23. Juli 2020
Die US-amerikanische Linke und Jacobin trauern um den Journalisten, Podcaster und Autor Michael Brooks. Er war ein messerscharfer Denker und roch Bullshit meilenweit entfernt. Die Linke braucht mehr von Michaels Herzlichkeit.
Michael Brooks in der Sendung »The Majority Report«.
Michael Brooks wurde nie in ein politisches Amt gewählt, hatte nie einen Lehrstuhl inne, und die Veröffentlichung seines zweiten Buches erlebte er nur wenige Wochen. Dennoch hat er die wiederauferstandene US-amerikanische Linke geprägt wie sonst wenige – intellektuell wie menschlich.
2010 bis 2016 waren bleierne Jahre für die USA. Ihr Höhepunkt und Ausgang mit der Wahl Donald Trumps ist auch dem deutschsprachigen Publikum geläufig. Weniger bekannt ist die Vorgeschichte dieser Wahl, die mit der sogenannten »Tea Party«-Bewegung und den für die Demokraten desaströsen Abgeordnetenhauswahlen 2010 beginnt und den Anfangspunkt einer beschleunigten Diskursverschiebung nach rechts außen bildet. Obamas halbherzige, verkorkste Gesundheitsreform, die Fortführung der Kriege und Besatzungen in Afghanistan und im Irak sowie die katastrophale Bankenrettung auf dem Rücken von verschuldeten Hausbesitzerinnen der Arbeiterinnenklasse unter seiner Regierung hatten das gesellschaftliche Klima vergiftet und jegliche Glaubwürdigkeit eines progressiven politischen Projekts in der Wählerinnenschaft zerstört. Viele Linke im Land (mich damals eingeschlossen) hatten aufgegeben: Wenn überhaupt jemals würde der gesellschaftliche Fortschritt nur durch die technokratische Hintertür nach Amerika kommen. Occupy Wall Street betrachtete ich als letztes Aufbäumen einer intellektuell leeren linken Protestkultur, und war mit dieser Meinung sicher nicht allein.
Jacobin, im September 2010 erstmals online erschienen, war eine der weniger Stimmen der Hoffnung und Vernunft: »reason in revolt«, wie das Motto lautete. Im selben Jahr startete der linke Podcast The Majority Report with Sam Seder als weiterer intellektueller Zufluchtsort für Obama-Enttäuschte. Michael wurde 2013 dort Ko-Moderator und verlieh dem Programm analytische Tiefe. 2017 startete er zusätzlich die Michael Brooks Show und arbeitete seitdem eng mit Jacobin zusammen.
In Deutschland mag es schwer vorstellbar sein, doch ohne die alternative Medienlandschaft um Michael und Co gäbe es in den USA vielleicht heute überhaupt keine Linke außerhalb der Universitäten, weder parlamentarisch noch außerparlamentarisch. Michael war ein Ausnahmetalent wenn es darum ging einer völlig marginalisierten linken Perspektive wieder Gehör zu verschaffen und ihr intellektuelles Selbstvertrauen zu stärken. In einer hoch kommerzialisierten Medienlandschaft, geprägt von der menschenverachtenden Propaganda der Trump-Rechten einerseits und der zahnlosen Kritik der liberalen Opposition andererseits, gab er einer ernsthaften, materialistischen Kritik der US-Gesellschaft eine Stimme. Michael war ein messerscharfer Denker und roch Bullshit meilenweit entfernt. In der neuen linken Medienszene war sein Studio in Brooklyn Dreh- und Angelpunkt. Ohne sich selbst je in den Vordergrund zu drängen wurde er zu einem Vordenker der Bernie-Bewegung, deren Bedeutung er erkannte, die er aber auch immer wieder vor übertriebenem Optimismus und Blauäugigkeit warnte.
Fast einzigartig in der US-Medienlandschaft war sein Fokus auf globale Machtverhältnisse und sein humanistischer Internationalismus. Einem in dieser Hinsicht größtenteils völlig unbedarften US-Publikum erklärte er komplexe historische Zusammenhänge und weltweite Abhängigkeiten, ohne dabei in vereinfachende Schwarz-Weiß-Muster zu verfallen und Fehler und Vergehen linker Regierungen und Bewegungen auszusparen. Michael stand für eine moralisch gefestigte, nicht aber moralisierende Linke mit einem historisch gebildeten, universalistischen Blick nach vorn. Praktisch eigenhändig setzte er Themen wie die politische Gefangenschaft von Brasiliens Ex-Präsident Lula da Silva auf die Tagesordnung der US-Gegenöffentlichkeit und trug entscheidend dazu bei, den internationalen Druck zu seiner Befreiung aufzubauen. Den Militärputsch gegen die Regierung von Evo Morales erkannte und benannte er sofort als solchen, Monate bevor die fadenscheinige Begründung selbst in den Augen der New York Times auseinanderfiel. Durch sein grundehrliches, undogmatisches Charisma eröffnete er tausenden seiner Zuhörenden zum ersten Mal überhaupt eine linke Perspektive auf die Welt.
Michaels Tod hat deshalb unter Genossinnen und Genossen auf der ganzen Welt Trauer ausgelöst, nicht zuletzt gedachte ihm auch Lula selbst. Eine Jacobin-Leserin aus Kaschmir schreibt an die Redaktion: »Grenzen bedeuteten ihm nichts. Brasiliens Schmerz, Boliviens Schmerz, Kaschmirs Schmerz fühlte er wie den eigenen.«
Vor allem aber wird Michael wegen seiner außerordentlichen Menschlichkeit, Herzlichkeit und seines einzigartigen Humors in Erinnerung bleiben. Zwischenmenschliche Qualitäten, die die Linke zu wenig kultiviert. Aus Prinzip behandelte Michael seine Genossinnen und Genossen mit Respekt, auch bei schweren Meinungsverschiedenheiten. »Seid schonungslos zu Systemen. Seid nett zu Menschen«, mahnte er.
Wer der englischen Sprache mächtig ist und beim Putzen, Joggen oder Pendeln auf eine faszinierende wie unterhaltsame Weltreise gehen möchte, dem sei das Archiv der Michael Brooks Show eindringlich empfohlen (laut Michaels Angehörigen wird es weiterhin verfügbar sein, eventuell wird das Programm sogar in veränderter Form fortgeführt). Michaels Interviews mit Widerstandskämpferinnen, Historikern, Ökonominnen und linken Denkern aus der ganzen Welt sind auch Jahre nach ihrem Erscheinen von ungebrochener Relevanz und Aktualität. Sein neu erschienenes Buch Against the Web ist eine der scharfsinnigsten Analysen der rhetorischen Strategien der neuen Rechten und sei allen ans Herz gelegt, die menschenverachtender Propaganda im Netz und anderswo entgegentreten möchten.
Wir brauchen innerhalb der Linken mehr Menschen wie Michael. In Deutschland, in den USA, und überall. Es ist an uns, die Lücke zu füllen, der er hinterlässt, und wir haben noch viel von ihm zu lernen.
Michael Brooks verstarb plötzlich und unerwartet am 20. Juli 2020 in New York im Alter von 36 Jahren an den Folgen einer Thrombose.
Rest in power, Michael.
Alexander Brentler ist Editor bei JACOBIN