28. Juni 2024
Wie immer schauen wir neidisch auf die französische Linke und ihre Neue Volksfront. Aber wäre das was für die deutsche Linke?
Mitglieder der Linkspartei auf der Großdemonstration gegen Rechts in Berlin, 3. Februar 2024.
Flickr / DIE LINKEDie Franzosen können es einfach besser: Sie grillen auf Gleisen, während es einen Generalstreik gibt, in den Banlieues knallt es heftiger als in Hamburger Vororten und überhaupt ist in Frankreich mit Gelbwesten und allem einfach mehr Wumms drin. Sieht man sich die Grande Nation und ihre Revolution an, drängt sich der Eindruck auf, dass deutscher Protest und die deutsche Linke einfach ein bisschen öde sind.
Zu einem absoluten Showdown kommt es jetzt, da Präsident Macron nach der Europawahl plötzlich Neuwahlen ausgerufen hat und die Nationalversammlung neue Mehrheiten bekommen könnte. Er tat dies wohl aus dem Kalkül heraus, der rechten Marine Le Pen durch die Neuwahl doch Einhalt gebieten zu können, indem er sie in seine zentristische Regierung einbindet. Doch die französische Linke tat etwas Ungewöhnliches und wiederholte den Bündnis-Ansatz, den sie bereits mit NUPES verfolgten, der aber gescheitert zu sein schien, und schlossen sich erneut zu einem Wahlbündnis zusammen. Dieses Mal unter dem historischen Namen »Neue Volksfront«.
Das hat jetzt auch auf deutsche Linke Eindruck gemacht. In wenigen Tagen wird ein Programm zusammengezimmert, Kandidierende werden versammelt und Sozialdemokraten, Grüne und Sozialistinnen vereint. Das muss doch auch bei uns möglich sein – vor allem, weil ja auch wir bei den Landtagswahlen im Osten einer rechten Übermacht gegenüberstehen. Nun, auch in der französischen linken Volksfront ist nicht alles rosig und im Bündnis gibt es bereits jetzt Grabenkämpfe. Trotzdem steht das Bündnis zur Zeit nur 0,5 Prozentpunkte hinter dem Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen.
Zeit, einen genaueren Blick auf die Unterschiede zu werfen. Denn Paris ist nicht Thüringen.
Bei den Neuwahlen zur Nationalversammlung handelt es sich wohl um ein taktisches Manöver von Macron, dessen Partei bei den Wahlen 2022 nur eine knappe Mehrheit hinter sich versammeln konnte. Offenbar glaubte er, das derzeitige Hoch des RN durch die direkte Konfrontation schwächen und sein eigenes Lager wieder stärken zu können. Die Umfragen zeigen aber, dass sich eher ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen rechtem und linkem Lager anbahnt. Macron hat sich allem Anschein nach verzockt und dürfte als Präsident in einem Zweikammer-System künftig Probleme haben, Mehrheiten für seine Politik zu gewinnen. Genau hier liegt das Momentum der Neuen Volksfront: Innerhalb der sich abzeichnenden Kräfteverhältnissen, könnte sie es tatsächlich schaffen, den Sparkurs des Präsidenten zu stoppen und gleichzeitig den Aufstieg der Rechten aufzuhalten. Auch wenn einzelne Parteien in dem Bündnis nicht die Stärke aufbringen würden, genau das zu bewerkstelligen, könnte es im Zusammenschluss gelingen.
Der Vergleich mit den deutschen Landtagswahlen im Osten oder der gesamtdeutschen Situation birgt gleich mehrere Probleme. Das erste ist institutionell: Hierzulande gibt es keine Regierung, die einen Präsidenten unter Druck setzen könnte, sondern einfach eine Regierung und eine Opposition. Der entscheidende Dreikampf zwischen Rechts, neoliberalem Zentrum und Links bricht gar nicht erst aus. Durch die Koalitionsbildung in Deutschland ist diese Art der direkten Zuspitzung eher selten.
»Die kommunale Ausnahme bestätigt eher die Regel, dass zentristische Parteien dazu tendieren, in der Auseinandersetzung nicht zwingend die linke Option zu stützen.«
Anders ist es bei den Kommunalwahlen, wo es durchaus etwa bei Bürgermeistern zu Stichwahlen kommen kann. Hier kann es durchaus vorkommen, dass sich Wahlbündnisse bilden, um etwa einen AfD-Bürgermeister zu verhindern. So hat die Linke in der Vergangenheit etwa eine CDU-Kandidatin unterstützt (etwa in Pirna) oder Grüne, SPD und Linke haben sich auf einen Kandidaten geeinigt (etwa in Nordhausen). Das gilt auch für Direktwahlkreise, wo sich die Mitte-Links-Parteien durchaus absprechen und sich auf eine Kandidatin oder einen Kandidaten einigen. Das ist angesichts der Bedrohung der AfD im Osten eine gängige Praxis, die aber immer wieder auch von SPD und Grünen aufgekündigt wird. Es ist also nicht ausgemacht, dass linke Kandidierende, auch wenn sie die größten Chancen haben, auch die Unterstützung der anderen erhalten.
Die kommunale Ausnahme bestätigt eher die Regel, dass zentristische Parteien dazu tendieren, in der Auseinandersetzung nicht zwingend die linke Option zu stützen. Das ist eine Realität, die sich auch die politische Linke bewusst machen sollte. Die letzte Landtagswahl in Thüringen zeigte eindrücklich, dass die FDP etwa mit der Wahl Kemmerichs ohne weiteres bereit war, das demokratische Bündnis aufzukündigen und sich von der AfD wählen zu lassen. Und auf kommunaler Ebene ist die Brandmauer der CDU längst gefallen. Auf diese Parteien kann man sich also schlicht nicht verlassen, wenn es um die Verhinderung rechter Ministerpräsidenten oder Landräte geht.
Aber was ist nun mit einer linken Volksfront? Hier sind weniger institutionelle als politische Fragen ausschlaggebend. Der Zusammenschluss von sozialdemokratischen, linken und grünen Kräften ist bei uns unter dem Label »R2G« geläufig und hat sich bereits in einigen Regierungen – sei es in Berlin, Bremen oder eben auch Thüringen – beweisen müssen. Was vor fünfzehn Jahren noch ein Novum war, insbesondere im Westen (man erinnere sich Andrea Ypsilanti in Hessen, die ein Linksbündnis angestrebt hatte, und von ihrer eigenen Partei, der SPD, dafür abserviert wurde), gehört mittlerweile zur politischen Realität.
Die Bilanz dieser Regierungen müsste man im Einzelnen bewerten, Fakt ist aber, dass ein derartiges Bündnis bundespolitisch derzeit keine Option ist. Bei der letzten Bundestagswahl haben SPD und Grüne deutlich gemacht, dass die Außenpolitik der Linken eine rote Linie für die Zusammenarbeit ist. Vermutlich spielen auch weitere Fragen wie Umverteilung eine Rolle. Gerade vor dem Hintergrund der amtierenden Ampelkoalition wird klar, dass ein Linksbündnis im Bund keine reelle Chance hätte. Es ist politisch von den zentristischen Parteien nicht gewollt und ich würde die These wagen, dass die Linke dabei nur verlieren kann.
»Dieser Realität ins Auge zu sehen, mag schmerzhaft sein, ist aber fürs Überleben der politischen Linken entscheidend.«
Denn die Linke steckt anders als La France insoumise – also das französische Pendant der Linkspartei – gerade selbst in einer existenziellen Krise und verfügt nicht über die Macht, um bei einem solchen Bündnis den Takt anzugeben. La France insoumise dagegen steht national etwa bei 10 Prozent und liegt damit nur knapp hinter der Sozialistischen Partei (faktisch den Sozialdemokraten). Das eröffnet ihnen eine andere Verhandlungsebene, weshalb das Programm der Volksfront in Sachen Investitionen und Umverteilung einigermaßen radikal ist. Auch die Grünen haben nicht die Stärke, die sie in Deutschland haben, die im Besonderen auf den Kurs der Militarisierung eingeschwenkt haben. Es ist vor diesem Hintergrund kaum vorstellbar, dass diese drei Parteien bundesweit auf ein gemeinsames Programm kämen.
Verbrüdert sich die Linke in diesem Moment, da die Ampelregierung mit ihrer Kürzungspolitik dem Aufstieg der Rechten den Nährboden bereitet, ist sie selbst Teil des Problems. Die Ampel ist unser Macron. Das macht es für die deutsche Linke gerade ungleich schwerer, Bündnispartner für ihre Politik zu finden. Es sind wohl eher Gewerkschaften und Protestbewegungen, als Grüne und SPD. R2G im Bund ist als politisches Bündnis vorerst ausgeschlossen, wenn Die Linke sich nicht vollends ins Aus schießen will.
Anders ist es in Thüringen, kann man einwenden, wo Die Linke als stärkste Kraft mit Bodo Ramelow die Koalition anführt. Das war 2019 bereits knapp und Ramelow regierte seitdem mit einer Minderheitskoalition. Nun wird das Parteiensystem aber durch das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) insbesondere im Osten durchgeschüttelt und die Regierungsparteien erleiden einen herben Rückschlag. In Thüringen ist derzeit vollkommen offen, zu welchem Regierungsbündnis es kommt und wer wen im Zweifel tolerieren muss, um die AfD zu verhindern. Auch hier ist R2G für den Moment keine Option.
Dieser Realität ins Auge zu sehen, mag schmerzhaft sein, ist aber fürs Überleben der politischen Linken entscheidend. Es bedeutet nicht, für immer und ewig Regierungen abzulehnen, weil sie notwendig im Faschismus enden, aber es bedeutet, ehrlich darüber zu bilanzieren, was mit einem Mitte-Links-Bündnis möglich war – und was nicht. Und es bedeutet, die politischen Kräfteverhältnisse in der Bundesrepublik ernst zu nehmen und sich einzugestehen, dass Grüne und SPD im Zweifel lieber mit CDU oder FDP regieren. Gemeinsam mit ihnen gegen die AfD zu demonstrieren, hat deshalb mindestens einen schalen Beigeschmack.
Es ist daher ratsam, sich gedanklich von einer Linken Volksfront in Deutschland zu verabschieden. Stattdessen sollten wir unsere eigene Stärke aufbauen und unser eigenes Profil schärfen. Denn nur so können wir die Kraft entwickeln, die es uns ermöglicht, uns sowohl gegen das neoliberale Zentrum als auch gegen die Rechten durchzusetzen. Schwierig genug.
Ines Schwerdtner ist seit Oktober 2024 Bundesvorsitzende der Linkspartei. Von 2020 bis 2023 war sie Editor-in-Chief von JACOBIN und Host des Podcasts »Hyperpolitik«. Zusammen mit Lukas Scholle gab sie 2023 im Brumaire Verlag den Sammelband »Genug! Warum wir einen politischen Kurswechsel brauchen« heraus.