02. Juli 2025
Millionen Menschen in Deutschland werden auch in diesem Jahr nicht in den Urlaub fahren können. Für ein reiches Land wie Deutschland ist das ein Armutszeugnis, findet Ole Nymoen.
Eine wohlverdiente Auszeit in der Sonne – für jede fünfte Person in Deutschland ist das finanziell nicht stemmbar.
Freut ihr euch schon auf euren Sommerurlaub? Wenn ja, dann kann man nur gratulieren! Denn Millionen Menschen in Deutschland werden auch in diesem Jahr nicht wegfahren. Und das nicht, weil sie keine Lust hätten. Sondern, weil sie schlicht zu arm sind.
Das ist nachzulesen in einem neuen Bericht des Statistischen Bundesamtes: »In den Sommerferien eine Woche verreisen – das ist für viele Menschen in Deutschland kaum möglich. Im Jahr 2024 lebte gut jede fünfte Person (21 %) in einem Haushalt, der sich nach eigenen Angaben keine einwöchige Urlaubsreise leisten konnte. Das waren 17,4 Millionen Menschen.«
Diese Zahl ist schier unfassbar: 17,4 Millionen Bundesbürgerinnen und Bundesbürger werden sich dieses Jahr nicht auch nur eine einzige Woche Urlaub gönnen. Und wir sprechen hier wohlgemerkt nicht von einem Flug nach London oder auf die Malediven. Nein, die Betroffenen haben nicht einmal genug Geld, um innerhalb Deutschlands zu Familienmitgliedern zu fahren und dort für ein paar Tage unterzukommen.
Wer davon besonders stark betroffen ist: wie so oft Alleinerziehende. Fast 40 Prozent derer, die alleine Kinder großziehen, werden daheimbleiben. Das bedeutet in der Praxis: Millionen Mütter und Väter, die in einem Hamsterrad aus Erwerbs- und Erziehungsarbeit schier Übermenschliches leisten, werden nicht einmal ein paar Tage Entspannung finden.
Und ihr Nachwuchs wird sechs Wochen lang im selben Wohnviertel verbleiben und kaum etwas sehen von der Welt, die so viel zu bieten hat – vorausgesetzt, dass man über das nötige Kleingeld verfügt. All das, was in einem gelingenden Leben eine Selbstverständlichkeit sein sollte – dass man einmal etwas anderes sieht als die gewohnten Verhältnisse, oder sich einfach nur ausruht –, bleibt für sie ein ferner Traum.
»Millionen Mütter und Väter, die in einem Hamsterrad aus Erwerbs- und Erziehungsarbeit schier Übermenschliches leisten, werden nicht einmal ein paar Tage Entspannung finden.«
In der Bundesrepublik lacht man bis heute gern über die Ostdeutschen, die in der DDR keine Bananen hatten. Dass 38 Prozent der Alleinerziehenden und 21 Prozent der Gesamtbevölkerung in einem der reichsten Länder der Welt keinen Urlaub machen können, das findet hingegen kaum jemand verdächtig. Armut will man immer nur woanders ausmachen – hier, in der besten aller Welten gibt es so etwas nicht. Hier gibt es höchstens »armutsgefährdete Menschen«, wie die Statistiker sie nennen.
Das ist natürlich Quatsch: Wer sich nicht einmal eine Woche Urlaub im Jahr leisten kann, ist bitterarm. Und an ebenjener Armut wird es auch in Zukunft nicht mangeln. Das sagen die Regierenden ganz frei heraus, und zwar nicht nur, wenn sie weitere Angriffe auf den Sozialstaat in Aussicht stellen. Auch die neueste Mindestlohn-Farce spricht Bände: Noch im Wahlkampf erklärte die SPD, Olaf Scholz sei der »Kanzler für 15 Euro Mindestlohn«. Im Koalitionsvertrag hieß es dann, man wolle den genauen Preis einer Arbeitsstunde der Mindestlohnkommission überlassen, aber halte es für realistisch, dass ein Mindestlohn von 15 Euro im Jahr 2026 erreicht werde.
Nun haben wir erfahren, dass noch nicht einmal im darauffolgenden Jahr, also 2027, 15 Euro Mindestlohn gelten sollen. Damit bleiben weiterhin Millionen Menschen von den selbstverständlichsten Nettigkeiten eines gelingenden Lebens ausgeschlossen. Und für unzählige Kinder bleibt die beste Chance auf eine Reise ins Ausland, dass es eines Tages wieder an die Ostfront geht.
Ole Nymoen betreibt den Wirtschaftspodcast Wohlstand für Alle und ist Kolumnist bei JACOBIN. Sein neustes Buch Warum ich nicht für mein Land kämpfen würde ist kürzlich beim Rowohlt Verlag erschienen.