05. November 2025
Zohran Mamdani hat einen atemberaubenden Wahlkampf geführt. Ermöglicht wurde sein Sieg aber auch durch die jahrelange Vorarbeit der demokratischen Sozialisten in New York, Zehntausende Freiwillige – und die Unfähigkeit des politischen Establishments.

Zohran Mamdani auf seiner Wahlparty in New York, 4. November 2025.
Der beeindruckende Sieg von Zohran Mamdani bei den Bürgermeisterwahlen in New York City elektrisiert die Linke. Und das ist auch gut so. Aber was bedeutet dieser Erfolg für Sozialisten?
Es ist stets verlockend, Wahlergebnisse ideologisch zu interpretieren, als seien sie der Indikator für die allgemeine Stimmung im Land oder eine Bestätigung der einen oder anderen Weltanschauung. Vor weniger als einem Jahr schien in der US-Politik die Niederlage von Kamala Harris zu zeigen, dass eine zunehmend migrationsfeindliche Nation nach rechts driftet. Ebenso galt vor vier Jahren der New Yorker Bürgermeister Eric Adams mit seiner harten Linie gegen Kriminalität als die Zukunft der Demokratischen Partei. Heute äußern sich viele genauso über Mamdanis Politik.
Doch Wahlen sind niemals eindeutige Referenden über eine Ideologie oder ein Wahlprogramm. Sie werden in hohem Maße von den Stärken und Schwächen der jeweiligen Kandidaten bestimmt. Wäre Mamdani 2020 nicht ins Parlament des Bundesstaats New York gewählt worden, hätte er 2025 nicht kandidiert; und vermutlich hätte es keinen Kandidaten mit ähnlichem Talent und Engagement gegeben, der ihn hätte ersetzen können. Wäre Eric Adams nicht als korrupt bekannt gewesen, hätte er gestern möglicherweise einen klaren Sieg davongetragen, denn es hätte sich womöglich kein ernstzunehmender Gegenkandidat gefunden.
Es gab keine Garantie dafür, dass sich 2025 die Gelegenheit ergeben würde, einen demokratischen Sozialisten für das Amt des Bürgermeisters von New York City zu nominieren – oder dass es bei einer solchen Gelegenheit einen passenden Kandidaten geben würde, der in der Lage wäre, sie zu ergreifen.
Genau aufgrund dieser Unwägbarkeiten war jahrelange Arbeit notwendig: Sie hat die Linke in die Lage versetzt, diese Gelegenheit zu nutzen. Ein wesentlicher Teil dieser Arbeit wurde von den Democratic Socialists of America in New York City (NYC-DSA) geleistet, die in den vergangenen zehn Jahren Kandidaten wie Mamdani in den Stadtrat und in bundesstaatliche Ämter gebracht haben. Der New Yorker Ortsverband und sein Schwesterverband Mid-Hudson Valley DSA stellen inzwischen neun Abgeordnete auf Bundesebene und zwei Stadtratsmitglieder, die sich alle für die Belange der arbeitenden Bevölkerung einsetzen.
Bei einer Bürgermeisterwahl zu kandidieren, war vor acht Jahren nicht Teil des Plans der NYC-DSA. Doch wenn unsere Ortsgruppe nicht in den Wahlkämpfen für die Staatsversammlung hart gearbeitet hätte, dann hätte es die organisatorischen Kapazitäten, die Kooperation, die Glaubwürdigkeit und vor allem den Kandidaten für eine solche Wahl wie die gestrige nicht gegeben.
»Noch nie in meinem Leben war die Kluft zwischen dem politisierten Wunsch der Menschen, zusammenzuarbeiten, um die Welt zu verändern, und den ihnen dafür gebotenen Möglichkeiten größer.«
Diese organisatorischen Kapazitäten haben auch die Art und Weise geprägt, wie der Wahlkampf geführt wurde. Die NYC-DSA haben im Laufe der Jahre eine einzigartige Wahlkampfphilosophie entwickelt, die sich auf die Arbeit vor Ort konzentriert – also die direkte, persönliche Wahlwerbung mit Tausenden von Freiwilligen. Für die NYC-DSA ist solche Wahlwerbung nicht nur eine Taktik, um Stimmen zu gewinnen (obwohl sie das auch ist), sondern eine Möglichkeit, normale Menschen direkt in ein kollektives Projekt einzubeziehen. Sie werden zu Teilnehmerinnen und Co-Organizern statt lediglich Beobachter und Außenstehende zu sein.
Mamdani ist sich bewusst, dass seine 90.000 freiwilligen Wahlkampfunterstützer der Schlüssel zu seinem Erfolg waren. Es ist kein Zufall, dass die Wahlkampfkampagne von der erfahrenen DSA-Aktivistin Tascha Van Auken geleitet wurde: Sie baute auf einer bestehenden Organisationsphilosophie und technischen Kompetenzen auf, die über Jahre hinweg in erfolgreichen, aber auch erfolglosen Wahlkampagnen der DSA entwickelt worden waren, und verbesserte diese.
Dieser Fokus auf Massenbeteiligung erklärt mehr über die Stärke von Mamdanis Wahlkampf, als den meisten Außenstehenden bewusst ist. Noch nie in meinem Leben war die Kluft zwischen dem politisierten Wunsch der Menschen, zusammenzuarbeiten, um die Welt zu verändern, und den ihnen dafür gebotenen Möglichkeiten größer. Unter diesen Umständen empfinde ich es als revolutionär, dass die Mamdani-Kampagne den Menschen nicht nur Hoffnung gegeben, sondern ihnen auch die Möglichkeit geboten hat, sich für Veränderungen direkt einzusetzen und Verbindungen zu ihren Mitmenschen aufzubauen.
Die Kampagne hätte gegen stärkere Gegner durchaus scheitern können. Ich habe im Zuge des Wahlkampfs von vielen gehört, Mamdani habe vor allem Glück mit seinen Kontrahenten gehabt: Adams galt als korrupt und Trump-hörig; Andrew Cuomo ist ein unbeliebter Ex-Gouverneur mit einem erstaunlich ausgeprägten Anti-Charisma, der wegen Vorwürfen sexueller Belästigung in Ungnade gefallen ist und dessen Politik in seinen Jahren als Gouverneur für nahezu all das verantwortlich ist, was heute in New York City nicht funktioniert.
Hätten die milliardenschweren Spender, die Adams und dann Cuomo unterstützt haben, einen besseren Spitzenkandidaten gefunden, wäre der Wahlkampf sicherlich anders verlaufen. Ich würde jedoch behaupten, dass ihr Scheitern nicht ausschließlich auf Persönlichkeiten und Pech zurückzuführen ist. Es gibt strukturelle Gründe, warum die Kandidaten der Mitte so schlecht abschneiden. Gründe, die auch im Präsidentschaftswahlkampf 2024 deutlich zu Tage getreten sind.
»Ein breites Spektrum selbst progressiver Politikerinnen und Politiker bleibt in einem Denkmodell gefangen, in dem die Wählerschaft auf einer Links-Rechts-Skala eingeordnet und verschoben werden kann.«
Eine Demokratische Partei, die den Kontakt zu ihrer Basis verloren hat und nicht einmal mehr über eine ernstzunehmende interne Organisationsstruktur verfügt, wird letztendlich von demjenigen dominiert, der gerade an der Spitze der Partei steht und die meisten Spenden einwerben kann. Es ist kein Zufall, dass diese Personen meist schlechte, realitätsferne, skandalumwitterte und korrupte Kandidaten sind; und es ist auch kein Zufall, dass selbst wenn die Spender erkennen, dass sich für sie eine Katastrophe anbahnt (Joe Biden im Sommer 2024, Cuomo unmittelbar nach den Vorwahlen 2025), ihnen kollektiv die Fähigkeit fehlt, diese zu verhindern. Diese Form des Scheiterns ist systemimmanent. Das System ist, wie es ist, und es bringt systematisch Menschen wie Adams und Cuomo in Spitzenpositionen.
Überraschender war für mich, dass Mamdani den progressiven Flügel während der Vorwahlen derart dominieren konnte. An dieser Stelle bin ich am meisten versucht, den Zufall verantwortlich zu machen: Aus Gründen, die von der Wissenschaft noch immer nicht vollständig verstanden werden, sind manche Menschen einfach charismatischer als andere.
Das ist ein Aspekt – aber da ist noch mehr. Ein breites Spektrum selbst progressiver Politikerinnen und Politiker bleibt in einem Denkmodell gefangen, in dem die Wählerschaft auf einer Links-Rechts-Skala eingeordnet und verschoben werden kann.
In diesem Denkmodell gilt: Wenn sich die Wählerschaft nach rechts bewegt (wie es 2024 der Fall zu sein schien), dann bewegt man sich ebenfalls nach rechts. Derzeit gibt es eine ganze Reihe Fachleute bei den Demokraten, die darauf bestehen, dass die Partei sich auf »Common Sense« bei Wirtschaftsthemen konzentrieren müsse, wenn sie Trump schlagen will. Demnach sei es einfach zu riskant, zu nie dagewesenen Maßnahmen zu greifen.
Diese Weltanschauung führt zu immer absurderen »Erkenntnissen« (zum Beispiel: Trump gewinnt, weil er sich auf alltägliche Themen konzentriert – ist damit die Entführung von Bauarbeitern oder die steigende Ansteckungsrate mit Masern unter Kindern gemeint?). Aber auch viele »progressive« Kandidaten teilten diese Weltanschauung, was dazu führte, dass sie die politische Lage grundlegend falsch einschätzten: Die Wählerinnen und Wähler waren nicht der Extreme müde und suchten nicht nach der Mitte. Sie waren nicht Bidens progressiver Maßnahmen überdrüssig und wollten keine Politik mit »gesundem Menschenverstand«. Sie waren und sind vielmehr des Status quo überdrüssig, der weder in konkreten Maßnahmen (die Mieten sind nicht mehr bezahlbar) noch in der Politik im Allgemeinen (wir werden von Faschisten regiert) funktioniert. Sie suchten nach etwas radikal Neuem. Und Zohran Mamdani bot ihnen genau das.
»Mamdanis Wahl stellt einen Erfolg dar, der die kühnsten Träume der meisten New Yorker Sozialistinnen und Sozialisten vor acht, vier oder auch nur zwei Jahren übertrifft. Doch dies kann erst der Anfang des Kampfes sein.«
Diese Dimension zeigt sich auch mit Blick auf das Thema Gaza. Als Mamdani seine Kandidatur bekannt gab, wurde seine konsequente und öffentliche Unterstützung für die Rechte der palästinensischen Menschen – deutlich mehr noch als sein Eintreten für einen demokratischen Sozialismus – als sein größter Nachteil als Kandidat angesehen. Es stellte sich jedoch heraus, dass genau das Gegenteil der Fall war: Es war ein großer Vorteil. Viele (insbesondere, aber nicht ausschließlich, junge und muslimische Wählerinnen und Wähler) zeigten sich zunehmend angewidert von der verlogenen Apologie der Mainstream-Demokraten für den Genozid Israels in Gaza.
Mamdani hatte in dieser Frage eine klare Meinung. Seine Forderung nach gleichen Rechten für die Palästinenser wurden im Wahlkampf zunehmend zu einem Zeichen für seinen Mut und seine Authentizität – nicht nur in Bezug auf Israel-Palästina, sondern auch darüber hinaus. Viele Wählerinnen und Wähler mögen keine klare Meinung beispielsweise zur Zwei-Staaten-Lösung haben; aber sie hatten die Lügen und Ausflüchte der etablierten Politik satt.
Wie geht es nun weiter? Mamdanis Wahl stellt einen Erfolg dar, der die kühnsten Träume der meisten New Yorker Sozialistinnen und Sozialisten vor acht, vier oder auch nur zwei Jahren übertrifft. Doch wie an vielen Stellen bereits betont wurde, kann dies erst der Anfang des Kampfes sein. Viel hängt davon ab, was wir als Stadt in den kommenden vier Jahren gemeinsam erreichen – sowohl mit Blick auf Lösungen für Krisenthemen wie Wohnungen und Kinderbetreuung als auch, und das in erster Linie, wie wir die Hunderttausenden Migrantinnen und Migranten in New York vor Trumps ethnischen Säuberungen schützen können.
Es gibt keine Garantie für Erfolg. Doch für die Menschen von New York bietet eine Mamdani-Regierung nun die Möglichkeit, sich zu wehren. Und für Sozialistinnen und Sozialisten überall sonst bietet seine Wahlkampagne eine Blaupause dafür, wie man die Infrastruktur schafft, um Macht aufzubauen.
Michael Kinnucan ist Mitglied der Democratic Socialists of America. Er lebt in Brooklyn.