24. Mai 2023
Eine neue Form der Prozessfinanzierung ist auf dem Vormarsch: Investoren übernehmen die Gerichtskosten und kassieren im Gegenzug den Großteil der Entschädigungszahlungen. Vor allem Entwicklungsländer geraten ins Visier solcher Klagen.
Die Klage gegen den staatlich kontrollierten argentinischen Ölkonzern YPF wurde von einer Investmentfirma finanziert.
IMAGO / agefotostockDer heißeste neue Trend in der Rechts- und Finanzwelt hat Anfang des Jahres sein bisher größtes Opfer gefordert. Ein New Yorker Gericht verurteilte Argentinien zur Zahlung eines Milliardenbetrages. Der Clou: Der Gewinner wird den Großteil dieses Geldes selbst gar nicht erhalten. Dieser wird stattdessen an eine Investmentfirma namens Burford Capital gehen. Das Unternehmen ist an dem Streitfall zwar selbst nicht beteiligt, hat aber auf den Ausgang des Verfahrens gewettet.
»Derartige Fälle können manchmal Renditen von mehr als 600 Prozent der ursprünglichen Investition einbringen.«
Dieser »Sieg« ist ein großer Erfolg für die sogenannte Litigation Finance, bei der Fachleute weltweit nach erfolgsversprechenden Rechtsstreitigkeiten suchen, diese Prozesse finanzieren und im Falle eines Sieges eine hohe Auszahlung erhalten – oft ohne die Tatsache offenlegen zu müssen, dass sie an dem Vorgang überhaupt beteiligt waren. Besonders im Visier dieser Strategien stehen einige der ärmsten Länder der Welt.
»Viele der bekannten Finanzierungsfälle werden gegen Länder vorgebracht, die nicht über die nötigen Mittel verfügen, um sich zu verteidigen«, bestätigt Lisa Sachs, Direktorin des Columbia Center on Sustainable Investment in New York. Da viele der Finanzierungsdeals vertraulich sind, seien die tatsächlichen Auswirkungen dieses Sektors nach wie vor sehr schwer einzuschätzen.
Litigation Finance hat eine längere Geschichte. Ursprünglich wurde sie entwickelt, um Opfer bei der Finanzierung von teuren Gerichtsverfahren zu unterstützen, wenn sie sich die Anwaltsrechnungen selbst nicht leisten konnten. Burford nahm seine Tätigkeit 2009 auf, als Anwaltskanzleien Schwierigkeiten hatten, Finanzierungen von traditionellen Banken bewilligt zu bekommen. Die Finanzierung durch Dritte im Allgemeinen rückte spätestens 2016 ins Blickfeld der Öffentlichkeit, als der Milliardär Peter Thiel einen Prozess für den Wrestler Hulk Hogan finanzierte. Mit dem Urteil wurde Gawker Media in den Ruin getrieben. In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Branche jedoch stärker auf ein Gebiet verlagert, das »Investor-Staat-Streitbeilegung« (Investor-state dispute settlement, ISDS) genannt wird. Dabei können Unternehmen Länder wegen vermeintlicher Vertragsverstöße verklagen.
Die Funktionsweise ist recht simpel: Ein Geldgeber findet einen Fall, auf den er wetten möchte, indem er sich entweder direkt an die potenziellen Kunden wendet oder die Anfragen bei Anwaltskanzleien sichtet. Dieser Geldgeber nutzt dann das vorhandene Kapital – nicht selten als Mittelsmann für andere, größere Investoren – um die Prozesskosten zu bezahlen, seine eigenen Anwältinnen und Anwälte einzuschalten und manchmal auch den Fall intensiv zu betreuen.
Es sind riskante Wetten. Ein Drittinvestor verdient dabei in der Regel nur dann Geld, wenn er den Gerichtsprozess tatsächlich gewinnt. Darüber hinaus können neue Rechtsstreitigkeiten entstehen, wenn Geld von einem Staat gefordert wird, der aber nicht gewillt ist, zu zahlen. Im Falle eines Sieges (und eines zahlenden Staates) kann der Gewinn allerdings immens ausfallen.
So gewann Burford Anfang 2023 gegen Argentiniens staatliche Ölgesellschaft YPF. Das Unternehmen schätzt, dass die endgültige Auszahlung zwischen 5 und 8,4 Milliarden US-Dollar plus Zinsen betragen wird. In diesem Fall gibt es zwei Kläger: Petersen Energía Inversora, SA, und Eton Park. Beide haben für die Prozessführung Gelder von Burford erhalten. Burford geht nun davon aus, dass es von der Entschädigung, die Petersen Energía Inversora zugesprochenen wurde, etwa 35 Prozent erhalten wird; bei Eton Park wären es sogar 73 Prozent des endgültigen Nettobetrags. Ein Burford-Sprecher wollte sich für diesen Artikel nicht zum Prozess äußern. YPF reagierte ebenfalls nicht auf Anrufe und E-Mails mit der Bitte um Stellungnahme.
Der von Burford geforderte Anteil an der Entschädigung ist nicht ungewöhnlich. Frank Garcia, Juraprofessor am Boston College, erklärt, derartige Fälle könnten manchmal Renditen von mehr als 600 Prozent der ursprünglichen Investition einbringen. »Die Tatsache, dass ein Geschäftsmodell 300 bis 600 Prozent Rendite abwirft, deutet schon darauf hin, dass etwas an diesem System faul ist«, so Garcia. »Irgendetwas funktioniert hier nicht richtig.«
Garcia fügt hinzu, die grundlegenden Probleme mit Litigation Financing seien in der globalen Rechtsstruktur zu finden. Die Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investoren und Staaten basiert auf einem komplizierten Geflecht aus Investitionsverträgen, nationalen Gesetzen und internationalen Schiedsgerichten, vor denen solche Streitigkeiten oft landen. [Burfords Klage gegen Argentinien wurde nicht vor einem solchen Schiedsgericht verhandelt].
»Die meisten Klagen richten sich gegen Entwicklungsländer in Osteuropa, Zentralasien und Südamerika. Die meisten Forderungen werden derweil von Unternehmen aus den USA, den Niederlanden und Großbritannien gestellt.«
Laut Daten der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) gewinnen Investoren in 56 Prozent der Fälle, in denen ein Schiedsverfahren zugelassen wird (und nicht aus Zuständigkeitsgründen abgelehnt wird). Auch hier spielen die finanziellen Mittel der Konfliktparteien eine Rolle: Die meisten Klagen richten sich gegen sich entwickelnde Staaten in Osteuropa, Zentralasien und Südamerika. Diese machen fast die Hälfte aller Beklagten aus. Die meisten Forderungen werden derweil von Unternehmen aus den Industrieländern gestellt, allen voran aus den USA, den Niederlanden und Großbritannien.
Lisa Sachs geht allerdings davon aus, dass die verfügbaren Daten nicht das gesamte Bild widerspiegeln und es eine große Dunkelziffer gibt. Das liegt einerseits daran, dass viele Fälle vertraulich zwischen den beiden Parteien verhandelt werden. Zum anderen kann die bloße Androhung einer Klage ein Land dazu bringen, sich den Forderungen des Investors zu beugen: »Viele der Probleme mit der Finanzierung durch Dritte sind mit den Problemen der Mechanismen der Investor-Staat-Streitbeilegung verknüpft«, meint auch Sachs.
Die Einseitigkeit globaler Investitionen hat sich für die Geldgeber für Gerichtsprozesse als attraktiv erwiesen. Lange Zeit galten solche Investitionen sowohl in der Finanz- als auch in der Rechtsbranche als aussichtslos. Da in den vergangenen Jahren jedoch Siege wie der von Burford gegen Argentinien eingefahren werden konnten, fließen die Gelder nun in Strömen. Westfleet Advisors berichtet, dass Prozessfinanzierer in den USA im Jahr 2022 rund 3,2 Milliarden Dollar für neue Verfahren bereitgestellt haben. Das sind 14 Prozent mehr als im Vorjahr. Das Marktanalyseunternehmen CMI schätzt, dass der globale Litigation-Markt 2021 einen Wert von über 12 Milliarden Dollar hatte und bis zum Ende des Jahrzehnts auf fast 26 Milliarden Dollar anwachsen wird.
Mit dem Boom steigt die Gefahr für ärmere Länder, Ziel solcher drittfinanzierten Klagen zu werden. In den vergangenen zehn Jahren wurden unter anderem Venezuela, Kolumbien, Rumänien, Tansania und Argentinien mit großen Rechtsstreitigkeiten konfrontiert, die durch Drittmittel von externen Investoren unterstützt wurden. Erst im Januar sicherte sich die an der Londoner Börse notierte Panthera Resources Plc, die Gold- und Kupferbergbauprojekte in Westafrika und Indien betreibt, eine Finanzierung von bis zu 10,5 Millionen Dollar für ein Schiedsgerichtsverfahren gegen Indien. Dort plagt sich der Großkonzern nach eigenen Angaben mit »regulatorischen Fragen und Problemen« herum.
»Da die Geldgeber eine immer größere Rolle in den Rechtsverfahren übernehmen, drohen einstmals rechtliche Fragen zur reiner Geldmacherei zu werden.«
Während Litigation Financing also in der Finanzbranche immer beliebter wird, ist schwer nachzuvollziehen, wie weit verbreitet es ist. Von den großen Investor-Staat-Schiedsstellen der Welt verlangt nur das Internationale Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (ICSID) der World Bank Group, dass Finanzierung durch Dritte offengelegt wird. Meistens werden solche Vereinbarungen geheim gehalten.
Das hat dazu geführt, dass sich eine Branche entwickeln konnte, die kaum reguliert ist und ihre eigenen Bedingungen diktieren kann. Die meisten Prozessfinanzierer unterliegen keinerlei behördlicher Aufsicht – weder darüber, wie viel sie ihrer Kundschaft in Rechnung stellen dürfen, noch darüber, ob sie überhaupt im Interesse ihrer Klienten handeln müssen. Da die Geldgeber eine immer größere Rolle in den Rechtsverfahren übernehmen (manchmal mit der Befugnis, über Bedenken der eigentlichen Kläger hinweg zu handeln), drohen sich einstmals rechtliche Fragen in reine Geldmacherei zu verwandeln.
»Alle vermuten, dass viele dieser Vereinbarungen [über die Drittfinanzierung] in die eigentlichen rechtlichen Verfahren hineinreichen«, sagt Frank Garcia. »In Fällen, in denen die Bedingungen der Finanzierungsverträge nicht offengelegt werden, können Absprachen hinter den Kulissen getroffen werden, ohne dass irgendjemand davon erfährt.«
Solange die globalen Rahmenbedingungen für solche Investitionen nicht besser sind, so Garcia weiter, würde er für ein vollständiges Verbot der Finanzierung durch Dritte bei Investor-Staat-Streitigkeiten plädieren. Ansonsten brauche es eine Offenlegungspflicht für Investoren. Es gebe aber »Grund für vorsichtigen Optimismus«, fügt er hinzu. »Immer mehr Staaten sind mit der Art und Weise, wie das System funktioniert, unzufrieden. Ich glaube, dass die aktuelle Finanzierung durch Dritte den Wunsch nach Veränderung verstärkt.«
Befürworterinnen und Befürworter der Prozessfinanzierung verweisen hingegen auf die Blockaden und Hürden, die Staaten den Investoren bereits heute in den Weg legen können: von weiterer Strafverfolgung des Unternehmens im Inland bis hin zur Verschleppung von Fällen über ein Jahrzehnt oder länger. Hinzu kommt die sogenannte Staatenimmunität – eine Rechtsgrundlage, die genutzt werden kann, um Vermögenswerte vor Investoren zu schützen.
»Am Ende kommt der Staat und sagt: Fein, ihr habt diesen Schiedsspruch erhalten und seid damit durchgekommen, aber wir zahlen immer noch nicht, und tschüss«, so Viren Mascarenhas von Milbank LLP, der auf internationale Schiedsverfahren spezialisiert ist. »Wenn man sich die Prozesskosten, die Dauer der Verfahren und Mittel wie die Staatenimmunität bei der Einforderung von Entschädigungen vor Augen führt … All diese Risiken machen die Finanzierung solcher Fälle meist nicht sonderlich attraktiv.«
Mascarenhas fügt hinzu, diese potenziellen Probleme für Investoren führten auch dazu, dass Geldgeber sehr genau überlegen müssten, in welche Fälle sie investieren. Es gebe somit eine hohe Hemmschwelle für ein Unternehmen, ein Rechtsverfahren finanziell zu unterstützen.
Doch gerade die existierenden Hürden können Länder zum Ziel für bestimmte Streitfälle machen. Lisa Sachs erinnert daran, dass einige der höchsten Renditen und die allgemein größten Erfolgsaussichten im Bereich natürliche Ressourcen zu finden sind.
»Diese Kapitalgeber haben ein Interesse daran, Forderungen mit hohem Risiko – und hohem Ertrag – in ihrem Portfolio zu haben«, erklärt sie. In der Rohstoffindustrie könnten Dinge wie der Widerstand der Gemeinden, Umweltprüfungen und Steuern zu Problemen für Großinvestoren werden. Einige seien jedoch bereit, dieses Risiko einzugehen: »Klar, es handelt sich um hochkomplexe, hochpolitische Projekte mit großen Auswirkungen, die zwangsläufig die Rechte anderer Interessengruppen betreffen. Aber die Investoren scheinen sich um all diese Dinge nicht zu kümmern. Sie sehen in Rechtsstreitigkeiten eine potenzielle Einnahmequelle – und zwar in Milliardenhöhe.«