12. Juli 2021
Slavoj Žižek hat sich in den letzten Jahren einige schwere Fehltritte geleistet. Er bleibt dennoch einer der wichtigsten linken Theoretiker unserer postmodernen Epoche.
Der Philosoph und Kulturkritiker Slavoj Žižek, 2009.
Slavoj Žižek ist einer der umstrittensten linken Theoretiker der Gegenwart. Für die einen ist er eine Figur, die überschwängliche Anerkennung verdient – und ganze Zeitschriften, die sich dem Studium seiner Gedanken widmen. Für die anderen ist er ein Scharlatan und ein Clown – eine schniefendes, Lacan zitierendes, karikatureskes Sinnbild für alles, was mit der abgehobenen, oberflächlich radikalen Kontinentalphilosophie nicht stimmt.
Diesen Kritiken treffen gelegentlich einen wahren Kern. Žižek hat in den letzten Jahren einige wirklich fragwürdige Positionen vertreten – unter anderem seine krypto-akzelerationistisches Bevorzugung von Donald Trump gegenüber Hillary Clinton. Zwar hat sich Žižek seitdem zu erklären versucht, jedoch ist er nie von seiner Grundposition abgerückt: Trumps Wahlsieg würde die Entstehung einer »authentischen Linken« befördern. Es war ein schlechtes Argument, das die tatsächliche Geschichte rechter Bewegungen ignorierte. Anstatt den Aufstieg einer echten Linken zu beschleunigen, haben sie oftmals nur noch mehr reaktionäre Entwicklungen gezeitigt. Auch ignorierte Žižeks Argument den unglaublichen Schaden, den Trump anrichten könnte – und den er letztlich auch anrichten würde.
Auch Žižeks Äußerungen von 2015 über Geflüchtete sind zu kritisieren. Zwar warf er der westlichen Staatengemeinschaft und dem globalen Kapital zu Recht vor, viele der Umstände selbst zu erzeugen, die Menschen überhaupt erst dazu zwingen, aus ihren Heimatländern zu fliehen. Doch seine Ansicht, Geflüchtete aus Afrika und dem Nahen Osten seien radikal anders, ja fast unvereinbar mit der europäischen Gesellschaft, drohte Rechtsextremen und Rassisten in die Hände zu spielen. Žižek kann noch so oft behaupten, dass er die Solidarität mit Geflüchteten trotzdem befürworte – seine Äußerungen bleiben beunruhigend.
Doch trotz dieser schweren Fehltritte bleibt Žižek aus zwei Gründen ein wichtiger Theoretiker für die Linke. Erstens hat seine Neuinterpretation des dialektischen Materialismus der geschwächten linken Philosophie neues Leben eingehaucht. Und zweitens hat er kreative und aufschlussreiche Studien über Ideologie in unserer postmodernen, neoliberalen Gegenwart verfasst. Zusammengenommen stellen diese Beiträge ein gewaltiges Vermächtnis dar, welches sicherstellt, dass Žižek, seiner Fehler zum Trotz, für lange Zeit eine Referenz bleiben wird.
Die wohl bedeutendste Leistung Žižeks ist, dass er den dialektischen Materialismus neu gedacht hat. Bevor wir uns dieser Leistung zuwenden, müssen wir zuerst klären, was dialektischer Materialismus eigentlich ist. Das »dia« in »dialektisch« kommt aus dem Altgriechischen und meint »auseinander« oder »gegenüber«. Und das »lektisch« ist dem griechischen Wort »logos« entlehnt – ein Begriff, der zu enigmatisch ist, um ihn an dieser Stelle zu erläutern, den wir hier aber als »Dialog« oder »Diskussion« verstehen wollen.
Für antike Philosophen wie Sokrates oder Platon bedeutete Dialektik, Argumente durch den Dialog zwischen gegensätzlichen Gesprächspartnern hervorzubringen. Das Ziel war die Erlangung der Wahrheit. Im 18. und 19. Jahrhundert – einem Wendepunkt für die europäische Philosophie – wandelte sich die Bedeutung dieses Begriffs. Er wurde nicht länger verwendet, um eine bestimmte Praxis der rationalen Diskussion zu beschreiben. Stattdessen nahmen sich Hegel und Marx dieses Begriffs an, um den gesamten Fortschritt der Gesellschaft und ihres intellektuellen Lebens zu charakterisieren, der ihrer Meinung nach durch die Verhandlung ihrer inneren Widersprüche angetrieben wird.
Nach Hegel ergibt sich der Vorwärtsdrang der Geschichte aus der Manifestation von Begriffen im Bereich der Praxis. So führte etwa die Tatsache, dass die protestantische Reformation in Frankreich nicht stattgefunden hatte, zu einem von »absoluter Gewalt« beherrschten Moment der Abrechnung mit der feudalen Obrigkeit. Das gleichzeitige Fehlen eines sozialen Individualismus bedeutete, dass das Guillotinieren von Feinden »ohne mehr Bedeutung als das Durchhauen eines Kohlhaupts« stattfand.
Marx bezog sich zwar stark auf Hegel, war aber der Meinung, dass dieser abstrakte Begriffe allzu freimütig anwandte. Er versuchte stattdessen, die Dialektik auf eine materialistische Grundlage zu stellen, und nahm sich dazu die politische Ökonomie vor. Seine berühmte These muss kaum wiederholt werden: da der Kapitalismus dazu neigt, Arbeitende durch Maschinen zu ersetzen und sie des vollen Produkts ihrer Arbeit zu berauben, untergräbt der Kapitalismus die Konsumnachfrage, die er selbst zum Überleben benötigt (was bekanntlich den Kommunismus zur Folge haben sollte).
Die Marxsche Adaption der Dialektik war also ein explizit materialistisches Unterfangen. Doch während die Anwendung der Dialektik zur Beschreibung der ökonomischen Stoßrichtung der Geschichte unter Marxistinnen und Marxisten zum Standard wurde, blieb ihre Anwendung auf die Natur umstritten. Von 1872 bis 1882 verfasste Engels – mit Marx’ Segen – eine Reihe von Manuskripten, in denen er versuchte, Naturphänomene von der Biologie bis zur Gezeitenreibung mithilfe der Dialektik zu schematisieren. Der übermäßig deterministische Charakter dieser Überlegungen – ist kochendes Wasser wirklich ein Beispiel für Dialektik? – führte jedoch dazu, dass Engels’ Gedanken zur Dialektik der Natur von einem Großteil der marxistischen Theoretikerinnen und Theoretiker im Westen ab den 1920er Jahren zurückgewiesen wurden.
Die Apparatschiks der Sowjetunion nahmen diese Theorie hingegen weitaus bereitwilliger an. Im Jahr 1938 ging Stalin sogar so weit, den abkürzend »DiaMat« genannten dialektischen Materialismus als offizielle Staatsphilosophie der Sowjetunion zu kodifizieren. Stalins Umgang mit den Naturwissenschaften während seiner Gewaltherrschaft (am berüchtigtsten in Form der Unterstützung Lyssenkos in seinem Feldzug gegen die »bürgerliche« Wissenschaft der Genetik), trug indes nicht gerade zur Stärkung des intellektuellen Rufs von Engels’ Thesen bei.
Die Vulgarität des dialektischen Materialismus, kombiniert mit der Vulgarität seiner politischen Anwendung, macht ihn für Žižek zum »wohl dümmsten philosophischen System des 20. Jahrhunderts«. Warum beharrt er also darauf, sich selbst mit diesem Label zu identifizieren? Žižek argumentiert, dass die marxistische Linke ohne ein eigenes Naturverständnis, das sie der kapitalistischen Vorstellung von der Natur entgegensetzen kann, nicht in der Lage sein wird, mit Bestimmtheit zu sprechen: Sie wird sich, wie er über die poststrukturalistische Philosophin Judith Butler witzelt, über grundsätzliche Dinge wie ein Glas Wasser auf einem Tisch nicht äußern können, ohne dabei ein ganzes Arsenal an Vorbehalten und Komplexitäten vorausschicken zu müssen.
Es muss aber dazu gesagt werden, dass Žižeks Version des dialektischen Materialismus – die er »Dialektischer Materialismus 2« nennt, als handle es sich dabei um ein Rocky-Sequel – ganz anders ist als ihr schwerfälliger Vorläufer. Der Fehler des »Dialektischen Materialismus 1« besteht darin, dass sein Versuch, die Realität objektiven Gesetzen unterzuordnen, die großen intellektuellen Umwälzungen der Moderne ignoriert: nämlich die philosophische Entdeckung (durch Kant mittels Descartes), dass die Struktur unseres Denkens unser Verständnis der äußeren Welt bedingt, und die psychoanalytische Entdeckung (durch Lacan mittels Freud), dass sich das Begehren in Opposition zu einem Mangel konstituiert, der nie richtig gefüllt werden kann.
Žižek begreift dies nicht als etwas Negatives – als Beweis für die Begrenztheit der menschlichen Vernunft oder für die Sexualität als dem Ort einer Unmöglichkeit. Er wendet es positiv. Wenn wir Menschen durch eine unauflösbare Spannung zwischen der Vernunft und ihrer Fehlbarkeit, zwischen dem Begehren und seinem Mangel definiert sind, dann beweist dies, dass wir Teil der Natur sind. Denn wenn uns die zeitgenössische Wissenschaft etwas vorgeführt hat, dann, dass die Natur von Ungereimtheiten, Kontingenzen und Spannungen durchsetzt ist. Sie ist, mit anderen Worten, konstitutiv unvollständig.
Um diesen Punkt zu illustrieren, führt Žižek die Quantenphysik an. Vor der Quantenphysik verstanden wir die natürliche Welt mit Newton als ein mechanisch funktionierendes materielles Ganzes. Die Erschütterung dieser Vorstellung glich, so Žižek, der Entdeckung eines Glitches in einem Videospiel. Wenn eine Spielerin einen Glitch entdeckt – wenn sie zum Beispiel eine Tür passiert, die nur zu dekorativen Zwecken in das Spiel eingebaut wurde – dann findet sie sich häufig in einem Gemenge chaotischer Codezeilen wieder; in einem Grenzgebiet, in dem die vermeintlichen Regeln des Spiels nicht mehr gelten – und doch sind diese Räume immer noch Teil des Spiels.
Nach Žižek kann dasselbe auch von der Quantenphysik gesagt werden: In der obskuren Konjunktion von Wellen und Teilchen zeigt sich der anarchische Charakter der Natur. Der dialektische Materialismus der Vergangenheit übersah, dass die Realität nicht ganzheitlich und gesetzmäßig organisiert ist. Sie ist vielmehr geprägt durch die Weigerung der Welt, sich eisernen Gesetzen vollends zu unterwerfen.
In Anbetracht von Žižeks Betonung des Scheiterns und der Unvollständigkeit als Wesensmerkmale des Universums ist es nur verständlich, dass auch sein eigenes System nicht perfekt ist. So könnte man sich etwa fragen, wie sinnvoll es ist, die eigene Vorstellung von der Natur auf Kontingenz zu gründen. Riskiert man damit nicht, alles Unbekannte als Beweis für eine »Unvollständigkeit« zu betrachten?
Die Stärke von Žižeks dialektischem Materialismus ist jedoch, dass er auf die Kritiken an früheren Versionen reagiert hat. Viele Postmoderne haben den orthodoxen dialektischen Materialismus kritisiert, weil er zu starr und zu deterministisch ist – weil er voraussetzt, dass die Wirklichkeit gewusst werden kann. Žižek lehnt diese Kritiken nicht einfach nur rundheraus ab, sondern baut sie in sein System ein.
Es wird oft gesagt, dass die Dialektik in einem dreischrittigen Walzer fortschreitet, von der These über die Antithese zur Synthese. Mit dem »Dialektischen Materialismus 2« vollbringt Žižek dieser Auffassung nach eine ganz und gar dialektische Leistung, indem er die alte Theorie zusammen mit ihrem Gegensatz in etwas Neues aufhebt.
Genau so wie Žižeks »Dialektischer Materialismus 2« versucht, das marxistische Denken zu erneuern, indem er eine naive Vorstellung von objektiver Wirklichkeit über Bord wirft, so gilt das auch für seine Ideologietheorie.
In den späten 1980er und 90er Jahren, als Žižek sich einen Namen machte, war die Ideologietheorie allgemein unten durch. Poststrukturalistische und »postmarxistische« Kritikerinnen und Kritiker hatten eine Salve von Angriffen auf die klassischen Theorien von Koryphäen wie Marx und Engels oder Althusser abgefeuert.
Generationen von Anhängerinnen Foucaults behaupteten, dass es sich die Ideologietheorie entgegen ihrer scheinbar radikalen Qualitäten zu einfach mache – es handle sich bei ihr um eine Wiederholung der alten Unterscheidung von Schein und Wirklichkeit, nur auf höherem Niveau; schlimmer noch, sie sei elitär, denn sie suggeriere, dass nur ein privilegierter Kader von Intellektuellen die Illusionen der Ideologie durchbrechen und zur Wahrheit durchdringen könne.
Daran anschließend behaupteten eher politisch orientierte Kritiker, die binäre Logik, die der Ideologietheorie zugrunde liegt, hätte eine verkürzte Vorstellung von Macht zur Folge: Ideologie würde lediglich als Teil eines epiphänomenalen Überbaus behandelt, welcher die wirkliche materielle Basis der Ausbeutung und Klassengesellschaft rechtfertigt und verschleiert. Diesen Kritiken zufolge sollten wir stattdessen versuchen zu verstehen, wie uns Ideen zu den unternehmerischen, neoliberalen Subjekten formen, die an einer vom Kapital beherrschten Welt nicht nur teilhaben, sondern sie auch erzeugen.
Žižeks Argumentation erkennt viele dieser Kritikpunkte an und führt gleichzeitig vor, warum Ideologie für die Linke dennoch eine wichtige theoretische Kategorie bleibt. Seine Innovation besteht darin, zu zeigen, dass Ideologie am besten nicht als eine Illusion verstanden wird, die die Realität verschleiert, sondern als psychologische Disposition und Ansammlung bestimmter Verhaltensweisen. Dieses Verständnis ist besonders in unserer postmodernen Gesellschaft von großer Bedeutung, in der die ironische Distanz und ein Meta-Bewusstsein unserer eigenen Voreingenommenheiten zu weitverbreiteten kulturellen Phänomenen geworden sind.
Eine solche Distanzierung wird häufig für eine kritische Geste gehalten: Indem ich mein Bewusstsein für Ideologie und Macht betone, entzaubere ich sie. Žižek hingegen argumentiert, dass das Gegenteil der Fall ist. Eine gewisse Distanz zur Ideologie einzunehmen, versöhnt uns in Wirklichkeit mit ihr.
Es gibt altehrwürdige Präzedenzfälle für diese Art ideologischer Distanzierung und Verkürzung. Die katholische Praktik der Beichte räumt den Menschen ein, dass sie ihrer sündigen Natur frönen können, und festigt zugleich die Macht der Kirche, indem sie von den Gemeindemitgliedern eine performative Absolution solcher Ausschweifungen verlangt. Es wird gemeinhin angenommen, dass wir uns heute von dieser Art Praktiken entfernt hätten. Aber Žižek argumentiert, dass wir uns heute mehr als je zuvor Gewohnheiten zulegen, die es uns erlauben, die Ideologie zu verspotten, während wir uns gleichzeitig ihren Imperativen unterwerfen.
Das Phänomen der Fetischisierung von Waren ist ein gutes Beispiel dafür. Früher hätten wir gesagt, das Problem bestünde darin, dass die Leute Waren wie teure Autos, Gucci-Handtaschen oder Starbucks-Kaffee als talismanische Objekte betrachten. Der Sinn der Ideologieanalyse wäre demnach, ihnen bewusst zu machen, dass es sich bei alledem nur um einfache materielle Objekte handelt, die zudem unter ausbeuterischen Bedingungen produziert werden.
Doch Žižek betont, dass uns das alles längst bewusst ist. Ein Grund dafür, dass Unternehmen derzeit vermehrt ihr (oberflächlich) antirassistisches Engagement proklamieren, ist, dass die Konsumentinnen und Konsumenten ein scheinbar kritisches Denken über die Modeindustrie verinnerlicht haben – sie wissen, dass sie unrealistischen Schönheitsstandards nachhängt, dass Kleider keine Leute machen und so weiter. Wenn sie dann dazu gedrängt werden, zu erklären, warum sie sich bestimmten Konsumgütern trotzdem verbunden fühlen, dann werden sie nun zum Beispiel anmerken, dass Gucci die LGBTQ-Community unterstützt, dass sich Starbucks kürzlich zur Einstellung von mehr Frauen in Führungspositionen verpflichtet hat, oder dass sie diese Produkte nur »ironisch« konsumieren.
Die Kombination aus betonter Awareness für unser Konsumverhalten und symbolischer Ausflucht durch den Hinweis auf kosmetische Appelle der Inklusion oder eine ironische Distanz erfüllt die gleiche Funktion, welche die Beichte für die katholische Kirche hat. Sie gibt uns die Möglichkeit, eine minimale Distanz zur Ideologie einnehmen zu können, und stellt zugleich sicher, dass wir ihr weiterhin genauso verpflichtet sind wie zuvor. Mit anderen Worten: Ein wirklich ideologisches Subjekt ist nicht jemand, der nicht weiß, was vor sich geht, sondern jemand, der sagt: »Ich weiß, aber ...«
Das Gleiche gilt für politische Ideologien. Eine der merkwürdigsten Eigenheiten des postmodernen Konservatismus in den USA war die Anzahl junger Rechter, die besonders im Internet behaupteten, Trump nur ironisch zu unterstützen. Ihnen gehe es eigentlich nicht darum, für so etwas wie konservative Prinzipien einzutreten, beteuerten sie. Vielmehr wollten sie einfach nur »den Liberalen eins auswischen« oder den »Eliten« einen Denkzettel verpassen.
Aber natürlich bot diese Distanzierung von reaktionären Haltungen eine ideale Verteidigung gegen konventionelle Formen der Kritik: Wann immer jemand darauf hinwies, dass Trumpisten oft dünnhäutige Plutokraten sind, die ein ausbeuterisches und bigottes Machtsystem verteidigen, konnten postmoderne Konservative behaupten, ihre Unterstützung sei nur ein großer Witz. Über Kritikerinnen und Kritiker, die ihre Unterstützung Trumps für bare Münze nahmen, machten sie sich lustig. Tatsächlich war ihr Vorgehen alles andere als subversiv. Denn es erlaubte ihnen, reaktionäre Vorstellungen zu unterstützen, ohne sich diese zu eigen machen oder sie rechtfertigen zu müssen.
Žižek ist ein sprunghafter und in seiner Haltung zuweilen unberechenbarer Charakter. So hat ihn seine Neigung, stets die provokanteste Position einzunehmen, zum Beispiel schlussfolgern lassen, die französischen Wählerinnen und Wähler hätten keinen Grund, den Neoliberalen Emmanuel Macron der Rechten Marine Le Pen vorzuziehen. Seine Texte sind mal angenehm zugänglich und voller auflockernder popkultureller Anspielungen, in anderen Fällen aber geradezu frustrierend verkopft. Und selbst die ihm freundlich gesinnten Leserinnen und Leser wünschen sich zuweilen, er würde damit aufhören, sich in seinen unzähligen Schriften immer zu wiederholen.
Aber diese Mängel sollten uns nicht über den Wert von Žižeks Arbeit zum dialektischen Materialismus und zur Ideologietheorie hinwegtäuschen. Nur wenige linke Theoretikerinnen und Theoretiker haben uns so effektiv auf die Dynamik des neoliberalen Kapitalismus und die immer rätselhafteren Verschlingungen seiner Ideologie in unserem Alltag aufmerksam gemacht wie Žižek.
Zwar haben sich seine linken Kritikerinnen oft darüber aufgeregt, dass er den dialektischen Materialismus wieder ausgegraben hat, und ihm Unwissenschaftlichkeit vorgeworfen. Vielleicht könnten sie jedoch auch etwas von ihm lernen. Žižeks Dialektik der Unvollständigkeit zeigt uns, wie in Politik und Wissenschaft Neues entstehen kann – wie Lenin plötzlich aus der Peripherie auftauchen konnte, um in der Russischen Revolution die Macht zu erobern, um eines seiner Lieblingsbeispiele zu zitieren.
Die Ansichten seiner linken Gegner scheinen in vielen Fällen einfältiger und binärer zu sein als das. »Es gibt Ungleichheit«, sagen sie uns, »also sollten wir den Reichtum umverteilen«. Was dabei übersehen wird, ist dass wir dazu ein Gesellschaftssystem radikal umkrempeln müssen, das die Verwirklichung dieses Ziels gegenwärtig praktisch verunmöglicht.
Wenn es die Aufgabe kritischer Theorie ist, die Gebrechen ihrer Zeit zu analysieren, dann ist Žižek einer unserer besten Diagnostiker. Seine Arbeit mag nicht besonders erhaben sein, aber sie ist durchaus aufschlussreich – und das ist genau das, was die Linke in diesem Moment braucht.
Conrad Hamilton ist Doktorand an der Universität Paris 8 und Co-Autor von »Myth and Mayhem: A Leftist Critique of Jordan Peterson«.
Matt McManus ist Gastprofessor für Politik am Whitman College. Er ist der Autor von »The Rise of Post-Modern Conservatism and Myth« und Co-Autor von »Mayhem: A Leftist Critique of Jordan Peterson«.
Conrad Hamilton ist Doktorand an der Universität Paris 8 und Co-Autor von »Myth and Mayhem: A Leftist Critique of Jordan Peterson«.
Matt McManus ist Gastprofessor für Politik am Whitman College. Er ist der Autor von »The Rise of Post-Modern Conservatism and Myth« und Co-Autor von »Mayhem: A Leftist Critique of Jordan Peterson«.