23. September 2021
Graz ist ein Ausreißer: Bei den letzten Wahlen holte die KPÖ dort über 20 Prozent – ein Wahlergebnis, das sie diesen Sonntag zu übertreffen hofft. Über den Erfolg der Partei und ihre Strategie hat JACOBIN mit KPÖ-Stadtrat Robert Krotzer gesprochen.
Wahlkampf der Grazer KPÖ.
Seit Jahrzehnten ist die ehemals sozialdemokratische Hochburg Österreich Vorreiter eines rechtspopulistischen Aufstiegs, der mittlerweile auch viele andere europäische Länder erfasst hat. Doch in Graz, der zweitgrößten Stadt der Alpenrepublik, zeichnet sich eine solidarische Alternative zum Rechtsruck ab. Dort hat es die Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ) geschafft, sich durch klassenpolitische Forderungen und langjährige Basisarbeit als stärkste Oppositionspartei aufzustellen. Bei der letzten Gemeinderatswahl im Jahr 2017 kam die Partei auf mehr als 20 Prozent der Stimmen – ein Ergebnis, das sie bei der kommenden Wahl am 26. September nun ausbauen will.
Der bemerkenswerte Erfolg der KPÖ in Graz wäre ohne engagierte Parteiaktivisten wie den 34-jährigen Robert Krotzer nicht möglich. Er engagierte sich während seines Studiums im KPÖ-nahen Kommunistischen StudentInnenverband und wurde 2017 als zweiter Listenkandidat der KPÖ in den Grazer Stadtsenat gewählt. Mit seinen damals 29 Jahren wurde er somit der jüngste Stadtrat in der Geschichte von Graz und dient seither als Stadtrat für Gesundheit und Pflege.
Bei dieser Wahl kandidiert Robert Krotzer wieder auf Listenplatz Zwei der KPÖ. Im Gespräch mit Adam Baltner erklärt er, warum die Lokalpolitik ein so wichtiges Kampffeld ist, und wie Linke trotz ungünstiger Rahmenbedingungen Einfluss nehmen können.
Bei den Nationalratswahlen in Österreich erzielt die Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ) normalerweise etwa 1 Prozent. Doch in der Stadt Graz, der Hauptstadt des österreichischen Bundeslandes Steiermark, schneidet die Partei wesentlich besser ab. Seit den frühen 2000er Jahren liegt sie dort bei den Gemeinderatswahlen bei etwa 20 Prozent und seit 2012 ist sie zweitstärkste Kraft in der Stadt. Warum ist die KPÖ ausgerechnet in Graz so erfolgreich?
Das hat mit einer politischen Orientierung zu tun, die auf die frühen 1990er Jahre zurückgeht – eine Zeit, in der die kommunistische Bewegung in einer schweren Krise war. Einer der Leitsprüche der KPÖ Steiermark war damals »Eine nützliche Partei für das tägliche Leben und für die großen Ziele der Arbeiterinnenbewegung«. Entlang dieser Maxime hat man sehr konkrete Politik gemacht, gerade für Mieterinnen und Mieter.
Insbesondere Ernest Kaltenegger [ehemaliger KPÖ-Politiker und Grazer Parteivorsitzender] hat hier große Verdienste geleistet und sich einen sehr guten Ruf in der Bevölkerung erarbeitet. Kaltenegger war für die Menschen erreichbar und hatte ein offenes Ohr für ihre Probleme. Noch heute erzählen sich die Leute, dass er sogar Dinge in ihren Wohnungen repariert hat. Aber natürlich hat er das Wohnen auch politisch thematisiert.
Anfang der 1990er Jahre haben in Graz viele Unternehmer versucht, mit mitunter sehr brachialen Methoden ganze Häuser zu entmieten. Da wurden zum Beispiel im Winter die Fenster im Hauseingang entfernt und angeblich zur Reparatur geschickt. Kaltenegger hat Pressekonferenzen abgehalten, um auf solche Fälle aufmerksam zu machen. 1991 wurde auch der Mieternotruf ins Leben gerufen als Anlaufstelle für Menschen, die Probleme mit ihren Vermietern haben. Auch eine Rechtshilfe für Spekulatenopfer – wie es geheißen hat –, entstand auf Kalteneggers Initiative. Durch das Zusammenspiel aus sehr konkreter Hilfe und rechtlicher Unterstützung konnte sich die KPÖ hier einen guten Ruf aufbauen.
Wenige Jahre später folgte eine große Kampagne zu hohen Mietpreisen in Gemeindewohnungen, denn auch dort war es nicht unüblich, dass Menschen bis zu 55 Prozent ihres Einkommens für die Miete bezahlen mussten. Im Gemeinderat brachte die KPÖ einen Gesetzesantrag ein, der forderte, dass niemand mehr als ein Drittel des eigenen Einkommens für eine Gemeindewohnung zahlen sollte. Wie so viele andere Anträge der KPÖ wurde dieser von allen anderen Parteien abgelehnt. Daraufhin hat die KPÖ Unterschriften gesammelt, insbesondere in Gemeindewohnungen und auch zusammen mit Mieterinnen und Mietern. Mit 17.000 Unterschriften hat sie dann eine »Petition nach dem steirischen Volksrechtegesetz« vorgelegt und den Antrag für ihr Mietgesetz nochmals gestellt. Dieses wurde dann einstimmig beschlossen.
Bei der Wahl im Jahr 1998 kam dann mit 7,9 Prozent der erste große Wahlerfolg der Partei. Kaltenegger wurde das Ressort für Wohnen zugewiesen, weil die regierenden Parteien dachten, er würde in dieser Rolle scheitern. Aber es kam anders. Tatsächlich hat er einiges durchgesetzt und etwa dafür gesorgt, dass alle Gemeindewohnungen mit eigenem Klo beziehungsweise Bad ausgestattet werden. Und bei der Grazer Wahl 2003 kam die Partei dann auf 20,8 Prozent.
All das zeigt, dass linke Politik einen langen Atem und basisverbundene Arbeit braucht. Es zeigt außerdem auch, dass man in parlamentarischen Funktionen durch den außerparlamentarischen Druck auch Dinge vorantreiben kann, die sonst unter den gegebenen Kräfteverhältnissen nicht möglich wären.
Du hast gerade nicht nur angesprochen, wie die KPÖ in Graz Zuspruch finden konnte, sondern auch, wie sie in ihrer Rolle als Oppositionspartei die Stadtpolitik beeinflusst hat. Gibt es da noch andere Beispiele?
Einer der nachhaltigsten Erfolge der KPÖ Graz wurde im Jahr 2004 erreicht, als sie die Privatisierung der Gemeindewohnungen verhindert hat. Damals waren sich die ÖVP, SPÖ und eigentlich alle anderen Gemeinderatsfraktionen darin einig, die Grazer Gemeindewohnungen zu privatisieren. Etwa zur selben Zeit wurden in Berlin traurigerweise unter einer rot-roten Regierung stadteigene Wohnungen privatisiert.
Obwohl wir damals noch eine sehr kleine Partei waren, ist es uns gelungen, mehr als 10.000 Unterschriften für unsere Petition gegen die Privatisierung zu sammeln – nach dem steirischen Volksrechtegesetz die erforderliche Anzahl für eine Volksbefragung, die von der Stadt offiziell durchgeführt werden muss. Bei dieser Volksbefragung stimmten dann 96 Prozent gegen den Verkauf der Gemeindewohnungen. Bis heute haben alle Parteien die Finger davon gelassen – die Privatisierung von Gemeindewohnungen wurde nie wieder zum Thema.
Auch wenn wir nie eine der regierenden Koalitionsparteien waren, haben wir seit 1998 politische Ämter in der Stadtregierung. Denn nach dem in Graz geltenden Proporzsystem werden die Ämter der Stadtregierung den Parteien auf Basis ihrer Stimmenanteile zugeteilt. Aktuell ist unsere Parteivorsitzende Elke Kahr für das Straßenamt und die Verkehrsplanung zuständig und ich für die Bereiche Gesundheit und Pflege. Auch hier sind uns Erfolge gelungen – und das, obwohl hier in den letzten viereinhalb Jahren eine rechte Koalition aus ÖVP und FPÖ regiert und die Rahmenbedingungen entsprechend erschwert wurden.
Wir haben neue Radwege gebaut und den öffentlichen Verkehr durch den Ausbau der Straßenbahn und die Schaffung neuer Buslinien gestärkt. Und wir haben das sogenannte Grazer Pflegemodell eingeführt, wonach bedürftige Pensionistinnen und Pensionisten Zuschüsse von der Stadt erhalten, damit sie zu Hause gepflegt werden können und nicht in ein Altersheim umziehen müssen.
Als Dir im Jahr 2017 das Ressort für Gesundheit und Pflege zugewiesen wurde, konnte niemand erahnen, dass die Covid-Krise auf uns zukommen würde. Wie konntest Du dieses Amt nutzen, um der Krise auf lokaler Ebene zu begegnen?
RK: In Graz ist das Gesundheitsamt ein vergleichsweise kleines, aber dennoch wichtiges Ressort. Da Graz anders als Wien nur eine Stadt und kein Bundesland ist, verwalten wir zum Beispiel keine Krankenhausgesellschaften. Als ich das Amt übernommen habe, wurde in den Kreisen der Jungen Volkspartei [Jugendorganisation der ÖVP] gemunkelt, »der Krotzer kriegt das Gesundheitsamt, weil er da eh keinen Schaden anrichten kann«. Das veranschaulicht auch den Zugang der ÖVP zu den Themen Gesundheit und Pflege, die bei uns in der KPÖ hingegen seit jeher einen entscheidenden Stellenwert einnehmen.
Gesundheitspolitik in der Stadt bedeutet im Zusammenhang mit der Covid-Krise in erster Linie Contact-Tracing, also das Nachverfolgen und die Unterbrechung von Infektionsketten. Natürlich ist das ein ungeheurer Aufwand für jede Gesundheitsbehörde. Im Februar 2020 verfügte das Grazer Referat für Seuchenhygiene über gerade einmal zwei halbe Dienstposten, im November 2020 waren dann schon 200 Personen im Einsatz.
Wir haben aber nicht einfach unseren behördlichen Auftrag erfüllt. Zusammen mit migrantischen Organisationen, Pensionistenverbänden und Sozialeinrichtungen haben wir bereits im März 2020 eine Telefonkette gestartet, um Informationen bestmöglich zu streuen und gleichzeitig auch herauszufinden, was die Menschen in dieser Zeit bereits wussten oder was sie brauchten. Wir haben sie dann konkret unterstützt, indem wir für sie Kontakt zu Einkaufsdiensten hergestellt oder sie mit Lebensmittel-Gutscheinen versorgt haben.
In weiterer Folge haben wir im Herbst 2020 die von der Landes- und Bundesregierung vielfach versprochenen Antigen-Schnelltests letztendlich aus eigener Tasche gezahlt und diese an Pflegeheime, Hauskrankenpflege-Organisationen und soziale Einrichtungen geschickt. Um die Impfung zur Bevölkerung zu bringen, haben wir auch spezielle Impfaktionen durchgeführt – etwa für die Verkäuferinnen und Verkäufer der Grazer Straßenzeitung Megafon oder auch in der Grazer Moschee, in Kirchen, Bibliotheken und verschiedenen Stadtteilen. All das stützt sich auf unseren Anspruch, eine nützliche Partei für das tägliche Leben zu sein.
In der bisherigen Berichterstattung zur Wahl geht es überwiegend um mögliche Koalitionskonstellationen. Was sind aus Deiner Sicht die entscheidenden Themen in diesem Wahlkampf?
Auf Koalitionsvarianten werde ich von Wählerinnen und Wählern nur ganz selten angesprochen. In den Gesprächen an den Infoständen geht es eher darum, dass Menschen von uns ganz konkrete Hilfe erhalten haben. Und das ist sicher ein ganz großer Pluspunkt, den wir als KPÖ haben.
Elke [Kahr] und mich besuchen bei unseren Sprechstunden Tausende Menschen im Jahr. Dort schauen wir, wie wir am besten helfen können, ob durch rechtliche Beratung, durch Hilfe beim Ausfüllen eines Antrags oder auch durch ganz konkrete Unterstützung mit finanziellen Mitteln aus unseren Gehältern – KPÖ-Stadträtinnen und -Landtagsabgeordnete geben durch eine selbst festgelegte Gehaltsobergrenze zwei Drittel ihres Gehalts an Menschen in Notlagen weiter.
Für uns ist das definitiv keine karitative Politik, sondern eine, die sich an einem alten sozialistisch-kommunistischen Grundprinzip orientiert, das auf die Pariser Kommune zurückgeht. Ich glaube, es ist schwierig, wirklich empathisch mit jemandem zu sprechen, der für 1.200 Euro Vollzeit arbeitet, wenn man selbst das Drei-, Vier- oder Fünffache verdient. Wie Marx eben gesagt hat: Das Sein bestimmt das Bewusstsein.
Neben dem Versagen in der Sozialpolitik würde ich die rasant fortschreitende Verbauung und Versiegelung der Stadt Graz als eines der Hauptthemen benennen. In Graz werden sehr leichtfertig Bebauungspläne genehmigt und Grünräume vergeben, weil der ÖVP-Bürgermeister Siegfried Nagl sehr investorenfreundlich agiert. Viele Menschen stört das massiv. Nicht wenige sagen mir wegen der Bauwut der letzten Jahre sogar: »Ich habe mein ganzes Leben keine andere Partei als die ÖVP gewählt, aber jetzt geht’s nicht mehr«.
Das Programm der KPÖ Steiermark hebt das Erbe von Marx, Engels und Lenin hervor. Wegen dieses offenen Bekenntnisses zu einer radikalen Politik macht die ÖVP schon seit Jahren eine Rote-Socken-Kampagne gegen Euch – scheinbar ohne viel Erfolg. Wie geht Ihr mit antikommunistischer Hetze um?
Dieses Jahr im Frühling haben wir in einer Pressemitteilung an den 60. Jahrestag des ersten bemannten Raumflugs erinnert. Der erste Mensch im Weltraum war natürlich der sowjetische Kosmonaut Juri Gagarin. Die ÖVP hat versucht, uns daraus einen Strick zu drehen und einen Dringlichkeitsantrag in den Gemeinderat eingebracht, der eine Distanzierung von allen totalitären Ideologien, insbesondere vom Sowjetkommunismus, einforderte. Alle andere Parteien, auch die SPÖ und die Grünen, haben diesem Antrag zugestimmt. Die ÖVP hat sich dann darüber empört, dass wir dem nicht zugestimmt haben.
Wir haben letztendlich relativ ruhig darauf reagiert. Wir kennen die ÖVP lange genug, um zu wissen, was sie mit sowas bezwecken will. Unsere Gemeinderätin Elke Heinrichs hat ausführlich dargelegt, dass die KPÖ immer die führende Kraft im Widerstand gegen den Faschismus in Österreich war und – anders als die anderen Parteien der Nachkriegszeit – keine Genossinnen und Genossen mit faschistischer Vergangenheit hatte. Wenn es also um Fragen der Distanzierung geht, sollte auch die ÖVP erst einmal vor ihrer eigenen Haustür kehren.
Es gibt natürlich viele Aspekte in der Geschichte des real existierenden Sozialismus, die wir als Kommunisten und Marxistinnen diskutieren müssen. Aber wir müssen das nicht auf Zuruf der ÖVP tun, und vor allem nicht mit deren Geschichtsverständnis.
Dieser antikommunistische Versuch der ÖVP war nie in irgendeiner Art und Weise ein Thema bei Gesprächen an den Infoständen. Ich glaube an der Bevölkerung ist das weitgehend vorbeigegangen, weil sehr viele Menschen bereits einen ganz konkreten Bezug zur KPÖ haben – weil sie jemanden von uns kennen, weil sie uns auf der Straße sehen, weil sie wissen, dass es wegen uns den Mieternotruf gibt. Solche Sachen sind für die Menschen wesentlich bestimmender.
Der Erfolg der KPÖ in Graz hat sich bisher nicht auf andere Städte übertragen. Glaubst Du trotzdem, dass die Kommunalpolitik ein Weg sein kann, um eine nationale oder sogar internationale politische Bewegung aufzubauen?
Natürlich predigen wir keinen Sozialismus in einer Stadt oder sowas wie einen kommunalen Übergang zum Sozialismus. Aber ich bin davon überzeugt, dass sich die Entwicklung linker Politik insgesamt von unten nach oben vollziehen muss. Und das heißt, sich auf kommunaler oder auch betrieblicher Ebene zu verankern und laufend in Kontakt mit den Menschen zu stehen. Es geht um Bereiche, in denen man auch sehr konkret zeigen kann, dass man eine nützliche Kraft ist. Als Arbeiterpartei kann man dabei viel lernen.
In den letzten Jahrzehnten ist das in der Linken vielleicht etwas verloren gegangen. Man hat geglaubt, wir haben die klugen Texte, wir haben die Bände von Marx und Engels und von Lenin, und mit denen werden wir der Welt schon beikommen. Doch nur im ständigen Austausch mit den Menschen erfährt man, wo der Schuh drückt. Das ist zentral, um mit Deinen Genossinnen und Genossen an Werkzeugen zu feilen, die das Leben der Menschen verändern und verbessern.
Es gibt verschiedene Beispiele erfolgreicher linker Politik auf kommunaler oder betriebliche Ebene – etwa im Alentejo in Portugal, wo es Kommunen gibt, die seit der Nelkenrevolution von 1974 durchgehend von der Portugiesischen Kommunistischen Partei verwaltet werden, oder die [kommunistisch orientierte Gewerkschaftsorganisation] PAME in Griechenland.
Eine spannende neuere Entwicklung ist der Erfolg der belgischen Partei der Arbeit (PTB). Ausgehend von ihrer langjährigen Verankerung in Betrieben ist es dieser Partei gelungen, sich stärker in den Kommunen zu behaupten und dann im Jahr 2019 den großen Sprung in die nationale Politik zu schaffen. Davor kann man nur den Hut ziehen. Aber dieser Erfolg wurde eben auch im Kleinen entwickelt. Ohne lokale Verankerung hätte das sicherlich nicht funktioniert.