20. September 2023
Der SPÖ-Chef Andreas Babler macht immer wieder Rückzieher, wenn Medien ihn auf seine sozialistischen Haltungen ansprechen. Damit gibt er seinen Gegnern genau das, was sie wollen. Der richtige Weg wäre die Flucht nach vorn.
Die Gegner des linken SPÖ-Vorsitzenden warten nur darauf, dass er sich in Widersprüche verstrickt.
IMAGO / Eibner EuropaAls Andreas Babler im Mai zum SPÖ-Parteivorsitzenden gewählt wurde, ging ein Jubeln durch weite Teile der österreichischen Linken. Für kurze Zeit wurde er auch die nächste Projektionsfläche einer schwächelnden deutschen Linken. In seiner Kampfrede auf dem SPÖ-Parteitag sprach er Themen an, die in der öffentlichen Debatte in den Jahren zuvor vernachlässigt worden waren: Arbeitszeitverkürzung, Vermögenssteuern, ein Ende der Lohnschere zwischen Männern und Frauen.
Knapp hundert Tage später wirkt Babler zwar nicht weniger kämpferisch, aber doch so, als würde er es bürgerlichen Medien und weniger linken Parteigenossinnen und -genossen recht machen wollen. Noch im April erklärt er im österreichischen Nachrichtenmagazin Profil, dass »links kein Schimpfwort« sei. »Links heißt einzugreifen, wo es Menschen schlecht geht. Etwa jedem Kind ein warmes Essen in der Schule garantieren«, sagt er. »Wenn das links ist, dann kann ich mit der Zuschreibung gut leben.« Das war, bevor er SPÖ-Vorsitzender wurde. Im Sommergespräch von Krone TV nennt er diese Zuschreibungen nur drei Monate später aus der Zeit gefallen: »Ich bin weder links noch rechts orientiert, ich denke in den Kategorien nicht.«
So oder ähnlich läuft es mittlerweile ab, wenn Babler mit seiner sozialistischen Vergangenheit oder seinem Image als Linksausleger der SPÖ konfrontiert wird. Im Mai erklärte er sich tagsüber auf dem Sender Puls 24 zum Marxisten und distanzierte sich abends im Fernseh-Nachrichtenmagazin Zeit im Bild wieder davon. Im ORF-Sommergespräch erklärte er recht unentspannt, in seinem Büro würde entgegen Gerüchten keine Lenin-Büste stehen. Der Gerüchte-Lenin wurde in einem Porträt über Babler aus 2020 erwähnt und hat sich zumindest damals in seinem Zuhause befunden, wenn auch nicht in seinem Büro, wie später von der ÖVP behauptet.
Manche dieser Debatten köcheln wochenlang vor sich hin. Auch deshalb, weil Babler und sein Umfeld den Vorwürfen nicht wirklich etwas entgegenzusetzen wissen und stattdessen in die Defensive gehen. Damit beschreitet er den falschen Weg. Würde Babler solche Fragen einfach cool wegstecken, hätte irgendwann wahrscheinlich niemand mehr Lust, sie zu stellen. Und wenn doch, dann würde er zumindest sein Profil als oppositioneller Politiker schärfer. Kaum jemand in Österreich hat Interesse an einer tiefergehenden Diskussion über Marxismus, aber Bablers Gegner innerhalb der Partei und konservative Leitartikelschreiber wollen sehen, wie sich ein linker SPÖ-Chef in Widersprüchen verliert.
Dass es anders geht, hat in den vergangenen Jahren insbesondere die KPÖ in der Steiermark und Salzburg gezeigt. Die Grazer Bürgermeisterin Elke Kahr und der Chef der KPÖ Plus in Salzburg Kay-Michael Dankl werden in jedem überregionalen Interview wahlweise nach ihrer Position zum Stalinismus, den gesammelten »Gräueltaten des Kommunismus« und/oder dem Krieg in der Ukraine befragt. Beide beantworten diese Fragen überlegt und zugleich ideologisch standhaft. »Jede Frage verdient eine Antwort«, erklärt Elke Kahr einmal im Standard. »Ich glaube aber nicht, dass wir uns fünftausendmal von etwas distanzieren müssen, wo wir uns gar nie hätten distanzieren müssen. Denn ich habe nie etwas von einem Stalin gehalten […].« Der Versuch, die KPÖ auffliegen zu lassen, ist zum Scheitern verurteilt, weil die Partei zu dem steht, was sie ist: kommunistisch.
»Babler kämpft bei den Nationalratswahlen im Herbst 2024 auch um linke Stimmen. Das ist ein absolutes Novum in Österreich, wo sich nie zuvor eine dezidiert linke Partei neben der Sozialdemokratie etablieren konnte.«
Besonders sichtbar wurde dieser Unterschied in der Mateschitz-Debatte, die Österreich durch das Sommerloch begleitete. Mark Mateschitz wurde nach dem Tod seines Vaters, dem Red-Bull-Gründer Didi Mateschitz, im Jahr 2022 auf einen Schlag der reichste Mensch Österreichs mit einem Vermögen von rund 30 Milliarden Euro. Babler erklärte noch im Juli selbst, dass eine Erbschaftssteuer allein bei Mateschitz genug Mittel eingebracht hätte, um die Kinderarmut in Österreich abzuschaffen. SPÖ-Vizeklubvorsitzende Julia Herr legte später nach und forderte ihrerseits eine »Millionärssteuer« für Mateschitz und seine millionenschwere Freundin Victoria Swarovksi. Nach parteiinterner Kritik – unter anderem von SPÖ-Salzburg Chef und ehemaligem Red-Bull-Mitarbeiter David Egger – ruderte Babler zurück: Es gehe gar nicht um bestimmte Personen und Mateschitz sei ein »politisches Randthema«.
Nach dem Schema fordern, kritisiert werden, zurückrudern hätte auch die KPÖ vorgehen können, als das Boulevard-Medium Oe24 nach einem Tweet des KPÖ-Mitarbeiters Martin Konecny titelte: »KPÖ will Swarovksi und Mateschitz jetzt sogar enteignen«. Die Partei nutzte die Situation jedoch, um ihre Position in der Debatte zu stärken: Es gehe ihnen um eine Demokratisierung der Wirtschaft, sodass »die Menschen, die den Reichtum schaffen, auch darüber entscheiden, wie er verwendet wird«, so die KPÖ.
Dass Bablers Transformation vom linken Parteirebell zum staatsmännischen Vorsitzenden holprig werden würde, war absehbar. Dass er in einer schwierigeren Position ist als eine KPÖ, die in der jüngsten Vergangenheit bemerkenswerte Erfolge eingefahren hat, ebenso. Aber Babler kämpft bei den Nationalratswahlen im Herbst 2024 auch um linke Stimmen. Das ist ein absolutes Novum in Österreich, wo sich nie zuvor eine dezidiert linke Partei neben der Sozialdemokratie etablieren konnte.
Diese wichtigen Stimmen bei der Stange zu halten, könnte schwierig werden. Vor allem, weil Babler jetzt schon in einigen – wenn auch weniger essenziellen Punkten – von seinen Forderungen abgewichen ist. Dass er eine Cannabis-Legalisierung bekräftigte, schwächte er schon kurz danach als »persönliche Meinung« ab. Auch Tempo 100 auf der Autobahn erklärte er zuerst für gut, ergänzte aber später, er wolle niemanden verpflichten. Eine Koalition mit der ÖVP schloss er zuerst aus, um später dann doch einzulenken.
Bei seinen Kernthemen wie Vermögensbesteuerung und Arbeitszeitverkürzung bleibt Babler noch standhaft. Die Frage ist jedoch, ob er diese Forderungen nicht aus den plumpen Gründen der Mehrheitsbeschaffung über Bord werfen wird. Ohne FPÖ und ÖVP kann Babler nur mit Grünen und NEOS regieren, letztere sind nur bei Erbschaftssteuern für eine Debatte zu haben. Laut aktuellen Umfragen ist es außerdem mehr als fraglich, dass sich eine solche Zusammenarbeit ausgehen kann.
Ein Grund, warum das Konzept der KPÖ in der Steiermark und in Salzburg so gut funktioniert, ist, dass die Partei nichts verspricht, was sie nicht einhalten kann. Das macht sie glaubwürdig. Bablers Fans erwarten viel von ihm. Sie tragen seinen Wahlkampf, verteidigen ihn im Internet, setzen alle ihre Hoffnungen in ihn. Sie darf Babler nicht enttäuschen. Dann darf er sich aber auch nicht in die Ecke drängen lassen.
Magdalena Berger ist Assistant Editor bei JACOBIN.