29. März 2023
Drei Tage lang haben SPD, Grüne und FDP im Koalitionsausschuss verhandelt – damit sich am Ende die FDP durchsetzt.
Das Ergebnis des Koalitionsausschusses trägt vor allem die Handschrift Christian Lindners.
IMAGO / Political-MomentsDrei Tage lang hörte man nichts vom Koalitionsausschuss. Während eines Streiks der Bahn-Beschäftigten und der Angestellten im öffentlichen Dienst wollte man sich offenbar nicht der Kritik aussetzen. Denn das nun verabschiedete Papier zeigt vor allem eines: Klimaziele werden heruntergeschraubt und notwendige Investitionen nicht getätigt. Man entzieht sich der politischen Verantwortung. Der Kompromiss geht zulasten des objektiv Notwendigen. Lindners Sparpolitik, die von der gesamten Koalition mitgetragen wird, blockiert den Klimaschutz.
Interessant ist, dass in dem Papier auf das Klimaschutzgesetz der Großen Koalition von 2019 verwiesen wird, das wiederum vom Bundesverfassungsgericht zwei Jahre später als mit den Grundrechten teilweise nicht vereinbar eingestuft wurde. Hinreichende Maßnahmen zur Emissionssenkung bis zum Jahr 2031 fehlten, so das Urteil. Als »Fortschrittskoalition« hätte die Ampel diesen Mangel natürlich frühzeitig beheben müssen. Mit dem vorgelegten Papier werden die Maßnahmen zur Emissionsreduktion in manchen Sektoren teils detaillierter, gleichzeitig werden die Ziele für die einzelnen Sektoren jedoch wesentlich uneindeutiger definiert. Das ist letztlich dem politischen Kompromiss geschuldet, der damit sogar noch hinter das Gesetz der Großen Koalition zurückfällt.
»Zukünftig werden alle Sektoren aggregiert betrachtet«, heißt es im Papier. Konkret bedeutet das, dass einzelne Sektorenziele – und damit die politische Verantwortung von Ministerien – nicht mehr klar benannt werden können. Ministerien, die die Zielverfehlung zu verantworten haben, müssen»Maßnahmen zur Minderung beitragen«. Das ist ein klimapolitischer Rückschritt, der vor allem das FDP-geführte Verkehrsministerium – das zuletzt erst wieder Klimaziele verfehlte – von jeglicher klimapolitischen Verantwortung befreit. Zwar gibt es einen Korrekturmechanismus: Wenn über zwei Jahre hinweg Emissionen nicht reduziert werden, soll etwa im Verkehrsbereich ein Tempolimit durchgesetzt werden.
Es ist jedoch vollkommen unrealistisch, dass die FDP in dieser Legislatur oder kurz vor einer Bundestagswahl ein solches Tempolimit tatsächlich umsetzen würde. Im Grunde sind diese Einlassungen Ablenkungsmanöver, die mit wirksamer Emissionssenkung nichts zutun haben, sondern nur dafür sorgen, dass sich der öffentliche Diskurs monatelang mit Einzelmaßnahmen beschäftigen wird, anstatt das Gesamtpaket angemessen zu bewerten.
Laut dem Papier belaufe sich der Investitionsbedarf bei der Bahn bis 2027 auf 45 Milliarden Euro – ein Tropfen auf den heißen Stein, denn das Bahnnetz ist von Langsamfahrstellen durchzogen und die Signaltechnik teilweise deutlich älter als ein halbes Jahrhundert. Dieser Investitionsstau soll zum Teil mit einer Erhöhung der LKW-Maut gedeckt werden. Dort, wo man also nicht selbst mit Investitionen für den Schienenverkehr einspringen will, soll es die Finanzierung der Straßeninfrastruktur richten.
Was vor allem Grünen-Wählern erst einmal schlüssig vorkommen mag, ist dennoch ein ökonomischer Offenbarungseid: Die steigenden Transportpreise werden früher oder später von den Transportunternehmen auf die Verbraucherinnen und Verbraucher übergewälzt werden. Am Ende des Tages werden also kleine und mittlere Einkommen den Preis dafür zahlen, dass die Ampelregierung nicht in den Schienenverkehr investiert. Hinzu kommt, dass emissionsfreie LKWs privilegiert werden. Kurzum: Wenn der Umstieg auf umweltfreundliche LKWs zu schnell geht, gehen die Maut-Einnahmen verloren und damit auch der Bahnausbau.
Damit verkennt die Ampel, dass es neben dem Klimaschutz weitere gute Gründe dafür gibt, Güter von der Straße fernzuhalten: LKWs nutzen die Infrastruktur deutlich schneller ab als normale PKWs, verursachen Lärm, Feinstaub durch Reifenabrieb und Verkehrsunfälle. Da batterieelektrische LKWs deutlich schwerer sind als Dieselfahrzeuge, verschlimmern sich durch ihre Einführung diese Begleiterscheinungen. Das Ziel von 25 Prozent Gütern auf der Schiene könnte auch ganz einfach durch ordnungspolitische Eingriffe erreicht werden, indem etwa auf bestimmten Bahnstrecken eine kombinierte Nutzung von Güter- und Personenverkehr vorgeschrieben wird. Von einem neoliberalen Verkehrsminister wie Volker Wissing ist eine derartige Maßnahme allerdings kaum zu erwarten.
Die Kosten für den Bahnausbau werden im Zweifel also den Bürgerinnen und Bürgern aufgelastet, um Lindners neoliberale Sparpolitik intakt zu halten. Natürlich gäbe es auch etliche andere Stellschrauben, um den Bahnausbau anzuschieben. Doch die Themen Steuern und Schulden stehen weiter auf dem Abstellgleis.
Während die Kapitel zur Beschleunigung und Effizienz des Naturschutzes und zum Verkehr sehr detailliert ausgearbeitet sind, wurde der Knackpunkt, um den sich die öffentliche Debatte in den letzten Tagen drehte, nur sehr spärlich abgehandelt. Im letzten Abschnitt zum Gebäudeenergiegesetz wird die Entscheidung über das umstrittene Verbot von Öl- und Gasheizungen geregelt – oder besser gesagt vertagt, da sie in den Ressortkreis zur weiteren Abstimmung der Ministerien verlagert wurde. Dort dürfte der Streit dann weitergehen. Noch vor der Sommerpause soll ein Gesetz im Bundestag beschlossen werden. Man kann sich also schonmal auf eine wochenlange Debatte freuen.
Um vor allem den sozialpolitischen Druck aus dem Kessel zu nehmen, gibt es ein paar vage Zugeständnisse: Das Gesetz werde »pragmatisch ausgestaltet« sein, »unbillige Härten« sollten vermieden und »niemand im Stich gelassen« werden. Genau hier wird es um die Ausgestaltung gehen und wie sie Hausbesitzer und Mieterinnen genau trifft. Der Streit um die Öl- und Gasheizungen zeigt einmal mehr, dass für die Bevölkerung nicht der Klimaschutz oder Verbote an sich das Problem sind, sondern die konkrete Umsetzung.
Doch statt Klarheit zu schaffen und wirtschaftliche Unsicherheit durch großzügige Förderprogramme abzubauen, wird die Bevölkerung verunsichert und das Anliegen des Klimaschutzes politisch beschädigt. Konkrete ordnungspolitische Leitlinien und Subventionszusagen bei der Wärmewende bleibt die Ampelregierung weiterhin schuldig.
Dass um den Haushalt der Klima- und Verkehrspolitik in der Ampelregierung gerungen wird, war abzusehen. Dass aber gleichzeitig andere Streitpunkte wie die Kindergrundsicherung, die ebenfalls im Koalitionsvertrag festgeschrieben wurde, infrage steht, ist für den politischen Kurs der Ampel so bezeichnend wie beschämend.
Insgesamt lässt die fehlende sozialpolitische Komponente eigentlich nur den Schluss zu, dass sich SPD und Kanzler Scholz in der Klimapolitik aus der Verantwortung winden. Die SPD schaut dabei zu, wie der Streit um die marktwirtschaftlichen Instrumente zwischen Grünen und FDP in der Öffentlichkeit ausgetragen wird, weil sie selbst davon profitiert. Das wiederum ist politisch höchst verantwortungslos, weil die Partei bloß als Schlichterin auftritt, die die Koalition zusammenhält. Der Bevölkerung und dem Klimaschutz leistet sie damit einen Bärendienst.
Alexander Brentler ist Journalist und Übersetzer.
Ines Schwerdtner ist Host des JACOBIN-Podcasts Hyperpolitik und war von 2020-2023 Editor-in-Chief von JACOBIN.