05. November 2021
Der Skandal um Julian Reichelt hat den Machtmissbrauch bei der Bild-Zeitung offenbart. Dieses Streben nach Macht zeigt sich nicht nur in der rückständigen Unternehmenskultur, sondern auch in der Expansionsoffensive von Springer-Chef Mathias Döpfner.
Das System Springer ist mehr als das Machtgehabe von Mathias Döpfner und Julian Reichelt.
Sie ist mit einer Auflage von rund 1,2 Millionen die Tageszeitung mit der größten Reichweite in Deutschland. In Europa konkurriert sie mit der britischen Boulevardzeitung The Sun um den ersten Platz als auflagenstärkste Tageszeitung. Ihr Digitalangebot ist schon jetzt das größte auf dem europäischen Kontinent und das fünftgrößte der Welt: Nach eigenen Angaben wird alleine ihre Website monatlich von mehr als 400 Millionen Menschen besucht. Die Bild ist damit noch immer eine der einflussreichsten Zeitungen Deutschlands und die hinter ihr stehende Axel Springer SE eine der mächtigsten Verlagsgruppen der Welt. Dass Konzern-Chef Mathias Döpfner die journalistische Konkurrenz seines Zöglings Julian Reichelt als autoritätshörige »Propaganda-Assistenten« wahrnimmt, ist dabei mehr als bezeichnend.
Auch wenn die Entlassung Reichelts an der Marktmacht und dem Einfluss Springers auf die Meinungsbildung kaum etwas ändern wird, lässt die Causa um den ehemaligen Chefredakteur tief in die Abgründe des Konzerns blicken. Doch während sich die mediale Aufmerksamkeit vor allem auf die internen Skandale fokussiert, steuert der Konzern eine neue, nicht minder skandalöse unternehmerische Zukunft an. Diese setzt klar auf Machtausbau.
In den vergangenen Jahren hat sich viel getan beim Springer-Konzern. Die Berliner Verlagsgruppe gehört zu den wenigen deutschen Medienunternehmen, die an der Frankfurter Börse notiert sind – und das seit 1985. Anfang 2020 hat die Springer SE einen – von unternehmerischer Seite eher seltenen – Antrag auf ein sogenanntes Delisting gestellt. Seit April vergangenen Jahres werden somit keine Aktien des Springer-Konzerns mehr an der Börse gehandelt.
Diese Entscheidung fiel mit dem Einstieg des US-amerikanischen Hedgefonds Kohlberg Kravis Roberts & Co. (KKR). Der Finanzinvestor kaufte sich 2019 in die Springer SE ein und ist mit 36 Prozent deren größter Anteilseigner, gefolgt von den beiden Hauptanteilseignern Friede Springer und dem von ihr reich beschenkten Springer-CEO Mathias Döpfner mit Anteilen von jeweils etwa 22 Prozent. Mit knapp 13 Prozent zählt auch der kanadische Pensionsfond Canada Pension Plan Investment Board (CPPIB) zu den bedeutenden Anteilseignern des Konzerns.
Der Finanzinvestor KKR ist in der deutschen Medienlandschaft dabei kein unbeschriebenes Blatt. Zusammen mit einem Partnerinvestor hatte KKR bereits im Jahr 2006 den Hauptanteil des Münchner Fernsehsenders ProSiebenSat.1 übernommen, Kosteneinsparungsmaßnahmen forciert und Investitionen gekürzt. ProSiebenSat.1 sah sich damals aus Kostengründen gezwungen, den Nachrichtensender N24 zu verkaufen – zufälligerweise an Springer. Während der Auftritt des US-Finanzinvestors bei ProSiebenSat.1 in gewohnter Hedgefonds-Manier eher heuschreckenhaft war – aufkaufen, kaputt sparen, Rendite kassieren –, wird die Bindung an Springer wohl von längerer Dauer sein. Ende 2019 erklärte Döpfner gegenüber der Süddeutschen Zeitung, mit KKR habe man einen Partner, der »nicht an das nächste Quartalergebnis denkt«, sondern mit dem man perspektivisch den Wert des Springer-Konzerns erhöhen könne. Das neu anvisierte Ziel: Ein »Big Player« im weltweiten Digitalsektor werden.
Zum deutschsprachigen Springer-Portfolio gehören neben Bild, Auto Bild und Computer Bild auch das Start-up-Magazin Gründerszene, der deutsche Rolling Stone, die Welt, Welt-TV (ehemals N24) und die deutsche Ausgabe des Business Insider. Wer auf der Suche nach Wohnungen, Autos oder Jobs ist, wird früher oder später wohl auch auf einer Springer-Website landen: Neben einigen eher unbekannten Digitalunternehmen gehören die Preisvergleichsportale Idealo und Kaufda, die Online-Jobbörse StepStone sowie diverse Immobilien-Portale wie Immowelt oder Immonet zu dem Berliner Unternehmen. Auch die Plattform eBay Kleinanzeigen hatte der Konzern ins Visier genommen, den Zuschlag erhielt letztes Jahr jedoch der norwegische Konkurrent Schibsted.
Seit einiger Zeit versucht der Berliner Medienkonzern auch in den US-Markt einzusteigen. Mitte dieses Jahres erwarb die Axel Springer SE die einflussreiche US-amerikanische Tageszeitung Politico sowie das Technik-Portal Protocol. Der genaue Preis der Politico-Übernahme ist nicht bekannt, Schätzungen zufolge habe es sich um eine Summe von fast einer Milliarde Euro gehandelt. Es wäre damit die größte Investition in der Firmengeschichte Springers gewesen – auch Döpfner sprach von einer »Rekordsumme«. Reichelt musste seinen Posten als Chefredakteur wohl auch aus dem Grund verlassen, dass Springer nun versucht, seine Marktmacht in den USA auszubauen – das Image, das in dem Artikel in der New York Times von der Bild gezeichnet wurde, bedroht die Wachstumschancen Springers auf dem US-Markt.
Mittlerweile macht Springer rund drei Viertel ihres Umsatzes mit seinem nicht-journalistischem Digitalangebot. Bis 2022 will der Springer-Konzern zusätzlich rund 100 Millionen Euro in Video-Projekte investieren, um das Angebot der beiden Flaggschiffe Bild und Welt auszuweiten. Springer versucht mit der Umorientierung in Richtung digitaler Geschäfte abseits von Nachrichtenplattformen neue Profitmöglichkeiten zu erschließen, auch um angesichts der sinkenden Zahl der Leserinnen und Leser weiter zu wachsen.
Noch steht die Transformation der Axel Springer SE am Anfang. Wie sich das neuerdings durch einen renditegetriebenen Hedgefonds erweiterte Digitalunternehmen Springer entwickeln wird, bleibt abzuwarten. Jedenfalls dringt der Berliner Konzern derzeit immer weiter ins Feld der Plattformunternehmen vor.
Die Wachstumsoffensive Springers passiert zu einer Zeit, in der der wirtschaftliche Druck auf beinahe alle Zeitungen in Deutschland – zuvorderst regionale Tageszeitungen ohne US-Hedgefond im Rücken – seit Jahren wächst und viele Verlage um ihr Überleben kämpfen. Die Coronakrise ließ zwar einerseits den Konsum digitaler Medien zunehmen, jedoch brachen mit den Lockdowns zahlreiche Werbeeinnahmen weg, wie etwa Veranstaltungsanzeigen. Insbesondere gedruckte Zeitungen litten darunter. Zudem tun sich regionale Zeitungen noch immer schwer damit, auf ein Digitalangebot umzusteigen.
Es ist gefährlich, wenn in den Kantinen von Industrieunternehmen oder bei Bäckereien der Platz für die Lokalzeitungen neben der Bild leer steht. Denn was bleibt, ist eine Zeitung, die weit mehr als 200 Rügen vom deutschen Presserat kassiert hat (eine Großteil davon wegen der Verletzung des »Schutzes der Persönlichkeit« und der »Wahrhaftigkeit und Achtung der Menschenwürde«), die Welt in Freund und Feind einteilt, aus ökonomischem Kalkül Ressentiments schürt – und deren Chef alle anderen Journalistinnen und Journalisten als Propagandisten eines »DDR-Obrigkeitsstaat« sieht. Dahingehend ist es besonders tragisch, wenn staatliche Vorhaben wie die Presseförderung, die die digitale Umstellung der Verlage fördern sollte, scheitern – mag der Entwurf auch allerhand Schwächen gehabt haben. Einer ihrer größten Kritiker war von Beginn an Springer-Chef Mathias Döpfner.
Es mangelt nicht an Ideen, wie die publizistische Vielfalt ausgebaut und kleine Verlage unterstützt werden können. Sei es durch staatliche Förderprogramme oder durch die Etablierung von gemeinnützigem Non-Profit-Journalismus im Mediensystem. Um zu verhindern, dass weite Teile Deutschlands zu »Nachrichtenwüsten« werden, in der die Bild die einzige Oase darstellt, braucht es starken, unabhängigen und lokalen Journalismus.
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Editorische Notiz: in einer ersten Fassung waren vier Publikationen dem Springer-Konzern zugeordnet, die allerdings andere Eigentümer haben. Bildwoche und Funk Uhr gehören Klambt, Bild der Frau und Hamburger Wochenblatt gehören Funke. Außerdem bezieht sich der Umsatz aus den Digitalunternehmen auf nicht-journalistische Inhalte von Springer, nicht auf das Bild-Digitalangebot.