15. Dezember 2021
Der sozialistische Journalist John Reed erlebte die Russische Revolution aus erster Hand. Basierend auf seinen Beobachtungen drehte Warren Beatty das Filmepos »Reds« – ein unterschätzter Klassiker, der revolutionäre Politik in all ihren Facetten erstrahlen lässt.
Jack Nicholson als Eugene O'Neill, Diane Keaton als Louise Bryant und Warren Beatty als John Reed in einer Szene aus »Reds«, 1981.
Reds – Ein Mann kämpft für Gerechtigkeit ist ein groß angelegtes historisches Drama, das auf dem Leben und der Karriere von John Reed basiert, einem amerikanischen Journalisten, der nach Russland reiste, um die Geschehnisse der Revolution aufzuzeichnen. Seine Beobachtungen aus erster Hand schrieb Reed in Ten Days That Shook the World (dt. Zehn Tage, die die Welt erschütterten) nieder, seine 1919 erschienene zeitlose Darstellung über die Ereignisse der Russischen Revolution.
Reds wurde im Jahr 1981 veröffentlicht und ist zweifelsfrei einer der besten Filme seiner Zeit. Das Erstaunlichste an dem Film ist vermutlich die Tatsache, dass Beatty ihn überhaupt drehen konnte: Denn Reds stellt die Russische Revolution im selben heroischen Licht dar, wie ein Hollywood-Film den Independence Day oder die Landung der US-Armee in der Normandie darstellen würde. John Reed und Louise Bryant – gespielt von Warren Beatty und Diane Keaton – erscheinen uns als Personen, die vollkommen zurecht und legitimerweise alles aufgaben, um die Bolschewiki zu unterstützen.
Und obwohl Reds in der ersten Phase der Reagan-Ära, als der Kalte Krieg noch schwelte, in die Kinos kam, war er sowohl bei Kritikern als auch beim Publikum ein Erfolg. Erstaunlicherweise gefiel der Film sogar Ronald Reagan selbst, als Beatty ihn im Weißen Haus vorführte – allerdings hätte sich der Präsident ein »Happy End« gewünscht. Reds wurde für stolze zwölf Oscars nominiert und brachte Warren Beatty den Preis für die beste Regie ein.
Heute, vierzig Jahre später, lohnt es sich, Beattys fünfzehn Jahre andauernde Liebesmüh an diesem Werk noch einmal zu würdigen. Denn der Film ist nicht nur eine Hommage an die Russische Revolution, sondern auch an die Generation US-amerikanischer Schriftstellerinnen und Intellektueller, die von ihr inspiriert wurde.
Man kann ziemlich sicher sagen, dass die meisten Menschen, die Reds im Kino sahen, keine Sozialisten waren. Beatty selbst war auch kein Marxist. Er war und ist ein überzeugter und einflussreicher Aktivist der Demokraten, der schon als junger Schauspieler Spenden für die Partei sammelte (sein Co-Autor für den Film, der Dramatiker Trevor Griffiths, ist allerdings tatsächlich Marxist).
Dennoch bleibt Reds der revolutionären Politik seiner Protagonisten treu. Er ist vielleicht sogar das letzte große Aufbäumen von New Hollywood, der amerikanischen Filmbewegung der 1960er und 70er Jahre, die von den französischen und italienischen »New Waves« ausgelöst wurde und einen lockeren, experimentellen Filmstil mit rebellischen und politischen Themen verband. Beattys Rolle als Produzent und Darsteller in Arthur Penns Bonnie und Clyde von 1967 – einem Film, dessen Gewalttätigkeit und Anti-Establishment-Charaktere damals das Publikum zugleich schockierten und begeisterten – machte ihn zu einer Schlüsselfigur der New-Hollywood-Bewegung.
Reds erzählt die wahre Geschichte über die Beziehung zwischen dem berühmten linken Journalistenpaar John Reed und Louise Bryant. Beide lernten sich 1915 in ihrer Heimat Portland kennen, führten zunächst eine skandalöse Affäre und zogen dann gemeinsam nach New York. Sie heirateten schließlich und reisten 1917 nach Russland, um über die Oktoberrevolution zu berichten. Diese Erfahrung radikalisierte sie, und beide engagierten sich bis zum Ende ihres tragisch kurzen Lebens für den Kommunismus.
Sowohl Reed als auch Bryant schrieben Bücher, die die Russische Revolution einem englischsprachigen Publikum eröffneten. Reeds Zehn Tage, die die Welt erschütterten und Bryants Six Red Months in Russia (das nicht ins Deutsche übersetzt wurde, Anm. d. Red.) gelten noch immer als wichtige Dokumente der Revolution. Ihre Texte zeugen von einem feinen Gespür für lebendige, lebensnahe Details – was daran lag, dass sie selbst unter großem persönlichem Risiko am Geschehen teilgenommen haben.
Bereits 1966 hatte Beatty die Idee, einen Film über Reed zu drehen. Nach einem Besuch in der Sowjetunion im Jahr 1969 entwickelte der Regisseur die Idee weiter und arbeitete jahrelang an dem Drehbuch. Nachdem er als Produzent, Co-Autor und Hauptdarsteller in den zwei äußerst erfolgreichen Komödien Shampoo (1975) und Heaven Can Wait (dt. Der Himmel soll warten, 1978) mitgewirkt hatte, verfügte Reed über ausreichend Einfluss in Hollywood, um das Geld für sein linkes Herzensprojekt aufzutreiben. Paramount Pictures gab ihm grünes Licht, obwohl Beatty von Anfang an darauf bestand, sich beim Drehbuch von den Studios nicht reinreden zu lassen. Erstaunlicherweise konnte er sich damit durchsetzen und dafür sorgen, dass Reds seinen Protagonisten und der Revolution treu bleiben konnte.
Die Dreharbeiten zum Film begannen 1979. Allein der Dreh war bereits von filmreifen Dramen begleitet. Mit Drehorten in mehreren Ländern – darunter Großbritannien, Spanien und Finnland – geriet das Budget schnell außer Kontrolle und die Dreharbeiten dauerten ein ganzes Jahr. Beatty war berüchtigt für sein fanatisches Engagement – für manche Szenen sollen bis zu achtzig Takes gedreht worden sein, bevor er zufrieden war.
Diese Arbeitsweise soll den Nebendarsteller Jack Nicholson Tränen in die Augen getrieben haben. Auch die Beziehung zwischen Beatty und Keaton im wirklichen Leben wurde dadurch stark belastet. Es dauerte ein weiteres Jahr, um die Millionen Meter Film zu schneiden – ein Rekord, der sogar den obsessiven Wahnsinn von Francis Ford Coppolas Apocalypse Now übertraf.
In gewisser Weise hat Beatty den Film gerade noch rechtzeitig fertiggestellt: Der kulturelle Einfluss des Reaganismus wie auch der Aufstieg des Sommerblockbusters entzog New Hollywood den künstlerischen und politischen Boden.
Von einem historischen Epos in Russland könnte man ein schwerfälliges Tempo und düstere Wintertöne erwarten, doch Reds zeichnet sich durch eine leichte Hand und eine rasante Erzählweise aus; der Film widersetzt sich konsequent den Klischees seines Genres. Vittorio Storaro, der auch Kameramann von Apocalypse Now war, drehte in leuchtenden Farben, die einen Kontrast zu den heute immer beliebter werdenden entsättigten Farbpaletten bilden.
Viele Biopics sind langatmig und steif, jede Einstellung gleicht einem in goldenes Licht getauchten Heiligenporträt und jede Dialogzeile trieft vor düsteren Vorzeichen. Reds spart zwar nicht am Drama und an der Tragödie, wirkt aber im Gegensatz dazu oft wie eine Screwball-Komödie oder eine Indie-Romanze. Das Drehbuch ist dicht, gespickt mit Politik und Geschichte und dennoch oft zum Schreien komisch.
Das liegt zum großen Teil am schauspielerischen Talent von Keaton und Beatty: Sie bringen die Leinwand zum Strahlen. Sie plappern, reden aneinander vorbei, reißen in angespannten Momenten Witze oder verfallen in peinliches Schweigen. Bryant und Reed wirken wie echte Menschen – ein seltenes Kunststück für ein Biopic, das dem Zuschauer dabei helfen soll, eine politische Radikalisierung nachzuvollziehen.
Keaton bringt den gleichen kauzigen Charme mit, der sie in Annie Hall in den 1970ern zu einer Ikone machte, und kombiniert ihn mit einer unnachgiebigen Härte. Louise Bryants Kampf, als Schriftstellerin und als Frau außerhalb ihrer Beziehung zu Reed ernst genommen zu werden, ist von Anfang an der zentrale Konflikt des Films. Keaton steuert all die Leidenschaft und Spannungen mit ungeheurem Witz und Schwung – in ihrer Darstellung spiegelt sich damit etwas Zeitgenössisches wider.
Trotz der Erschöpfung, die er angesichts der riesigen Produktion als Regisseur empfunden haben muss, spielt Beatty den Reed großartig. Seine Leidenschaft bei der Fertigstellung von Reds entwickelte er aufgrund der Nähe, die er für den Protagonisten des Films empfand. Mit seiner Forschheit, seiner Risikobereitschaft und der Unfähigkeit, seine Kunst von seiner Politik zu trennen, spielt Beatty weniger den Journalisten, er verkörpert ihn vielmehr.
Ungewöhnlich ist, dass Reds auch dokumentarische Interviews mit alten Freunden und Kollegen von Reed und Bryant enthält – darunter so bemerkenswerte Persönlichkeiten wie der Schriftsteller Henry Miller oder Roger Baldwin, Gründer der American Civil Liberties Union. Diese »Zeugen« unterbrechen die Erzählung regelmäßig wie ein griechischer Chor – ein brillantes Erzählmittel, das die historischen Ereignisse mit dem verbindet, was 1981 noch eine lebendige Erinnerung war.
Die erste Stunde des Films fokussiert sich auf die aufkeimende Romanze von Bryant und Reed in Greenwich Village und auf Cape Cod. Sie schreiben und leben als Liebespaar zusammen und verkehren in einer illustren Gemeinschaft von Künstlerinnen und Philosophen. Dazu gehören Eugene O'Neill (Jack Nicholson auf dem Höhepunkt seines Talents) und die legendäre Anarchistin Emma Goldman (eine wunderbar ironische Darstellung von Maureen Stapleton). Diese Welt der Bohème wird erstaunlich facettenreich dargestellt – die positive Seite von Beattys Besessenheit.
Ebenso wenig spart der Film an Details über Reeds Arbeit als Journalist, der über militante Arbeiterorganisierungen berichtete, und zeigt auch seine zögerliche Unterstützung des Präsidentschaftskandidaten Woodrow Wilson. Der Film macht deutlich, dass letztere von der vergeblichen Hoffnung geprägt war, dass die Demokraten die USA aus dem Ersten Weltkrieg heraushalten würden.
In diesen frühen Szenen geht es allerdings mehr um die freie Liebe und ihre Auswirkungen auf Bryants aufkeimenden Feminismus als um den Sozialismus. Das ändert sich erst, als sie in Russland ankommen, gerade rechtzeitig um zu erleben, wie die erste Regierung von Arbeiterinnen, Bauern und Soldaten aufgebaut wird.
So berauschend diese Sequenzen auch sind, viele Schlüsselereignisse der Revolution werden in einer Montage dargestellt: Die Erstürmung des Winterpalastes oder die historischen Reden von Lenin und Trotzki im Smolny-Institut etwa werden nur in kurzen Ausschnitten gezeigt. Nach diesem abgekürzten Aufstand zeigt der nächste Abschnitt des Films faszinierende Details über Reeds Rolle bei der Gründung der Kommunistischen Partei der Vereinigten Staaten. Dann wendet sich der Film seiner Reise zurück ins revolutionäre Russland als Delegierter der Komintern und seinem Einsatz als Propagandist für die Rote Armee im Russischen Bürgerkrieg (1917–1922) zu.
Diese letzten Abschnitte werden durch die dramatische Spannung belebt, dich sich aus Reeds innerem Konflikt zwischen seinem Leben als Künstler und Ehemann und seiner Verpflichtung als Revolutionär ergibt. An einer Stelle sagt der Komintern-Anführer Grigorij Sinowjew (unerwartet brillant von dem antikommunistischen Dramatiker Jerzy Kosiński gespielt) zu Reed: »Sie können niemals, niemals zu diesem Moment der Geschichte zurückkehren.«
Die Art und Weise, wie diese Spannung im Film aufgelöst wird, ist atemberaubend: Bryant und Reed erkennen, dass sie sowohl Genossen als auch Liebende sind.
Die durchweg positive Sichtweise auf den Bolschewismus in Reds ist bemerkenswert. Man würde es dem liberalen Beatty sogar verzeihen, wenn er Bryant und Reed als wohlmeinende, aber naive Unterstützer der Bolschewiki dargestellt hätte. Viele große Biopics gehen diesen Kompromiss ein. Selbst wenn Reds es ihnen gleich getan hätte, wäre der Film immer noch lobenswert.
Doch das Drehbuch gibt sich nicht ein einziges Mal geschlagen. In einer Schlüsselszene streitet Reed mit Emma Goldman über die rücksichtslosen Taktiken der Bolschewiki während des Russischen Bürgerkriegs. In einem weniger guten Film würde Reed an dieser Stelle anfangen, die Dinge in Frage zu stellen. Doch gegen Goldmans Antiautoritarismus erwidert er: »Was hast du denn gedacht, was das hier werden sollte? Eine Revolution durch Konsens, bei der wir uns alle bei einer Tasse Kaffee zusammensetzen und uns einigen?«
In einer der besten Szenen des Films verteidigt Bryant feurig die revolutionäre Politik gegen Eugene O'Neills misanthropischen Individualismus. »Wenn du in Russland gewesen wärst, würdest du nie wieder zynisch sein können! Du hättest gesehen, wie sich die Menschen verändert haben, ganz normale Menschen!« Das Gefühl, dass unsere Träume und unsere Arbeit den Menschen und der Revolution gelten sollten, und nicht nur uns selbst, ist das Herzstück dieses wunderbaren Films. Und es erklärt, warum Reds auch vierzig Jahre nach seinem Erscheinen immer noch ein Klassiker ist.
Jim Poe ist Autor und DJ, er schreibt unter anderem für den »Guardian«, den australischen »Special Broadcasting Service«, das »Overland Literary Journal« und »Junkee«.
Jim Poe ist Autor und DJ, er schreibt unter anderem für den »Guardian«, den australischen »Special Broadcasting Service«, das »Overland Literary Journal« und »Junkee«.