06. Januar 2023
Während die Deutsche Post AG Milliardengewinne einfährt, gelten die Forderungen der Beschäftigten als realitätsfern. Dabei ist nichts realistischer, als endlich mehr zu fordern.
Trotz Rekordgewinnen sollen im letzten Jahr 10.000 Beschäftigte der Post ihre Stelle gekündigt haben.
IMAGO / bikyZur Adventszeit sieht man sie besonders gern, die Helferinnen und Helfer des Christkinds. Aber die besinnlichen Festtage sind vorbei und mit ihnen die Friedenspflicht der Beschäftigten der Deutschen Post. Am 6. Januar beginnen die Verhandlungen zwischen Verdi und der Deutschen Post AG, bei denen die Gewerkschaft 15 Prozent mehr Lohn für die 160.000 Tarifbeschäftigten einfordert.
Einen Inflationsausgleich und eine Beteiligung am Unternehmenserfolg, das wünschen sich die Beschäftigten laut einer Verdi-Umfrage – beides soll mit den 15 Prozent gedeckt werden, zusätzlich zu 200 Euro mehr pro Ausbildungsjahr für Azubis. Die Arbeitgeberseite hält diese Forderung für »realitätsfern«. Post-Chef Frank Appel verdient hingegen ein realitätsnahes Gehalt, das 232-mal so hoch ist wie das eines durchschnittlichen Mitarbeitenden seiner eigenen Belegschaft. Doch auch davon abgesehen ist die Forderung der Beschäftigten nicht nur berechtigt, sondern sogar bescheiden.
Die Geschichte der Deutschen Post AG, wie wir sie heute kennen, beginnt in den 1980ern, als sie noch Deutsche Bundespost hieß. Mit der ersten Postreform 1988 wurde der Grundstein für die Privatisierung des Unternehmens gelegt. Ihr sollte eine Neuordnung des Betriebs vorausgehen und so wurde die Behörde in Postdienst, Telekom und Postbank gespalten, was schon damals auf Kritik vonseiten Gewerkschaften stieß. Es folgten eine Reihe weiterer Reformen bis 1995 die Deutsche Post AG entstand: eine Aktiengesellschaft in staatlichem Besitz. Kapital sollte freigesetzt und Wettbewerb gefördert werden. Als das Unternehmen im Jahr 2000 an die Börse ging, kaufte sich die AG das heutige Kronjuwel ein: den kalifornischen Paketdienst DHL.
Die Deutsche Post hat in Deutschland stetig Stellen abgebaut und ihre Dienste ausgelagert. Seit 2012 betreibt sie keine eigenen Filialen mehr, sondern kooperiert mit sogenannten Postagenturen. Um Tankstellen, Schreibwarenläden oder Kioske als potenzielle Partner zu gewinnen, ködert die Post mit dürftigen Prämien und der Aussicht auf Laufkundschaft. Das Problem dabei ist, dass der Deal sich kaum lohnt. Mit etwa 40 Cent pro Paket und noch weniger für Briefe rentiert sich der Betrieb eines Paketshops für viele Betreiber kaum und steht in keinem Verhältnis zum Personalaufwand und der Lagerfläche, die sie dem Kerngeschäft opfern müssen.
Mit dieser Form von Outsourcing lassen sich zwar beträchtliche Lohnkosten einsparen – gerade wenn die Arbeit, die zwei Jahrzehnte vorher von Beamten einer staatlichen Behörde verrichtet wurde, nun von meist ungeschulten Verkäufern im Dienstleistungssektor erledigt wird. Gleichzeitig stellt sie für das Unternehmen ein Problem dar, da es gesetzlich dazu verpflichtet ist, seine Dienste breitflächig zur Verfügung zu stellen. So muss etwa in jedem Dorf mit über 2.000 Einwohnerinnen und Einwohnern eine Postfiliale stehen. Die ehemaligen Postfilialen, die nicht zu den 92 Prozent der Postagenturen gehören, wurden – aus Nostalgiegründen, möchte man mutmaßen – zur Postbank ausgegliedert, mittlerweile eine Tochter der Deutschen Bank.
Auch die Zahl der Briefkästen und die Frequenz ihrer Leerung sinkt zunehmend. Das Briefgeschäft, man möchte fast sagen der Markenkern der Post, nimmt stetig ab und die Briefträgerinnen und Briefträger liefern heute weniger Briefe aus denn je. Insgesamt ist die Sparte »Post & Paket« gerade einmal für etwa ein Fünftel des Umsatzes verantwortlich, Tendenz fallend, trotz wachsender Paketzahlen.
Dagegen floriert das Auslandsgeschäft der Logistik unter der Tochter DHL, die – wie könnte es anders sein – ebenfalls aus einer Reihe von Tochterunternehmen besteht, wie beispielsweise DHL Global Forwarding/DHL Freight, das die Luft- und Seefrachtsparte des Konzerns bildet. Neben den weltweit 590.000 »engagierten Beschäftigten« sieht Geschäftsführer Frank Appel die Basis des Erfolgs daher in der Logistik. Und dieser Erfolg kann sich sehen lassen.
Die Deutsche Post gehört als Platzhirsch unter den Paketdiensten zum exklusiven und dennoch allseits bekannten Club der »Gewinner der Pandemie«. Im vergangenen Jahr erwirtschafteten die engagierten Beschäftigten einen Umsatz von 81 Milliarden Euro, was dem Unternehmen einen Gewinn von 8,4 Milliarden Euro bescherte – das beste Ergebnis aller Zeiten.
Während man in der Führungsetage allen Grund hatte, die Korken nicht nur zum Jahreswechsel knallen zu lassen, sieht es bei den Briefträgerinnen und Paketboten anders aus. Die Deutsche Post hat ein breites Spektrum von Instrumenten zur Gewinnmaximierung im Arsenal und die Arbeitsbedingungen leiden darunter.
In das Geflecht aus Konzerntöchtern möchte man nun eine weitere eingliedern: Die Transport-GmbHs. Durch sie sollen LKW-Fahrer eingestellt werden, die denselben Lohn wie ihre Arbeitskollegen im hauseigenen Dienst bekommen, aber dafür bis zu fünf Stunden pro Woche mehr arbeiten dürfen. Auch mit dem Einsatz von Leiharbeiterinnen hat man bei der Post AG Erfahrungen gemacht – wenn auch nicht nur gute: In dem Bestreben, Arbeitskraft so billig und flexibel wie möglich zu halten, ist dem Unternehmen 2016 ein juristischer Fehler passiert, als es die Angestellten einer Tochterfirma nicht gesetzeskonform auslieh. Das Malheur hat man sich einen unbekannten Millionenbetrag kosten lassen – Peanuts.
Geregelte und planbare Beschäftigungsverhältnisse werden immer seltener. Derzeit sind etwa 17 Prozent befristet angestellt. Weihnachtsgeld bekommen die Beschäftigten erst ab dem zweiten Jahr nach der Entfristung. Und dabei müssen sie nicht nur darum fürchten, dass ihnen die Festeinstellung verwehrt bleibt, wenn sie zu langsam sind, sondern auch, wenn sie zu oft krank werden. Daneben werden auch Teilzeit- und Saisonkräfte gerne eingestellt. Zur Vorweihnachtszeit sucht die Post jedes Jahr bis zu 10.000 Mitarbeitende, die man wieder vor die Tür setzt, sobald das Weihnachtsgeschäft vorüber ist. Selbst Büroangestellte werden in der Saison dazu geholt und helfen bei der Zustellung aus.
Es ist nicht unüblich, dass ein Mitarbeiter an einem Tag bis zu 300 Pakete zustellt, die maximal 31,5 Kilogramm wiegen dürfen. Dazu kommt der Stress durch den steigenden Druck. Mit der Einführung der Verbundzustellung müssen Briefträgerinnen auch Pakete an dieselbe Adresse mitliefern.
Außerdem wurde die Zustellung flexibilisiert. Das bedeutet, alle Zustellerinnen bekommen größere oder kleinere, bekannte oder fremde Zustellungsgebiete, damit ihre Arbeitszeit immer konstant bleibt. Die Motivation hinter dieser Maßnahme ist nicht schwer zu erraten: Der Arbeitgeber möchte so verhindern, dass schnelle Zusteller früher Feierabend machen können und bestraft sie mit Mehrarbeit. Zusammen mit dem zusätzlichen Stress durch die wechselnden Zustellungsgebiete sinkt die intrinsische Motivation der Mitarbeitenden, es häufen sich Rückstellungen, der Stress – der aufgrund der in den letzten Jahren um ein Drittel gestiegenen Paketmenge ohnehin schon sehr hoch ist – wird noch verstärkt.
Diese Belastung geht an den Beschäftigten nicht spurlos vorbei: Viele beklagen körperliche Leiden, was sich auch am Krankheitsstand ablesen lässt, der laut Fachgewerkschaft DPVKOM im zweistelligen Bereich liegt. In diesem Zusammenhang erfordert die Idee einer Rente ab 70 eine außergewöhnliche Vorstellungskraft. Die schlechten Arbeitsbedingungen führen zu einem chronischen Personalmangel im fraglichen Unternehmensbereich. So sollen 10.000 Beschäftigte im letzten Jahr gekündigt haben, ein negativer Saldo, trotz Paketboom und Rekordgewinnen.
15 Prozent mehr, das wollen die Angestellten der Deutschen Post in der kommenden Tarifrunde verhandeln. Im Vergleich dazu wirkt eher der letzte Tarifabschluss realitätsfern – fern von der Lebensrealität der Mitarbeitenden, weit entfernt von einem Lohn, der zum Leben reicht, geschweige denn von einem Lohn, der angesichts des Unternehmenserfolgs fair ist. Magere 2 Prozent mehr haben sie im letzten Jahr bekommen. Das war noch vor der Teuerungswelle der Lebenshaltungskosten. Reallohnverlust? 7 Prozent. Wegen der vergangenen Tarifabschlüsse und der Absegnung von Entscheidungen, wie der Einführung einer Entgeltgruppe 0, wurde Verdi von der Fachgewerkschaft DPVKOM scharf kritisiert und wegen Comanagement angeprangert. Mit der nächsten Tarifrunde könnte Verdi das Ruder rumreißen.
Fast 90 Prozent der Tarifbeschäftigten gehören zu den Entgeltgruppen 1 bis 3, leben also von 1.500 bis 1.700 Euro im Monat. Was es zu gewinnen gibt, sind für jeden und jede knapp 300 Euro mehr Lohn, die zumindest dafür sorgen, dass die Schweißperlen und das Herzklopfen ausbleiben, wenn man an der Tanksäule oder der Supermarktkasse steht. Aber es gibt auch ein Signal zu senden. Wer in der Paketbranche beschäftigt ist, bekommt von der steigenden Produktivität seit Jahren nichts ab. Man arbeitet überdurchschnittlich oft in atypischen Verhältnissen, nachts und an Wochenenden und bekommt dafür 1.000 Euro weniger als der Bundesdurchschnitt.
Die kommende Tarifrunde könnte zeigen, dass den Beschäftigten in dieser wachsenden und immer relevanter werdenden Branche ein Stück vom Kuchen zusteht und der Champagner noch dazu. Und sie könnte den Winter heiß machen: Im Vorlauf der Tarifverhandlungen hat Verdi 43.000 Beschäftigte befragt, um daraus die Forderungen für die kommende Tarifrunde aufzustellen. Neun von zehn sind bereit, für sie zu streiken.
Ady Zymberi ist Betriebswirt und assistiert der Geschäftsführung bei JACOBIN.