21. November 2023
Mit Lindners Haushaltssperre ist die politische Katastrophe der Ampel perfekt. Wird die Schuldenbremse jetzt nicht weiter umgangen, reformiert oder abgeschafft, droht eine noch härtere Sparpolitik samt Wirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit.
Erst die Sparpolitik der Ampel, dann das Urteil aus Karlsruhe und jetzt die Haushaltssperre von Lindner. Wir befinden uns im finanzpolitischen Notstand – und es ist keine Übung. Das Problem ist: Es hat auch keine Vorbereitung auf einen solchen Vorgang gegeben. Das nötige Wissen dürfte höchstens in alten Papieren im Bundesfinanzministerium und den Köpfen einiger kluger Haushaltsrechtler schlummern.
Gleichzeitig betreten wir juristisches Neuland. Weder wurden bisher in der bundesdeutschen Geschichte Nebenhaushalte des Bundes vom Verfassungsgericht gekippt, noch wurden in der jüngeren Zeit solch weite Teile des Bundeshaushalts von einem Finanzminister gesperrt. Wenn die Ampel jetzt an ihrem dogmatischen Rahmen festhält, dass die Schuldenbremse eingehalten und keine Steuern erhöht werden sollen, dann könnte die härteste Sparpolitik der Nachwendezeit drohen – inklusive Massenarbeitslosigkeit, dem Verschleppen der Klimakrise und einem Aufschwung der AfD.
Das Grundproblem ist: Die Ampel wollte ab 2023 die Schuldenbremse wieder einhalten, auf Steuererhöhungen (für Reiche) verzichten, gleichzeitig die Klimawende anschieben und die größten Lücken des Sozialstaats etwas flicken. Doch der Plan ging nicht auf und konnte von vornherein nicht aufgehen. Denn die Kohle fehlt.
Weil diese Kohle fehlt, muss die Ampel zum Beispiel die Mehrwertsteuer in der Gastro, Fernwärme und Gas wieder erhöhen, um ein paar Milliarden Spielraum zu gewinnen. Gleichzeitig verkümmern die Fortschritte bei Bürgergeld und Kindergrundsicherung quasi zu bloßen Umbenennungen der bestehenden Programme. All das sind politische Entscheidungen. Die folgenreichste politische Entscheidung aber ist die Einhaltung der Schuldenbremse selbst.
Um trotz Schuldenbremse ein wenig Fortschritt zu simulieren und ein paar Milliarden an Spielraum zu erzeugen, schuf die Ampel sich neue Regeln. Nunmehr sollte das Befüllen eines Geldtopfes unter die Schuldenbremse fallen und nicht mehr das Ausgeben. Man befüllt also den Topf, wenn die Schuldenbremse ausgesetzt ist, und entleert ihn, wenn sie wieder gilt. Eine ziemlich gute Idee – so schien es.
»Die gesamte Ampel hat Angst, dass ein Kürzungshammer kommt, der auch die Regierung zerschlägt.«
Doch dieser Trick ist schon bei seiner erstmaligen Anwendung beim Klima- und Transformationsfonds (KTF) gleich mehrfach verfassungswidrig, wie das Verfassungsgericht auf Klage der Union feststellte. Erstens, weil der Haushalt erst nach Jahresablauf im Frühjahr 2023 beschlossen wurde, zweitens, weil Corona-Schulden zu Klimaschulden umgewidmet wurden – beides gilt nur für den KTF. Der wichtigste Grund aber ist, dass das Geld nicht in die Zukunft mitgenommen werden darf – also genau das, was die Ampel hier und auch beim Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) tun wollte.
Infolge des Urteils sperrte Lindner unverzüglich die Mittel für den KTF, sodass keine weiteren Verpflichtungen mehr eingegangen werden können. Bedeutet: Die kommenden Projekte aus dem KTF sind entweder gestorben oder müssen durch neuen haushalterischen Spielraum ermöglicht werden. Dass die Ampel hierfür Kompromisse oder neue Tricks findet, scheint jedenfalls realistisch.
Beim WSF ist es anders: Dieser finanziert hauptsächlich die Energiepreisbremsen und die mit ihm einhergehende Aussetzung der Schuldenbremse wurde mit der Energiekrise begründet. Ein weiterer besonderer Unterschied ist, dass die WSF-Milliarden schon ausgegeben werden – im Gegensatz zu den KTF-Milliarden, die in der Zukunft liegen. Somit müssen erstere jetzt rechtlich legitimiert werden. Der Ausweg scheint ganz einfach: Die Bundesregierung müsste die Schuldenbremse erneut aussetzen. Dann macht Deutschland haushalterisch dieses Jahr rund 150 statt 35 Milliarden Euro Schulden. Das Wort »haushalterisch« ist dabei entscheidend, denn es geht einzig und allein um das Rechtskonstrukt. Ökonomisch ist schon alles klar. Die Staatsanleihen sind längst ausgegeben und die Preisbremsen längst bezahlt.
»Die Schuldenbremse muss weg. Oder zumindest so weit ausgehöhlt werden, bis sie wirkungslos ist.«
Was durch Lindners Haushaltssperre alles auf der Strecke bleibt, ist derzeit kaum absehbar. Jedenfalls haben er und die gesamte Ampel Angst. Angst, dass ein Kürzungshammer kommt, der auch die Regierung zerschlägt. Denn die Fliehkräfte dürften gerade jetzt enorm sein. Auf der einen Seite stehen die FDP-Parteisoldaten, die die Schuldenbremse auch jetzt noch weiter einhalten und dazu Sozialkürzungen durchsetzen wollen. Das wäre zwar fatal, ist aber gleichwohl unrealistisch. Denn auch für Bürgergeldempfänger und Co. gibt es Rechtsschutz, wodurch Änderungen lange im Vorfeld angekündigt werden müssen. Auf der anderen Seite stehen SPD und Grüne, die sich gegen eine noch härtere Sparpolitik zu wehren versuchen.
Dabei liegt die Lösung auf der Hand: Die Schuldenbremse muss weg. Oder zumindest so weit ausgehöhlt werden, bis sie wirkungslos ist. Dafür gibt fast ein Dutzend sinnvoller Maßnahmen – vom bloßen Aussetzen wegen der Energiekrise, über das Reformieren der Zinsverbuchungen und Konjunkturkomponente bis hin zum Gründen von Investitionsgesellschaften. All das kann der Bund eigenständig tun, ohne den Bundesrat und ohne eine Zwei-Drittel-Mehrheit, die für eine Grundgesetzänderung notwendig wäre.
Sollte es anders kommen und die Ampel die getätigten Ausgaben in der Zukunft irgendwo aus haushalterischen Gründen herauskürzen wollen, droht nicht nur eine Wirtschaftskrise mit Massenarbeitslosigkeit und Wohlstandsverlust, sondern auch ein weiteres Konjunkturprogramm für die AfD. Denn dort, wo es wirtschaftliche Abstiege und Abstiegsangst gibt, gewinnen die Rechten – solange es keine linke Alternative gibt. Die zugrundeliegende Wirtschaftspolitik der Bundesregierung mag ohnehin schon neoliberal sein, doch diese drohenden Kürzungen hätten einen solchen Umfang, dass selbst die Ampel Panik kriegt.
Lukas Scholle ist Volkswirt, Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Finanzpolitik im Deutschen Bundestag und Kolumnist beim Jacobin Magazin.