06. Januar 2025
Liberale und Konservative liefern Österreich lieber den Rechtsextremen aus, als Zugeständnisse im Sozialbereich zu machen. Damit zeigen sie erneut, was Linke schon immer wussten: Hinter dem Faschismus steht das Kapital.
Die österreichischen Spitzenkandidaten treffen sich zur sogenannten Elefantenrunde vier Tage vor der Nationalratswahl, 26. September 2024.
In Österreich ist nach den geplatzten Koalitionsverhandlungen zwischen ÖVP, SPÖ und NEOS der Worst Case eingetreten. Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat FPÖ-Chef Herbert Kickl am Montag den Regierungsbildungsauftrag erteilt, die ÖVP erklärte schon am Wochenende, sie sei zu Gesprächen mit den Freiheitlichen bereit. Der Weg für Herbert Kickl, den rechtsextremen Scharfmacher, für den die Identitären nur eine »NGO von rechts« sind, ist geebnet.
Noch vor wenigen Tagen war das zwar nicht undenkbar, aber doch sehr unwahrscheinlich. Im Land stellte man sich nach drei Monaten Verhandlungen auf eine Dreierkoalition ein – auch wenn das Projekt keine große Begeisterung auslöste. Gerade in der gesellschaftlichen Linken rechnete kaum jemand damit, dass sich die SPÖ in zentralen Fragen gegenüber den Konservativen und Liberalen durchsetzen könne. Aber eine Alternative ohne Herbert Kickl hätte Sozialisten und Kommunistinnen zumindest etwas mehr Zeit gegeben, sich straffer zu organisieren und ein relevanterer politischer Akteur zu werden. Nicht nur gegenüber den Rechtsextremen, sondern auch gegenüber der bürgerlichen Mitte.
Das ist jetzt Geschichte. Die wirtschaftsliberalen NEOS zogen zuerst die Reißleine. Sie gaben unter anderem Uneinigkeit bei Budgetfragen und »fehlenden Reformwillen« als Grund an. Konkret ging es ihnen um Einsparungen bei den Pensionen und die Ablehnung neuer Steuern. Einen Tag später begräbt auch die Volkspartei die Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten. Man könne kein Programm unterschreiben, »das wirtschaftsfeindlich, leistungsfeindlich und wettbewerbsfeindlich ist«, sagt Karl Nehammer – und tritt zurück.
Federführend für diesen Vorgang soll der Industrie- und Wirtschaftsflügel der Partei gewesen sein. Sie haben entschieden: Mit den Rechtsextremen zusammenzuarbeiten, ist eine bessere Option, als Zugeständnisse im Sozialbereich zu machen. Ironischerweise schlagen die Interessen der Vertreter des Großkapitals sogar den Machtanspruch der ÖVP. Sie ist eher bereit, unter Herbert Kickl den Vizekanzler zu stellen, als eine Kanzlerpartei zu werden, die die eine oder andere arbeitnehmerfreundliche Position mitträgt. Damit beweisen österreichische Konservative und Liberale exemplarisch, was auf jeder linken Demo skandiert wird: Hinter dem Faschismus steht das Kapital. In Österreich vor allem in Gestalt von Wirtschaftsbund und Industriellenvereinigung.
Die ÖVP hat eine Zusammenarbeit mit der FPÖ den gesamten Wahlkampf lang ausgeschlossen. Freundlich formuliert, war das nie sonderlich glaubhaft. ÖVP-Landesparteivorsitzende haben in den vergangenen Jahren vor Wahlen Ähnliches behauptet, um dann nach wenigen Wochen Verhandlungen die SPÖ-Forderungen als »weitestgehend standortschädlich« zu deklarieren. In den vergangenen beiden Jahren wurde die FPÖ Juniorpartner in Niederösterreich, in Vorarlberg und in Salzburg. In Oberösterreich regiert sie schon länger mit, in der Steiermark stellt sie seit Neuestem sogar den Landeshauptmann. In den Ländern sind schon länger alle Dämme gebrochen. Es gab nie einen Grund anzunehmen, dass das im Bund anders sein sollte – gerade, wenn man bedenkt, dass ÖVP und FPÖ auch dort bereits mehrmals miteinander koaliert hatten.
»Am Ende ist es fraglich, ob es tatsächlich einzelne Punkte waren, an denen sich die Verhandler störten oder eine Zusammenarbeit mit Babler für den ÖVP-Wirtschaftsflügel von Beginn an ausgeschlossen war.«
Trotzdem äußerten sich in den letzten Monaten die wenigsten in der ÖVP positiv über die Bundes-FPÖ. Nur aus dem Wirtschaftsflügel kamen kleine Bemerkungen. Da ist etwa Georg Knill, Präsident der ÖVP-nahen Industriellenvereinigung, der erklärte, das Wirtschaftsprogramm der FPÖ habe eine »sehr große Deckungsgleichheit mit jenem der ÖVP«. Hinter den Kulissen waren die Klagen lauter. Gegenüber dem Standard erklärten etwa Vertreter aus Wirtschaft und Industrie eine große Antipathie gegenüber der Person Andreas Babler, die vor allem auf seiner Forderung nach Arbeitszeitverkürzung beruhte.
Dabei spielte dieses Thema in den Verhandlungen keine Rolle mehr. Genauso wenig wie Erbschafts- und Vermögenssteuern, die den Wirtschaftsliberalen ebenfalls ein Dorn im Auge waren. Andreas Babler betonte öffentlich, dass er auf beides nicht mehr bestanden habe. Zynisch könnte man also sagen: Die SPÖ hat ihre Kernforderungen aus dem Wahlkampf ohnehin aufgegeben, den Großindustriellen hat das jedoch nicht gereicht.
Sowohl ÖVP als auch die NEOS wollten gerade in den Bereichen Kürzungen durchführen, die die breite Masse der österreichischen Bevölkerung betreffen. Als »rotes Tuch« wird etwa eine Bankenabgabe genannt. Die SPÖ erklärt, die ÖVP habe unter anderem Gehaltskürzungen für Lehrpersonal und in der Pflege gefordert, also Sektoren, in denen in Österreich akuter Fachkräftemangel herrscht. Gespart werden sollte auch im Gesundheitswesen und bei den Pensionen. Letztere wurden von den NEOS als Hauptgrund für das Gesprächs-Aus genannt, weil Babler sich weigerte, das Pensionsalter zu heben – wohl wissend, dass schon heute Menschen in körperlich anstrengenden Berufen oder mit Betreuungspflichten das aktuelle Pensionseintrittsalter oft nicht erreichen und damit noch leichter in Altersarmut geraten würden.
Am Ende ist es fraglich, ob es tatsächlich einzelne Punkte waren, an denen sich die Verhandler störten oder eine Zusammenarbeit mit Babler für den ÖVP-Wirtschaftsflügel von Beginn an ausgeschlossen war. Fest steht, dass die Zukunft für die arbeitende Bevölkerung Österreichs und insbesondere für Frauen und Minderheiten düsterer geworden ist. Als Kanzler könnte Herbert Kickl binnen einer Legislaturperiode die letzten Reste von dem abbauen, was Österreich noch lebenswert gemacht hat. Kürzungen im Sozialbereich, bei der Mindestsicherung, bei frauen- und flüchtlingspolitischen Anliegen sind vorprogrammiert. Das alles wird nicht mit einem lauten Knall passieren. Stattdessen können wir uns auf einen langsamen Umbau der Republik zugunsten der Arbeitgeber und Industriellen einstellen.
Die FPÖ hat schon mehrmals mit der ÖVP im Bund regiert – sie ist jedes Mal gescheitert. Dafür verantwortlich waren allerdings keine wirksamen linken Rezepte gegen Rechtsextremismus, sondern ihre eigene Korruption. Darauf zu hoffen, dass die FPÖ einen neuen Ibiza-Skandal liefert, wird dieses Mal zu wenig sein. Kickl ist disziplinierter als seine Vorgänger Strache und Haider. Die Skandal-Inflation der Ära Kurz und die damit einhergehende Abstumpfung der Bevölkerung tun ihr Übriges.
»Die nächsten Jahre in der österreichischen Politik werden bitter sein. Resignieren wird die Lage aber nicht verbessern.«
Den Rechtsruck aufzuhalten wird mittel- bis langfristig nur möglich, wenn in Österreich wieder eine starke Linke entsteht, die dem Pseudopopulismus der FPÖ ein offensives linkes Wirtschaftsprogramm entgegenstellt und ihr damit die Basis für ihren Erfolg untergräbt. Die Ausgangsvoraussetzungen dafür sind allerdings alles andere als gut. Die Grünen haben mit ihrer fehlenden Inflations- und Teuerungsbekämpfung in den letzten fünf Jahren den letzten Rest ihres linken Erbes beerdigt. Der SPÖ ist es unter Babler nicht gelungen, an ihre stolze antifaschistische Geschichte anzuknüpfen. Die einstige linke Volkspartei, deren Erfolg auf Klassenkampf und Massenorganisation beruhte, ist heute nur noch ein Schatten ihrer selbst.
Druck von links, also der KPÖ, kann dabei helfen. Aber auch die Kommunisten müssen sich in den kommenden Monaten außerparlamentarisch stärker aufstellen, Interessierte in die Partei integrieren und motivierten jungen Kadern mehr Gestaltungsspielraum geben. Die nächsten Jahre in der österreichischen Politik werden bitter sein. Resignieren wird die Lage aber nicht verbessern. Menschen, die politisch etwas zum Besseren verändern wollen, gibt es auch in Österreich – nun müssen sie organisiert werden.
Magdalena Berger ist Assistant Editor bei JACOBIN.