassenreduktionismus, ihrer Sozialfaschismustheorie und Agententheorie vorzuführen. Sie als Kennzeichen des Marxismus auszugeben, ist freilich demagogisch. Denn es unterschlägt, dass seine Kritikpunkte schon seit langem zum Gemeingut marxistischer Selbstkritik gehören. Einerseits beklagt Mason, der Marxismus könne die Ideologie des Faschismus nicht verstehen, weil er keinen Begriff des »radikalen Bösen« (Hannah Arendt) habe, andererseits versӓumt er, die relevanten ideologietheoretischen Ansätze dieser Tradition einzubeziehen.
Vergeblich sucht man etwa nach Ernst Blochs Studien zu den nazistischen »Entwendungen aus der Kommune« und zur Ausbeutung gesellschaftlicher »Ungleichzeitigkeiten«; die innovativen Forschungen von Nicos Poulantzas, Stuart Hall, Ernesto Laclau und W. F. Haug werden nicht einmal erwähnt. Mit dieser Wissenslücke mag zusammenhӓngen, dass seine Vorschlӓge zu antifaschistischen Strategien so flach ausfallen. Sie laufen auf die Empfehlung hinaus, den Irrationalismus des faschistischen Gedankengebӓudes »Stein für Stein durch Logik und Erfahrung abzubauen«. Ziel sei es, dass sich die Menschen wieder auf Fakten und Vernunft besinnen – womit Mason gleichzeitig suggeriert, es habe eine Epoche ideologiefreier Vernunft gegeben, und man fragt sich, wann das gewesen sein soll.
Der Vorschlag, der faschistischen Eroberung des Ideologischen mit Fakten und Logik zu begegnen, ist keineswegs neu und hat sich immer wieder als unzureichend erwiesen: Aufklӓrung allein dringt nicht durch, wenn es nicht zugleich gelingt, faschistisch besetzte Einstellungen und Gefühle antifaschistisch gegenzubesetzen. Wie Ernst Bloch schon in den 1930er Jahren beobachtete, geht es um die Entwicklung einer »mehrschichtigen und mehrräumlichen Dialektik«, die in der Lage ist, die zur »Verwandlung fähigen Elemente […] herauszulösen […] und zur Funktion in anderem Zusammenhang umzumontieren«.
Es ist symptomatisch, dass Mason zwar beklagt, dass sich ein neues reaktionӓres Ethos unter Arbeiterinnen und Arbeitern ausbreite, aber weder zu erklӓren versucht, warum und wie dies geschieht, noch wie man diese Entwicklung aufhalten oder umkehren kӧnnte.
Mason hat Recht, wenn er trotz des Scheiterns der antifaschistischen Volksfronten in Frankreich und Spanien an ihre Verdienste erinnert. So beobachtet er, dass sie vor allem dort erfolgreich waren, wo sie von unten aufgebaut wurden und die Bevölkerung in der Breite und über Klassengrenzen hinweg mobilisierten.
Gleichzeitig versucht Mason, sich diese Erfahrungen für seine eigene politische Perspektive zunutze zu machen: Nicht nur erklärt er die konkreten Klassenanalysen, die den damaligen Debatten um die Einheits- und Volksfront zugrundelagen, für obsolet, er verabschiedet auch das marxistische Projekt der Klassen- und Kapitalismusanalyse überhaupt: Statt die neuen Zusammensetzungen zwischen und innerhalb der Klassen zu untersuchen, sieht er nur noch fragmentierte Klassenidentitäten, unüberbrückbare Spaltungen zwischen »traditioneller« und »neuer« Arbeiterklasse, eine Ablösung der Ausbeutung vom Arbeitsplatz, wie er unter Berufung auf Keir Starmers Beraterin Claire Ainsley meint, sodass sich die Kämpfe wesentlich um »Werte und Identität« drehen. Auch wenn er weiterhin von einer »modernen Volksfront« spricht, hat er den Begriff jeder sozialökonomischen Fundierung in übergreifenden Klassenbündnissen beraubt.
Dies führt dazu, dass Mason das Volksfront-Konzept zu einem Bündnis mit dem Liberalismus verflacht. Aber was ist damit gemeint: Verfassungsliberalismus, Wirtschaftsliberalismus, Sozialliberalismus, Neoliberalismus? Wie schon beim Begriff der »Freiheit« werden die unterschiedlichen Bedeutungen des Liberalismus-Begriffs ausgeblendet, was wiederum erlaubt, ihn unhinterfragt als ideologischen Wert einzusetzen.
Die Ideologisierung zeigt sich etwa an der Behauptung, es seien nicht Liberale, sondern im wesentlichen Konservative gewesen, »die jene Globalisierungsabkommen forderten, welche die nationale Souveränität einschränkten und Industriebetriebe aus den davon abhängigen Gemeinden rissen«. Dass dies allenfalls eine Halbwahrheit ist, sieht man schon daran, dass das NAFTA-Abkommen zwar von Ronald Reagan propagiert, aber schließlich von der Clinton-Regierung unterzeichnet und ratifiziert wurde.
Was Mason in Anknüpfung an die Volksfront-Rhetorik als antifaschistisches Bündnis propagiert, erweist sich als Strategie, das Projekt eines demokratischen und ökologischen Sozialismus an den Liberalismus auszuliefern. Diesen verknüpft er wiederum mit dem Topos der »wehrhaften Demokratie«, die in der Lage sein soll, faschistische Bewegungen rechtzeitig zu verbieten, geheimdienstlich observieren zu lassen und zu kontrollieren.
Hier stoßen wir auf eine weitere Drehung. Wenn Mason den Faschismus als Freiheits-Furcht definiert und zugleich die »Herrscher« Chinas als »bekennende Feinde der freiheitlichen Demokratie« beschreibt, zeichnet sich bereits ab, dass er sein Faschismusverstӓndnis an die anti-chinesische Frontstellung der NATO angepasst hat. Statt sachlicher geopolitischer Analyse erhalten wir eine ideologische »Freiheits-« gegen »Autoritarismus«-Erzählung.
In der Folge unternimmt er den Versuch, die vermeintlich antifaschistische »wehrhafte Demokratie« gegen Linke in Anschlag zu bringen. In einem im New Statesman erschienenen Artikel fordert er im Mai 2022, der Staat und seine Geheimdienste müssten wirksamer gegen die »pro-Kreml-Linke« vorgehen. Gemeint sind kritische Stimmen zur Rolle der NATO im Ukraine-Krieg, die für Mason nichts anderes bedeuten kӧnnen als die Verbreitung russischer Desinformation.
Mittlerweile hat Mason seine Verschwörungsfantasien in einen regelrechten Kreuzzug gegen linke NATO-Kritiker verwandelt. Im Juni 2022 kamen E-Mails und Materialien an die Öffentlichkeit, aus denen hervorgeht, dass Mason eine »dynamische Übersichtskarte der ›linken‹ pro-Putin Infosphäre« erstellt hat, deren Netzwerke mithilfe staatlicher und nachrichtendienstlicher Stellen zur Strecke gebracht werden sollen. Wieder besteht seine Methode darin, linke anti-militaristische Organisationen mit pro-Kreml orientierten in einen Topf zu werfen. Ziel der Kampagne sei die Zerstörung einer »left anti-imperialist identity«, die deshalb Einfluss gewinnen konnte, weil der bisherige Liberalismus ihr nichts Wirksames entgegensetzte.
Dem will Mason nun abhelfen. Nicht nur will er die Linke an den Liberalismus ausliefern, sondern diesen mithilfe eines aufgerüsteten repressiven Staatsapparats gegen die Friedensbewegung »wehrhaft« machen. Im Zentrum von Masons Übersichtskarte zur »pro-Putin Linken« findet man Jeremy Corbyn, als dessen prominenter Unterstützer Mason früher selbst galt.
Fürwahr ein trauriger, elender Abgesang. Schmerzlich ist vor allem die Kluft zwischen Bedarf und Einlösung. Denn die Erarbeitung einer kritischen Theorie, die uns befähigen würde, die Herausbildung und Ausbreitung neuartiger Fachisierungen zu begreifen und wirksame Gegenstrategien zu entwerfen, ist eine dringliche Aufgabe. Dagegen ist Masons Buch ein populistisches Machwerk, das die dazu erforderlichen analytischen Werkzeuge, statt sie weiterzuentwickeln, zerstört und das Vermächtnis des Antifaschismus an die herrschende Politik ausliefert.
Eine Langfassung des Artikels erscheint unter dem Titel »Paul Masons ›liberale‹ Drehung des Antifaschismus« in »Das Argument« 340.