18. Juni 2021
Frankfurts SEK, NSU 2.0, Bundestagspolizei – was kommt als nächstes? Geleakte Gruppenchats legen offen, was wir schon lange wissen: Rechte Netzwerke in Sicherheitsbehörden werden systematisch geduldet, ihre Gefahr politisch hingenommen.
Polizisten bei einer Demonstration in der Nähe des Deutschen Bundestags, 21.04.2021.
Wie wenig die Bundesregierung und allen voran ihr Innenminister die rechte Gefahr in Sicherheitsbehörden ernst nehmen, ist an der Pressekonferenz zum Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2020 leicht zu erkennen. Horst Seehofer (CSU) muss zwar zugeben, dass die Gefahr von rechts am größten ist, verwendet seine Redezeit zum Rechtsextremismus dann aber darauf, »seine Erfolge« auszuweisen, das heißt an die Verbote einzelner Gruppen zu erinnern. Mit keinem Wort kommentiert er die Mordfälle, die unaufgeklärten Verdachtsfälle bei der Polizei oder die aufgedeckten rechten Chatgruppen unter Sicherheitsbeamten.
Diese Dinge sind alle längst bekannt. Wir haben uns fast schon daran gewöhnt, im Wochentakt zu erfahren, dass wieder irgendwo Daten von Polizeicomputern verschwunden sind, wie es kürzlich in Hessen der Fall war, dass sich hessische und Berliner Sicherheitsbehörden offenbar vernetzen, diese Daten austauschen und für Drohschreiben missbrauchen, oder dass aufgrund dessen eine SEK-Einheit in Hessen aufgelöst wurde. Nun wurde zudem bekannt, dass 13 der 19 rechtsextremen Beamten aus der aufgelösten Einheit am 19. Februar 2020 nach dem rechtsterroristischen Anschlag in Hanau im Einsatz waren.
Für Betroffene und Hinterbliebene ist das ein Schock. Und es bedeutet, dass sich ihre Befürchtungen als begründet erweisen könnten: dass nämlich bei diesem Einsatz politisch motivierte Unterlassung eine Rolle gespielt haben könnte; dass die Opfer, weil sie migrantisch waren, nicht darauf vertrauen konnten, von der Polizei geschützt und gerettet zu werden; und dass einige Beamte die gleiche Ideologie vertreten wie der Täter.
Dass die jeweiligen Innenminister ihre Behörden und Einsatzkommandos nach allen Hinweisen weiterhin nicht systematisch durchleuchten und für Aufklärung sorgen, ist ein politischer Skandal. Das gilt für die schwarz-grüne Landesregierung in Hessen und ihren Innenminister Beuth (CDU) ebenso wie für den Bundesinnenminister Seehofer, der die Verfehlungen in den ihm selbst unterstellten Apparaten nach wie vor herunterspielt.
Der beste Beweis für die Irrungen des Verfassungsschutzes ist die Tatsache, dass der ehemalige Verfassungsschutzchef Maaßen nun selbst rechte Verschwörungsideologien verbreitet. Eine weitere Pointe ist, dass der sogenannten »Neuen Rechten« erst jetzt ein eigenes Unterkapitel im Verfassungsschutzbericht gewidmet wird. Im gleichen Bericht wird unter »Linksextremismus« etwa die Junge Welt aufgeführt – mit der Begründung, die Zeitung würde von der Existenz einer Klassengesellschaft ausgehen und diese Ansicht aktiv propagieren. Der Bericht ist wieder einmal eine Farce – Betroffenen von rechter Gewalt hilft diese Erkenntnis aber natürlich nicht weiter.
Dass das Bundestagspräsidium und dessen Vorsitzender Wolfgang Schäuble (CDU) rechte Ideologien offenbar selbst im eigenen Haus tolerieren – oder den Hinweisen auf solche Strukturen in der Bundestagspolizei zumindest nicht nachgehen – ist bei allen Erkenntnissen über rechte Unterwanderungen dennoch ein starkes Stück. Dass mit der AfD vor vier Jahren der parlamentarische Arm der Rechten in den Bundestag einzog, bot wohl keinen hinreichenden Anlass, ihre Kontakte zur Bundestagspolizei zu überprüfen. Dabei wurde, wie eine Recherche der taz ergab, im Jahr 2015 eine informelle, mit Scharfschützengewehren ausgerüstete Spezialeinheit gegründet. Unklar ist noch, ob dieser Vorgang den Abgeordneten oder im Präsidium überhaupt bekannt war.
Nicht einmal der Versuch von Rechten und Querdenkern, am 29. August 2020 im Zuge einer Demonstration in das Gebäude des Reichstags einzudringen, hat Schäuble aufhorchen lassen. Es laufen zwar gegenwärtig Ermittlungsverfahren gegen 40 Verdächtige, zur Kontrolle des eigenen Personals gab das Geschehen aber offenbar keinen Anlass. Was wäre gewesen, wenn anstelle der drei Polizisten, die die Eindringlinge abhielten, rechte Sympathisanten dort gestanden hätten? Szenen wie auf dem Kapitol in Washington mögen uns fern vorkommen – nach den neuesten Recherchen hätten wir jedoch im vergangenen Sommer etwas ganz ähnliches erleben können.
Bei allen Reden vom Bundestag als dem »Hort der Demokratie« hat man naiv angenommen, dass sich die Radikalisierung der Rechten und der Einzug der AfD in die Parlamente nicht auch in einer Festsetzung rechter Strukturen in den Sicherheitsbehörden und externen Sicherheitsdiensten niederschlagen würde. Entweder das – oder man hat diese Möglichkeit mit einkalkuliert und trotzdem nichts unternommen. Das ist fahrlässig gegenüber den Abgeordneten und allen Mitarbeitern im Bundestag. Vor allem aber zeigt es mal wieder, dass der Rechtsextremismus von den zuständigen Stellen nicht als ein politisches Problem, sondern als eine Reihe von Einzelfällen wahrgenommen wird. Die Forderungen der Hinterbliebenen der Opfer von Hanau nach Aufklärung und Konsequenzen in den Behörden bleiben aktuell. Auf die derzeitigen Entscheidungsträger können wir uns in dieser Frage aber offenbar nicht verlassen.
Ines Schwerdtner ist Host des JACOBIN-Podcasts Hyperpolitik und war von 2020-2023 Editor-in-Chief von JACOBIN.