12. Mai 2023
Der international bekannte »Thaipark« in Berlin droht verdrängt zu werden. Um weiter die Bezirksbürgermeisterin stellen zu können, opfern die Grünen diesen Begegnungsort der thailändischen und asiatischen Community der CDU.
Wenn es nach CDU und Grünen geht, wird es den Thaipark bald nicht mehr geben.
IMAGO / Stefan ZeitzWer an einem sommerlichen Wochenendtag einen Abstecher in den Berliner Preußenpark macht, trifft auf der Wiese des Parks seit Jahren auf Thailänderinnen und Thailänder, die für sich und begeisterte Gäste kochen und Getränke anbieten. Egal ob Hipster, Omas aus Südostasien oder Touristen aus der ganzen Welt – der »Thaipark« zieht die unterschiedlichsten Menschen an und begeistert sie seit langem mit thailändischen und asiatischen Köstlichkeiten. Darüber hinaus ist er auch ein perfektes Beispiel für das multikulturelle Miteinander Berlins.
»Es ist ein toller Platz für viele von uns Migranten, an dem wir uns frei fühlen, obwohl wir immer noch in Berlin sind.«
Damit entspricht der Thaipark also genau jenem Image von Berlin, dass die Grünen gern vor sich hertragen, wenn sie sich als fortschrittliche und weltoffene Kraft gerieren. Doch ausgerechnet sie wollen dem international beliebten Thaipark nun ein Ende bereiten.
Die Geschichte des Thaipark begann vor dreißig Jahren als Beisammensein, für jene, die neu in Deutschland waren und eine Gemeinschaft suchten. Bei einem Picknick wurden Neuigkeiten ausgetauscht und Freundschaften geschlossen. Einen Markt hatte damals niemand im Kopf. Doch als die vornehmlich thailändischen Frauen sich Anfang der 1990er Jahre im Berliner Preußenpark trafen, um gemeinsam zu essen und zu trinken, entwickelte sich der Begegnungsort schnell zu dem international bekannten Thaipark, auf dem jede Woche vielfältige thailändische und süd-ostasiatische Gerichte angeboten werden.
Parichat Pai, Vorsitzende des Vereins Thaipark e. V., erinnert sich noch: »Für viele wurde es wie eine zweite Heimat.« Man sprach die gleiche Sprache, aß gleiches oder ähnliches Essen. Auch verschiedene Generationen trafen hier aufeinander. »Es ist ein toller Platz für viele von uns Migranten, an dem wir uns frei fühlen, obwohl wir immer noch in Berlin sind. Es ist wichtig für die Community, dass wir uns an diesem Ort treffen können, um etwas anderes als die Deutschen zu tun.«
Mit der Zeit wurde das Picknick immer größer. Später stießen Menschen aus der weiteren asiatischen Community hinzu – aus Korea, Vietnam, Indonesien und weiteren Ländern. Es wurden Erinnerungen an Zuhause geweckt, wo solche Märkte zum Alltag gehören.
Von den konservativen Schichten im Bezirk wurde dieses offene Ausleben migrantischer Kultur mit Argwohn beäugt. Doch nicht alle waren abgeneigt. Einige begannen nachzufragen, ob sie das Essen auch mal probieren dürften. Also fingen die Frauen an– denn die thailändische Einwanderung nach Deutschland erfolgt vorrangig durch Frauen –, ihr Essen auch zu verkaufen, damals noch ohne Anmeldung eines Kleinunternehmens oder einer Gesundheitskarte.
Mit der Zeit erlangte die Thaiwiese immer größere Bekanntheit. Plötzlich konnte man in Berlin-Reiseführern darüber lesen. Aus dem Picknick wurde nun jedes Wochenende ein großer Essensmarkt. Auf kleinen Hockern oder Decken saßen die Frauen unter Sonnenschirmen und boten selbstgemachte Gerichte an.
Die immer größer werdende Veranstaltung wuchs organisch. Das bedeutete aber auch: Sie war nur geduldet, nicht legal. Durch die zunehmende Bekanntheit und die stetig steigende Zahl von Besucherinnen und Besuchern wurde die Parkanlage immer stärker belastet. Die Beschwerden über Müll, das verschwindende Grün der Wiese und die schiere Anzahl an Menschen nahmen zu.
Bei den Beschwerden spielten jedoch mitunter auch rassistische Ressentiments eine Rolle. Es gibt kaum einen Berliner Park, den im Sommer nicht ein ähnliches Schicksal widerfährt: viele Menschen, viel Müll, wenig Grün. Warum traf die Wut also gerade den Thaipark? Es verwundert nicht, dass insbesondere die CDU in Charlottenburg-Wilmersdorf schon seit Jahren gegen das multikulturelle Treiben wettert. Klaus-Dieter Gröhler, ehemaliger CDU-Bundestagsabgeordneter, lud regelmäßig Anwohnerinnen und Anwohner zu Diskussionen in seinem Wahlkreisbüro am Preußenpark ein. Er scheiterte als ehemaliger Baustadtrat schon vor vielen Jahren mit Versuchen einer Law-and-Order-Politik für den Thaimarkt.
Bis 2020 war der Thaipark mit seinen über hundert Verkaufsständen der größte Essensmarkt Berlins. Aus diesem Grund beschloss die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) des Bezirks 2018 eine Neukonzeptionierung. Der Beschluss mit dem Titel »Thaiwiese mit Zukunft – ein gemeinsames Konzept für den Preußenpark« geht auf die damalige Zählgemeinschaft von Rot-Grün-Rot zurück. Man einigte sich darauf, »die sogenannte ›Thaiwiese‹ im Preußenpark als interkulturellen Treffpunkt und ›Food-Market‹ zu erhalten und weiterzuentwickeln«, also in den Preußenpark zu integrieren.
Dabei ging es nicht nur um den Erhalt des interkulturellen Treffpunktes, sondern auch um rechtliche Sicherheit für nun offiziell Gewerbetreibende und die Einhaltung rechtlicher Bestimmung sowie eine dauerhafte Koordinierung der Gewerbetreibenden mit dem Bezirksamt durch einen Träger beziehungsweise Verein. Dabei sollte der Preußenpark »unter Berücksichtigung der zukünftigen Nutzung« umgestaltet werden.
»Die thailändische Community hat sich über Jahre hinweg in das Beteiligungsverfahren eingebracht. Nun soll alles umsonst gewesen sein, weil es für die schwarz-grüne Zählgemeinschaft politisch opportun ist.«
Dieser Beschluss war die Grundlage für das anschließende Bürgerbeteiligungsverfahren, das den Food-Markt weiterentwickeln sollte. Das extern beauftragte Verfahren bezog die verschiedenen Interessengruppen in den Prozess ein: die bezirkliche Politik, die Menschen in der Nachbarschaft und auch die thailändische Community.
Das Beteiligungsverfahren und der sich anschließende studentische Wettbewerb erarbeiteten ein neues Konzept. Dieses sah eine Verkleinerung des Marktes vor, auf sechzig angemeldete Unternehmen mit Gesundheitskarte auf fest installiertem Untergrund. Auch ein multifunktionales Gebäude mit Strom- und Wasseranschluss sollte gebaut werden und die Verwaltung durch einen eingetragenen Verein erfolgen. Nach einem anschließenden Vergabeverfahren übernahm 2022 der Thaipark e. V. diese Aufgabe. Eine gemeinsame Lösung zwischen Bezirksamt, Politik, Nachbarschaft und der migrantischen Community schien erfolgreich erzielt worden zu sein.
Doch mit der Wiederholungswahl 2023 steht diese Einigung – Ergebnis jahrelanger Aushandlungsprozesse – nun plötzlich auf der Kippe. Denn 2023 musste im Zuge der Berliner Wiederholungswahl nicht nur auf Landesebene, sondern auch in den Bezirken erneut gewählt werden. Der Erdrutschsieg der CDU bescherte den Konservativen auch auf bezirklicher Ebene diverse Wahlsiege, unter anderem in Charlottenburg-Wilmersdorf. Dort gewann die CDU, ähnlich wie auf Landesebene, fast 9 Prozentpunkte hinzu und lag somit deutlich vor den Grünen.
Den Grünen war es zuvor 2021 gelungen, aus der Wahl als stärkste Kraft im Bezirk hervorzugehen und somit die SPD an der Spitze der rot-grün-roten Zählgemeinschaft abzulösen. Seitdem ist die Grüne Kirstin Bauch Bürgermeisterin des Bezirks.
Nach dem deutlichen Wahlerfolg schien es folgerichtig, dass die CDU nun auch den Bürgermeister in Charlottenburg-Wilmersdorf stellen sollte. Dazu mussten die Konservativen jedoch politische Mehrheiten organisieren. Denn eine Zählgemeinschaft von Grünen, SPD und Linken hätte auch 2023 wieder eine, wenn auch sehr knappe, Mehrheit innegehabt.
Doch der CDU gelang es, eine neue Zählgemeinschaft mit den Grünen zu schmieden – wenn auch für einen hohen Preis: Trotz des klaren Wahlsiegs der CDU – mit 7 Prozentpunkten Vorsprung vor den Grünen – bleibt Kirstin Bauch weiterhin die Bezirksbürgermeisterin Charlottenburg-Wilmersdorf.
Angesichts des Vorsprungs der CDU drängt sich die Frage auf, warum die CDU nicht auf den Bürgermeisterposten beharrt hat. Zwar ging es den Konservativen sicherlich auch darum, Grün-Rot-Rot im Bezirk zu verhindern. Doch das allein erklärt ein solch großzügiges Geschenk der CDU an die Grünen nicht. Ausschlaggebend erscheint vielmehr, dass die CDU mit dieser Einigung im Bezirk viele politische Vorhaben durchsetzen kann: wesentliche Anliegen der Grünen stehen nicht mehr auf der Agenda der BVV. Zum quid pro quo gehört nun auch, dass der Erhalt des Thaiparks, wie er von der BVV beschlossen und von Bürgerinnen und Bürgern in einem breiten Beteiligungsverfahren gestaltet wurde, nun wieder abgewickelt werden soll.
In der Vereinbarung zwischen CDU und Grünen heißt es dann: »Der Preußenpark wird als Park wiederhergestellt. Wir werden einen neuen Standort für den Thai-Markt möglichst in der näheren Umgebung finden.« Ein Schelm wer Böses dabei denkt, ist die reiche City-West doch arm an Freiflächen.
Die Grünen haben damit eine 180-Grad-Wende hingelegt, die sie in Erklärungsnot bringt. Schließlich waren sie an der Entwicklung des neuen Konzepts für den Thaipark maßgeblich beteiligt. Der Beschluss von 2018, den die Grünen selbst mitverfasst und mit eingebracht hatten, richtete sich auch an den zuständigen grünen Bezirksstadtrat für Parkangelegenheiten und Ordnung Oliver Schruoffeneger.
Nun jedoch soll der Thaipark wieder zum Preußenpark und die Stände auf eine Seitenstraße verschoben werden. Schruoffeneger kommentierte diese Entscheidung im rbb folgendermaßen: »Das Ding heißt Street-Markt. Im Moment ist es aber kein Street-Markt, sondern ein Park-Markt.« Diese semantische Erklärung ist einigermaßen dünn, wenn sie aus dem Munde jenes grünen Bezirkspolitikers kommt, der das Beteiligungsverfahren aktiv vorangetrieben hat und sogar selbst Sitzungen während des Prozesses moderierte. Die Fraktion der Grünen lehnte noch 2018 die von dem CDU-Ordnungsstadtrat Arne Herz vorgestellten Pläne ab, den Food-Markt an eine angrenzende Straße zu verlegen, um gegen die Verdrängung der Community anzugehen und den Charakter eines Treffpunkts im Markt zu bewahren.
»Ich finde es arrogant, dass man mit dem Wort ›Street-Markt‹ spielt«, sagt Frau Pai. Man habe sich auf diesen Begriff nur deshalb geeinigt, weil er damals in Mode war. Es war immer klar, dass es um den Erhalt des Marktes an seinem jetzigen Standort geht.
Die Gemeinde und der Verein waren von den Plänen vor den Kopf gestoßen: »Wir haben erst aus dem Interview vom Bezirksstadt Schruoffeneger in der Zeitung davon erfahren. Wir fühlen uns überrumpelt und nicht ernst genommen.« Die Empörung ist verständlich, waren doch im Haushalt 2022/23 sogar bereits Mittel in Millionenhöhe für die Errichtung der Marktplattform und des Betreiberhauses mit Strom- und Wasseranschluss vorgesehen. Doch seit Februar erhält der Verein vom Bezirk keine Antwort auf die Frage, wann die Anschlüsse kommen sollen.
Es wäre den Betroffenen kaum zu verübeln, darauf mit Verbitterung und Politikverdrossenheit zu reagieren. Es ist ohnehin nicht einfach für migrantische Communitys, sich in der bestehenden Politik Gehör zu verschaffen. Eine Einbindung in politische Strukturen besteht nur unzureichend und auch Sprachbarrieren und ein weit entfernt agierender Staat erschweren die politische Beteiligung immer wieder.
»Das Vertrauen in die Politik und die demokratischen Prozesse hat bereits jetzt nachhaltig Schaden genommen.«
Nichtsdestoweniger hat sich die thailändische Community über vier Jahre hinweg in das Beteiligungsverfahren eingebracht. Und schon vorher hat sie sich stets um Lösungen bemüht, an jedem Markttag persönlich den Müll aufgesammelt und alle Regeln, die aufgestellt wurden, bereitwillig befolgt. Nun sollen all diese Bemühungen umsonst gewesen sein, weil es für die schwarz-grüne Zählgemeinschaft politisch opportun ist.
Bisher hat sich die Community nicht damit abgefunden, Bauernopfer bezirklicher Machtspielchen zu sein. Der Thaipark e. V. hat zusammen mit der SPD Charlottenburg-Wilmersdorf eine Petition gestartet, die inzwischen fast 20.000 Unterschriften hat. Auch eine erste Demonstration wurde organisiert und sogar den thailändischen Botschafter hat man kontaktiert.
»Der Markt im Park ist einzigartig, das macht seine Atmosphäre aus. Wir möchten im Park bleiben«, bekräftigt Frau Pai. »Wenn wir jetzt gehen, wird das nie zu Ende gehen. Jetzt sollen wir auf den Bürgersteig. Nächstes Jahr sollen wir dann auf einen Parkplatz. Und ein Jahr später wieder woanders hin.« Deswegen organisieren sie nun Protest.
Ohne öffentlichen Druck kann die neue Zählgemeinschaft davon ausgehen, dass sie mit dieser Entscheidung durchkommt. Was landes- oder gar bundespolitisch einen Skandal auslösen könnte, fliegt bezirkspolitisch oft unter dem medialen und gesellschaftlichen Radar. Und so bleibt der thailändischen Community nur die Selbstorganisation und die Suche nach politischen Verbündeten, um dem Bezirksamt deutlich zu machen, dass diese Entscheidung nicht hinnehmbar ist. Das Vertrauen in die Politik und die demokratischen Prozesse hat jedoch bereits jetzt nachhaltig Schaden genommen.
Mit der neuen Berliner Landesregierung, bestehend aus CDU und SPD, wird es den Berliner Grünen ein Bedürfnis sein, sich als die weltoffene und progressive Kraft in der Stadt zu präsentieren. Man rufe sich in Erinnerung, dass der Wahlerfolg der Berliner CDU auch auf ihre rassistische Instrumentalisierung der Ereignisse in der Silvesternacht zurückzuführen ist.
Doch die Entscheidung auf Bezirksebene macht deutlich, welche Interessen den Grünen im Zweifel näherstehen. Dann trumpft der Machterhalt über die Bedürfnisse marginalisierter Gruppen, mit denen man sich sonst so verbunden gibt. Wenn 2026 in Berlin erneut gewählt wird, sollte nicht nur die unsägliche Vornamens-Debatte in Erinnerung bleiben. Auch wie leichtfertig die Grünen die thailändische Community den Konservativen ausgeliefert haben, um ein schwarz-grünes Bündnis einzugehen, sollte zu denken geben.