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21. August 2025

Der US-Imperialismus war nie weg

Der russische Angriff auf die Ukraine und der Aufstieg Chinas haben einige Linke zu der Annahme verleitet, die US-Hegemonie sei am Ende. Doch Trumps Agieren zeigt, dass die USA ihre imperialen Interessen weiterhin rücksichtslos durchsetzen.

Trump empfängt Putin auf rotem Teppich in Alaska, 15. August 2025.

Trump empfängt Putin auf rotem Teppich in Alaska, 15. August 2025.

IMAGO / Anadolu Agency

In den Wochen nach dem 11. September 2001 sprach sich der damalige schottische Abgeordnete der britischen Labour Party George Galloway gegen die Kriegsbestrebungen der Vereinigten Staaten aus und zitierte dabei den russischen Revolutionär Wladimir Lenin, der angeblich einmal gesagt haben soll: »Es gibt Jahrzehnte, in denen nichts passiert, und Wochen, in denen Jahrzehnte passieren.« Dieses frei erfundene Zitat trifft den Kern der Dynamik, die in den letzten Wochen in der internationalen Diplomatie zu beobachten war. Der Krieg in der Ukraine, der fast zum Stillstand gekommen wäre, nachdem die unmittelbare russische Invasion durch die ukrainischen Streitkräfte zurückgedrängt worden war, könnte nun dank der grobschlächtigen Intervention von US-Präsident Donald Trump kurz vor seinem Ende stehen.

Trump selbst interessiert sich sicherlich nicht für das Schicksal der Ukraine. Aber angesichts Russlands Dominanz auf dem Schlachtfeld könnte sein eigennütziger Versuch, ein Friedensabkommen auszuhandeln, unbeabsichtigt die beste Chance für die Ukraine sein, als unabhängiger Staat weiterzubestehen. Die Bedingungen, unter denen dieser Frieden geschlossen würde, wären ohne Zweifel ungünstig für die Ukraine, da sie zusätzlich zu ihrem bereits von Russland besetzten Territorium auch noch Donezk und Lugansk vollständig verlieren könnte.

Unabhängig davon, wie viel Land letztendlich an Russland geht, haben dreieinhalb Jahre brutaler, zermürbender Kriegshandlungen dem Land Zehntausende, wenn nicht Hunderttausende Leben geraubt, seine Infrastruktur zerstört und Millionen Menschen traumatisiert. Der Wiederaufbau des Landes wird lang und beschwerlich sein, egal wie viele Mittel dafür von westlichen Partnern zur Verfügung gestellt werden.

Andererseits könnte Trumps Versuch, einen Diktatfrieden zu erzwingen, sehr wohl scheitern – schließlich ist Putin strategisch gesehen eindeutig im Vorteil und könnte von einer Fortsetzung des Krieges schlicht mehr profitieren als von seinem Ende. Aber unabhängig davon hat Trump der politischen Klasse Europas und dem liberalen Kommentariat eindeutig gezeigt, was sie schon lange hätten wissen müssen: Die USA bleiben der mächtigste geopolitische Akteur, der seine eigenen Interessen zulasten seiner Juniorpartner priorisiert und trotz seines relativen Machtverlusts nach wie vor in der Lage ist, diese auch durchzusetzen. Russland mag derzeit vor Europas Haustür Krieg führen und Ängste vor einer Unterwerfung Europas schüren. Aber in Wirklichkeit hat die USA Europa schon lange unterworfen – und daran wird sich so schnell nichts ändern.

Realitätscheck für wen?

Doch Europas politische Klasse sind nicht die einzigen, die sich unter dem Druck des Krieges in gewisse Wahnvorstellungen verirrten. Als Putin am 24. Februar 2022 seine »Sondermilitäroperation« ankündigte, war ein Großteil der Linken überrascht. Zwar hatten die USA vor einer bevorstehenden Invasion gewarnt, doch aufgrund der fragwürdigen außenpolitischen Bilanz der USA hatten viele die Glaubwürdigkeit dieser Warnung angezweifelt. Was folgte, war ein Prozess rhetorischer Selbstgeißelung, in dem Publizisten wie der ehemalige Trotzkist und heutige Keir-Starmer-Cheerleader Paul Mason in Großbritannien die Linke aufforderten, »Verteidigung ernst zu nehmen« und die »russische Bedrohung« endlich anzuerkennen.

Hier in Deutschland argumentierten Persönlichkeiten wie Christoph Spehr, Landessprecher der Linken in Bremen, dass der russische Angriff die »politischen Koordinaten verschoben« habe. Seine Partei müsse das »Recht auf militärische Selbstverteidigung« sowie dessen politische Konsequenzen akzeptieren – sprich Waffenlieferungen an die Ukraine und erhöhte Militärausgaben. Nicht wenige Linke, allen voran die polnische Linkspartei Razem, forderten einen Realitätscheck – die NATO sei zwar nicht perfekt, aber unendlich besser als der »eurasische Autoritarismus«, der Europa zu überrollen drohe, sollten wir in naher Zukunft nicht mehr Waffen kaufen.

»Wer von diesen Selbstverteidigungs­verstehern hat jemals das Recht des irakischen oder afghanischen Volkes gefordert, sich gegen die amerikanische Invasion zu wehren?«

Es versteht sich von selbst, dass diese Positionen, die in den letzten Jahren in der deutschen Debatte besonders prominent geworden sind, zutiefst eurozentrisch sind. Wer von diesen Selbstverteidigungsverstehern hat jemals das Recht des irakischen oder afghanischen Volkes gefordert, sich gegen die amerikanische Invasion zu wehren, geschweige denn das Recht der Palästinenser, die seit über siebzig Jahren unter einer illegalen militärischen Besatzung leben? Das Recht auf bewaffnete Selbstverteidigung, das in Artikel 51 der UN-Charta verankert ist und ganz sicher im Fall der Ukraine gilt, scheint umso mehr zu gelten, je näher das Land an Deutschland grenzt.

Aber abgesehen von ihrem wenig überraschenden Eurozentrismus war die Befürwortung einer transatlantischen Sichtweise durch Teile der Linken vor allem erstaunlich naiv. Donald Trump war zum Zeitpunkt der russischen Invasion erst seit einem Jahr aus dem Amt. Die illegalen Invasionen der USA im Irak und in Afghanistan, die letztlich von beiden Flügeln der US-Politik unterstützt wurden, lagen noch keine zwei Jahrzehnte zurück. Doch irgendwie geriet all dies in Vergessenheit – der Iwan stand vor den Toren Europas, und mit Joe Biden im Weißen Haus glaubte man einen verlässlichen Partner im Kampf gegen die neuen imperialistischen Mächte wie Russland und China an der Seite zu haben.

Die öffentliche Demütigung europäischer Staats- und Regierungschefs durch Trump Anfang dieser Woche hat diese Illusion nun zerstört, hoffentlich für immer. Denn obwohl Putin allein die Verantwortung für diesen schrecklichen Krieg trägt, waren es die Vereinigten Staaten, die über Jahrzehnte hinweg die Voraussetzungen für einen solchen Krieg geschaffen haben. Jeglicher Versuch, das zu errichten, was die Linke einst als »gemeinsame europäische Sicherheitsarchitektur unter Einbeziehung Russlands« bezeichnet hat, wurde durch die USA sabotiert. Es waren die USA, die mit ihrem »Krieg gegen Terror« jene Präzedenzfälle geschaffen haben, auf die sich Putin berufen konnte, als er sich in Nachbarstaaten militärisch einmischte. Sie zeigten, dass mächtige Staaten das Völkerrecht brechen können, wie sie wollen – Konsequenzen gibt es nur für die Verlierer.

Im Alleingang

Die Aussichten auf eine solche gemeinsame Sicherheitsarchitektur in Europa sind jetzt noch düsterer. Sollte der Krieg enden, wird die gegenseitige Feindseligkeit zwischen Russland und seinen europäischen Nachbarn, allen voran der Ukraine, noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte andauern. Der massive Anstieg der europäischen Rüstungsausgaben, der oft als Schritt in Richtung strategischer Autonomie dargestellt wird, führt in erster Linie dazu, dass die übrigen NATO-Mitglieder noch abhängiger werden von amerikanischen Waffenproduzenten, die die überwiegende Mehrheit des europäischen Arsenals herstellen – sowie fast alle hochtechnologischen Komponenten wie den F-35 Kampfjet, von dem die Bundesregierung überlegt, noch weitere zu kaufen. Trump weiß dies ganz genau und bemüht sich immer wieder darum, Europas verstärkte Abhängigkeit durch erniedrigende Pressespektakel zur Schau zu stellen.

»Alles andere läuft auf permanenten Kriegszustand zur Aufrechterhaltung eines schwächelnden US-Imperiums hinaus – Bedingungen, unter denen keine linke Politik zu machen wäre.«

Ironischerweise begann der Krieg in der Ukraine, als das schwindende wirtschaftliche und diplomatische Gewicht Amerikas Europa die Möglichkeit eröffnete, seine wirtschaftlichen und diplomatischen Beziehungen zu diversifizieren. Statt sich als geopolitischen dritten Pol neu zu positionieren, ließ sich Brüssel jedoch noch weiter in die Arme der Amerikaner treiben. Dieselben Arme könnten nun Europa und die Ukraine dazu zwingen, ein Abkommen mit Moskau zu schließen, allerdings zu weitaus ungünstigeren Bedingungen, als dies noch vor wenigen Jahren möglich gewesen wäre. Die USA hat sich die Bodenschätze der Ukraine bereits gesichert, Europa soll nun den Wiederaufbau finanzieren.

Was bedeutet diese Konstellation für die europäische Linke? Als oppositionelle Minderheit wird sie auf absehbare Zeit sowieso nicht in der Lage sein, den außenpolitischen Kurs ihrer Regierung mitzubestimmen. Umso wichtiger, dass sie einen kühlen Kopf bewahrt und dem Druck aus der Mitte widersteht, sich mit der Außenpolitik der USA gemein zu machen. Geopolitische Entspannung auf dem Kontinent mag durch Russlands Kriegsführung erstmal in weite Ferne gerückt sein. Es gilt aber, die Vision eines friedlichen Europas als Teil einer multipolaren Weltordnung aufrechtzuerhalten. Alles andere läuft auf permanenten Kriegszustand zur Aufrechterhaltung eines schwächelnden US-Imperiums hinaus – Bedingungen, unter denen wahrlich keine linke Politik zu machen wäre.

Loren Balhorn ist Editor-in-Chief von JACOBIN.